Es ist Pfingsten – Zeit für Geist, der ins Theater fährt. Nicht Heiligen. Eher Spirit. A new spirit.
Schlechtgelauntes wie zuletzt hier über das gegenwärtige Stadttheater abzusondern ist eine Leichtigkeit. Den Beobachter in der Loge zu geben, der souverän sein Urteil über die Gladiatoren fällt, die sich täglich mit dem Theater herumschlagen, reicht nicht. Wie also wäre ein neues Theater anzugehen? Dirk Baecker hat mit der siebten seiner 15 Thesen gerade eine ganz launige Diskussion unter Systemtheoretikern (autopoiet und Differentia) angestoßen, die sich darüber unterhalten, wie denn wohl eine solche Kunst beschaffen sein müsste. Abgesehen davon, dass „Kunst“ ein ziemlich hohler und damit unhandlicher Begriff ist, den es überhaupt erst einmal über Bord zu werfen gilt, sind die Gedanken inspirierend. Allerdings geht es hier um eine andere Dimension der Frage nach einer neuen Kunst (kann überhaupt von „Kunst“ die Rede sein – wenn, dann als Formulierung eines Gedankens, nicht aber als Zuschreibung zu irgendeinem real existierenden Ding. Das vorab). Es geht um Theater. Und es geht mir darum, wie ein Theater aussehen könnte, das sich dem scheinbar unausweichlichen Krepieren der gegenwärtigen Theater entziehen, entgegenstellen könnte. Eine Utopie von Theater, die mit dem bestehenden pyramidalen Grabmälern der Vergangenheit bricht. Das will ich hier und heute zeigen. Und das geht so:
Wer Kunst sagt, muss heute noch immer Werk sagen. Kunst und insbesondere Theater sind noch immer zutiefst in der Bürgergesellschaft, der Industrielogik und im Öffentlichkeitsbegriff des 19.Jahrhunderts.
- Es konstituierte sich – wie bereits hier ausführlich dargelegt – in diesen Theatern ein wohlhabender Bildungs- und Besitzadel, versammelte sich, um Hof zu halten und sich mittels der dargestellten Welt rekursiv selbst zu konstituieren. Ich habe vor längerer Zeit hier auf die Agrippa-Geschichte bei Livius hingewiesen: Die Römische Plebs zieht, aus Feindseligkeit gegen den Adel, aus der Stadt aus, stellt sich auf einen Hügel über der Stadt, und lässt sich dort, die Stadt im Blick, von Agrippa die Stadt als einen Gesamtorganismus erklären. Die Bürgerschafft tritt heraus aus dem Alltag und sieht das Gesamt, das doch auch das Eigene ist, scheinbar von außen an. Kehrt es zurück in die Stadt, wird das Volk diese Beobachtung auch in der Stadt weiter vollziehen. Das sich zum Volk konstituierte habende Gewusel (Latour) bleibt noch immer Gewusel, beobachtet sich aber zugleich als Stadtorganismus. Eben das vollzieht sich im bürgerlichen Theater. Das „Außen“ allerdings sitzt nun im Herzen der Stadt. In dicken Mauern eingeschlossen. Das Theater ist das ins Herz der Stadt projizierte Außen, in dem das Gewusel seinen Platz einnimmt, um sich im Sinnbild des Geschehens selbst als geschlossener Handlungszusammenhang zu erleben. Das ist weit hergeholt? Es ist eine über 2.000 Jahre alte Einsicht, zu lesen in Platons Nomoi, an dem Punkt als er die Theaterleute aus der Stadt (!) verbannt: „[I]hr trefflichsten Fremdlinge, wir selbst sind Dichter einer Tragödie, welche, soweit wir vermögen, die schönste und beste werden soll. Unsere ganze Staatsverfassung besteht nämlich in der Nachahmung des schönsten und besten Lebens, und eine solche soll eben nach unsern Begriffen die wahrhafteste Tragödie sein. Dichter seid ihr nun, Dichter sind auch wir der selben Dinge, und ihr habt uns als Nebenbuhler (antitechnoi) in der Kunst und als Mitbewerber (antagônistai) um den Preis des schönsten Dramas (dramatos) anzusehen. Ein solches ist nämlich allein eine wahrhafte Gesetzgebung (nomos alêthês) ins Werk zu setzen geeignet, und wir sind der Hoffnung, daß sie uns dies leisten werde.“ (Nomoi, 7.Buch) Die Tragödie der Theaterleute wäre also eine Tragödie in der Tragödie – und das kann der Aristokrat Platon, der seine eigene Tragödie als Stadt aufführen wollte, natürlich ebenso wenig dulden wie der „L’état, c’est moi“ rufende Regent der Neuzeit. Die bürgerliche Gegenbewegung setzte im 19. Jahrhundert ein, als das Bürgertum sich von der aristokratischen Dramaturgie befreite, auszog ins Theater hinein und sich dort seine eigene Dramaturgie bildete. Nur: Diese Dramaturgie ist am Ende.
- Noch immer kleben die Theaterleute an Begrifflichkeiten, die die Aufführung als Werk verstehen, als Produkt, als ein Ding, das gemeinsam produziert und dann zum ersten Mal vorgestellt wird, wie ein neues Auto im Genfer Autosalon. Es musste in der Werklogik des 19.Jahrunderts möglichst ein produktförmiges Werk entstehen (Bild, Buch, Partitur, Kunst-Werk,Aufführung), ein Objekt, dem sich die Betrachtersubjekte gegenüber stellen können. Das man möglichst in physischer Form kaufen und mitnehmen, aufbewahren und handeln kann. Dokument. Produzent, Werk, Rezipient. Hersteller, Produkt, Konsument. Man muss schon ein gehöriges Maß an Blindheit oder Ignoranz aufbringen, um zu übersehen, dass die Häuser, die im 19. Jahrhundert errichtet wurden, Fabrikbetriebe sind. Mit den Maschinerien von Ober‑, Unter, Seitenbühnen, mit den Zügen und Hebevorrichtungen, den gesamten Werk(!)stätten im Hintergrund ist das Theater des 19.Jahrhunderts geradezu Sinnbild einer modernen Produktionsanlage mit zugehörigem Verwaltungsapparat, deren Produkt hier neben vielem Anderen: Unterhaltung ist. Die Zeit ist fabrikationsartig organisiert. Man denkt in Geschäftsjahren (Spielzeit), Produktentwicklungen (Inszenierung), Produktreleases (Premieren), Produktlebenszyklen, das Wort „Produktion“ wird ganz selbstverständlich verwendet. Aber was wird produziert? Was produziert die Stripperin an der Stande im Nachtklub? Was produziert sie Anderes, wenn sie denselben Strip auf der Theaterbühne hinlegt? Die industriegesellschaftliche Produktionslogik ist – wie Boltanski/Chiapello überzeugend dargelegt haben – nicht mehr die gesellschaftliche Logik der Gegenwart. Der „Werktätige“ oder „Arbeiter“ ist nicht mehr das vereinheitlichende Symbolbild der Gegenwart. Sondern der Angestellte und Dienstleister. Selbst Werktätigkeit in Betrieben wird zunehmend zu einer Dienstleistung von Leiharbeitern. Längst ist die Werkgesellschaft zu einer Dienstgesellschaft geworden. Deswegen wäre es bedenkenswert, ob nicht der gesamte Probenprozess veröffentlicht gehörte, das Spielen und Probieren, das der Dienst der Darsteller ist. Und die Premiere stünde ganz am Ende, ein einziges Mal. Keine Nachaufführungen. Die Premiere ist kein Anfang. Sie ist ein Ende. Ende eines Prozesses, der heute viel symbolträchtiger und identifikationsfördernder ist, als die Verhaftung in der alten Werkwelt.
- Im Vorwort zu Cornelia Vismanns „Medien der Rechtsprechung“ findet sich die Darlegung, dass das Gerichtsverfahren seit den Nürnberger Prozessen und den UN-Tribunalen einen Wandel der Öffentlichkeit erlebt. War „Öffentlichkeit“ zuvor in Gerichten vor allem dadurch hergestellt, dass die Türen für physisch anwesende Zuschauer geöffnet wurden, dann auch für Journalisten, die eine Presseöffentlichkeit (vgl. Alex Demirovic) herstellte, wird in diesen Verfahren die Weltöffentlichkeit nicht nur Zeuge des Geschehens – sondern konstituiert sich als Weltöffentlichkeit. Die Theater aber sind noch heute auf einem historischen Stand des Zerbrochenen Krugs. Die vierte Wand ist das Brett vor dem Kopf der Macher, die nicht verstehen, dass seit 50 Jahren die Justiz „nicht nur medial die Wände der Gerichtsraums öffnet, sondern eine globale Öffentlichkeit zur Stätte der Rechtsprechung macht“ (Vismann, 10). Versteht ihr, Theaterleute? Medien übertragen nicht nur – wie einst Live-Übertragungen aus dem Ohnsorgtheater ins heimische Wohnzimmer – „Werke“ an eine zweite Öffentlichkeit in den Wohnzimmern. Sondern Wohnzimmer und Auditorium sind dieselbe globale Öffentlichkeit. Theater vor einem globalen Publikum, Theater als Welttheater (oder wenigstens: Europatheater) – was wäre das? Anders. Ganz anders. Nicht die Stadt ist Öffentlichkeit des Theaters. Nicht die Stadt konstituiert sich hier. Nicht das Volk, die Nation, das Land, die Rasse konstituiert sich hier oder ist Öffentlichkeit. Heute steht zur Frage, wie sich denn ein Europa, das nicht nur eine Wirtschafts- und Währungsunion ist, konstituieren könnte. Oder eine Weltgesellschaft – wobei die sich im Netz schon längst konstituiert. Und das Netz übernimmt die Funktion des Theaters – und ignoriert dabei das Theater in beispielloser Weise. Weil das Theater das Netz ignoriert und auf einem kulturellen Level, der nurmehr von musealer Legitimation ist, hängen geblieben ist. Alles ist global — klar Theater muss da nicht mitmachen. Widerstand gegen die Globalisierung. Kritiker aller Länder verei…nein aller Dörfer…nein Kritiker meines Dorfes versammelt euch. Vergesst die internationale. Es lebe die regionale. Die lokale. Die theatrale. Das ist nicht einmal mehr sympathisch altbacken. Selbst die katholische Kirche verzichtet darauf, die Messe in einer Form zu lesen, die keiner mehr versteht. Theater? Latein! Wie müsste ein anderes Theater sein? Ein Europäisches oder Welttheater, das versteht, dass sich hier Europa oder Welt konstituieren könnte. Dazu gleich mehr.
Dass dem Theater jede Leidenschaft jenseits der leidenschaftlichen Verteidigung finanzieller Pfründen abhanden gekommen ist, kann man nicht erst seit Eckhard Krippendorfs weinseliger Zustandsbejammerung im Freitag konstatieren. Selbst die Kommentatoren auf nachtkritik, die gerne mit der Keule aufeinander und auf die Nachtkritiker eindreschen, führen nur noch längst vergilbte Auseinandersetzungsdramaturgien alter Zeiten wieder auf. Das Forellenquintett muss gespielt werden. Macht der Gewohnheit. Über Theater muss man sich streiten. Und wenn’s nichts anderes zum Streiten gibt, dann eben Budgetkürzungen und Hausschließungen.
Dabei sind diese Häuser unermesslich reich. 27 Millionen beträgt der Jahresetat des Theaters in der Kleinstadt Bonn. Siebenundzwanzig Millionen. Und da erdreisten sich die Theaterverteidiger und Besitzstandswahrer, die künstlerische Verarmung an die vierte Wand zu malen, die durch eine zehnprozentige Einsparung droht. Wollt ihr allen Ernstes behaupten, dass sich mit VIERUNDZWANZIG MILLIONEN Euro im Jahr kein ultrageiles Theater machen lässt? Mit eurem Geschrei versucht ihr nur die vorhandene künstlerische Armut zu kaschieren, die auf den Zombibühnen der Republik weht.
Theater weiter – aber anders. Aber wie?
Wie würde ich tun, wenn ich der wäre, der tut, und ein Theater hätte, an dem ich könnte? Damit meine ich nicht ein „Hei, wir haben hier eine alte Fabrikhalle, toll, mach doch da mal was“-Theater. Ich meine ein x‑Sparten Stadt- oder Staatstheater mit üppiger finanzieller Ausstattung. Ein Haus also, an dem ich zum Beispiel VIERUNDZWANZIG MILLIONEN im Jahr verballern könnte, ohne mich irgendwem dafür verantworten zu müssen. Verjuxen. Verschwenden. Denn das ist Theater: Luxus und Verschwendung – also genau das, was das Leben vom bloßen Vegetieren unterscheidet. Wofür es sich zu leben lohnt.
Schritt 1: Ein Schnitt
Theater sind keine Wirtschafts‑, sondern Konzeptbetriebe. Der Wechsel der künstlerischen Leitung eines Hauses geht zumeist mit der konzeptionellen Erneuerung des Personals einher. Das heißt in diesem Falle: Kündigung des gesamten bestehenden Personals. Künstlerisches und Nichtkünstlerisches. Die Kantine vielleicht nicht. Je nach Qualität des Angebots. Sie könnte auch von Subway übernommen werden. Oder von einem Studentenkollektiv. Voraussetzung: Die Personalgelder stehen dem Theater weiterhin zur Verfügung und werden nicht vom Kämmerer kassiert. Eine Million für mich, blieben 23 Millionen für Produktion.
Schritt 2: Einjähriges Moratorium
Ein Jahr lang garantiert dieses Theater keinen Regelspielbetrieb. Es garantiert lediglich mindestens irgendeine öffentliche Abendaktivität in der Woche. Die Einnahmeausfälle von Abonnenten und Abendkasse (die eh nur etwa 5–20% der Gesamtbudgets des ansonsten aus öffentlichen Mitteln finanzierten Theaters ausmachen) sind durch die Maßnahmen in Schritt 1 bereits kompensiert. Es steht ein freies Haus und freies Budget zur Verfügung. Erst nach Ende dieses Jahres wird ein – zu definierender – Regelbetrieb wieder aufgenommen. Wie der aussieht, bleibt offen.
Schritt 3: Die Siedler
Das nunmehr leere Haus wird besiedelt. Von zwei Gruppen.
- Die eine Gruppe: Technik- und Digitalkünstler. Studenten der UdK, des Karlsruher ZKM, Künstlern der Ars Electronica, Videoinstallateuren, Projektionskünstlern, Augmented Reality Spezialisten, Architekten (ja, auch da gibt’s einige). Sie werden eingeladen, sich mit dem Haus auseinander zu setzen. Es umzuwidmen und neu zu entdecken. Das entkernte Schlachtschiff neu zu betrachten. Und zu beleben.
- Die zweite Gruppe: Netzsoziologen, Netzpolitologen, Digitalaktivisten, Prost Privatisten, Datenschützern, Bloggern, und vor allem auch: Schreibern. Von allen denjenigen, die sich um die Frage kümmern, was heute und morgen ist. Was sich ändert und was bleibt. Nicht 10 oder 15. Eher 100 oder 150. Das Haus braucht Chaos. Und vermutlich mehr Feuerwehrleute als zuvor. Gewohnt wird im Haus, in den Intendanzen und Verwaltungstrakten.
Es kann doch nicht sein, dass das Netz künstlerisch nur Unternehmen überlassen bleibt, die aufwändige Webwerke bestellen können. Das Netz in und an sich ist das größte Kunstwerk, das die Menschheit in ihrer Geschichte geschaffen hat. Innerhalb von nur 10 Jahren. Friedlich und kooperativ. Das Netz ist die sixtinische Kapelle, der Vatikan der Gegenwart. Aber – wo sind die Künstler? Wo sind innerhalb dieses Kunstwerks die Kunstwerke? Wo die Sponsoren und Mäzene, die solche Kunstwerke ermöglichen? Die Kunst der Digitalrenaissance kann nicht nur Werbeagenturen überlassen bleiben. Es ist die Kunst für das neue Theater. Ein Theater, das Digitalien und Realien miteinander verknüpft, jener Step-Punkt, in dem sich beide Welten berühren können.
In der ersten Renaissance waren es noch Theologen und Maler, die zusammen arbeiteten um Werke zu schaffen wie die Stanzen des Raffael im Vatikan, die Nuova Capella von Signorelli oder und natürlich vor allem das Hauptwerk überhaupt, San Franceso in Assisi, wo THeologie, ARchitektur, Malerei sich zu einem Kunstwerk vereinigten, an dem sich zu orientieren ist für ein NETZTHEATER, das Digitalkünstler und Soziologen zusammen erschaffen könnten.
Schritt 4: Forschungsarbeit und Brain-&Sensestorm
Ein Jahr lang werden diese zwei Gruppen arbeiten – und vor allem zusammen arbeiten. Sosehr es den Technikern an einem Sinn-Bewußtsein fehlt, so sehr fehlt es den Theoretikern an Sinnesdimension. Nur zusammen lässt sich ein Blick darauf wagen, was ist und wird. Ein Jahr lang. Für die Arbeit bezahlt. Das Haus begehbar und besuchbar zu ausgewählten Zeiten. Und einmal pro Woche eine reguläre öffentliche Veranstaltung. Ein Trubinal. Eine Performance. Ein geführtes Open House. Vielleicht muss das Haus auch jederzeit offen und begehbar sein — zumindest über das Netz. What so ever. Egal. Die Verbindung in die Stadt hinein muss hergestellt werden – die Wege dahin, sind offen. Der Eintritt beträgt 5 Euro für jeden bis 35 Jahre. Darüber 200 Euro pro Karte. Blogger erhalten für jedes Posting 50 Euro. Journalisten, die in Zeitungen über das Theater schreiben, erhalten Hausverbot. Wer bloggt UND in der Zeitung publiziert, erhält 50 Euro UND Hausverbot.
Oder noch besser. Diese Karten können nicht einfach gekauft werden. Bis 24 Stunden vor Gültigkeit der Karte können nur Optionen erworben werden. Per Web. Je zukünftiger Karte eine Option (der Einfachheit halber, 5:1 wär sicher spannender, vielleicht später). Das gesamte spätere Kontingent wird als Optionen ausgegeben, die gezeichnet und gehandelt werden können. Und deren Preis steigt, wenn die Nachfrage hoch ist. Übersteigt das Angebot die Nachfrage – bleibts bei den 5 Euro. Die Anzahl zur Verfügung stehender Karten am Veranstaltungstag bemisst sich nach der Anzahl der verfügbaren Optionen. Sind nur 10 verkauft – gibt’s nur 10 Karten. Für die Optionsinhaber oder für diejenigen, die ihnen die Optionen abkaufen. Ja aber – öffnet das nicht dem Schwarzmarkt Tür und Tor? Doch – aber warum sollten ausgerechnet Theater die einzigen Orte der Welt sein, die niht von diesem Schwarzmarkt abhängen. Und für clevere Optionsinhaber gibt’s richtig Geld zu verdienen. Spannender Gedanke, dass ein Cleverle alle 100 Optionen kauft – und dann den Preis hoch zieht. Es gibt natürlich keinen Präsenzhandel. Da die Karten nicht in Printversionen, sondern lediglich als QR-Codes vertrieben werden, treffen Verkäufer und Käufer sich nicht.
Das Ende der Vierten Wand — und der Beginn des Netzes
Dieses Haus hat kein Innen und Außen. Es kennt keine vierte Wand zwischen Bühne und Nichtbühne. Das Hausselbst ist Bühne und Nichtbühne überall. In den ehemaligen Werkstätten, auf den Schnürböden und der Unterbühne. Im Zuschauerraum ist alles Bühne und Nichtbühne. Der Vorplatz ist Bühne und Nichtbühne. Die Stadt ist Bühne und Nichtbühne. Die einzige vierte Wand ist der Computerbildschirm.
Dieses Haus hat keine Webseite. Das Web ist Teil dieses Hauses, ohne Bruch. Das Web ist im Theater, das Theater im Web. Nur der Computerbildschirm ist die Trennung. Das Webteam ist der einzige unabdingliche Dauerbestandteil des Hauses. Und die Netzwerktechnik. An den Eingängen dieses Theaters stehen Nacktscanner. Dahinter wird die Kleidung in gemischten Umkleiden abgelegt, dann geht’s in gemischte Duschen. Und jeder, der sich jenseits dieser Schleuse aufhält (JEDER!) trägt einen orangenen Overall mit Bewegungstracking. Die Bewegungen und die Nackscannerbilder werden ins Web übertragen. Jeder erhält ein Theatertablet und/oder Theatersmartphone. Das Haus ist lückenlos mit WLAN versehen, dass den Orangenen die Kommunikation mit den Anderen ermöglicht.
Schritt 5: Der Plan
Niemand weiß, was in diesem Jahr geschieht, wohin die Reise geht. Vielleicht scheitert die ganze Sache nach einem Jahr. Vermutlich aber nicht. Vielmehr soll nach diesem Jahr eine Idee entstanden sein, was und wer dieses Theater ist. Wer an diesem Theater wie arbeiten kann, wird soll. Was dieses Theater überhaupt soll.
Schritt 6: Der Betrieb
Aus den noch immer verfügbaren Geldern werden jetzt Spielzeitverträge abgeschlossen. Mit den Künstlern und Theoretikern, die für sich selbst eine Idee geschaffen haben, was und wie sie dieses Haus nutzen wollen und können. Und von denen zu erwarten ist, dass sie der Stadt drumherum etwas zu bieten haben.
So stelle ich mir das vor.
Geil, oder?
Und nun ein Psychotest:
- Wer bei der Lektüre dieses Textes irgendwo gedacht hat: „Hatten wir schon mal“, „Machen wir doch schon“, „Geht nicht“ oder „Was soll das“ hat sich dafür komplett disqualifiziert.
- Wer bei der Lektüre dachte: „Was ein Scheiß“, „Wie soll das gehen“, „Kasperletheater“ ist herzlich willkommen.
- Wer bei der Lektüre dachte „Genau das wollte ich schon immer mal machen“ wird hiermit zum Feind dieser Utopie erklärt.
In der Tat schafft sich die Kunst ja wirklich selber ab, von zwei Seiten ämlich: Einmal, weil sie beinahe nur noch Ware ist (man lese dazu die feine Kunstkritik Wilfried Dickhoffs: “Das Zuvorkommende”). Und dann, weil sich Beuys’ Traum vom Jederkünstler durch die digitalen Tools immer mehr erfüllt. Was dann naheliegenderweise für deine Utopie auch bedeutet, dass man die Kunst nur durch ein Hintertürchen wieder Kunst sein lassen kann: Durch ein bedingungsloses Kunsteinkommen. Damit wird sowohl eine regelmäßige Kunstversorgung vom Staat garantiert. Als auch Kunst endlich das Geld als Tauschmittel ablösen. Womit dann Kunst wieder Kunst sein können und ihre Freiheit haben wird. Wie heute das Geld. Auch die Aura und das Sakrale wird der Kunst so rückerstattet: Denn die Orte der Kunst: Theater, Museen, Bibliotheken — zuvorderst natürlich aber das Internet — werden dass sein, was heute die Banken sind: Unsere Kirchen. Geil, oder?
“Was dann naheliegenderweise für deine Utopie auch bedeutet, dass man die Kunst nur durch ein Hintertürchen wieder Kunst sein lassen kann: Durch ein bedingungsloses Kunsteinkommen.”
So ist es.
[…] Wenn wir das Netztheater wollen, müssen wir dann nicht auch jenes wollen, was ich kürzlich in des Postdramatikers Utopie hineinkommentierte? In der Tat schafft sich die Kunst ja wirklich selber ab, von zwei Seiten […]