Posting, da sehr lang, hier als PDF
Vorab: Ich habe das Bankentribunal von attac am Samstag einige Stunden lang online verfolgt sowie am Sonntag die letzte halbe Stunde gesehen. Freitag nicht.
Auch vorab: Ich halte das Bankentribunal für eine Sternstunde der Demokratie und (mir sehr wichtig und zum ersteren unmittelbar gehörig) des Theaters. Obwohl es vermutlich letztlich gescheitert ist.
Nochmal vorab: Ich hab mir Zeit gelassen mit diesem Posting – weil ich zunächst restlos begeistert war, dann in verschiedenen Tribunalen, die in Online- und Offline-Publikationen über das Tribunal veranstaltet wurden, doch einiges Bedenkenswertes fand, das ich halb bewusst verdrängt hatte, nun aber würdigen wollte, weil viel von der Kritik zutraf.
Auf Nachtkritik folgte einer eher negativen Kritik von Esther Slevogt (hier) eine zeitweise heftige Debatte, insbesondere über theatrale Formen sowie Formen politischen Widerstandes. Ein richterloses Tribunal von Anklägern und Verteidigern des Tribunals also. Taz, Spiegel und andere Publikationen zeigten sich eher enttäuscht, Wolfgang Lieb von den nachdenkseiten – Eröffnungsredner und Mitveranstalter – zeigt sich wiederum enttäuscht von Kritiken (hier inkl. Einer Presseschau). Mein Paradox: Ich kann fast alles unterschreiben, was die Kritiker vorbringen – und komme dennoch zu einer anderen Schlussfolgerung.
„Tribunal“ ist offenbar zu hoch gegriffen, weder formal noch inhaltlich wurde die Veranstaltung dem (in selbstzitierter Russelscher Tradition) gerecht. Anklägerwaren oftmals schlecht, teilweise gar nicht (wie Altvater beim Ackermann/Griechenland-Abschnitt) vorbereitet. Das Publikum war (zeitweise!) enorm einseitig. Gelegentlich kippten die nicht exerzierten Gerichtsformen ins Kasperltheater. Viel zu viele Themen in viel zu kurzer Zeit. Vermengung altlinker Selbstbespiegelung mit Argumentaustausch.
Alles eingeräumt.
„Tribunal“ – als theatrale Form zulässig.
Es war eine sehr gute (oder sehr glückliche) Entscheidung, die Veranstaltung in einem Theater abzuhalten. Dorthin gehörte sie – jedenfalls in ein Theater als gesellschaftlichen Ort, wie er vielleicht in der griechischen Polis gewesen sein mag. Beim Tribunal handelte es sich um mit dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller zu reden um „Theater, aber legitimes Theater.“ Ankläger, Verteidigern Richter haben sich in Rollen gefügt und sie umgesetzt. Vermutlich hätten die Darsteller von Anklage und Verteidigung auch ihre Rollen tauschen können (wenn auch sicher nicht so gerne; aber das weiß jeder Bundestrainer, dass nicht jeder Spieler gern auf der zugewiesenen Position spielt). Das heißt nicht, dass die Verteidigung falsch gespielt hätte – im Gegenteil. Ich hatte den Eindruck, dass die Verteidigung als Verteidigung enorm stark und kontrovers aufgetreten ist und den „Anklägern“ nichts geschenkt hat. Es handelte sich um eine echte Gegenposition – dass sie „mit glühendem Herzen“ und aus authentischer Überzeugung vorgetragen wird, verlangt man aber an keinem Gericht der Welt von Verteidigern.
Das Tribunal als Form zu wählen, halte ich für zulässig. Wer „Die Ermittlung“ von Peter Weiß oder „In der Sache J. Rober Oppenheimer“ von Kipphardt kennt, weiß dass solche Gerichtsformen durchaus Sinn machen. Sie schaffen Gelegenheit, Gegensätze als Gegensätze aufeinanderprallen zu lassen und heraus zu arbeiten. Und sie ermöglichen, am Ende zu einem begründeten und als Urteil erkennbaren (und nicht stillschweigend vorausgesetzen) Gesamturteil zu kommen. Gesetzt den Fall, attac hätte zu einem Bankenkrisen-Kongress eingeladen – wir hätten niemals Gelegenheit gehabt, die Argumentation der „Gegenseite“ (die es dann eben wäre und die als solche ausgeschlossen wäre) zur Kenntnis zu nehmen. Haben wir sie so zur Kenntnis nehmen können? Mir scheint kein ernsthaft neoliberaler Vertreter dabei gewesen zu sein. Aber der Versuch wurde gemacht – und das ist sicher demokratischer, als eine von vornherein zusammengetretene globalisierungskritische Messe.
Drittens hat die Form des Tribunals den Vorteil, auf ein Ziel und Ende kommen zu wollen. Kongresse und Symposien neigen (ebenso wie Debatten auf nachtkritik) dazu, alles um- und umzudrehen, am Ende alles interessant zu finden, und einfach auseinanderzulaufen, um was anderes zu tun. Die Form des Tribunals zwingt zu einer abschließenden Stellungnahme. Sie folgt also durchaus einer Art dramatischer Struktur. Wenn nicht gar einer Dramaturgie. Das ist nicht der einzig mögliche Weg, mit der sogenannten Banken- und Finanzkrise umzugehen. Aber es ist ein Weg, der Sinn macht. Auch wenn das, was hier als Urteile verkündet wurde, kaum das Abholzen der Bäume, die das Papier lieferten, wert war. Das war Käse – hat mit dem Stichpunkt „Personale Verantwortung – s.u.“ zu tun. Das Scheitern aber kann nicht Anlass sein, das Bestreben grundsätzlich zu verurteilen. Dieses Bestreben, einmal nicht „ergebnissoffen“ zu diskutieren, sondern mit gezielter Kontroverse am Ende doch zu einer Art Ergebnis zu kommen, ist aus meiner Sicht zu begrüßen. Auch wenn es nicht letztinstanzlich ist – denn das letzte Urteil fällt jeder Zuschauer für sich. That‘s democracy.
Wiewohl Vergleiche sowohl zum Volksgerichtshof und Volxgericht, zur RAF aber ebenso zu Russel allesamt unangebracht sind: Die Veranstalter haben sich die Latte mit dem Begriff „Tribunal“ wohl zu hoch, vielleicht grundsätzlich an die falsche Stelle gelegt. Sie haben es nicht geschafft und scheinbar auch nicht ernsthaft unternommen, diese Latte zu überspringen. Keine Gerichtsformalia, kein Erheben des Publikums beim Auftritt des Gerichts, keine Robe, keine „Einspruch euer Ehren“ oder ähnliche Kinkerlitzchen. Und das war letztlich auch gut so. Aber die Provokation des Begriffs sorgt für Aufmerksamkeit. Ein Marketinggag? Oder der Versuch, Aufmerksamkeit zu reaktivieren, während Deutschland sich eher über den verdächtigen Wettermoderator und Stefan Raabs Beule auslässt. Hätte das Tribunal in einer Stadthalle oder einem Gasthof stattgefunden, wäre es vielleicht nicht rechtfertigbar. Im Theater, als theatrale Form sehe ich die Sache anders: Vom Theater und der Theatertradition heraus betrachtet deutet sich hier vielleicht sogar eine neue evolutionäre Form an. Wenn Rimini Protokoll postdramatisch ist. Dann ist das Tribunal postprotokollarisch und schafft nach dem Dramatiker nun auch den Regisseur ab … Der Experte ist sein eigener Autor und der formale Schauplatz übernimmt die Regie. Form- und rollengebundenes Experten-Imporovisationstheater.
Nebenbei: Esther Slevogt fragt nach der demokratischen Legitimation der Urteilenden – wer fragt die Kritiker der Nachtkritik danach? Kritische Meinungsbildung bedarf so lange keiner Legitimation, wie eine offene Gesellschaft und eine freiheitliche Ordnung auch die Bildung von Gegenmeinungen zulässt. Und die Theater-Urteile der nachtkritik sind allemal folgenreicher für die Kritisierten als das Urteil des Bankentribunals …!
„Zugespitzte Personale Verantwortung“ falsch
Das Tribunal läuft da schief, wo es unternimmt – wie es von Tribunalen zu verlangen ist – eine begrenzte Anzahl einzelner Personen durch Urteil zur Verantwortung zu ziehen. Viele Kritiker nahmen auf die eine oder andere Weise Bezug auf diese Angeklagten und ließen mehr oder minder die Unangemessenheit dieser Personalisierung erkennen. Dabei mag auch ein einigermaßen traditionelles deutsches Zurückschrecken vor der Obrigkeit und ein „man kann doch nicht“ „was erlauben die sich“ mitschwingen. Geschenkt.
Ich finde die Frage wichtiger, inwieweit sich die Verantwortung juristisch wirklich so zugespitzt personalisieren lässt. Will heißen: Müssen genau und nur diese Angeklagten sich ein vorsätzlich schuldhaftes Handeln in ihrer Funktion zuschreiben lassen? Und wenn ja: Ist dieses vorsätzlich schuldhafte Handeln dieser Personen in wesentlichem Umfange für die Gesamtsituation ursächlich oder hat es die Situation bedeutend verschlimmert? Unfähigkeit oder „Charakterfehler“ (wie Zugehörigkeit zur “falschen” politischen Partei) dabei beiseite.
Ohne von ihnen die Verantwortung absprechen zu wollen – warum sitzt der Chef der Deutschen Bank dort, nicht aber die Chefs von HRE, IKB, Commerzbank, WestLB? Und wenn die Chefs – warum nicht auch die Investmentverantwortlichen, die Investmentbanker dieser Häuser. Warum nicht die BaFin, warum nicht andere Aufsichtsbehörden? Und so weiter.
Der – menschliche Verständliche – Versuch der Komplexitätsreduktion durch Konzentration auf die zentralen Akteure (“sehnsucht nach Schuldigen” heißt das sehr treffend hier in der BZ ) ist der Sache unangemessen. Und die seltsame Unpassendheit der abschließenden Urteile, die über einzelne Personen verhängt wurde, machte das implizit und unterschwellig sehr klar. Denn nach 2 überraschenden und enorm facettenreichen, vielfältigen und differenzierten Tagen sind Schlussurteile der Kategorie „Wir verurteilen A, B, und C“ leider wieder auf das Niveau von Kinderkaufmannsläden und Stammtischen zurück gefallen. Man merkte es den Urteilsverkündern an, die auch – zumindest Hengsbach – dazu bemerkten, das sei ja nun über Nacht schnell zusammen geschrieben und nicht alles und übrigens wolle man auch inhaltliche Schlussfolgerungen nachlegen. Das ist edel. Und angemessen. Ob es die Masse des Gehörten tatsächlich aufzugreifen schafft – fraglich. Aber die Anklage-/Verteidigung-/Zeugensystematik machte es möglich, unterschiedliche Standpunkte und eine große Menge an inhaltlichen Einzelheiten und Zusammenhängen auszubreiten. Diese Ausbreitung ist das Verdienst des Tribunals. Nicht das Schlussurteil.
Zudem steht die persönliche „Schuld“-Dimension für mich infrage: Hat die Anwesenheit genau dieser Person zu genau dieser Zeit an genau diesem Ort unter genau diesen Umständen zu dem als strafbarer Sachverhalt geführten Ergebnis geführt und wäre es nicht geschehen, wenn eine andere Person unter denselben Umständen dagestanden hätte. Heißt: Ist Ackermann als Ackermann schuldig – oder ist es die Funktion des Vorsitzenden der Deutschen Bank. Ist Angela Merkel schuldig oder ist es die Regierung? Die Frage ist deswegen wichtig, weil beide Funktionen nicht ausschließlich von ihren Inhabern bestimmt werden. Es geht auch nicht um das berühmte „System“ (lassen wir alle Tierattribute beiseite). Es geht um die „Mikrophysik“ dahinter. Ich glaube, dass all die kleinen Traderlein, Kundenberaterlein und nicht zuletzt auch die Rentnerlein, die jetzt lautstark behaupten, man hätte sie dazu überredet, Anleihen und Zertifikate mit 9% Rendite (anstatt der sparbuchnotorischen 1,9%) zu kaufen, erhebliche individuelle Schuld tragen. Vielleicht ein wenig das Mauerschützenproblem – aber in nicht-totalitärem Zusammenhang. Ich glaube nicht, dass man sich als Bürger einer parlamentarischen Demokratie guten Gewissens einfach in den Reigen der „Der war’s, der war’s“ Rufer einreihen und auf einen „Machthaber“ weisen kann. Die vom Tribunal „Angeklagten“ zur Verantwortung zu ziehen und zu befragen ist sicher nicht verkehrt – die Zuspitzung auf sie und ihr persönliches Verschulden wäre einfach dumm. Und im Verlauf des Tribunals ist das auch nicht wirklich geschehen. Sondern die Vielzahl der Teilnehmer arbeitete erfreulich engagiert daran, die Komplexität des Geschehens auch jenseits individueller Dämonisierung aufzuarbeiten. Damit unternahmen sie es, die Debatte an die Stelle zu tragen, wohin sie gehört: in die Gesellschaft, die der ziellos auf die Vermehrung der Geld-Mittel fixierten Finanzwirtschaft mittels ihrer politisch Verantwortlichen die Ziele und Grenzen vorzugeben hat.
Gefährlich ist meines Erachtens auch deswegen die Konzentration auf Angeklagte, weil sie in der Geschichtenerzählerei der Moderne ein sehr bekanntes Muster erfüllt. Sie versucht das Gesamtgeschehen in eine Kriminalgeschichte zu drücken. Und gibt sich dabei zu schnell eben mit der Heilsspende durch eine gelernte Dramaturgie zufrieden. Täter gefunden – Welt wieder in den Fugen – Abspann, Titelmelodie. Würden zukünftige Krisen verhindert, sperrte man das handelnde Personal weg? Nein, dummes Zeug. Und jetzt ein dickes Aber: Die an anderen Stellen versuchte Geschichtenerzählerei ist auch nicht überzeugender. Heißt: „Gier“ der Banker. Heißt „mangelnde Moralität der Wirtschaft”. Liebhaber eher technischer Fakten konzentrieren sich auf „Credit Default Swaps“. Oder auf “die US-Immobilienblase“. Auch das alles nichts anderes als simplifizierende Dramaturgien. Keine davon arbeitet mit falschen Indizien. Aber keine wird auch den Dingen in ganzem Ausmaß gerecht. Und noch schlimmer: Keine davon war bisher in der Lage zu zeigen, wie eine erneute Krise vergleichbaren Ausmaßes vermeidbar wäre. Durch Moral?
P.S.: Auf Nachtkritik gibt ein Kommentator zu bedenken, was wohl geworden wäre, wenn einige oder alle Angeklagten überraschend erschienen wären und sich gut vorbereitet den Anklägern gestellt hätten. Das Tribunal und seine Vertreter wäre in sich zusammengebrochen und hätte sich schlecht vorbereitet gezeigt – geschenkt. Viel wichtiger: Die Argumentation wäre mit großer Wahrscheinlichkeit in sich schlüssig gewesen. Man hätte sie nicht teilen müssen – aber sie hätte vermutlich gezeigt, dass unter den gegebenen Umständen ein Handeln wie es die Handelnden gezeigt haben, begründbar wäre. Und hätte die Angeklagten freisprechen müssen – verstehend, dass die „Schuld“ sich nicht in dieser herkömmlichen Form personalisieren lässt. Wer weiß – vielleicht hat Ackermann ja den Stream angeschaut …?
Und was war inhaltlich mitzunehmen?
Viel zu viel, um es hier wiederzugeben. Und daraus abgeleitet für mich: Viel zu viel, um überhaupt zu einem Urteil hinsichtlich der Ursachen zu kommen, wenn man die Simplifizierungen „Ackermann“, „Merkel“, „die Banken“, „die Bonus-gierigen Banker“, „die Hedgefonds“ vermeiden will – und man macht sich mit diesen Globalurteilen eher blind als schlau. Zugleich ist dieser Komplex nicht mehr für die Politik beherrschbar. Und das heißt: Er muss in einer Form reorganisiert werden, dass er so weit wie möglich transparent und verständlich ist. Und dass es in jedem Fall kein Unternehmen auf der Welt geben darf, das „too big to fail“ ist, das wie die Deutsche Bank mit einer Bilanzsumme von etwa 1 Billion Euro durch eine Insolvenz die Weltwirtschaft in den Abgrund stürzen kann. Nach der Fusionitis käme damit eine Zeit der Aufspaltungen zu großer Unternehmen und Banken. Einer der Punkte, die mir einleuchteten. Schließlich hat auch niemand Schwierigkeiten damit, Staaten die Atomare Bewaffnung und die damit verbundene Fähigkeit, die Welt (zumindest in weiten Teilen) ins Verderben zu stürzen, zu untersagen (wenn auch noch zu viele in dieser Form bewaffnet sind …). Machtbeschränkung.
Der Vergleich mit Nuklearanlagen ist ganz hilfreich, um das Geschehen der letzten zwei Jahre einzuordnen. Kein Super-Gau in einzelnen AKW, keine schmutzige Bombe, kein Atombombenabwurf dürfte Konsequenzen haben wie die vergangene Finanzkrise. Und dabei geht es nicht nur um finanzielle Folgen (für die u.a. das Theater Wuppertal die erste Rate zahlt…), sondern auch um die Vernichtung von Lebensbedingungen und damit Menschenleben in den ärmeren Teilen der Welt. Die Macht einzelner Finanzinstitutionen ist größer als diejenige einer Atombombe. Eine einstürzende AIG, einstürzende Fanny Mae oder Freddy Mac, zusammenbrechende HRE, Bank of America oder Deutsche Bank würde – was man so hört – die Weltwirtschaft implodieren lassen. Und dabei handelt es sich um privatwirtschaftliche Unternehmen, die – aus welchen Gründen auch immer – insolvent werden können. Das gehört zum Wirtschaftsleben nun einmal dazu. Und das sollte sich vor Augen führen, wer lange und breite Debatten um den etwas provokanten Veranstaltungstitel „Tribunal“ aufregt.
So, what?
Ist das alles? Nein, sicher nicht. Und letztlich will ich mich auch weigern, zu einem wirtschaftswissenschaftlichen Fernsehstudium gezwungen zu werden, weil mein Leben andere Schwerpunkte haben soll als die Diskussion über die Macht der Banken. Dennoch will ich sicher sein, dass ich nicht von einer dunklen, unbeherrschten und unbeherrschbaren Finanzmacht existenziell ins Verderben gerissen werde. Und diese Gefahr bestand nicht nur – sie besteht weiter. Und wir zahlen alle dafür. Für mich ist die Diskussion, ob ein „Tribunal“ angemessen ist deswegen letztlich uninteressant (die Verknappung der Diskussion auf den Begriff im Nachgang zeigt, dass er eher unglücklich gewählt war). Die Veranstaltung hat aber die Möglichkeit einer Meinungsbildung im Theater (und weit darüber hinaus durch Videowände und Online-Livestreams) aufgezeigt. Man hätte es Talkshow, Symposion, Laberwochende oder meinetwegen Kritischen Diskurs oder auch Wochenendkritik nennen können.
Damit meine ich vor allem:
- Die gegensätzliche Standpunkte wurden (ansatzweise) in ihrer Gegensätzlichkeit vorgetragen
- Die Urteilsbildung fand abschließend explizit und begründet statt im Gegensatz zum televisionär-/journalistischen Meinungsbildungsprozess, der weitgehend unbemerkt in den Redaktionsstuben oder Köpfen der Journalisten vor sich geht. Hier traten Journalisten gegeneinander an (Heusinger hie, Schumacher da). Ein Urteil wurde verkündet – und gab damit die Möglichkeit, sich selbst ein eigenes Urteil zu bilden.
- „Rollen“ helfen. Die geforderte Zuspitzung unterschiedlicher Standpunkte, selbst wenn sich die Rollenspieler vielleicht hinterher beim Bier wieder grün (oder rot oder blaugelb oder was weiß ich) sein mögen, wird in dieser Anklage-/Verteidigung-Form sehr einfach nachvollziehbar.
- Die Expertise der Beteiligten und die Breite und Tiefe der kontroversen Diskussion sorgt für ein Niveau der Debatte, die ich rund um die Finanzkrise nirgendwo anders in dieser Konzentration erlebt habe. Nicht einmal in Wochenzeitungen oder anderthalbstündigen Talkshows.
Ich wünsche mir, dass diese theatrale Form des Tribunals (oder meinetwegen nennen wirs nicht mehr Theater sondern Posttheater und nicht Tribunal sonder Trubinal) Schule macht und von anderen Bühnen übernommen wird. Experten, die zu einer Rolle eingeladen werden. Und ich bin umso sicherer, dass es im Theater (oderPosttheater ) gut aufgehoben ist, als die Rolle der Medien (nicht als „schuldiger“ Akteur, sondern als Geschehensbeteiligter) zu reflektieren nicht allein „den Medien“ überlassen werden kann. Aber das ist wiederum ein anderes, weites Feld.
Vielleicht wäre in Wuppertal ein Trubinal zur Finanzsituation der Stadt angebracht? Köln hat durch aktive Bürger bewerkstelligt, dass das Schauspielhaus stehen bleibt (was allerdings der Stadtkasse auch Geld spart …). Vielleicht brauchen wir in allen Posttheatern des Landes ab und an Trubinale. Zum Austausch gegensätzlicher Positionen rund um ein Thema mit der Möglichkeit der Meinungsbildung der Anwesenden.
Ganz zum Ende: Es ist sehr bequem, sich so – wie auch ich es hier tue – mit Metadebatten über die Form der Veranstaltung aufzuhalten. Teilweise liegt dafür die Verantwortung in Fehlern der Organisatoren. Wolfgang Lieb räumt das selber ein:
Man muss zugestehen, dass das Themenfeld das sich das Tribunal vorgenommen hat, viel zu groß und komplex ist, als dass man es in eineinhalb Tagen trotz größter Disziplin vernünftig durchackern könnte. Da wäre eine Konzentration auf weniger Themen sicherlich hilfreicher gewesen. Auch war der Anspruch vielleicht ein wenig zu hoch, das attac-Bankentribunal in eine Reihe mit den Russel-Tribunalen zu stellen und vielleicht haben sich manche Journalisten deshalb so herablassend geäußert.
Dennoch kommt attac das Verdienst zu, dass wenigstens der Versuch unternommen wurde, eine kritische öffentliche Debatte anzustoßen.
Und auch die Statements der anderen Beteiligten (hier) sind sehr abgewogen und ich kann ihnen in vielen Punkten zustimmen.
Ich denke aber, die offenbar versammelte Masse von Vertretern der Elitemedien unseres Landes sollte im Nachgang der Veranstaltung mehr abliefern, als genervte Formdebatten. Denn dieses Trubinal war reich an Fakten, Einsichten, Zusammenhängen, Standpunkten und zeigte reihenweise Menschen, die mit Leidenschaft dafür arbeiten, dass das demokratische Gemeinwesen in Deutschland nicht im Zuge dieser Krise Schaden nimmt. Die Zusammenhänge und die Urteilsfindung, die trotz aller Richter dem Einzelnen nicht abzunehmen ist, der im Publikum sitzt, ist komplex und anstrengend. Durch die geballte Darstellung der Dimensionen hat diese Veranstaltung sich hohe Verdienste darum erworben, sie zu befördern. Denn am Ende zeigt sich in der in vielen Kritiken besprochenen Unangemessenheit der „Verurteilungen“ vor allem: diese Handelnden mögen durch „bessere“ ersetzbar sein. Auch diese aber werden nur dann als Executive des demokratischen Willens auftreten können, wenn die Gesellschaft sich eine Meinung gebildet, ein Urteil gefällt und daraus Handlungsmaximen formuliert hat. Über „die da oben“ zu jammern ist ebenso falsch, wie ein Tribunal über „die da oben“ zu veranstalten. Als theatrale Form aber, die das Publikum fordert und in diesem die Meinungsbildung fördert, ist für mich die Form des Trubinals ein Meilenstein. Und die konsequente Fortschreibung von Formen wie etwa Rimini Protokoll. Ich nominiere das Bankentribunal für das Mühlheimer Dramatikertribunal 2010! Und für das Berliner Posttheatertreffen 2011 sowieso.