März 12th, 2017 § § permalink
Interessant an der Berichterstattung der letzten Stunden ist weniger, was in Essen bei der Schließung des Einkaufszentrums “Limbecker Platz” wirklich stattgefunden hat. Interessant ist die Berichterstattung selbst — und die Frage, was denn eigentlich berichtet und herausgefunden werden kann, solange der Polizei entweder noch nicht bekannt oder zumindest von der Polizei noch nicht zweifelsfrei verlautbart ist, was die Situation ist. Was also die “Sache” ist, was die Fakten sind, die berichtet und interpretiert werden können.
Es gab eine konkrete Anschlagsplanung?
SpiegelOnline ist im Rennen um die schnellste Exklusivmeldung immer mit am Start — und weiß deswegen mitzuteilen:
Überschrift: Deutscher Dschihadist soll Terrorgruppe mit Anschlag beauftragt haben
Heißt: SpON setzt in der Überschrift als gesicherte Tatsache voraus,
- dass ein konkreter Anschlag bevorstand,
- dass dieser terroristische Motivation hatte
- und von einer Gruppe von Tätern ausgeführt werden sollte.
Als nicht gesicherte, aber doch so wahrscheinlich zutreffende Tatsache, dass sich darüber berichten lässt, wird vermeldet,
- dass es einen Auftrag für den Anschlag gegeben hat,
- der von einem Islamisten/Dschihadisten gegeben wurde,
- der zudem deutscher Staatsbürger ist.
Eine einzige Headline — viele Faktenbehauptungen. Oder sollte das “soll” ein Hinweis darauf sein, dass sämtliche aufgelisteten Faktenbehauptungen ungesichert sind? Eine Kurzform der Formulierung: Falls es in Essen einen Anschlagplan gegeben hat, der von einer Terrorgruppe ausgeführt werden sollte, dann wurde dieser von einem deutschen Dschihadisten beauftragt? Formallogisch wäre diese Aussage schwer zu falsifizieren. Allerdings wäre sie blödsinnig. Eine Meldung, in der sowohl die Existenz des Anschlagsplans wie auch die Beauftragung oder gar die Existenz eines bestimmten auftragsbefähigten Dschihadisten spekulativ und nicht gesichert ist, wäre keine Meldung sondern Humbug. Entweder steht als gesichertes Faktum ein Dschihadist, für den die Beauftragung eines Anschlags Spekulation ist (Hat er…?) oder der Auftragsplan ist das Faktum und der Dschihadist spekulativ (Wer hat…?) Aber einen spekulativen Dschihadisten einen spekulativen Anschlag planen zu lassen ist … in dieser Form so lange Fake-News wie nicht zumindest eine der beiden Faktenbehauptungen tatsächlich zuverlässig belegbar ist.
Das hindert SpOn nicht an der Vertiefung und Kolorierung der “Meldung”:
- “Kam der Auftrag zu einem Anschlag auf das Essener Einkaufszentrum aus Syrien?”
- “Die Ermittler könnten einen verheerenden Anschlag im Einkaufszentrum “Limbecker Platz” verhindert haben”
- “Laut dpa sollte ein Teil der Gruppe aus dem Ausland anreisen.”
- “Den Berichten zufolge stammt der mögliche Auftraggeber aus Oberhausen und ist Mitglied der salafistischen Szene.”
- “Laut “Bild” habe er das Kommando zum Anschlag offenbar im Auftrag der IS-Führung gegeben.”
Und so weiter. Aber was wenn es diesen Anschlagsplan gar nicht gab? Nicht von einem Dschihadisten beauftragt? Nicht aus Syrien? Nicht von einer Gruppe? Nicht verheerend? Nicht von der IS-Führung?
Es gab keine konkrete Anschlagsplanung?
Interessant nun an dieser gegen 16 Uhr erschienen Meldung (hier der verlinkte Artikel) ist, dass es — laut Bonner Generalanzeiger — “keine konkreten Vorbereitungen auf einen Anschlag” gab. Was wiederum vom zuständigen NRW-Innenminister verlautbart wurde. Das kann nun zu Fragen an die Polizei führen, die hier aber weniger interessant sind — weil diejenigen, die diese Fragen zu stellen hätten, Journalisten wären. Und diese Journalisten mit der Aufklärung eines Sachverhalts zu beauftragen. an deren Verdunkelung sie erheblich beteiligt waren, ist relativ kurios. Weswegen hier also die Frage an die die Pressemitarbeiter selbst zu gehen haben. Die da lautet:
Wie kann es sein, dass über einen konkreten Anschlagsplan inklusive Hintergrund-Details als gesicherte Tatsache berichtet wird, den es offenbar nicht gab? Der Vorwurf lautet dabei nicht, dass über die Essener Situation (Sperrungs Einkaufszentrum) berichtet wurde. Der Vorwurf lautet dahingehend, dass als Faktum berichtet wurde, was offenbar (noch) nicht faktisch war: dass es einen Anschlagsplan gab. Berichtbare Fakten waren offenbar: Das Einkaufszentrum wurde von der Polizei gesperrt. Die Polizei gibt als Grund Hinweise auf einen bestehenden Anschlag an.
SpOn ist es offenbar zu langweilig, die “Entwarnungs”-Meldung auch nur ansatzweise in vergleichbarer Prominenz zu bringen. Für den eiligen SpOn-Leser bleibt im Raume und Gedächtnis stehen: Es gab den Plan für einen verheerenden Anschlag in Essen, der von einem deutschen Dschihadisten beauftragt und von der mutigen und gut informierten Polizei verhindert wurde. Womit sich anschließend Sicherheitspolitik machen lässt.
Es gab keine und eine konkrete Anschlagsplanung?
Der General-Anzeiger wiederum entscheidet sich in dieser Situation für Schizophrenie: Nachdem verkündet wird, dass es keinen Anschlagsplan gab, fährt derselbe Artikel fort, als habe es diesen Anschlagplan doch gegeben:
Laut NRW-Innenminister Ralf Jäger stand in Essen kein unmittelbarer Anschlag bevor.… Mutmaßlicher Drahtzieher soll nach dpa-Informationen aus Sicherheitskreisen ein deutscher Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sein. Er soll von Syrien aus per Internet-Messenger mehrere Personen direkt kontaktiert und versucht haben, sie für einen Angriff auf das Einkaufszentrum zu motivieren. Ein Teil der mutmaßlichen Tätergruppe soll sich in Deutschland befunden haben, ein anderer Teil sollte aus dem Ausland anreisen.
…
Der Einsatz wurde inzwischen beendet, doch die Ermittlungen zu den aufgeflogenen Anschlagsplänen gehen weiter. Die Polizei bleibe wachsam, betonte ein Sprecher.(Quelle; Fettungen von mir)
Der nicht existente Plan hatte also einen Drahtzieher, der zum IS gehört und in Syrien sitzt, für den eben als nicht existent gemeldeten Plan steht eine Tätergruppe. Und diese nicht-existenten Anschlagspläne sind aufgeflogen. Verehrte GA-Journalisten: Gibt es jetzt einen Plan, der aufgeflogen ist (und der Beginn des Artikels ist falsch) oder gibt es keinen Plan und die Ausführungen über den Plan sind falsch? Und was genau ist der Unterschied zwischen Falschmeldung aus journalistischer Schlampigkeit und Fake-News?
Fazit
Hat es einen Plan gegeben? Wer weiß es? Wer weiß, was die Polizei weiß? Wer weiß, was die Polizei vermutet? Wer vermutet, was sie Polizei weiß? Wer vermutet, was die Polizei vermutet? Wer vermutet, was die Polizei über einen vermutlichen Anschlag vermutet? Wer weiß schon, was Fakten sind? Wozu auf Fakten warten,w wenn es zu berichten gilt? Oder wie es im “Prinzip Jago” heißt:
Sei schnell. Warte nicht. Zögere nicht. Denk nicht. Berichte! Was reinkommt geht raus — bevor andere es senden. Lieber einmal mehr Konjunktiv , als zweimal zu spät. Soll Allahu Akbar gesagt haben, könnte bedeuten, dass der IS dahinter steckt laut unbestätigten Angaben ein illegaler Migrant, aus gut informierten Kreisen ist zu hören, dass die Polizei ihn im Visier hatte, Experten sagen, dass das Muster zum IS passt — das reicht völlig, um uns gegen den Vorwurf der Falschmeldung zu verteidigen, machen alle so, müssen wir also auch. Kapiert? (Hier der Volltext als PDF)
Mai 19th, 2015 § § permalink
Die Kathedrale von Saint Dénis bei Paris (Wikipedia). Zahllose Programme gleichzeitig, Standbilder zwar, dafür um so überwältigender. 360 Grad Fern-Sehen, Tele-Vision in die Transzendenz. » Read the rest of this entry «
September 9th, 2014 § Kommentare deaktiviert für Drama und Ideologie 8: Die Krise der politischen Erzählungen § permalink
Auf dem Journalisten-Branchenportal Meedia findet sich heute ein interessanter Text von Stefan Winterbauer (Hier). Darin wird die Krise des Journalismus ausnahmsweise nicht als Auflagenkrise, sondern als Krise der Erzählung beschrieben: Anlässlich der gestrigen Sendung von Frank Plasbergs „Hart aber Fair“ wird geschildert, wie die Versuche, dort zu einer gemeinsamen Erzählung des Ukraine-Konflikts zu kommen, gleichzeitig in einer „Gegenöffentlichkeit“ in den digitalen, sozialen Medien konfrontiert ist, die parallel ihre eigenen Erzählungen entwarfen. Er schreibt:
Die Gegenöffentlichkeit artikuliert sich im Zuge der Ukraine-Krise erstmals in großem Stil. Dass das Phänomen wieder verschwindet, ist unwahrscheinlich. Für die klassischen Medien ist dies eine der größten Herausforderungen der Digitalisierung. Wie können Medien ihre Glaubwürdigkeit retten oder zurückgewinnen? Wie können sie dem Publikum deutlich machen, dass es sich lohnt ihnen zu vertrauen?
Nun ist es sicherlich etwas zu kurz gegriffen zu behaupten, hier artikuliere sich eine Gegenöffentlichkeit zum ersten Mal. Die Geschichte der Gegenöffentlichkeiten ist bereits im analogen Zeitalter relativ lang (Beispiel: „Kein Blut für Öl“ im ersten Golfkrieg), wird noch erheblich umfangreicher im Digitalzeitalter – von Online-Petitionen, über Plagiats-Jäger bis hin zu den Phänomenen des Arabischen Frühlings. Trotzdem bleibt die Beschreibung des Zusammenhangs von Ukraine-Krise und erzählenden Gegenöffentlichkeiten interessant zu beobachten, die Winterbauer hier anreißt.
Die Plasberg-Sendung
Ich habe die Sendung mit dem Titel „Wladimir Putin – der gefährlichste Mann Europas? gestern gesehen – und war von Beginn an überrascht. Es saßen in der dort vorwiegend journalistische „Erzähler“: die russische Journalistin Anna Rose, der ehemalige WDR-Intendant Fritz Pleitgen, der Moskauer Focus-Korrespondent Boris Reitschuster, der Journalist und Filmemacher Hubert Seipel. Zwischen ihnen der Kanzleramtschef Peter Altmeier, der nicht zuletzt Aufseher der politischen Erzähler ist: des Bundesnachrichtendienstes.
Zwischen diesen Erzählern entspann sich nun: der Kampf der Erzählungen, der auf eigenartige Weise an Akira Kurosawas Rashomon erinnerte, eines Filmes, der „den selben“ Vorfall viermal erzählen lässt, von vier unterschiedlichen Standpunkten aus und daraus vier unterschiedliche Erzählungen von etwas gewinnt, von dem es ein „dasselbe“ nicht mehr gibt.
Bei Plasberg traten sehr gezielt eingeladene journalistische Erzähler an, erzählten – und kamen zu sehr unterschiedlichen Erzählungen dessen, wovon es sicher am Ende, vermutlich aber von Anfang an kein „dasselbe“gibt. Waren hier und da Elemente auch strittig, so waren sich doch die Erzählungen im Wesentlichen darin ähnlich, dass sie viele gemeinsame Elemente verwendeten, sie aber unterschiedlich zusammenfügten, zu unterschiedlichen Erzählungen mit unterschiedlichen daraus folgenden Konsequenzen. Das im Einzelnen zu rekonstruieren, würde hier zu weit führen, zumal die einzelnen unterschiedlichen Erzählungen weitgehend schon vorher einigermaßen bekannt waren.
Interessanter ist die Beobachtung, dass eben Erzähler hier gegeneinander antreten, Journalisten, die in ihren unterschiedlichen Erzählungen (mehr oder weniger prägnant) deutlich werden lassen, dass ihre Erzählungen bestimmte Gefüge von Zusammenhängen sind, die miteinander inkompatibel sind. Es ist nicht nur ein Streit darüber, was jetzt passieren sollte. Es ist vor allem der Streit, was „Sache“ ist – und was daraus zu folgern ist. Die Konsequenz: Die Ukraine-Krise lässt in großer Deutlichkeit die Krise der Erzählungen sichtbar werden, die sich verstärkt durch die Parallelität alter und neuer Kommunikationsmittel ergibt. Es wird sichtbar, dass das alte Leit-Erzählmedium, die Media Divina Fernsehen ihre Erzählkraft verloren hat.
Denn es streiten nicht nur in der Media Divina die Erzähler, sondern – wie Stefan Winterbauer berichtet – in zahlreichen kleinen Debatten verheddern sich auch in der digitalen und sozialen Kommunikationswelt die Erzählungen ineinander, fallen in Glaubensgrüppchen auseinander und bauen sich ihre eigenen Erzählungen. Winterbauer attestiert eine „Glaubwürdigkeitskrise“ der Massenmedien, die er für relevanter hält als den Medienwandel und die Auflagenkrise der Zeitungen. Der zentrale Bestandteil dieser Diagnose allerdings ist „Glauben“ und „Glaubwürdigkeit“, weil er an etwas rührt, was Massenmedien als Erzähler immer voraussetzen, worauf sie aufbauen müssen, ohne es doch selbst herstellen zu können. Das macht diesen Sachverhalt in der hiesigen Blogposting-Reihe „Drama und Ideologie“ interessant, weil sich Anschlussfähigkeit an die Trivialitäten des Aristoteles, von denen in den letzten Postings dieser Reihe (hier, hier, hier und hier) die Rede, herstellen lässt.
Aristoteles und der politische Groschenroman
Die Erzählung ist, im Anschluss an die letzten Beiträge zu Aristoteles hier im Blog, eine Zusammenfügung von Praktiken (σύνθεσιν τῶν πραγμάτων), die Aristoteles mit dem missverständlichen Wort μῦθος bezeichnet, die von einem Gefügemacher (μυθοποιός) erstellt wird, indem Praktiken zu einem Zusammenhang gefügt werden. Dieses Gefüge hat sich dem Kriterium des Möglichen und Notwendigen (τὸ εἰκὸς ἢ τὸ ἀναγκαῖον) zu fügen. Elemente werden zu einem Zusammenhang zusammengesetzt, neue Elemente müssen, damit eine Erzählung weiter erzählt werden kann, sich in dieses Gefüge einfügen lassen.
2010 hatte Frank Schirrmacher in der FAZ (hier) einen schönen Artikel, der beschrieb „wie man ein verdammt guter Politiker wird“ – und dabei behauptete: „Politische Glaubwürdigkeit im neuen Medienzeitalter ist keine moralische, sondern eine literarische Kategorie.“
In kritischer Absicht, anlässlich » Read the rest of this entry «
August 30th, 2014 § Kommentare deaktiviert für Drama und Ideologie 7: Die Unterbrechung des Gefüges § permalink
Man könnte nach dem Bisherigen zu dem Schluss kommen, dass Gefüge erst dann wahrnehmbar werden, wenn sie unterbrochen werden. Wenn also Theater „Ort der Gesellschaft in der Gesellschaft ist, an dem sich in Gesellschaft über Gesellschaft ästhetisch reflektieren lässt“, dann wäre also Theater jene Unterbrechung des Gefüges „Gesellschaft“, das dieses Gefüge überhaupt erst – möglich? – macht? Indem es ein Gefüge vorführt, das als Gesellschaft vorgeführt ist und bereits dadurch dass es vorgeführt wird, ein Gefüge im Gefüge ist, das eben durch diese Einfügung das umgebende Gefüge verfügbar machte.
Vielleicht nur eine Variante von Foucaults » Read the rest of this entry «
Juli 19th, 2014 § Kommentare deaktiviert für Das Turiner Grab-Toast (Ergänzung zu “Why make toast when you can make art?”) § permalink
Faszinierend an dieser Maschine, ihrem Artefakte und den Praktiken, die sich darum legen ist eine quasi-religiöse Dimension, die das Toast-Artefakt in die Nähe des Turiner Grabtuchs bringt.
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„Turiner Grabtuch Gesicht negativ klein“ von Photo by Giuseppe Enrie, 1931 — http://www.mtholyoke.edu/courses/adurfee/calculus/shroud-neg.jpg. Lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons.
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Selfie-Toast
Die Praktik verlangt, zunächst sich selbst auf einem photomechanischen Tafelbild abzulichten: Du sollst dir ein Bildnis machen. Nicht von (einem) Gott, sondern von dir. Du sollst dich selbst also mechanisch “verewigen”, allerdings da in einem noch immer physischen, wenn auch der Zeit etwas entrückteren Artefakt, nicht in einer garantiert ewigen Ewigkeit, sondern in einer, die durch Verrottung oder Idolatrie bedroht ist. Nicht ganz Ewiger, nicht mehr ganz Zeitlicher.
Da es sich um ein Selfie handelt, also um ein Selbstporträt, ist dir zugleich die Last und die Freiheit der Selbstabbildung, der Selbstinszenierung und des Selbst-Images gegeben. Du kannst dich frei nach deinem eigenen Bilde schaffen — du musst es aber auch, wenn du den Weg weiter gehen willst. Sich nach seinem eigenen Bilde schaffen. Wiederum unübersehbare Verwandtschaft zur christlichen Schöpfungslehre, nur wo eben Gott einen earthie schuf, bleibt hier ein selfie.
Dieses Bildartefakt wird nun transsubstantiiert (oder trabskribiert?). Es wird in die Feuer- und Hitzemaschine eingeschrieben, um fortan einem jedem ekmageion, jeder hylé, jeder Masse eingeprägt oder eingeschrieben zu werden, die dazu geeignet ist und in die dafür vorgesehene Spalte eingeführt wird. Der Mensch schafft sich den Toast nach seinem Bilde. Das der Zeitlichkeit entrissene Selfie wird einem Gegenstand eingeprägt, der nicht nur wieder der Zeitlichkeit in höherem Maße als ein Tafelbild unterworfen ist, einem Toast, sondern der zugleich noch ein Gegenstand ist, dessen Daseinszweck die Vernichtung, die Verzehrung, das Auffressen ist.
Der Schöpfer stellt ein zeitentrücktes Selfie her, das er einem der Vernichtung in der Zeit gewidmeten Artefakt aufprägt, um es hinterher — nicht immer, aber vermutlich gelegentlich bis oft — selbst aufzuessen. Oder um es Familie, Verwandten, Freunden zu servieren. Die individualisierte Oblate wird beim Morgenmahl, allein oder gemeinsam, auto-eucharistisch verspeist und transsubstantiiert sich dabei in Nährstoffe, das Bild verwandelt sich also wieder in den Ausgangskörper, dessen Abbild es war. Oder es wird zum Bestandteil eines symbolischen Kannibalismus, bei dem der Bildner in der Parousia, also von Anwesenden ins einer Anwesenheit beim Morgenmahl, das damit kein letztes gemeinsames Mahl des Toastbildners und seiner Jünger im Garten Gethsemane ist, sondern nur eines von tendenziell vielen wiederholbaren Morgenmahlen, verzehrt. Der Bildermacher verspeist sein eigenes Bild und gibt sich selbst symbolisch den Anwesenden zum Verzehr hin. Wie bei allen Kannibalismen nicht einfach mehr nur als geformtes Nahrungsmittel, sondern magisch mit einer zusätzlichen Kraft aufgeladen. Er lässt sich bildlich vernichten und zugleich verehren. Selbst wenn er dabei unter Butter und Marmelade verschwindet, was diesen Akt zu einer ironischen Variation des christlichen Abendmahles macht, wo es unüblich ist, die Oblate mit Aufschnitt zu belegen.
Die Kunst: Why make toast when you can make art?
Der im Facebook-Kommentar hinzugesetzte Satz gibt der Vielschichtigkeit der Maschinberie und der zugehörigen Praktiken eine weitere Ebene. Toast und “art” werden gegenübergestellt, nicht aber in einer harten Gegenübersetzung, einem “anstatt”, wie etwa in der berühmten Formulierung “Make love not war”.- Dass es sich aber nicht um eine Gegenübersetzung dieser Art handelt, erschließt sich erst im Kontext mit der Maschine und ihrer Abbildung. Für sich alleine, ohne das Bild stehend, könnte der Satz auch die Frage stellen: Warum Toast und nicht anstatt dessen lieber Kunst machen? Als handele es sich um eine mögliche Gegenübersetzung von Toast und Kunst, die als eine Alternative ermöglichte, sich entweder für Toast ODER für Kunst zu entscheiden. Darin würde sie sich metaphorisch einer langen Tradition einfügen, die die niederen, weltlichen Not- und Habseligkeiten, die physischen Realien und Lebensmittel, der Kunst, dem Ideal, der Ewigkeit kontrastiert und sich dabei ihrer Verwandtschaft zum religiösen Idealismus und zu Asketismus nicht entziehen kann. Leben oder Kunst wäre diese Alternative.
In der Text-Bild-Kombination aber wird diese Gegenüberstellung aufgehoben, die Gegenüberstellung von Leben und Kunst wird zur Lebenskunst, zur eat art, nicht zur dauernden Bewunderung oder zum Handel auf dem Kunstmarkt gemacht, sondern zu vermutlich sehr schnellen Verspeisen. Ist das Kunst oder ist das nur eine Art Kunst? Das lässt sich nicht entscheiden, wie auch der beigefügte Satz klar macht. Er verspricht kein Kunstwerk an Stelle eines Toastes. Er verspricht auch kein Kunst-Toast, kein Tafelbild im physischen Medium eines Toasts. Er fragt lediglich nach einer Präferenz fürs Machen? Warum Toast zubereiten, wenn man auch (nicht als Gegensatz, sondern zugleich) Kunst machen kann? Das Ergebnis von Kunstmachen muss nicht immer Kunst oder Kunstwerk sein. Würde aus jedem Kunstmachen ein gelingendes Kunstwerk entstehen, gäbe es Kunst vermutlich nicht. Ähnlich wie die Zubereitung eines Toasts nicht unbedingt zu einem (perfekten? genießbaren? bemerkenswerten? servierbaren?) Toast führt, führt auch das Kunstmachen nicht notwendigerweise zu Kunst. In diesem speziellen Falle allerdings bleibt beim missratenen Kunstwerk doch noch immer ein (möglicherweise) verzehrbares Toast dabei übrig.
Noch interessanter allerdings ist die Sinnfrage, die mit dem initialen “why” anklingt. Warum. Warum. Warum Toast machen, wenn man auch Kunst machen kann? Warum also in den Niederungen der Nahrungsmittelproduktion gefangen bleiben, wenn man doch auch sich zur Freiheit der Kunst aufschwingen kann (und dabei potentiell auch noch den gewünschten Toast bekommt)? Warum nur Toast machen, wenn man doch auch Kunst (und Toast) machen kann. Nicht “man”. YOU. Du.
Damit schließt der Zirkel zurück zur ursprünglich religiösen Dimension des Bildes. Wer fragt hier? Es steht auf mashable. Aber ist mashable der Fragende? Eine verzweifelte Seele, die “WHY?” ruft bevor sie sich der Aufgabe einer Toast-Herstellung zuwendet? Oder eine göttliche Instanz, die den Homo creatus, den Toast-gleichen, fragt, warum er Toast bleiben will, anstatt sich aufzuschwingen zum Homo creator und Kunst zu machen. Sich die Erdscheibe Toast untertan zu machen. Und zwar nicht als ein dem Homo Creatus entgegen gesetzter Homo Creator, sondern als Homo creator creatus. Natura naturata naturans. Autopoiet. Prometheus:
Hier sitz’ ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen,
Genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich.
An diesem Toaster sitzt der sich vom Toastbrot zum Kunsttoast abwendende Homo creator creatus, der aber nicht gegen einen oder “den” anderen Schöpfer antritt. Sondern nur sich ungefähr neben oder knapp unter ihn stellt. Der sich selbst nach dem eigenen Bilde schafft, sich selbst nicht ganz künstlerisch vereweigt, der sich selbst symbolisch aufisst oder zum Verspeisen symbolisch anbietet. Der nicht allein Künstler ist, sondern sich der Maschinen-Prothese bedient, wie er zumindest bisher noch Licht nicht durch “Es werde Licht” anzündet, sondern durch den Schalter der Lichtmaschine. Der Toaster-Künstler hat sich damit abgefunden, dass er der andere Gott nicht wird, dass es keine Kirche mit seinem Kruzifix bzw. Selfix geben wird. Dass es für ihn keine Ewigkeit, sonder nur unterschiedlich schnelle Wege der Vergängnis geben wird. Das aber schert den Toasterkünstlergott nicht. Sondern er bestreicht die selbstproduzierte Hostie fröhlich mit Marmelade, verspachtelt sie im Kreis der anwesenden Lieben und beginnt dann den Tag, der bei diesem anderen Gott mit dem Abendmahl zur Neige ging.
Eigentlich ganz schön. Und für 75$ durchaus ok. Bei der Abnahme von mehreren gibts sogar Rabatt. Ich bestell mal einen. Glaube ich.
Juni 28th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Aufspaltung und Stabilisierung der Demokratie durch Fernsehen #MediaDivina § permalink
Ein Skyponat mit Klaus Kusanowsky bringt mich dazu einen Gedanken herunterzuschreiben, der mir schon länger durch den Kopf geht und der Teil eines größeren Projektes mit dem Arbeitstitel „Monitori te salutant – Überwachen und Fernsehen“ ist. Nämlich den Folgenden:
Nipkows „elektrisches Teleskop“, als das das Fernsehen hier bereits mehrfach beschrieben wurde (hier und hier), leistet die Ausstanzung aus dem potenziell wahrnehmbaren Kontinuum durch das Kameraobjektiv, die Markierung eines Ausschnittes als herausragend und zugleich die Übertragung dieses Bildes in einen unmarkierten Raum, d.h. in Räume, in denen Zuschauer vor ihren Heiligenschreinen die Nachrichten verfolgen.
Diese Struktur ist für die demokratische Verfassung von Staaten des späten 20. Jahrhunderts von fundamentaler Bedeutung. Lässt man nicht alleine wörtlich Demokratie aus Demos, den Beherrschten, und Kratos, den Herrschenden bestehen, so ist die Aufteilung in diese beiden funktionalen Positionen alles andere als selbstverständlich. Wie kommt es, dass eine Gruppe zu Kratos wird und in dieser Funktion stabilisiert wird, wie kann der Rest sich im unmarkierten Raum der Bevölkerung, des Demos, wiederfinden – wenn nicht (im späten 20. Jahrhundert jedenfalls) durch das Fernsehen?
Die Egalität der Bevölkerung für den Herrscher
Im vordemokratischen Zeitalter waren die Dinge klar: in die Herrschaft wurde der Herrscher hineingeboren, umgeben von einer Gruppe von potenziell Herrschaftsfähigen, mit eigenen (mehr oder minder begrenzten) Herrscherbefugnissen in begrenzten Territorien ausgestattet. Der Pöbel war durch dicke Mauern und bewaffnete Wächter ausschließbar. Dass überhaupt Herrschaft stattfand, dass absolute Macht (wenn schon kein Absolutismus) herrschte, musste der Herrscher von Zeit zu Zeit aktualisieren: Mittels Steuereintreibung und Armeeaushebungen etwa. Oder in Zwischen- und Friedenszeiten durch Erlasse und Verordnungen, die vervielfältigt in die letzten Winkel des Landes getragen und dort an Kirchen- oder Rathaustüren genagelt und von Kanzeln verlesen wurden. Dass diesen Verfügungen kaum praktische Bedeutung zukam, wie neuere Studien über den Mythos des Absolutismus zeigen, lag daran, dass der Zentralherrscher keine hinreichende Organisation hatte, um die Verbreitung und insbesondere Einhaltung der Verfügungen überprüfen und sich mitteilen zu lassen, keine lokalen Mächte in hinreichender Zahl, um überall die Einhaltung durchzusetzen. Die Verordnungen an ihren Nägeln waren der Existenzbeweis der Herrschaft. Die Nichteinhaltung, das Quittieren eines zentralen Edikts durch Achselzucken durch die Bevölkerung war seine Schwäche. In einem interessanten Aufsatz schreibt Achim Landwehr:
Die medialen Möglichkeiten der Publikation und Verbreitung solcher Befehle waren verhältnismäßig begrenzt und bestanden vornehmlich im Aushang und der öffentlichen Verlesung. Angsichts einer allgemein als gering zu veranschlagenden Alphabetisierung kam vor allem der Verlesung, ob sie nun vom Rathaus oder von der Kirchenkanzel vonstatten ging, ein recht hoher Stellenwert zu. Hier stellte sich aber ein weiteres, kaum zu unterschätzendes und auch zeitgenössisch bereits thematisiertes Problem: Wie ließ sich garantieren, daß beispielsweise nach » Read the rest of this entry «
April 22nd, 2013 § § permalink
Wenn also Massenmedien die Welt und die Gesellschaft, in der wir leben, so konstruieren und darstellen, dass unser Wissen über diese Geselslchaft mehr oder minder aus den Massenmedien stammt (Luhmann) — was bleibt dann einer darstellenden Kunst noch zu konstruieren? Sich ein Bild von der Welt zu machen, kann es kaum sein. Denn gegen das massenmediale Bild von Fernsehen und Zeitungen kann es nicht ankommen, dafür ist Theater zu langsam, ihm fehlen die personellen und finanziellen Mittel. Und das Publikum ist viel zu klein. In diesem Zusammenhang bin ich über einen kleinen Brecht-Text von 1955 gestolpert, der sich dem Problem der Darstellbarkeit der Welt widmet und dazu Stellung bezieht. Was Brecht im Angesicht der atomaren Bedrohung schreibt, lässt sich eventuell auch über die Welt im Angesicht der monetären Bedrohung noch einmal sagen. Ich zitiere ihn in ganzer Länge unkommentiert. Die Fettungen sind allerdings von mir.
Brecht – Über die Darstellbarkeit der Welt auf dem Theater
Mit Interesse höre ich, daß Friedrich Dürrenmatt in einem Gespräch über das Theater die Frage gestellt hat, ob die heutige Welt durch Theater überhaupt noch wiedergegeben werden kann.
Diese Frage, scheint mir, muß zugelassen werden, sobald sie einmal gestellt ist. Die Zeit ist vorüber, wo die Wiedergabe der Welt durch das Theater lediglich erlebbar sein mußte. Um ein Erlebnis zu werden, muß sie stimmen.
Es gibt viele Leute, die konstatieren, daß das Erlebnis im Theater schwächer wird, aber es gibt nicht so viele, die eine Wiedergabe der heutigen Welt als zunehmend schwierig erkennen. Es war diese Erkenntnis, die einige von uns Stückeschreibern und Spielleitern veranlaßt hat, auf die Suche nach neuen Kunstmitteln zu gehen.
Ich selbst habe, wie Ihnen als Leuten vom Bau bekannt ist, nicht wenige Versuche unternommen, die heutige Welt, das heutige Zusammenleben der Menschen, in das Blickfeld des Theaters zu bekommen.
Dies schreibend, sitze ich nur wenige hundert Meter von einem großen, mit guten Schauspielern und aller nötigen Maschinerie ausgestatteten Theater, an dem ich mit zahlreichen, meist jungen Mitarbeitern manches ausprobieren kann, auf den Tischen, um mich Modellbücher mit Tausenden von Fotos unserer Aufführungen und vielen mehr, oder minder genauen Beschreibungen der verschiedenartigsten Probleme und ihrer vorläufigen Lösungen. Ich habe also alle Möglichkeiten, aber ich kann nicht sagen. daß die Dramaturgien, die ich aus bestimmten Gründen nichtaristotelische nenne, und die dazugehörende epische Spielweise die Lösung darstellen. Jedoch ist eines klargeworden: Die heutige Welt ist den heutigen Menschen nur beschreibbar, wenn sie als eine » Read the rest of this entry «
April 21st, 2013 § Kommentare deaktiviert für Schillers weltbedeutende Bretter, Zeitung, Fernsehen (ein gedanklicher Mäander) #MediaDivina § permalink
Die Formulierung Schillers über die „Bretter, die die Welt bedeuten“ ist eine stehende Redewendung geworden. Weniger bekannt, aber durchaus aufschlussreich ist der Zusammenhang, in dem diese Formulierung stand. Interessant in sich selbst, interessant, da sie hilft, einen epochalen Bruch in der Nachfolge zu markieren, interessant auch, weil sie eine durchaus schillernde Dimension des „Bedeutens“ eröffnet.
An die Freunde
Lieben Freunde! Es gab schönre Zeiten
Als die unsern — das ist nicht zu streiten!
Und ein edler Volk hat einst gelebt.
Könnte die Geschichte davon schweigen,
Tausend Steine würden redend zeugen,
Die man aus dem Schoß der Erde gräbt.
Doch es ist dahin, es ist verschwunden, » Read the rest of this entry «
April 18th, 2013 § § permalink
Fernsehen unterhält ein enges Verhältnis zur Zeit, vermutlich enger als die meisten anderen sogenannten Medien oder Künste. Es hat gewisse Verwandtschaften zur täglich oder wöchentlich erscheinenden Zeitung, viel mehr vielleicht noch zum Telegraphen, auch zum Theater (und zum Filmtheater, nicht aber unbedingt zum Film).
Live-ness und Aufzeichnung
Während die Geschichte über Jahrtausende verschiedene Techniken der Aufzeichnung und Aufschreibung, vielleicht sogar Verewigung, von der Höhlenmalerei mit ihren malerischen Filiationen und der Plastik, bis hin zur Schrift von der Keil- und Hieroglyphenschrift über die Buchstabenschrift und Schreibmaschine weiter zur Photo-Graphie und Film, Grammo-Phon, Phonographie bis hin zur Magnetaufzeichnung und zur binären Speicherung, positionierte man das Fernsehen als „eletronisches Teleskop“, das „live“ überträgt. Paul Nipkow stellt bei seinem Patent diese Funktion der Erweiterung der Sinnesorgane in den Raum hinein ganz in den Vordergrund:
Seitdem die Aufgabe, Töne und selbst artikulierte Laute auf weite Entfernungen zu übertragen, durch Reis, Bell und andere ausgezeichnete Erfinder mit Hülfe der Elektrizität in so erstaunlich einfacher Weise gelöst worden, haben sich einzelne erfinderisch begabte Männer eine weitere Aufgabe gestellt, die dasselbe Interesse, wie das Telephon, hervorzurufen wohl geeignet scheint. Es ist dies die Aufgabe, einen Apparat zu schaffen, der in ähnlicher Weise, wie das Telephon dem Ohre, dem Auge die Möglichkeit gebe, Dinge wahrzunehmen, die weit aufserhalb seines natürlichen Wirkungskreises sich befinden. (Quelle)
Von Beginn an war Fernsehen ein „Live-Medium“, dessen Aufgabe nicht im Konservieren oder Aufzeichnen bestand. Trotzdem dokumentierte es – in der Weise des Augenzeugen, der Augenzeugenschaft ermöglichte. Zusammen mit dem Mikrophon auch Ohrenzeugenschaft. Das Kameraobjektiv und das Mikrophon stanzen aus einem loalen Jetztpunkt einen Ausschnitt heraus und » Read the rest of this entry «
April 14th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Heilserzählung und Beweis der eigenen Wahrheit: Krimiserien #MediaDivina § permalink
Auf den ersten Blick, etwa in Programmzeitschriften oder beim verhuschten Zappen über die Kanäle könnte man auf die Idee kommen, der Fernseher sei ein „wunderbarer Raritätenkasten“ (Goethe über Shakespeare), der immer wieder und im Wesentlichen Neues zu bieten habe, das sich schwer kategorisieren lasse, entfernt man sich von den konstanten Inseln wie der Nachrichten und dem Wetterbericht, um die es zuletzt ging.
Beschäftigt man sich allerdings mit Formaten, insbesondere solchen Formaten, die klassischerweise als fiktional gelten, fällt eines sehr schnell auf: Das Fernsehen hat erstens andere Gernres zu bieten als etwa die Filmgenres (und auch als das Theater). Zweitens ballen sich die Formate in auffälliger Weise an einem » Read the rest of this entry «