Schillers weltbedeutende Bretter, Zeitung, Fernsehen (ein gedanklicher Mäander) #MediaDivina

April 21st, 2013 Kommentare deaktiviert für Schillers weltbedeutende Bretter, Zeitung, Fernsehen (ein gedanklicher Mäander) #MediaDivina

Die For­mu­lie­rung Schil­lers über die „Bret­ter, die die Welt bedeu­ten“ ist eine ste­hen­de Rede­wen­dung gewor­den. Weni­ger bekannt, aber durch­aus auf­schluss­reich ist der Zusam­men­hang, in dem die­se For­mu­lie­rung stand. Inter­es­sant in sich selbst, inter­es­sant, da sie hilft, einen epo­cha­len Bruch in der Nach­fol­ge zu mar­kie­ren, inter­es­sant auch, weil sie eine durch­aus schil­lern­de Dimen­si­on des „Bedeu­tens“ eröffnet.

An die Freunde

Lie­ben Freun­de! Es gab schön­re Zeiten
Als die unsern — das ist nicht zu streiten!
Und ein edler Volk hat einst gelebt.
Könn­te die Geschich­te davon schweigen,
Tau­send Stei­ne wür­den redend zeugen,
Die man aus dem Schoß der Erde gräbt.
Doch es ist dahin, es ist verschwunden,

Die­ses hoch­be­güns­tig­te Geschlecht.
Wir, wir leben! Unser sind die Stunden,
Und der Leben­de hat recht.

Freun­de! Es gibt glück­li­che­re Zonen
Als das Land, wor­in wir leid­lich wohnen,
Wie der weit­ge­reis­te Wand­rer spricht.
Aber hat Natur uns viel entzogen,
War die Kunst uns freund­lich doch gewogen,
Unser Herz erwarmt an ihrem Licht.
Will der Lor­beer hier sich nicht gewöhnen,
Wird die Myr­te unsers Win­ters Raub,
Grü­net doch, die Schlä­fe zu bekrönen,
Uns der Rebe mun­tres Laub.

Wohl von grö­ßerm Leben mag es rauschen,
Wo vier Wel­ten ihre Schät­ze tauschen,
An der Them­se, auf dem Markt der Welt.
Tau­send Schif­fe lan­den an und gehen,
Da ist jedes Köst­li­che zu sehen,
Und es herrscht der Erde Gott, das Geld.
Aber nicht im trü­ben Schlamm der Bäche,
Der von wil­den Regen­güs­sen schwillt,
Auf des stil­len Baches ebner Fläche
Spie­gelt sich das Sonnenbild.

Präch­ti­ger als wir in unserm Norden
Wohnt der Bett­ler an der Engelspforten,
Denn er sieht das ewig einz­ge Rom!
Ihn umgibt der Schön­heit Glanzgewimmel,
Und ein zwei­ter Him­mel in den Himmel
Steigt Sankt Peters wun­der­ba­rer Dom.
Aber Rom in allem sei­nem Glanze
Ist ein Grab nur der Vergangenheit,
Leben duf­tet nur die fri­sche Pflanze,
Die die grü­ne Stun­de streut.

Größ­res mag sich anders­wo begeben,
Als bei uns in unserm klei­nen Leben,
Neu­es — hat die Son­ne nie gesehn.
Sehn wir doch das Gro­ße aller Zeiten
Auf den Bret­tern, die die Welt bedeuten,
Sinn­voll, still an uns vorübergehn.
Alles wie­der­holt sich nur im Leben,
Ewig jung ist nur die Phantasie,
Was sich nie und nir­gends hat begeben,
Das allein ver­al­tet nie! (Quel­le)

Wie­wohl im Gan­zen hier wie­der­ge­ge­ben, schrän­ke ich mich auf die letz­te Stro­phe ein: „Größ­res mag sich anders­wo bege­ben“ fasst die ers­ten vier Stro­phen in Kür­ze zusam­men: die ande­ren Zei­ten, die ande­ren Zonen, ins­be­son­de­re Lon­don mit sei­nem Han­del, Rom als Grab der Ver­gan­gen­heit und als Vor­blick in eine Art des Him­mels. All das ist „grö­ßer“ als „unser klei­nes Leben“. Und es ist doch zu klein im Ver­gleich zur Phan­ta­sie. Neu­es gibt es nicht, nur Ver­al­ten­des – außer­halb der Phan­ta­sie. Und der Ort, an dem die­se Phan­ta­sie statt zu haben scheint, sind die Bret­ter, die die Welt bedeuten.

„Bedeu­ten“ hat dabei mehr Dimen­sio­nen als eine bloß zei­chen­haf­te Inter­pre­ta­ti­on, die unter­stellt, die Bedeu­tung der Zei­chen-Bret­ter sei die Welt, sie sei­en also eine Meta­pher der Welt. Kurz danach wird gesagt, dass auf die­sen Bret­tern das „Gro­ße aller Zei­ten“ sinn­voll vor­über­geht. Es hat Sinn bekom­men und damit Bedeu­tung. Die Bret­ter bedeu­ten die Wellt, indem sie sie mit Sinn­an­rei­che­rung zur Bedeu­tung ent- und vor­stel­len. Und indem sie zugleich das „Gro­ße“ aller Zei­ten vor­stel­len, stel­len sie das Bedeu­ten­de vor.

Sie stel­len das Nie-Ver­al­ten­de aller Zei­ten vor. Nicht das­je­ni­ge, was sich irgend­wann irgend­wo bege­ben hat und des Gedächt­nis­ses wert ist, son­dern das­je­ni­ge, was nie statt hat­te. Sie bedeu­ten die Welt ohne doch auf sie zu deu­ten, ohne auf ein refe­ren­ti­el­les Anders­wo oder Anders­wann hin­zu­wei­sen. Ein Zei­gen ohne Gezeig­tes: den Zusam­men­hang zwi­schen dice­re und dei­xis führ­te schon Büh­ler aus. Das Zei­gen des Sagens, das zugleich ein Zei­gen sein, das nicht auf etwas zeigt, son­dern durch das Sagen etwas dazu bringt, sich zu zei­gen. Mit dem Vor­teil, dass das Zei­gen nicht auf ein Gezeig­tes zeigt, das ver­schwin­den, ver­ge­hen oder ver­al­ten kann. Wenn das, was sich zeigt durch das Zei­gen nichts Vor­han­de­nes ist, da es sich nie und nir­gends begab. Oder wenn das, was sich aus dem Zei­gen her­aus zeigt, sich  unab­hän­gig davon zeigt, ob es ein gezeig­tes gibt: der Trick Pla­tons, der zwar auf einen Sokra­tes zu zei­gen scheint, von dem zu sagen ist, dass es einen Mann glei­chen Namens gab und poten­zi­ell Pla­ton auf ihn hät­te zei­gen kön­nen, auf den Pla­ton aber nicht wirk­lich zeigt, da er zum Zeit­punkt sei­ner Schrif­ten bereits als tot vor­aus­zu­set­zen lässt, und den er des­we­gen aus den Dia­lo­gen sich durch das Sagen zei­gen lässt. So ein­fach näm­lich sind die Anzei­ge eines Anders­wo und Anders­wann einer­seits, das Nie und Nir­gends nicht zu unter­schei­den. Das Zei­chen (arbi­trär oder iko­nisch) sichert aus sich selbst her­aus nicht, ob es auf etwas zeigt oder ob sich nur etwas aus dem Zei­gen her­aus zeigt. Refe­renz und Phan­ta­sie sind nicht kate­go­ri­al unterscheidbar.

Das Vor­über­ge­hen des Nie-Veraltenden

Para­do­xer­wei­se, da Schil­ler über die Büh­ne schreibt, tref­fen hier das Nie-Ver­ge­hen­de und das Ver­ge­hen­de auf­ein­an­der: es geht sinn­voll, still vor­über, aber es ver­al­tet nicht. Es ist ewig jung, ohne ewig zu sein. Über das schrei­ben zu wol­len, was nie ver­al­tet, hat den Vor­teil, dass die Schrift sich immer dar­auf bezie­hen kann. Über das Vor­über­ge­hen­de zu schrei­ben, hat den Nach­teil, das der Refe­rent schwin­det. Thea­ter stellt das Nie-Ver­al­ten­de vor­über­ge­hend dar. Selbst unter der kier­ke­gaard­schen Prä­mis­se, dass es die Wie­der­ho­lung nicht gibt, die inter­es­san­ter­wei­se im Text über di Wie­der­ho­lung gra­de das Thea­ter her­an­zog, um zur Ein­sicht der Unmög­lich­keit der Wie­der­ho­lung zu kom­men, kann über Thea­ter gesagt wer­den, dass es nur Wie­der­ho­len kann. Es lässt sich nicht spei­chern, es gibt kei­nen Thea­ter­re­kor­der (fil­mi­sche Auf­zeich­nung macht ein ande­res Feld auf, das hier zunächst aus­ge­blen­det bleibt). Soll Thea­ter das Ewig-Jun­ge und Nie-Ver­al­ten­de dar­stel­len, muss es die­ses wie­der­ho­len. Genau wie das Leben, in dem sich „alles“ nur wiederholt.

Schö­ner, glück­li­cher, grö­ßer, präch­ti­ger als „bei uns in unserm klei­nen Leben“ ist es anders­wo oder anders­wann. Aber nichts davon ist neu, alles nur Wie­der­ho­lung. Nur die Phan­ta­sie der Büh­ne ist ewig jung. „Was sich nie und nir­gends hat bege­ben, das allein ver­al­tet nie“.

Das Ver­al­ten­de

Das Nega­tiv Schil­lers ist die Tages­zei­tung, das Gegen­stück der Büh­ne. Nicht das Gegen­ar­gu­ment. Die Logik der Tages­zei­tung folgt dem schil­ler­schen Gedicht. Sie stellt das Schö­ne, Glück­li­che, Gro­ße, Präch­ti­ge ande­rer Regio­nen als Neu­es dar jeden Tag. Jeden Tag wie­der­holt sie die Neu­ig­keit. Und ver­al­tet so schnell wie wenig ande­res auf der Welt: „Nichts ist so alt wie die Zei­tung von ges­tern“ sagt der Volks­mund. Dabei sor­ge für die Ver­al­tung zwei­er­lei Din­ge: Einer­seits ist das Neue von heu­te mor­gen nicht mehr neu. Es bedarf heu­te eines neu­en Neu­en. Einer neu­en Aus­ga­be. Zudem ist das Gezeig­te des geschrie­be­nen Zei­chens heu­te bereits nicht mehr so, wie es das Zei­gen der Zei­tung ges­tern zeig­te. Der Refe­rent ver­än­dert sich wie das Wetter.

Die Zei­tung zeich­net das Ver­al­ten­de auf, macht das ewig sich Wie­der­ho­len­de jeden Tag zur Neu­ig­keit, zeigt auf das Gro­ße ande­rer Regio­nen – und geht selbst nicht vor­über. Als gedruck­te Schrift liegt sie vor, mag eines Tages fun­gie­ren wie die „tau­send Stei­ne“, deren Auf­ga­be für die Nach­welt dar­in besteht, von der Ver­gan­gen­heit des Ver­gan­ge­nen zu zeu­gen. Die Zei­tung zeigt durch das, was sie im Ein­zel­nen zeigt: „Größ­res mag sich anders­wo bege­ben, Als bei uns in unserm klei­nen Leben“ und sie stellt durch eige­ne Wie­der­ho­lung (nicht des Inhalts son­dern der neu­en Aus­ga­be, die Tag für Tag kommt) die Behaup­tung auf, dass es jeden Tag Neu­es gibt. News. Die Zei­tung zeigt auf das Neue der zeit und ver­geht mit der Zeit. Ihre „Wahr­heit“ (und jeder wür­de ver­mut­lich zunächst zustim­men, dass es Anspruch der Zei­tung ist, die Wahr­heit zu sagen) ver­geht mit der Zeit, indem das, was sie zeigt sich nicht mehr so ver­hält, wie sie es zeigt, wenn die Zeit ver­geht. Es ist eine Wahr­heit, die einer fun­da­men­ta­len Behaup­tung des phi­lo­so­phi­schen Schrei­bers Wider­spricht. Das berühm­te Zet­tel­ex­pe­ri­ment Hegels in der Phänomenologie:

Auf die Fra­ge: Was ist das Itzt? ant­wor­ten wir also zum Bei­spiel: Das Itzt ist die Nacht. Um die Wahr­heit die­ser sinn­li­chen Gewiß­heit zu prü­fen, ist ein ein­fa­cher Ver­such hin­rei­chend. Wir schrei­ben die­se Wahr­heit auf; eine Wahr­heit kann durch Auf­schrei­ben nicht ver­lie­ren; eben­so­we­nig dadurch, daß wir sie auf­be­wah­ren. Sehen wir itzt, die­sen Mit­tag, die auf­ge­schrie­be­ne Wahr­heit wie­der an, so wer­den wir sagen müs­sen, daß sie schal gewor­den ist.
Das Itzt, wel­ches Nacht ist, wird auf­be­wahrt, das heißt, es wird behan­delt als das, für was es aus­ge­ge­ben wird, als ein Sei­en­des; es erweist sich aber viel­mehr als ein Nicht­sei­en­des. (Phä­no­me­no­lo­gie des Geis­tes, Sinn­li­che Gewiss­heit)

Die Behaup­tung, was sie „nie und nir­gends“ bege­ben habe, kön­ne nie­mals ver­al­ten und die Behaup­tung, eine Wahr­heit kön­ne durch Auf­schrei­ben nicht ver­lie­ren rückt Phan­ta­sie und Wahr­heit – aus der Per­spek­ti­ve der Schrift betrach­tet – zusam­men und stellt sie dem Ver­gäng­li­chen und Ver­än­der­li­chen gegen­über: „unserm klei­nen Leben“ und den „Bret­tern, die die Welt bedeu­ten“. Hegel spricht die Wahr­heit über die Wahr­heit der Zei­tung ver­gan­ge­ner Zei­ten aus: Durch Auf­be­wah­rung wird sie unwahr. Tag und Nacht, das schlecht­hin Sich-Wie­der­ho­len­de des Lebens, von dem Schil­ler redet, dient zum Beweis der Unwahr­heit von auf­ge­zeich­ne­ten Wahr­hei­ten der sinn­li­chen Gewiss­heit. Das wech­sel­haf­te Glei­ten und die Ver­än­der­lich­keit des Refe­ren­ten for­dern die Auf­zeich­nung her­aus, die doch – Hegel schreibt – das Wah­re fas­sen will, ohne zu ande­ren Zei­ten unwahr zu wer­den. Ein Medi­en­pro­blem nicht zuletzt. Man könn­te das zurück­ver­fol­gen bis zu den Schrei­bern Pla­ton und Aris­to­te­les und ihrem Bemü­hen, das Unver­än­der­li­che zu defi­nie­ren, um es durch­gän­gig refe­ren­zie­ren zu kön­nen. Das­je­ni­ge, wor­über man auch mor­gen, nächs­tes Jahr, in Ewig­keit wird lesen kön­nen, weil es sich – anders als Tag und Nacht – nicht ver­än­dert, die auf­ge­schrie­be­nen Wahr­hei­ten also nicht schal werden.

Die Zei­tung schert sich vor­der­grün­dig um die­se Art der Wahr­hei­ten nicht. Jeden Tag neu wird sie jeden Tag fort­ge­wor­fen. Der Zet­tel „Das Itzt ist die Nacht“ wird zug­stellt, bevor der Tag anbricht. Und ist er ange­bro­chen, ist der rich­ti­ge Umgang mit der Zei­tungs­schrift nicht der­je­ni­ge, ihre Unwahr­heit ihr vor­zu­wer­fen, son­dern sie fort­zu­wer­fen. Die Zei­tung wird zu Gegen­stück von Phan­ta­sie (einer­seits) UND Wahr­heit im tra­di­tio­nell-phi­lo­so­phi­schen Sinne.

Die zwei Wahrheiten

Natür­lich ist eine kate­go­ria­le Unter­schei­dung der Wahr­hei­ten nötig, von denen hier die Rede ist. Hegel redet von Tag und Nacht, Baum und Haus. Es han­delt sich also um onto­lo­gi­sche oder auf die Natur­welt bezo­ge­ne Wahr­hei­ten, auf die Welt der Phy­sis, nicht auf die Welt des prak­ti­schen Han­dels, von dem Schil­ler han­delt und schreibt. Das Sei­en­de der Welt in einem Sein still­zu­stel­len, das her­nach als kon­stant refe­ren­zier­bar für den Schrei­ber vor­aus­ge­setzt ange­nom­men kann hat in der (im wei­tes­ten Sin­ne) Natur­phi­lo­so­phie und Natur­wis­sen­schaft recht gut funk­tio­niert, in der Welt der ste­ti­gen Ver­än­de­rung, über die Aris­to­te­les etwa in der Ethik spricht und die Schil­ler in sei­nen Stro­phen anspielt, nicht. Mag es sich alles nur wie­der­ho­len – so ist es zugleich neu und nicht neu. Selbst als Wie­der­ho­lung ist es eine neue Wie­der­ho­lung. Davon lebt die Zei­tung, die in täg­li­cher Wie­der­ho­lung des Neue schreibt – um den Preis des eige­nen Veraltens.

Zei­tung berich­tet nicht – wie Natur­phi­lo­so­phie – von den stets unver­än­der­li­chen Din­gen, son­dern von der stets ver­än­der­li­chen. Sie berich­tet nicht von der Natur, son­dern von der Gesell­schaft, die sie in ihren Ver­än­de­run­gen zugleich doku­men­tiert und damit, als Ver­al­te­te, poten­zi­ell als Ver­gan­gen erfahr­bar macht.

Das Ver­gäng­li­che, Neue, Gro­ße und die Phantasie

Die nach-schil­ler­sche Welt der gedruck­ten Mas­sen­me­di­en stellt ab auf das Schö­ne, Glück­li­che, Gro­ße, Präch­ti­ge ande­rer Regio­nen als Neu­es. Und auf das gro­ße Unglück, das Skan­da­lö­se und Unpräch­ti­ge. Die Zei­tung setzt sich der Phan­ta­sie dia­me­tral gegen­über und erhebt einen Wahr­heits­an­spruch, die dem klas­si­schen Wahr­heits­an­spruch der Refe­renz auf das Unver­gäng­li­che nicht kom­pa­ti­bel ist. Um den Preis des Ver­al­tens der Wahr­heit im Tages­rhyth­mus. Zei­tung ist der ‚trü­be Schlamm der Bäche, Der von wil­den Regen­güs­sen schwillt’.  Sie rich­tet sich auf das Ver­än­der­lich selbst, das Trei­ben der Men­schen in der Gesell­schaft, um den Preis, selbst in die­sem Trei­ben teil zu sein und mit ihm zu ver­al­ten, ohne dabei zu ver­schwin­den. Das ist für Zei­tung der Preis des Berichts über Gesell­schaft, die viel­leicht selbst aller­dings erst mit dem Bericht der Zei­tung ent­steht, als sich ste­tig Ver­än­dern­des und zugleich Referenzierbares.

Wo das auf den ‚Bret­tern, die die Welt bedeu­ten’ selbst sinn­voll vor­über­geht, aber stets jung bleibt, da bleibt Zei­tung bestehen, als han­de­le es sich um eine Schrift mit ste­tig vor­lie­gen­dem Refe­ren­ten – und ver­al­tet zugleich mit der Ver­än­de­rung des Refe­ren­ten. Zei­tung ist die kon­stan­te Schrift über die Ver­än­de­rung, die selbst durch die Ver­än­de­rung ver­al­tet und zu den Stei­nen wird, die in der ers­ten Stro­phe The­ma waren.

 Das Fern­se­hen: Der Bild­schirm, der die Welt bedeutet

Fern­se­hen durch­kreuzt die­se Gegen­über­stel­lung in min­des­tens zwei­er­lei Hin­sicht: Fern­se­hen ist nicht allein  Nachrichten-„Medium“, nicht allein Neu­ig­keits­über­trä­ger aus einer ver­än­der­li­chen Welt. Anders als die Zei­tung kom­bi­niert Fern­se­hen das „ewig jun­ge“ der Phan­ta­sie in soge­nann­ten fik­tio­na­len Inhal­ten mit Nach­rich­ten­in­hal­ten, die zei­tungs­ähn­lich auf das Schö­ne, Glück­li­che, Gro­ße, Präch­ti­ge ande­rer Regio­nen refe­ren­ziert. Täg­lich neu. Fern­se­hen über­brückt den Gegen­satz, den Schil­ler auf­reißt. Es zeigt das Nie­mals-Neue, sich stets Wie­der­ho­len­de als Neu­ig­keit und wie­der­holt das Neu­ig­keits­for­mat jeden Tag. Es gibt  jeden Tag Neu­es, aber es ist nicht neu, dass es jeden Tag Neu­es gibt. Die Nach­rich­ten als For­mat wer­den jeden Tag wie­der­holt und zei­gen das, was sich jeden Tag anders dar­stellt, ohne doch (Schil­lers Ver­dacht) wirk­lich neu zu sein.

Zudem ist das Fern­se­hen (solan­ge es nicht auf­ge­zeich­net ver­füg­bar ist wie neu­er­dings durch Video­re­kor­der oder Media­the­ken) vor­über­ge­hend wie das, was auf den welt­be­deu­ten­den Bret­tern statt­fin­det. Fern­se­hen ist der Bild­schirm, der die Welt bedeu­tet – in jeder Bedeu­tungs­di­men­si­on von „Bedeu­ten“. Es deu­tet auf Aus­schnit­te von Welt, die es „sinn­voll, still vor­über­gehn“ lässt. Und dabei geht sowohl das­je­ni­ge vor­über, was auf dem Schirm zu sehen ist, wie das­je­ni­ge, was es durch (arbi­trä­re und iko­ni­sche) Zei­chen refe­ren­ziert. Es schafft Bedeu­tung, indes auf Bestimm­tes deu­tet und nicht auf Ande­res – und macht das Bedeu­te­te damit bedeu­tend. Es erschafft das Gezeig­te als „Grö­ßer“ als das­je­ni­ge, was „in unserm klei­nen Leben“ vor sich geht und erschafft damit zugleich „unser“ Leben als klein. Es ver­sieht den „trü­ben Schlamm der Bäche, Der von wil­den Regen­güs­sen schwillt“ mit Bedeu­tung, indem es ihn sinn­voll vor­über­zie­hen lässt.

Dadurch, dass die Zei­chen auf dem Bild­schirm vor­über­zie­hen, dass fern­se­hen erscheint wie ein „umge­kehr­tes Tele­skop“ umgeht Fern­se­hen die Wahr­heits­pro­ble­ma­tik Hegels, da sie nicht wie Schrift zur Wie­der­lek­tü­re zu ande­rer Zeit ver­füg­bar ist – es sei denn der Sen­der stellt es erneut zur Ver­fü­gung (Auf­zeich­nungs-Sup­ple­men­te zunächst wei­ter­hin zurück­ge­stellt). Das „Itzt ist Nacht“ ent­geht der Fra­ge nach der Wahr­heit, indem es nur in der Nacht ver­füg­bar gemacht wird. Es kann garan­tie­ren, dass – anders als der Zet­tel – die Lek­tü­re nicht am Tag stattfindet.

Fern­se­hen tritt damit in die Dimen­si­on der „Bret­ter, die die Welt bedeu­ten“ ein – und zeigt zugleich das ‚Gro­ße’, das sich anders­wo bege­ben mag – in „unserm klei­nen Leben“. Zugleich zeigt es das „Gro­ße aller Zei­ten“, das sich „nie und nir­gends hat bege­ben“ und des­we­gen dem Ver­al­ten in Hegels Auf­schreib-Sin­ne sowie dem Ver­al­ten der Zei­tung ent­zo­gen ist. Wie ein Nach­rich­ten­thea­ter der Echt­zeit UND ein Phan­ta­sie­thea­ter des Ewi­gen. Unver­alt­bar, solan­ge es nichts auf­zeich­net, das als Auf­zeich­nung frei ver­füg­bar gemacht und damit wie­der­hol­bar ist. Unver­alt­bar, wenn es zeigt, was sich nie und nir­gends hat bege­ben – selbst noch in der Wie­der­ho­lung. Die Wahr­heit der sinn­li­chen Gewissheit?

 

 

 

 

 

 

 

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