Juni 6th, 2013 § § permalink
Neben der Live-Ness des „elektrischen Teleskops“ und dem Programm-Flow gehört die Serialität der Inhalte zu den wesentlichen Eigenschaften des Fernsehens. Über die abgeschlossenen Formate des Kriminalfilms etwa hatte ich hier vor einiger Zeit bereits gebloggt. Das ist aber, mit Blick auf das, was sich gegenwärtig im Fernsehen tut, nur eine Variante der Serialität. Viel wirkmächtiger und wuchtiger, viel eigenartiger und erheblich erfolgreicher (kommerziell und in der öffentlichen Wahrnehmung) sind die Formate, die neuerdings als „Quality TV“ oder „komplexe Serie“ subsummiert werden, also Serien wie Sopranos, 24, Lost, Mad Men, Breaking Bad, Homeland, Game of Thrones usw. Serien, die – nicht nur – mich begeistern und elektrisieren und Fernsehinhalten eine magnetische Kraft, ja eine geradezu euphorisierende Aura verleihen, wie sie im Fernsehen wenn überhaupt, dann sicher lange nicht mehr vorgekommen sind.
Anders als die klassischerweise als Serie bezeichneten Formate, die aus in sich abgeschlossenen Episoden bestehen, sind diese Serien in Abstammung der fortlaufenden Fortsetzung unter dem Namen „Serials“ » Read the rest of this entry «
Dezember 18th, 2010 § § permalink
In einem klugen und sehr lesenswerten Blogpost konstatiert Thomas Maier den „Tod des Politischen“. Dem ist entschieden entgegen zu treten. Zunächst, weil das Politische durch solche Todeserklärungen zu sterben droht. Die scheinbare Konstatierung des Todes ist tatsächlich die performative Sterbehilfe. Zweitens weil seine Diagnose für einen längeren Zeitraum der letzten Jahre vielleicht zutreffen mag – mit der Einschränkung, das das Politische allerdings nur hirntot war. Die politischen Organe hingegen – um in der alten Metaphorik des corpus politicum zu bleiben – laufen derweil munter hirnlos Amok.
Zum Dritten ist der Diagnose entgegen zu treten, weil das Politische direkt von Carl Schmitt und seiner hinlänglich bekannten Bestimmung des Begriffs de Politischen als Differenz von Freund/Feind herleitet, die ergänzt wird einerseits durch den dem Ausnahmezustand gebietenden Souverän, andererseits (wie Agamben gezeigt hat) durch sein Gegenstück, den Homo Sacer.
Jenseits von Freund und Feind
Viel ist zu Schmitt geschrieben worden, wenig davon habe ich gelesen – weil die Freund-Feind-Unterscheidung im Ansatz unzureichend ist. Vielmehr ist die Freund-Feind-Unterscheidung der Entstehung des Politischen nachgeordnet. Die These: Nachdem sich der Raum des Politischen öffnete, sorgt die Freund-Feind-Differenz für die Möglichkeit, diesen Raum zu begrenzen. Es wäre ein Raum des Politischen denkbar, der ohne Freund/Feind und ohne Grenzen auskommt. Der allerdings zugleich Gefahr liefe, Freund und Feind im Inneren zu haben. Wenn der Feind nicht der Fremde ist, sondern der Freund sich zum Feind entfremdet oder besser: entfreundet.
Um Freund/Feind bestimmen zu können, muss bereits eine Bewusstseinsbildung stattgefunden haben, die den Raum des Politischen eröffnet. Es ist der Raum nach dem Riss und dem Zwiespalt, den das Theater » Read the rest of this entry «
Oktober 29th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Theoros und Beobachter: Die gemeinsame Geschichte von Theater und Bewusstsein § permalink
Die Frage ist so alt wie die Philosophie selbst: Wie kommt der Mensch aus seiner Hingegebenheit an das sinnlich Vorliegende, das hier und jetzt Wahrnehmbare, heraus und hin zu etwas, das jenseits des Sinnenflusses liegt. Wie reißt er sich aus der bloßen Immanenz heraus, die ein bloßes Wechselspiel von Eindrücken bietet, die Gegenstände (von denen zu reden schon einen Schritt aus der Immanenz hinaus bedeutet) mal in dieser, mal in jener Form, mal ferner und kleiner, mal näher und größer erscheinen lässt? Die metaphysische Tradition bietet den Ausbruch in die Transzendenz an. Etwa durch die Wiedererinnerung an die ewigen Ideen, die im Totenreich geschaut wurden. Oder aber durch die Begriffe, die vor allem sprachlich vorliegen, und den See, der morgens in tiefem Blau, abends im tiefen rot, nachts in tiefem Schwarz liegt, als denselben See mit unterschiedlichen akzidenziellen Zuständen beschreiben lassen. Sei die wechselhafte und täuschungsverwobene wahrnehmbare Welt nur eine Teilhabe an den jenseitigen Ideen, seien diese Ideen Begriffe und bloß nominal existent und verbürgen durch die Selbigkeit des Begriffes die Identität.
Allen gemeinsam ist, dass derjenige, der sich aus der Immanenz lösen will, sich abwenden muss vom sinnlich Vorliegenden. In Platons Höhlengleichnis schön beschrieben durch die Hinwendung zur Sonne oder gar durch den Schritt ins Totenreich im Mythos von ER. Im nominalen Zusammenhang durch die Abwendung vom Sinnlichen hin zum Denken, zum Sprechen oder noch besser: gleich zum Buch. Der aristotelische Denker ist der Schreiber und Leser, der über Tiere und Pflanzen spricht, die gerade nicht da sind. Es ist die Abwendung vom Vorliegenden, der Übergang in die Vernunft, die dann in der Rückwendung zum Vorliegenden zum verstehenden Betrachter wird.
Raus aus dem Hier und Jetzt – durch die Schrift
Der Losriss vom Vorliegenden richtet sich daher immer auf ein Abwesendes, das intendiert werden kann. Das also abwesend ist – zugleich aber anwesend in gewisser Hinsicht. Etwa in der Vorstellung, der Erinnerung, im Referenten der Schrift. Es ist kein Zufall, dass Hegel bereits ganz zu Anfang der Phänomenologie ein Blatt Papier auftreten lässt, wenn es gilt, aus der sinnlichen Gewissheit auszubrechen.
Auf die Frage: Was ist das Itzt? antworten wir also zum Beispiel: Das Itzt ist die Nacht. Um die Wahrheit dieser sinnlichen Gewißheit zu prüfen, ist ein einfacher Versuch hinreichend. Wir schreiben diese Wahrheit auf; eine Wahrheit kann durch Aufschreiben nicht verlieren; ebensowenig dadurch, daß wir sie aufbewahren. Sehen wir itzt, diesen Mittag, die aufgeschriebene Wahrheit wieder an, so werden wir sagen müssen, daß sie schal geworden ist. {…} Es wird derselbe Fall sein mit der andern Form des Dieses, mit dem Hier. Das Hier ist zum Beispiel der Baum. Ich wende mich um, so ist diese Wahrheit verschwunden, und hat sich in die entgegengesetzte verkehrt: Das Hier ist nicht ein Baum, sondern vielmehr ein Haus. Das Hier selbst verschwindet nicht; sondern es ist bleibend im Verschwinden des Hauses, Baumes und so fort, und gleichgültig, Haus, Baum zu sein. (Quelle)
Aus der sinnlichen Gewissheit, die sich auf das Hier und das Dieses auszubrechen, heißt, die Sprache, die „hier“ und „dieses“ sagen kann, nicht nur zu verstehen als konstante Aussage über das „hier“ und das „dieses“, sondern durch das Aufschreiben noch die Identität genau dieses „Hier“ und dieses „dieses“ sicher zu stellen.
Das zunächst an Nacht und Baum verfallene vorbewusste Ich, das noch nicht einmal Ich sagen könnte, weil es im Fluss der Wahrnehmungen selbst zu einem Fließenden und keinem konstanten Ich-Fluchtpunkt werden kann, muss eine Identität des Dieses und Hier lernen. Und es lernt sie, indem es sich aus der Zeit und dem Ort losreißt und an ein Abwesendes erinnert. Es lernt, dass es viele Jetzt und viele Dieses gibt – indem es sich selbst Briefe schreibt. Den Brief von Jetzt zu » Read the rest of this entry «
September 27th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Das Netz als Ende der Lebensgeschichte (erster Entwurf von Unterwegs). § permalink
War bisher die biographie eher einer strasse vergleichbar, die im wesentlichen auch daaus bestand, wege nicht einzuschlagen, freunde un bekannte andere wege ziehen zu lassen, menschen aus den augen zu verlieren, kurz: eine geschichte zu haben aus realisierten und nicht realisierten optionen, aus erinnerung und vergessen — so verwandelt das netz die ehemalige lebensgescichte in ein werk, in dem jeder kontakt eine neue veraestelung hinzufuegt, jede option bestehen bleiben kann, jeder seitenweg noch gegangen werden koennte. Aus dem linearen weg wir ein synchrones, sich immer mehr verzweigendes netz. Der begriff der lebensgeschichte ist damit an ihr ende gelangt.
P.S. Hab das mobile geschrieben, wird in Kuerze ordentlich fehlerbereinigt und ausgefuehrt.
August 10th, 2010 § § permalink
Ich lese gerade noch einmal den Text “Hegemonie und das Paradox von privat und öffentlich” (hier online und als pdf) von Alex Demirovic. Und bin dabei über einen Gedanken gestolpert, den ich zuletzt (hier) beim Nachdenken über Öffentlich/Sozial/Privat überlesen hatte:
Journalisten waren diejenigen Akteure, die, solange es keine politischen Parteien, kein regelmäßig tagendes Parlament und keine Berufspolitiker gab, Politik als eigenständige Handlungssphäre auf Dauer stellten und damit auch die staatliche Verwaltung kontrollierten.
Leider unterschätzt Demirovic die Kraft dieses Gedankens — und konstatiert diese Funktion nur für den Journalismus der vordemokratischen Epoche. Wie wäre es, wenn die “Auf Dauer Stellung” des Politischen als eine eigene Späre nur durch die sogenannte journalistische Literatur grundsätzlich geschähe. Wenn unabhängig von der umgebenden Herrschaftsform “das Politische” nur durch die Erzählungen von Print, Radio, TV entstünden — wie die Heiligenlegenden durch die Bibel, Märchengestalten, Celebrities. Wie also, wenn nicht nur die “Dramaturgie” wie hier » Read the rest of this entry «
Juli 21st, 2010 § § permalink
Klaus Kusanowsky arbeitet sich seit einigen Postings an dem von ihm entworfenen und aus einer Beobachtung der Veränderungen des Begriffs des Dokuments gewonnenen und geschärften Begriffs des “Performats” ab. Ich zitiere sein Definitionsperformat (nicht mißzuverstehend als zitiertes Dokument!):
Bei Performaten handelt es sich um dauerprozessierte und fluktuierende Formen der Repräsentation von Sinnkondensaten, für die ein Beobachtungsschema gefunden werden müsste, das Manipulation weder ein- noch ausschließt. (Quelle)
Wenn ichs recht verstehe ist dieses Performat ein nur kurzzeitig zum Stillstand gerinnendes Flottieren, das Unterschiede wie Dokument/nicht Dokument ebenso kassiert wie wahr/falsch identisch/nichtidentisch. Das Performat ist — würde ich hinzufügen — von dritter Ordnung und dem dem Gerücht ähnlich, das durch zusätzliche Operationen als wahr/falsch qualifiziert werden kann — aber als Gerücht bereits “wirksam” ist. Zugleich aber immer selbst in Verdacht (wobei der Verdacht selbst ein Drittes zwischen schuldig/unschuldig ist …) steht, unwahr zu sein — und als an der Sohle der Wahrheit klebend auch die Qualifikationen “falsch” » Read the rest of this entry «
Mai 30th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Die vier Räume des Theaters (Fortsetzung): Möglichkeitsraum § permalink
Vorab: Diese Posts zu den Theaterräumen sind Work in Progress. Versuche, etwas konsekutiv auf den Punkt zu bringen. Nichts Fertiges.
Den Möglichkeitsraum von den Zusehern und ihren Sitzplkätzen zu trennen, die Interaktion also durch “die Rampe” (Lazarowicz) zu separieren, verleiht den Zusehenden Sicherheit — eine Sicherheit, die verloren gehen kann, wenn der Möglichkeitsraum beginnt, sich um sie herum auszubreiten. Die Verdunkelung des Zuseherraumes zu Beginn der “Vorstellung”, als würden die Lider geschlossen, um den Traum als Traum und “Es ist nur ein Traum — ich darf ihn weiter träumen” konsumierbar zu machen, vollzieht diese Trennung ebenso wie der Vorhang und der rituelle Applaus gegenüber den Möglichkeitsspielern. Bleibt nur das Saallicht an — bleibt das Lid also geöffnet, wandelt sich schon die Trennung. Der Zuseher fühlt sich in seinem Zusehen ertappt und bemerkt, dass er im Spielraum auf dem Präsentierteller sitzt — obwohl er die anderen doch auf dem Präsentierteller erwartete. Umso mehr, wenn der Möglichkeitsraum die Bühne verlässt, die Möglichkeitsspieler in den Zuseherraum klettern und die Wirklichkeit der Zuseher nicht mehr zu übersehen ist. Zuletzt aber hebt die Aufhebung von Rampe und Lichtdifferenz noch mehr auf, vermag bis ins Bedrohliche zu kippen, wenn der Zuseher sich schlagartig umfangen sieht von Möglichkeiten, denen gegenüber sich zu verhalten er nicht gelernt hat. Während außerhalb des Möglichkeitsraumes der Umgang und das Spiel miteinander hoch kodifiziert ist (sei es vom geregelten aneinander vorbeigehen, Handschlag, Gläserprosten) ist im Möglichkeitsraum alles möglich. Und wo alles möglich (sprich: kontingent) zu werden beginnt, ist keine Sicherheit mehr. Zugleich aber entsteht die Freiheit des Zusehenden, wenn er die Möglichkeiten, die sich ihm bieten, ergreift. Die Möglichkeit zur freien Bewegung, zum Hierher- und Dahinhören. Zum Weggehen und Wiederkommen. Der Zuseher wird nie selbst Teil des Möglichkeitsraumes. Dazu ist er auf bestimmte Interaktionen des Spielraumes zu sehr festgelegt. Und sein Einbau (oder der Einbau von Tieren) in den Möglichkeitsraum markiert nur immer die Differenz noch achdrücklicher zwischen denen im Möglichkeitsraum und denen außerhalb.
Nachtrag: Der Möglichkeitsraum als Freiraum korrespondiert dem Zuseherraum als Unfreiraum. Das ist eine Feststellung, keine Kritik. Es ist eine alltägliche Vertrautheit, sich in Unfreiräumen zu bewegen. In der Ubahn, im Linienbus, im Flugzeug. Im Staat.
März 16th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Medialität, Möglichkeit, Wirklichkeit § permalink
Der Börse zuzusehen und Börsenberichten zuzuhören kann gelegentlich der Wahrheitsfindung dienen. Dann etwa, wenn Quartalszahlen und die Reaktion der Kurse (heißt: Der aktuellen oder zukünftigen Besitzer dieser Aktien) darauf berichtet werden. Für Laien (wie mich) zunächst völlig unverständlich. dass positive Berichtszahlen sinkende Kurse herbeiführen können. Berichterstatter kennen die Erklärung: Diese Zahlen sind erwartet worden und deswegen schon in den aktuellen (vorberichtlichen) Aktienkurs “eingepreist”. Heißt: Die Aktien hatte vor dem Ergebnisbericht bereits den Wert, den sie eigentlich nach dem oder durch den Ergebnisbericht bekommen hätten. Stimmt der Bericht mit den Erwartungen überein, so wird der Kurs stagnieren oder sinken. Die Ergebnisse mögen so positiv sein, wie sie wollen.
Cut.
Die Gemeinsamkeit zwischen Börsengeschehen und Medialität ist die Realität des Möglichen oder das Immer-schon-eingetreten-Sein des Erwarteten. Mediale Spekulation und Börsenspekulation richten sich auf das erwartbare Mögliche — und machen es damit bereits vorab zu einer eingetretenen Realität deren tatsächliches » Read the rest of this entry «
Februar 1st, 2010 § Kommentare deaktiviert für Restauration und Regression § permalink
Keine Ahnung, wo dieses Posting enden wird. Ein Gedanke nur. Die Frage: Trügt der Eindruck oder befinden wir uns in einer Phase massiver Restauration oder Regression? Findet neben dem “Rückbau” sozialer Standards zugleich eine massive Rückwendung zu schlechten “guten alten Zeiten” statt, der sich entgegenzustellen ist? Verdient also die gegenwärtige Zeit die Diagnose einer soziokulturelen Regressionsphase?
Die Grundströmung I: Sparen
Der herrschende Gedanke des “Sparens und Bewahrens” ist hier im Blog schon angesprochen worden. Energie, Ressourcen, Haushaltsmittel. Was auch immer: Sparen ist in jedem Fall die herrschende Parole der Gegenwart. Ohne jede moralische Wertung. Lediglich Konstatieren einer Rückwärtswendung.
Die Grundströmung II: Umweltschutz
Die grüne Bewegung ist selbstverständlich konservativ. Bewahren und ggf. Wiederherstellung eines verlorenen Naturzustandes. Wiederum keinerlei » Read the rest of this entry «
Januar 26th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Manche Dinge scheinen sich nie zu ändern — zum Beispiel die Veränderung § permalink
Die alte Form des Dramas ermöglicht es nicht, die Welt so darzustellen, wie wir sie heute sehen.
Brecht, Über experimentelles Theater, 47.
Das liegt allerdings nicht daran, dass die dramatische Form sich nicht geändert hätte. Sondern dass die Welt und ihre Ansicht sich unter der egwandelten Form wiederum weiter bewegt haben. Postwelt. Postdramaturgie. Postdrama. Postpostdrama. Whatsoeverdrama.