Januar 21st, 2010 § Kommentare deaktiviert für Das Post-Drama der Arbeitslosigkeit § permalink
Als Nachtrag oder Beitrag zum Thema “niederwertige Arbeit” und Verschiebung der Debatte hin auf die fundamentale politische Dimension im Folgenden ein Auszug aus “Das Politische zurück ins Theater” (Vortrag im Frankfurter Autorentheater 03.Mai 2009). Zur Frage inwiefern Arbeitslosigkeit den politischen Herrschern und (sich-sebst-ver-)Göttern die Stellung in einer Weise rauben könnte, wie es für den christlichen Gott durch das Erdbeben von Lissabon 1755 geschah:
[…] Die politischen Nicht-Götter, die keine Könige sind, stehen kurz und haarscharf vor der Dämmerung. Der Ring der Macht droht ihnen vollends abhanden zu kommen, weil die Geschichte und Erzählung, die sie trägt, schwindet und zwar rapide. Es ist die Erzählung der Arbeit. Ein Glaube, der Anstrengung fordert und dafür gerechte Entlohnung verspricht. Eine diesseitige Religion mit diesseitigem, materiellem Lohn. Oder eben sein Entzug bei Versündigung gegen die Forderungen dieses Glaubens.
Die traditionelle Erzählung von der Arbeit lautet: Iss als Kind brav dein Tellerchen leer, sitz gerade, kippel nicht, pass in der Schule fein auf, sei nicht aufsässig oder frech, lerne und sei strebsam, widersprich den Lehrern nicht, dann wirst du einen » Read the rest of this entry «
Januar 4th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Der Begriff des Politischen und das Theater § permalink
Bevor der falsche Eindruck aufkommt, das Politische, von dem hier gelegentlich gefordert wird, dass es wieder ins Theater zurückkehren solle, sei etwa die sogenannte Tagesaktualität hier ein Text von mir zu diesem Thema. Geschrieben fuer eine Matinee im Frankfurter Autorentheater am 1.5.2009 und dort auch noch als Druckschrift erhältlich. Und hier zum Download: “DasPolitischeZurueckInsTheater”
Januar 3rd, 2010 § Kommentare deaktiviert für Bestandsaufnahmen des Unbeständigen § permalink
Gestern abend hab ich mit meiner Schwester telefoniert und versuchte darzuelegen, wie fundamental der Wandel der Lebensverhältnisse momentan sei, auf den zu reagieren ich von Theatern erwarte. Politischen Wandel, veränderte Arbeitswelt. Auf die Schnelle wollte mir kein konsistenter Vortrag gelingen, deswegen versuch ichs jetzt in Ruhe:
Die digitale Vernetzung
Durch Facebokk (nach Mitgliedern gezählt wäre Facebook inzwichen das viertgrößte Land der Welt!), Twitter, Blogs, Communities werden Machtverhältnisse verändert. Die Menschen schaffen sich freie Informations- und Austauschwege, die sowohl staatlicher wie auch unternehmerischer Kontrolle nicht mehr völlig unterliegen. Niemals in der Geschichte was es besser möglich, sich frei mit beliebig vielen Menschen auszutauschen. Da dieser Austausch aber in einem unendlich speicherbaren Raum stattfindet, entstehen daraus zugleich massive Bedrohungen, die mit der Nutzung und Auswertung dieser Daten zu tun haben. Niemals war es nämlich in gleicher Weise wie heute möglich, durch automatisierte Verfahren Beziehungs‑, Denk- und Bewegungsprofile von Menschen herzustellen. Eine gigantische Utopie und zugleich eine riesige Bedrohung. Dzu wurde auf diesem Blog schon einiges an Links angeboten. Nun noch hier die Fortsetzung der Schirrmacher-Debatte: Absaufen in der Informationsflut. Lesenswert. Bedenkenswert. Und für alle, die es noch nicht kennen DAS Video zum Thema Social Media Revolution.
Die Aufspaltung einzelner Rollen ist für postdramatisches Theater geradezu Routine geworden. Wieviele Fausts gabs bei Schleef noch? Vierzehn. Und 11 Gretchen dazu — vermeldete seinerzeit die ZEIT. Ich habs gesehen und fands grandios. Die Vielheit des Dividuums. Nun aber ist es Zeit für den proteischen Gegenzug, das Dividum, das sch jenseits des einzelnen Textes in Vielheit befindet. Müsste nicht also ein “Darsteller” am Abend gleichzeitig die Figur in mehereren Stücken sein? Müsste also nicht am selben Abend Antonius und Cleopatra, Troilus und Cressida, Romeo und Julia gespielt werden. Mit derselben Besetzung. Das wäre Postdrama. Das wäre spannend. Auch wen ich keine Ahnung habe, wie das funktionieren könnte.
Dezember 13th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Das flache Netz — jenseits der Tiefenillusion § permalink
Die geradezu lacan’sche Illusion personaler Tiefe, die insbesondere durch einen bestimmten, von Stanislawski geprägten Stil des Sprechens erzeugt wurde, kann durch das Konzept des Netzes nachhaltig erschüttert werden, ohne dabei bestimmte Zusammenhänge aufgeben zu müssen, die zu der Vorstellung von Oberfläche und Tiefe geführt haben. Letztlich also die Einsicht, das in der gegenwärtigen Situation immer ein Überschuss vorhanden ist, der allein durch das Kraftfeld besagter Situation nicht aufgefangen wird. Der Hintergedanke. Der versteckte Wunsch. Das Unausgesprochene, Ungesagte, Unsagbare. Usw.
Die Person als Netzknotenpunkt gehört in der Situation nicht nur zu einem Gewebe, das die Situation bestimmt. Sie ist vielmehr Knotenpunkt vieler, nicht unbedingt miteinander verwobener Netze. Schnittpunkt vieler Netze in vielen Raumebenen. Jedes dieser Netze radikal flach und zweidimensional. Aber durch ihre Ansiedlung im Raum in der Lage, die alte Vorstellung der Tiefe aufzunehmen – die allerdings nur solange Tiefe ist, wie ein Netz senkrecht zum gegenwärtig betrachteten Situationsnetz steht. Stellen wir uns ein Netz vor, das in unserer » Read the rest of this entry «
November 29th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Nach dem Drama – kommt was? § permalink
Wiewohl schon die Frage nach dem „nach“ eigentlich noch eine zutiefst dramatische ist, ist sie legitim. Und die Ausrufung des Postdramas, so sie nicht nur ein gewandter Wortwitz belieben soll, ist nicht die hinrichende Antwort darauf.
Er: Nein. Das Spiel.
Sie: Das Postdrama?
Er: Was kommt nach dem Drama.
Das Drama ist nicht nur eine Form, es ist zugleich Ausdruck einer Ideologie. Und einer Weltsicht, die es zumindest zu befragen, wenn nicht zu bekämpfen gilt.Das Drama sieht den Helden und seinen Antagonisten. Einige Hilfsfiguren. Es sieht einen Kampf oder ein Ziel. Es hat Anfang, Mitte und vor allem: ein Ende, das aus der Geschichte selbst begründet ist. So wollte es Großvater Aristoteles auch von der Tragödie:
„Ein Ganzes ist, was Anfang, Mitte und Ende hat. Ein Anfang ist, was selbst nicht mit Notwendigkeit auf etwas anderes folgt, nach dem jedoch natürlicherweise etwas anderes eintritt oder entsteht. Ein Ende ist umgekehrt, was selbst natürlicherweise auf etwas anderes folgt, und zwar notwendigerweise oder in der Regel, während nach ihm nichts anderes mehr eintritt. Eine Mitte ist, was sowohl selbst auf etwas anderes folgt als auch etwas anderes nach sich zieht. Demzufolge dürfen Handlungen, wenn sie gut zusammengefügt sein sollen, nicht an beliebiger Stelle einsetzen noch an beliebiger Stelle enden, sondern sie müssen sich an die genannten Grundsätze halten.“ (Poetik)
Im Gegensatz dazu das Spiel: Das beginnt und endet zwar auch. Aber Beginn und Ende sind nahezu willkürlich gewählt. Denken wir nur an das Fußballspiel oder den » Read the rest of this entry «
November 23rd, 2009 § Kommentare deaktiviert für Digitale Disruption 3 — Schwinden der Arbeit § permalink
„Lothar Späth und der frühere McKinsey-Manager Herbert A. Henzler haben im Jahr 1993 eine Berechnung angestellt: Was würde passieren, schöpfte man das technisch machbare Automationspotenzial in der Bundesrepublik voll aus? Die Antwort: Eine Arbeitslosigkeit von 38 Prozent wäre normal. Eindrucksvoll bestätigte eine weitere Studie der Universtität Würzburg im Jahr 1998 die Annahme der Autoren: Allein im Bankensektor liegt das Automationspotenzial bei mehr als 60 Prozent, im Handel immer noch bei mehr als der Hälfte des gegenwärtigen Beschäftigungsstands. In diesen und vielen anderen Sektoren ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Potenziale ausgenutzt werden.“ ) BrandEins 07/2005: Der Lohn der Angst)
Gesetzt den Fall es sei so. Gesetzt den Fall Späth, Rifkin und der Bericht der Bayerisch-Sächsischen Zukunftskommission hätten recht. Gesetzt den Fall, die Arbeit im klassischen Sinne käme an ein Ende. Wie soll die Finanzierung der Gemeinschaft und jedes Einzelnen gesichert werden, die als nahezu gottgebene Selbstverständlichkeit von der Arbeit abhängig betrachtet wird? Dabei ist nicht vom Ende des Reichtums die Rede — nur vom Ende der Arbeit. Wo sind die politischen Rezepte, die glaubhafte Lösungen erarbeiten? Das Herunterschrauben der Niedriglöhne bis eine Vollzeittätigkeit staatlicher Zuschüssen bedarf, um als Lebensunterhalt zu genügen, ist diese Lösung nicht. Sie färbt lediglich Arbeitslosenstatistiken schön. Das bestehende Wirtschaftssystem kommt mit weniger menschlicher Arbeitskraft aus, als zur Verfügung steht. Wohin also mit diesen “Überflüssigen”. Aus Wirtschaftssicht handelt es sich um Überflüssige, die » Read the rest of this entry «
Oktober 29th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Jenseits des dreidimensionalen Dramas § permalink
Ich betrachte es schlicht als Hilflosigkeit, wenn Theater sich Regisseure und Gruppen ins Haus holen, die mehr zu bieten haben, als die Neuinterpretation des Altbekannten. Texte zu zetrümmern, zu remixen, zu sampeln, als Pasticcio zu mischen, zu destrukturieren und zu restrukturieren, Romane und Filmdrehbücher zu adaptieren ist nichts anderes als Hilflosigkeit. Weil einerseits den postdramatischen (oder eher hochdramatischen) Lebensverhältnissen kein dramatischer Text ansatzweise gerecht werden kann. Andererseits hab ich gerade vergessen. Was ich jedenfalls sagen wollte: Die Dinge sind zu komplex geworden, um sie den Vereinfachungs-Anforderungen des Dramas noch anpassen zu können. Vor 150 Jahren lebten die Menschen im dreidimensionalen euklidschen Raum. Es gab ein geschichtliches vorher-nachher (was zumeist auch hier hieß: deswegen). Es gab ein gesellschaftliches Nebeneinander. Und ein hierachisches Übereinander. Das von der Postmoderne postulierte Ende der Geschichte ist ein Ende der Geschichte, wie wir sie kennen Es ist eine Krise des Erzählens von Geschichte in klassischer rhetorischer Hinsicht (vgl. Hayden Whites Metahistory), Das Fatale daran: Mangels angemessener Formen für ein anderes Geschichte- oder Geschichtenerzählen gehen die zu erzählenden Dinge unter. Opfergeschichten lasen sich heute nicht mehr erzählen, weil das Geschichtenerzählen nicht mehr funktioniert — die Opfer aber gibt es noch » Read the rest of this entry «
Oktober 15th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Postdrama — warum? § permalink
Noch als dieses Blog installiert wurde, war die eigentliche Absicht, Theater zu kritisieren und wo nötig zu schmähen für die Langeweile, die all überall um die dickvermauerten Häuser wölkt. Vielleicht sind sie im Innersten kurzweilig und auf der Höhe der Zeit (ihr vielleicht sogar voraus). Von außen betrachtet aber wecken sie den Eindruck historischer Museen. Das 19. Jahrhundert feiert fröhlich Premiere jeden Tag (und das wäre noch fast die neuzeitlichste Periode). IbsenStridbergTschechowHorvath und wie die ganzen Untoten heißen mögen wesen auf den Brettern die längst nichts mehr bedeuten (würden sie doch wenigstens Nichts bedeuten, wo sie Welt schon lange nicht mehr be-deuten und mit Deutung versehen können) vor sich hin.
Wie gesagt: Das war gerade noch das Motiv Und während es sich installierte, das WordPress, änderte es sich. Zumindest partiell. Denn zur Kritik gestellt gehören natürlich nicht die theatralen Ansätze, die sich postdramatisch geben. Sondern die noch viel zu dramatischen Ansätze der gegenwärtigen Stückschreiberei. Wiederum hier eine Korrektur: Mangels Kenntnis der gegenwärtigen Stückwerke gehören die Grundlagen dramatischen Schreibens auf den Dramatisch geworfen, seziert, obduziert, kremiert und beerdigt. Das Drama ist totlangweilig. Es zeitigt das Postdrama. Nicht aus modischen Gründen. Zeit ist für das Postdrama, weil die Zeit nicht mehr dramatisch und eben deswegen schon nicht mehr Zeit ist. Exit tempus ipse. Incipt postdrama.