Februar 23rd, 2013 § § permalink
Folgt man der hier im Blog bereits vorgestellten Hypothese, dass Fernsehen im Gebiet der Kunst operiert, speziell in dem Bereich den Kant als „Schematismus“ (hier bzw. hier)beschrieb, jenem Bereich also, in dem sinnliche Anschauungen und Verstandesbegriffe miteinander verbunden und möglichst zur Deckung gebracht werden, so lässt sich ein anderer Blick aufs Fernsehen werfen. Dieser Blick ist ein durchaus Kant-kompatibler und ermöglicht einen erneuten Blick auf das Phänomen der Ereignis- und Katastrophenfixierung von Fernsehnachrichten einerseits, der Mischung von „Nachrichten“ und fiktionalen Formaten andererseits.
In den Blick rückt ein seltsames Verhältnis von Wiederholung und Neuigkeit. Von Vertrautheit und Unvertrautheit, das insbesondere Nachrichten auszeichnet, die ein zeitlich fest definiertes Format (den Begriff von Stanley Cavell aufnehmend) definieren, in dem möglichst Unerwartetes gezeigt wird, ein Format also, in dem Unerwartetes erwartet oder gar gefordert ist. Man setzt sich vor den Fernseher in der Erwartung, das Unerwartete, die Krise, die Katastrophe, das Ereignis geliefert zu bekommen. Und da, wo die Nachrichten selbst nicht „von sich aus“ den Eindruck erwecken, katastrophisch zu sein, da setzt der Bericht alles daran, das Herausragende dessen, was berichtet wir, zu stärken und möglichst zur Katastrophe » Read the rest of this entry «
Februar 23rd, 2013 § Kommentare deaktiviert für Vor dem Fernseher, nach dem Individuum. Ein Schleef-Zitat #MediaDivina § permalink
Über Andreas Wilinks nachtkritik-Besprechung der Bonner Inszenierung von Hauptmanns Ratten durch Lukas Langhof bin ich über eine Passage eines Einar Schleef-Interviews gestolpert, der dort etwas sagt, das bedenkenswert ist. Noch nicht durchdacht hier, aber bedenkenswert in seiner geradzu buddhistischen Schlichtheit und Prägnanz:
Im traditionellen Sprechtheater hat der Schauspieler den Traum vom Individuum zu erfüllen — aber wo gibt’’s denn heute ein Individuum? Das ist eine antiquierte Vorstellung. Wir leben im Massenzeitalter, und das » Read the rest of this entry «
Februar 22nd, 2013 § Kommentare deaktiviert für Fernsehen als umgekehrtes Missionarstum #MediaDivina § permalink
Das Verhältnis von Nähe und Ferne, von Nipkows Ort A und Ort B und die Übertragung der Botschaft ist historisch nicht neu. Abgesehen davon, dass es vermutlich bereits so lange, wie Menschen und/oder Stämme wanderten, wie Fernhandel betrieben wurde, wie Regenten miteinander kommunizierten, den Austausch von Nachrichten gab, gab es auch die organisierte Nachrichtenverbreitung lange schon. Diejenige durch kirchliche Missionare. Interessant ist nun im Vergleich Fernsehen versus christliche Mission zweierlei:
Einerseits zunächst natürlich die Senderichtung. Während christliche Missionare in die Welt ausschwärmten, um die gute Nachricht mit mehr oder minder starkem Nachdruck zu verbreiten, die Empfänger der Botschaft also in der Ferne lagen, in die die Missionare reisten und an die sie sich annäherten, ist es im Fernsehen genau anders herum. Die „gute Nachricht“, die nicht immer – das wird der zweite Unterschied sein – „gut“ ist, wird aus der Ferne verkündet für die Nahen. Das umgekehrte Missionarstum des Fernsehens macht aus der Ferne selbst die » Read the rest of this entry «
Februar 22nd, 2013 § Kommentare deaktiviert für Das Fernsehen als elektrisches Teleskop und die Weltverdoppelung durch die Mondfahrt #MediaDivina § permalink
Der gelegentlich als Erfinder des Fernsehens bezeichnete Paul Nipkow, Namensgeber des 1935 in Betrieb genommenen ersten öffentlichen Fernsehsenders „Fernsehsender Paul Nipkow“, leitete 1884 seine Patentschrift für die Nipkow-Scheibe, mit einer interessanten Formulierung ein:
Der hier zu beschreibende Apparat hat den Zweck, ein am Orte A befindliches Object an einem beliebigen anderen Orte B sichtbar zu machen. (Quelle)
Er bezeichnete diesen Apparat als „elektrisches Teleskop“. Das scheint auf den ersten Blick eine überraschende, aber nicht gänzlich abwegige Formulierung für das, was später als Fernsehen bezeichnet werden wird. Dass Dinge an Orte A an anderen Orten gesehen werden können, aus der Ferne, ist in den Namen des Fernsehens eingeschrieben. Interessant allerdings wird es, konzentriert man sich auf das Verhältnis von A und B zueinander. Denn diese Orte entstehen als A und kategorial davon verschiedenes B erst durch das Teleskop. Zuvor war die Welt eine Welt von B’s. Ein jeder an einem Ort, an dem zu sehen ist. Definiert durch die Reichweite des Blicks. Erst durch das Teleskop entsteht die Möglichkeit von A, von einer Ferne, die von B gesehen werden kann.
Dabei ist der Ort A erst zu einem A geworden, nachdem er für B aus der Ferne sichtbar wurde. Und das Teleskop hat die wundersame Kraft, einen jeden Ort B in ein A zu verwandeln, indem das Kameraobjektiv darauf gerichtet wird. Die Aufteilung der Welt in A und B geschieht durch das Teleskop. Dieses Teleskop richtet » Read the rest of this entry «
Februar 20th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Adorno/Horkheimer über den kantischen Schematismus des Fernsehens § permalink
Vor langem natürlich gelesen, war mir ganz entfallen, dass schon Adorno/Horkheimer über den kantischen Schematismus in der Kulturindustrie, sagen wir also speziell des Fernsehens, geschrieben haben. In der “Dialetik der Aufklärung” heißt es:
Die Leistung, die der kantische Schematismus noch von den Subjekten erwartet hatte, nämlich die sinnliche Mannigfaltigkeit vorweg auf die fundamentalen Begriffe zu beziehen, wird dem Subjekt von der Industrie abgenommen. Sie betreibt den Schematismus als als ersten Dienst am Kunden. In der Seele sollte ein geheimer Mechanismus wirken, der die unmittelbaren Daten bereits so präpariert, daß sie ins System der Reinen Vernunft hineinpassen. Das Geheimnis ist heute enträtselt. (132)
Denkt man das kantisch weiter, würde man auch hier wiederum bei dem Ergebnis ankommen, dass das Fernsehen sich im Bereich dessen ansiedelte, was traditionell der Kunst zugeordnet war. Vielleicht.
Februar 19th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Just for Fun zum Pferdewahn — eine Top 5‑Liste. Helau. § permalink
Februar 17th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Der Gedanke einer aufziehenden Digitalökonomie erreicht Banken — in Form von Angst § permalink
Es gab ja hier im Blog in den letzten Jahren durchaus einige Beiträge zum Thema Digitalökonomie (hier der Kategorie-Link) und den damit anstehenden revolutionären Veränderungen. Nicht zuletzt deswegen wurde hier ja auch das virtuelle “Institut für Digitalökonomie” gegründet. Die Möglichkeiten, die etwa Facebooks Credits (auch wenn inziwschen wietgehend eingestellt) hat, habe ich hier beschrieben. Die Ähnlichkeit zwischen Finanzwesen und Musikindustrie etwa hier. Über die fantastischen Möglichkeiten von mobile Payment, wie sie in Afrika zu sehen sind, hier.
Inzwischen scheint der Gedanke an die fundamentalen Veränderungen (übrigens auch in Schuld und Schein zu finden), die gerade dabei sind, ihre Kraft zu entwickeln, offenbar auch in den Köpfen oder zumindest den limbischen Systemen der Bankentscheider angelangt. Als Ergebnis einer neuen Studie von Steria Mummert und F.A.Z.-Institut ist zu lesen:
Die klassischen Banken sehen sich immer stärker von branchenfremden Wettbewerbern bedroht. Insbesondere Bezahlsysteme im Internet gefährden ihr Geschäft. Dieser Ansicht sind 57 Prozent der Entscheider » Read the rest of this entry «
Februar 5th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Fernsehen: Welterzeugung durch die Gottesmaschine § permalink
Fernsehen stellt die Betrachtung der Welt um von einer bloßen Wahrnehmung hin auf Interpretation. Worauf auch immer das Kameraauge sich richtet, das wird zunächst zu einem Gegenstand der Frage, und zwar der Frage nach der Bedeutung. Damit kassiert Fernsehen zunächst den Unterschied zwischen Naturdingen und Kunstwerken, wenn denn die Auszeichnung der hergestellten Kunstwerke im Gegensatz zu den (jedenfalls nicht von Menschen) hergestellten Naturobjekten darin besteht, dass sie bedeutend sind – während sie sich zugleich von allen anderen menschlichen Hervorbringungen dadurch unterschieden, dass sie keinen anderen zweck haben, als eben zu bedeuten.
Technik, verstanden als der zweckrationale Einsatz von physisch vorhandenen Mitteln, vernutzte die Welt als Rohstoff. Erst durch Einbeziehung in einen solchen Vernutzungszusammenhang bekamen die Rohstoffe „Sinn“ insofern als sie sich zweckmäßig einfügen ließen in eine Produktionskette, in der sie entweder als Produktionsmittel, als durch Arbeit zu ver- und bewertende Ausgangsstoffe oder als Produktionsorte auftraten. Der technisch-instrumentellen Vernunft erscheint die Welt als ein Rohstofflager, dessen Inhalt entweder bereits vernutzbar sind oder die auf eine zukünftige Nutzbarkeit warten, jederzeit auf der Suche, das Ungenutzte nutzbar zu machen und zu verwerten. „Sinn“ der Natur ist dann, darauf zu warten, vernutzt werden zu können.
Diesem technisch-zweckrationalen Sinn stellt das Fernsehen, ähnlich der Kunst, einen anderen Sinn gegenüber, denjenigen, eines verstehbaren Eigensinnes der Welt: Welt dabei zunächst und vorfernsehhaft verstanden als die nicht-einheitshafte Gesamtheit alles Vorhandenen. Als Vor-Welt oder Un-Welt, der die Möglichkeit unterstellt wird, Welt zu werden bzw. als Welt erkannt zu werden, das heißt als geordneter Zusammenhang des Seienden, darin dem griechischen Ursprungsbegriff von „kosmos“ als perfekte Ordnung sich anschließend. Noch die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, ist ja erst als nachrangige Frage zu verstehen und zwar nach der Grundannahme DASS es einen Zusammenhalt » Read the rest of this entry «
Februar 1st, 2013 § § permalink
In diesem Blog hier wird – neben einigen anderen – gelegentlich Niklas Luhmann erwähnt oder zitiert. Das hat bei einigen Lesern offenbar die Folge, mich für einen der ihren zu halten, einen allerdings der Nachhilfe bedürftigen. Dieser Kommentator hier etwa. Um es für die Zukunft klar zu sagen: Ich bin kein Luhmannianer, Luhmannist, Luhmannologe, Lumaniker oder Luhmannetiker und will keinen Lehrstuhl in einer dieser Disziplinen. Ich bin auch kein Systemtheoretiker, insbesondere kein fundamentalistischer, orthodoxer oder sonstwie gläubiger Systemtheoretiker oder ‑terrorist. Das ist weder meine Motivation noch die Motivation dieses Blogs – und lässt sich in selber Weise auf die meisten anderen hier erwähnten oder zitierten Schreiber und Buchmacher anwenden. Mich interessiert nicht die Bohne, was Luhmann „meinte“, „wollte“ oder „an anderer Stelle schrieb“. Gar nicht. Jedenfalls selten.
Ich lese Luhmann als einen Künstler, nicht als Wissenschaftler. Als einen großartigen, bärbeißigen, manchmal ärgerlich konservativen, oft witzigen, sehr oft inspirierenden Aphoristiker wenn nicht gar Moralisten vom Schlage eines Pascal, Montaigne oder Vauvenargues – der allerdings den Fehler machte, rund um seine Aphorismen eine Art System zu bauen, das vielleicht den großen Vorteil hat, ihn auf diese Gedanken und Aphorismen geführt zu haben, das aber als Ordnungssystem seiner Lehre und als Ordnungssystem seiner Bücher oder überhaupt einer » Read the rest of this entry «
Februar 1st, 2013 § § permalink
Der erste Satz von Luhmanns „Realität der Massenmedien“ ist (neben dem Buchtitel selbst) so komplex, dass eigentlich kein Leser mehr lesen müsste oder dürfte, als diesem Satz. Vorausgesetzt, dieser Leser hätte das Interesse und die Fähigkeit, diesen Satz als mehr denn nur eine Kalenderweisheit zu verstehen, die besagt, dass das Fernsehen uns ziemlich beeinflusst. Warum, dazu gleich.
Fernseh-Spaces
Fernsehen verwandelt die unmarkierte, ungeformte Welt in einen marked space, der ihr Sinn verleiht, zugleich die Welt als unmarked space ausschließend. Wer sich vor dem Fernsher befindet, nimmt die Welt als eine wahr, die Sinn hat – sitzend in einer dadurch nur umso mehr als sinnlos erfahrbaren Welt. Der Fernseher produziert eine „Sinnwelt“ (Luhmann, KdG 61), die sich durch Abbildung aus Elementen einer Welt konstituiert, die dadurch nur als umso sinnloser erfahrbar wird. Fernsehen gibt der Welt als Welt Sinn. Die Außenseite dieser Form „Fernsehen“ – lässt sich Luhmann parodierend (KdG 63) überraschend sinnvoll sagen – » Read the rest of this entry «