Zwischenbemerkung zur Geschäftsordnung: An orthodoxe Leser (und insbesondere Luhmannisten)

Februar 1st, 2013 § 3 comments

In die­sem Blog hier wird – neben eini­gen ande­ren – gele­gent­lich Niklas Luh­mann erwähnt oder zitiert. Das hat bei eini­gen Lesern offen­bar die Fol­ge, mich für einen der ihren zu hal­ten, einen aller­dings der Nach­hil­fe bedürf­ti­gen. Die­ser Kom­men­ta­tor hier etwa. Um es für die Zukunft klar zu sagen: Ich bin kein Luh­man­nia­ner, Luh­man­nist, Luh­man­no­lo­ge, Luma­ni­ker oder Luh­man­ne­ti­ker und will kei­nen Lehr­stuhl in einer die­ser Dis­zi­pli­nen. Ich bin auch kein Sys­tem­theo­re­ti­ker, ins­be­son­de­re kein fun­da­men­ta­lis­ti­scher, ortho­do­xer oder sonst­wie gläu­bi­ger Sys­tem­theo­re­ti­ker oder ‑ter­ro­rist. Das ist weder mei­ne Moti­va­ti­on noch die Moti­va­ti­on die­ses Blogs – und lässt sich in sel­ber Wei­se auf die meis­ten ande­ren hier erwähn­ten oder zitier­ten Schrei­ber und Buch­ma­cher anwen­den. Mich inter­es­siert nicht die Boh­ne, was Luh­mann „mein­te“, „woll­te“ oder „an ande­rer Stel­le schrieb“. Gar nicht. Jeden­falls selten.

Ich lese Luh­mann als einen Künst­ler, nicht als Wis­sen­schaft­ler. Als einen groß­ar­ti­gen, bär­bei­ßi­gen, manch­mal ärger­lich kon­ser­va­ti­ven, oft wit­zi­gen, sehr oft inspi­rie­ren­den Apho­ris­ti­ker wenn nicht gar Mora­lis­ten vom Schla­ge eines Pas­cal, Mon­tai­gne oder Vau­ven­ar­gues – der aller­dings den Feh­ler mach­te, rund um sei­ne Apho­ris­men eine Art Sys­tem zu bau­en, das viel­leicht den gro­ßen Vor­teil hat, ihn auf die­se Gedan­ken und Apho­ris­men geführt zu haben, das aber als Ord­nungs­sys­tem sei­ner Leh­re und als Ord­nungs­sys­tem sei­ner Bücher oder über­haupt einer dar­aus zu ent­neh­men­den Leh­re für mich völ­lig irrele­vant ist.

Um es zart­füh­len­den Gemü­tern mit öko­no­mi­schen Vor­lie­ben klar zu machen:

Ich betrach­te Luh­manns Bücher als einen wun­der­vol­len Gedan­ken­su­per­markt, durch den ich ger­ne ab und an schlen­de­re, hier und da was in mei­nen Ein­kaufs­korb wer­fe, um es hin­ter­her mit ande­ren Zuta­ten zu einem Süpp­chen zuzu­be­rei­ten. Dass er sei­ne Gedan­ken in die Rega­le der Sys­tem­theo­rie räum­te – nun­ja, er wird schon gewusst haben, war­um. Ich jeden­falls sehe es nicht ein, die Rega­le zu kau­fen, wenn ich nur die Din­ge, die dar­in ste­hen, haben will. Das mag den selbst ernann­ten Ange­hö­ri­gen der sys­tem­theo­re­ti­schen Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on gegen den Strich gehen. So seis denn.

Wem das Bild zu öko­no­mis­tisch ist, der darf es sich ger­ne umbau­en: dann sind Luh­manns Bücher eine Wie­se und ich ein Bien­chen. Und ich wer­de sicher­lich weder sämt­li­chen Nek­tar in mich hin­ein­fres­sen, noch mich ver­pflich­tet füh­len, auch noch Blät­ter, Stil und Stän­gel zu verknuspern.

Und wers ger­ne bru­ta­ler mag: Ich bin der Bücher­wurm, der sich durch das tote Cor­pus Luh­manns frisst, da zubeißt, wo er nahr­haf­tes Fleisch fin­det, sich nicht wei­ter um die sys­tem­theo­re­ti­schen Kno­chen schert und schon gar nicht auf dem Biss in eine Stel­le ablei­tet, dass er auch 1000 ande­re Stel­len zu fres­sen hätte.

Can you stand it? You are wel­co­me. You can’t? Get over it or lea­ve me alo­ne. Aber stehlt mir nicht mit Kom­men­ta­ren die Zeit, die nichts ande­res sind, als intel­lek­tu­el­le Spei­chel­le­cke­rei bei einem Toten. Was Luh­mann dach­te inter­es­siert mich nicht mehr als die Gedan­ken jedes ande­ren belie­bi­gen Bie­le­fel­ders oder Pin­ne­ber­gers. Ich weiß nicht, was er dach­te. Ich kann kei­ne Gedan­ken lesen. Ich lese, was er schrieb. Und was ich inspi­rie­rend fin­de, neh­me ich auf. Für mich Assoziologie.

§ 3 Responses to Zwischenbemerkung zur Geschäftsordnung: An orthodoxe Leser (und insbesondere Luhmannisten)"

  • kusanowsky sagt:

    Abge­se­hen davon, dass ich dei­ne Abnei­gung gegen die­se Schub­la­den-Kri­tik tei­le, so bleibt doch nichts anders übrig als sich seuf­zend in Geduld zu üben. Sie wer­den damit nie­mals auf­hö­ren, so vie­le Beteue­run­gen du auch immer abge­ben willst. Wer in eine Schub­la­de soll passt auch immer hin­ein. Und wer sich wehrt wird pas­send gemacht und sei dies auf dem Weg der Schubladen-Kritik.
    Das Pro­blem könn­te sich erst dann lösen, wenn die Luh­mann-Scho­las­ti­ker nicht län­ger leug­nen wür­den, dass sie die Scho­las­tik betrei­ben. Dann wür­de sie die Schub­la­den­kri­tik unter ein­an­der ver­tei­len und wür­de Unbe­teilg­te gar nicht erst mit Schub­la­den-Kri­tik begeg­nen. Und dann wäre es schön, wenn sich als Luh­man­nia­ner tar­nen könn­te um die­ses Schau­spiel mit­zu­er­le­ben. #beob­acht­e­den­be­ob­ach­ter

  • Herr­lich, jeden Mor­gen, wenn ich auf­wa­che, erschre­cke ich, weil ich mei­ne, alles Gele­se­ne wie­der ein­mal voll­kom­men ver­ges­sen zu haben. Dann rede ich mir laut gut zu und erin­ne­re mich dran, zwei­mal einen nicht unbe­deu­ten­de eige­ne Biblio­thek, ein­mal durch poli­ti­sche und ein ander­mal durch per­sön­li­che Umstän­de (eine eifer­süch­ti­ge Frau), ver­lo­ren zu haben, wobei mei­ne eige­ne Denk­fä­hig­keit Mar­ke sape­re aude durch die­se schmerz­haf­ten Ver­lus­te in kei­nem Fal­le gelit­ten hat. 

    Ich beru­hi­ge mich an einem jeden Mor­gen spä­tes­tens nach dem ers­ten Kaf­fee wie­der und ver­las­se mich — wie gewohnt — auf mei­ne ein­ge­bo­re­ne ganz nai­ve und nati­ve Zuver­sicht. Wird schon wer­den, sage ich mir und lese, schrei­be, blog­ge und twit­te­re wei­ter, als wäre um mich her­um nichts oder nur wenig geschehen. 

    Habe Jah­re­lang voll­kom­men unbe­fan­gen als Nicht­l­uh­man­nia­ner, der 55 Bücher von Luh­mann besitzt und 100 über ihn und sein irdi­sches Trei­ben als ein aus­ge­buff­ter iro­ni­scher, zwei­fel­los auch selbst­ver­lieb­ter, aber den­noch immer schwer dis­zi­pli­nier­ter Den­ker lesend beob­ach­te­te, in der soge­nann­ten Luh­mann­lis­te geschrie­ben. Etwa fünf bis sechs Jah­re lang haben die das dort auch mit meist hoch­ge­zo­ge­nen Augen­brau­en tole­riert. Sie ret­te­ten sich sel­ber als ein­ge­fleisch­te Luh­man­nia­ner, in dem sie dort das von Mar­tin Rost gepräg­te Wort vom “San­der­style” gus­tier­ten. Als dann der dor­ti­ge Meis­ter, bei dem ich 1995/96/97 jeweils ein Wochen­se­mi­nar absol­vier­te (mit Schein und so), mich mit dem Dik­tum beleg­te, dass mich dort ziem­lich unmög­lich mach­te: ich wür­de über­all mei­ne Schleim­spur hin­ter­las­sen, da blieb ich — meist schwei­gend — zwar in die­ser Lis­te, stumm nur noch lesend, er aber, der Meis­ter, lief ver­zwei­felt davon, weil ihn drei ande­re — ihn mit den eige­nen Waf­fen schla­gend, Leu­te, die sich selbst stolz Trol­le nann­ten — ihn töd­lich ver­är­gert hat­ten. Er grün­de­te dann eine durch Mit­glieds­bei­tra­ge geschlos­se­ne eige­ne Liste.

    Wie man eine eige­ne ganz per­sön­li­che Haus­apo­the­ke hat, so hat ein jeder auch sei­ne ganz per­sön­li­chen geis­ti­gen Vor­fah­ren, die man sich — ganz im Gegen­satz zu ech­ten Fami­li­en­bin­dun­gen — gott­sei­dank ganz selbst­ver­ant­wort­lich aus­su­chen kann. Vie­le der gro­ßen und berühm­ten bis berüch­tig­ten Tex­te habe ich (fast) nie umfas­send sel­ber gele­sen. Habe mir immer einem Ver­tau­ens­mann gesucht und mich des­sen Inter­pre­ta­ti­on die­ser gro­ßen Geis­ter anver­traut. Nur wenn ich miss­trau­isch wur­de, dann habe ich sel­ber nach­ge­schla­gen. Oft fand ich dabei, es sei meist bes­ser, dem Koch zu ver­trau­en, statt dem Kell­ner, aber kei­nes­wegs trifft dann immer zu. Es gibt Inter­pre­ten, die stel­len das Kön­ner der Ori­gi­na­lis­ten oft weit in den Schatten. 

    Also: Auch ich bin also — obwohl ich ihn oft asso­zio­lo­gisch im Mun­de füh­re — KEIN in der Wol­le ein­ge­färb­ter Luh­man­nia­ner. In mei­ner intel­lek­tu­el­len Haus­apo­the­ke nimmt er aller­dings einen her­vor­ra­gen­den, weil pragmatisch/empirisch bewähr­ten Platz als ein nütz­li­cher Autor ein. Man kann etwas mit ihm und sei­nem Den­ken anfan­gen, wie Nach­fol­ger schla­gend bewei­sen, Leu­te wie Dirk Bae­cker, Armin Nas­sehi, Rudolf Stich­weh, André Kie­ser­ling und Ele­na Espo­si­to. Vor allem aber, wie Aus­sen­sei­ter der Sozio­lo­gie bewei­sen: Diet­rich Schwa­nitz und Peter Slo­ter­di­jk, um hier nur zwei zu nen­nen. Ich stim­me also dem Haupt­text voll­kom­men zu und kann es lächelnd auch mit der Äus­se­rung des Kom­men­ta­tors tun.

    Rudi K. San­der ali­as die­ter­boh­rer aka @rudolfanders aus Bad Schwalbach.

  • Postdramatiker sagt:

    Letzt­lich erfül­len die Scho­las­ti­ker ihre Auf­ga­be im Sys­tem, Tei­le jener Beton­mau­er zu sein, an der sich der Kopf ein­ren­nen und der Gedan­ke schär­fen lässt. Gele­gent­lich. Ob die Beton­köp­fe je ihrer Beto­niert­heit ein­ge­denk wer­den, bezwei­fe­le ich. Aber Mate­ri­al­wis­sen­schaft und Geis­tes­ge­schich­te leh­ren, dass Beton­bau­ten zwar eine Zeit lang enorm sta­bil sein mögen, aber irgend­wann aus sich selbst her­aus zer­brö­seln. Ein Schau­spiel, wert mit einem Chi­an­ti in der Hand beob­ach­tet zu werden.
    Wobei mir eigent­lich die Titu­lie­rung “Scho­las­ti­ker” inso­fern ein wenig wider­strebt, als eine gan­ze Rei­he von ursprüng­li­chen, sprich mit­tel­al­ter­li­chen Scho­las­ti­kern von einer Bese­sen­heit zeu­gen, die mir sehr will­kom­men und nahe ist, die aber die­se Beton­scho­las­ti­ker durch Bele­sen­heit — ver­geb­lich — zu erset­zen versuchen. 

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