In diesem Blog hier wird – neben einigen anderen – gelegentlich Niklas Luhmann erwähnt oder zitiert. Das hat bei einigen Lesern offenbar die Folge, mich für einen der ihren zu halten, einen allerdings der Nachhilfe bedürftigen. Dieser Kommentator hier etwa. Um es für die Zukunft klar zu sagen: Ich bin kein Luhmannianer, Luhmannist, Luhmannologe, Lumaniker oder Luhmannetiker und will keinen Lehrstuhl in einer dieser Disziplinen. Ich bin auch kein Systemtheoretiker, insbesondere kein fundamentalistischer, orthodoxer oder sonstwie gläubiger Systemtheoretiker oder ‑terrorist. Das ist weder meine Motivation noch die Motivation dieses Blogs – und lässt sich in selber Weise auf die meisten anderen hier erwähnten oder zitierten Schreiber und Buchmacher anwenden. Mich interessiert nicht die Bohne, was Luhmann „meinte“, „wollte“ oder „an anderer Stelle schrieb“. Gar nicht. Jedenfalls selten.
Ich lese Luhmann als einen Künstler, nicht als Wissenschaftler. Als einen großartigen, bärbeißigen, manchmal ärgerlich konservativen, oft witzigen, sehr oft inspirierenden Aphoristiker wenn nicht gar Moralisten vom Schlage eines Pascal, Montaigne oder Vauvenargues – der allerdings den Fehler machte, rund um seine Aphorismen eine Art System zu bauen, das vielleicht den großen Vorteil hat, ihn auf diese Gedanken und Aphorismen geführt zu haben, das aber als Ordnungssystem seiner Lehre und als Ordnungssystem seiner Bücher oder überhaupt einer daraus zu entnehmenden Lehre für mich völlig irrelevant ist.
Um es zartfühlenden Gemütern mit ökonomischen Vorlieben klar zu machen:
Ich betrachte Luhmanns Bücher als einen wundervollen Gedankensupermarkt, durch den ich gerne ab und an schlendere, hier und da was in meinen Einkaufskorb werfe, um es hinterher mit anderen Zutaten zu einem Süppchen zuzubereiten. Dass er seine Gedanken in die Regale der Systemtheorie räumte – nunja, er wird schon gewusst haben, warum. Ich jedenfalls sehe es nicht ein, die Regale zu kaufen, wenn ich nur die Dinge, die darin stehen, haben will. Das mag den selbst ernannten Angehörigen der systemtheoretischen Glaubenskongregation gegen den Strich gehen. So seis denn.
Wem das Bild zu ökonomistisch ist, der darf es sich gerne umbauen: dann sind Luhmanns Bücher eine Wiese und ich ein Bienchen. Und ich werde sicherlich weder sämtlichen Nektar in mich hineinfressen, noch mich verpflichtet fühlen, auch noch Blätter, Stil und Stängel zu verknuspern.
Und wers gerne brutaler mag: Ich bin der Bücherwurm, der sich durch das tote Corpus Luhmanns frisst, da zubeißt, wo er nahrhaftes Fleisch findet, sich nicht weiter um die systemtheoretischen Knochen schert und schon gar nicht auf dem Biss in eine Stelle ableitet, dass er auch 1000 andere Stellen zu fressen hätte.
Can you stand it? You are welcome. You can’t? Get over it or leave me alone. Aber stehlt mir nicht mit Kommentaren die Zeit, die nichts anderes sind, als intellektuelle Speichelleckerei bei einem Toten. Was Luhmann dachte interessiert mich nicht mehr als die Gedanken jedes anderen beliebigen Bielefelders oder Pinnebergers. Ich weiß nicht, was er dachte. Ich kann keine Gedanken lesen. Ich lese, was er schrieb. Und was ich inspirierend finde, nehme ich auf. Für mich Assoziologie.
Abgesehen davon, dass ich deine Abneigung gegen diese Schubladen-Kritik teile, so bleibt doch nichts anders übrig als sich seufzend in Geduld zu üben. Sie werden damit niemals aufhören, so viele Beteuerungen du auch immer abgeben willst. Wer in eine Schublade soll passt auch immer hinein. Und wer sich wehrt wird passend gemacht und sei dies auf dem Weg der Schubladen-Kritik.
Das Problem könnte sich erst dann lösen, wenn die Luhmann-Scholastiker nicht länger leugnen würden, dass sie die Scholastik betreiben. Dann würde sie die Schubladenkritik unter einander verteilen und würde Unbeteilgte gar nicht erst mit Schubladen-Kritik begegnen. Und dann wäre es schön, wenn sich als Luhmannianer tarnen könnte um dieses Schauspiel mitzuerleben. #beobachtedenbeobachter
Herrlich, jeden Morgen, wenn ich aufwache, erschrecke ich, weil ich meine, alles Gelesene wieder einmal vollkommen vergessen zu haben. Dann rede ich mir laut gut zu und erinnere mich dran, zweimal einen nicht unbedeutende eigene Bibliothek, einmal durch politische und ein andermal durch persönliche Umstände (eine eifersüchtige Frau), verloren zu haben, wobei meine eigene Denkfähigkeit Marke sapere aude durch diese schmerzhaften Verluste in keinem Falle gelitten hat.
Ich beruhige mich an einem jeden Morgen spätestens nach dem ersten Kaffee wieder und verlasse mich — wie gewohnt — auf meine eingeborene ganz naive und native Zuversicht. Wird schon werden, sage ich mir und lese, schreibe, blogge und twittere weiter, als wäre um mich herum nichts oder nur wenig geschehen.
Habe Jahrelang vollkommen unbefangen als Nichtluhmannianer, der 55 Bücher von Luhmann besitzt und 100 über ihn und sein irdisches Treiben als ein ausgebuffter ironischer, zweifellos auch selbstverliebter, aber dennoch immer schwer disziplinierter Denker lesend beobachtete, in der sogenannten Luhmannliste geschrieben. Etwa fünf bis sechs Jahre lang haben die das dort auch mit meist hochgezogenen Augenbrauen toleriert. Sie retteten sich selber als eingefleischte Luhmannianer, in dem sie dort das von Martin Rost geprägte Wort vom “Sanderstyle” gustierten. Als dann der dortige Meister, bei dem ich 1995/96/97 jeweils ein Wochenseminar absolvierte (mit Schein und so), mich mit dem Diktum belegte, dass mich dort ziemlich unmöglich machte: ich würde überall meine Schleimspur hinterlassen, da blieb ich — meist schweigend — zwar in dieser Liste, stumm nur noch lesend, er aber, der Meister, lief verzweifelt davon, weil ihn drei andere — ihn mit den eigenen Waffen schlagend, Leute, die sich selbst stolz Trolle nannten — ihn tödlich verärgert hatten. Er gründete dann eine durch Mitgliedsbeitrage geschlossene eigene Liste.
Wie man eine eigene ganz persönliche Hausapotheke hat, so hat ein jeder auch seine ganz persönlichen geistigen Vorfahren, die man sich — ganz im Gegensatz zu echten Familienbindungen — gottseidank ganz selbstverantwortlich aussuchen kann. Viele der großen und berühmten bis berüchtigten Texte habe ich (fast) nie umfassend selber gelesen. Habe mir immer einem Vertauensmann gesucht und mich dessen Interpretation dieser großen Geister anvertraut. Nur wenn ich misstrauisch wurde, dann habe ich selber nachgeschlagen. Oft fand ich dabei, es sei meist besser, dem Koch zu vertrauen, statt dem Kellner, aber keineswegs trifft dann immer zu. Es gibt Interpreten, die stellen das Könner der Originalisten oft weit in den Schatten.
Also: Auch ich bin also — obwohl ich ihn oft assoziologisch im Munde führe — KEIN in der Wolle eingefärbter Luhmannianer. In meiner intellektuellen Hausapotheke nimmt er allerdings einen hervorragenden, weil pragmatisch/empirisch bewährten Platz als ein nützlicher Autor ein. Man kann etwas mit ihm und seinem Denken anfangen, wie Nachfolger schlagend beweisen, Leute wie Dirk Baecker, Armin Nassehi, Rudolf Stichweh, André Kieserling und Elena Esposito. Vor allem aber, wie Aussenseiter der Soziologie beweisen: Dietrich Schwanitz und Peter Sloterdijk, um hier nur zwei zu nennen. Ich stimme also dem Haupttext vollkommen zu und kann es lächelnd auch mit der Äusserung des Kommentators tun.
Rudi K. Sander alias dieterbohrer aka @rudolfanders aus Bad Schwalbach.
Letztlich erfüllen die Scholastiker ihre Aufgabe im System, Teile jener Betonmauer zu sein, an der sich der Kopf einrennen und der Gedanke schärfen lässt. Gelegentlich. Ob die Betonköpfe je ihrer Betoniertheit eingedenk werden, bezweifele ich. Aber Materialwissenschaft und Geistesgeschichte lehren, dass Betonbauten zwar eine Zeit lang enorm stabil sein mögen, aber irgendwann aus sich selbst heraus zerbröseln. Ein Schauspiel, wert mit einem Chianti in der Hand beobachtet zu werden.
Wobei mir eigentlich die Titulierung “Scholastiker” insofern ein wenig widerstrebt, als eine ganze Reihe von ursprünglichen, sprich mittelalterlichen Scholastikern von einer Besesenheit zeugen, die mir sehr willkommen und nahe ist, die aber diese Betonscholastiker durch Belesenheit — vergeblich — zu ersetzen versuchen.