Der Begriff geistert ein wenig durch die Wirtschaftsnachrichten seit einiger Zeit: Hubschraubergeld. Marcel Fratzscher findet das Konzept erwägenswert. Mario Draghi bezeichnete es als „sehr interessant“. Die Idee ist Jahrzehnte alt und stammt vom Alt-Neoliberalen Milton Friedman (gelegentlich auch von US-Notenbankern wie Bernanke ins Spiel gebracht): Wenns in einer neoliberalen Wirtschaft mal nicht brummt soll einfach von der Notenbank (oder dem Staat) Bargeld unter den Bürgern verteilt werden, damit diese kaufen gehen, Umsätze und Gewinne, sowie volkswirtschaftliche Wachstumsraten und Inflation steigern. Neoliberale, die etwas zu verschenken haben – und dann auch noch gleich Geld. Parbleu.
Kapitalismus – das zweibeinige Monster
Dem Sozialismus drohen die Unternehmer auszugehen – dem Kapitalismus die Kunden. Sozialismus tendiert zur Selbstzerstörung – Kapitalismus auch. Ob Kapitalismus das beste, sinnvollste, humanste, ökologischste Wirtschaftssystem ist, ist eine Frage, die sich trefflich diskutieren lässt. In den letzten Jahrzehnten war die politische Antwort: eher ja. Und man versuchte es mit einer immer weniger sozialen Form von Marktwirtschaft, die immer deutlicher (sei Thatcher, Reagan, Kohl/Schröder/, Blair usw.) zur Reinform jenes Neoliberalismus wurde, den Hayek, der wirtschaftsreligiöse Gegenspieler von Keynes, seit den 20er Jahr predigte. Die neuerdings recht lautstark auftretende „Alternative für Deutschland“, die Vereinigung rechtsblinkender Geisterfahrer, die neben einem mit Rassisten, Chauvinisten, Neonationalisten und Neofaschisten flirtenden Deutschtum vor allem der politische Arm der stramm national-neoliberalen Hayek-Gesellschaft darstellt, bietet nunmehr mit ihrem Programmentwurf eine Art Extremform des Ultra-Neoliberalismus. Und wird, gewinnt sie Einfluss, damit zum Totengräber eben jenes neoliberalen Turbokapitalismus, den sie doch eigentlich zur Realexistenz führen will.
Der Kapitalismus in der Form, die im 19. Jahrhundert entstanden ist, mag ein Monster sein – es ist aber ein zweibeiniges Monster. Das rechte Bein war eine (wie auch immer geartete) liberale Wirtschaftspolitik, der als linkes Bein die Sozialpolitik dient. Auch für den Kapitalismus gilt: auf einem Bein kann man nicht stehen. Eine Wirtschaft, die nur aus profitorientierten Unternehmern besteht kann ohne konsumfähige Kunden nicht bestehen. Diese wurden von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften geliefert. Der vordergründige Kampf um Löhne und soziale Absicherung ist zugleich ein Kundenbeschaffungsprogramm für kapitalistische Volkswirtschaften. Die Rentenversicherung sorgt dafür, dass auch im höheren Alter Menschen noch Kunden sind. Die Krankenversicherung sorgt dafür, dass Kranke nicht aus dem Konsum fallen. Die Arbeitslosenversicherung stellt sicher, dass auch Menschen, die kein Einkommen haben, noch immer im Supermarkt für Umsatz sorgen. Streicht man, wie es das Programm der AfD andeutet, diese Leistungen zusammen, fallen Konsumenten weg. Fällt Kaufkraft weg.
Das kapitalistische Problem mit der Ungleichheits-Schere
Steigen die Löhne – wie in den letzten beiden Jahrzehnten – real nicht, ist es kaum zu erwarten, dass die Kaufkraft steigt bzw. bei vorhandener Inflation ist gar zu erwarten, dass die Kaufkraft real insofern sinkt, als die Menschen/Kunden für ihr Geld weniger oder niederpreisigere Güter konsumieren. Woher soll das Wachstum kommen, wenn ein Großteil der Bevölkerung nicht mehr kaufen kann, sondern eher weniger? Die Einkommens- und Vermögenszunahme am oberen Rand hilft nicht: Die Automobilwirtschaft in einem neoliberalen Kapitalismus, in dem nur noch Bentleys, Bugattis, Rolls Royce, S‑Klassen und 7er gekauft werden, funktioniert nicht. Irgendwann hat jeder einen (und zwar eben wenige), kauft sich bei wachsendem Vermögen vielleicht einen oder zwei weitere. Wenn aber das gesamte Käufersegment der Kleinwagen sich reduziert, die für die Umsatzmasse sorgen – hilft das alles nichts. Kein Kapitalismus kann damit funktioneiren, dass sich ein paar Handvoll Superreicher gegenseitig Luxusjachten verkaufen.
Man kann dann zweierlei tun: Die Preise im unteren Segment reduzieren (faktisch also eine deflationäre Bewegung!). Dafür müssen Kosten gespart werden – am besten Lohnkosten. Was zum Ergebnis hat, dass zwar Preise und Löhne gesunken sind – aber der Absatz nicht daraufhin anspringt.
Oder man setzt – was Deutschland tut – auf den Export. Knapp 8% Außenhandelsüberschuss zeigen in diese Richtung (und gelten laut Europäischer Kommission als „stabilitätsgefährdend“). Heißt: Man verkauft die hier zu allzu geringen Löhnen hergestellten Produkte in andere Länder, in denen entweder höhere Löhne gezahlt werden und die nicht in dieser Abwärtsspirale begriffen sind. Oder man verlagert die Produktion ins Ausland, wo sich noch billigere Arbeiter finden lassen, sodass sich schlecht bezahlte Arbeiter hierzulande die zu noch schlechteren Löhnen produzierten Fahrzeuge leisten können. Oder Kleidungsstücke. Nur – diese Unterschiede sind offenbar nicht von Dauer. Die rechtlosen Lohnsklaven in Bangladesch oder Afrika haben zunehmend weniger Lust, mit ihrem Leben für den Konsum in Deutschland zu bezahlen. Und die Möglichkeiten, Absatzmärkte im Ausland zu finden, insbesondere solche, die kein Problem damit haben, sich wegen des deutschen Exportüberschusses zu verschulden – neigt sich auch dem Ende entgegen. Funktioniert eine Zeitlang – aber nicht ewig.
Das heißt: eine sich immer weiter spreizende Ungleichheitsschere innerhalb einer Volkswirtschaft sorgt für Absatzprobleme der Wirtschaft, die eine Zeitlang durch eine internationale Ungleichheit zu reparieren versucht werden kann. In dem Maße, wie sich diese anderen Länder aber entweder selbst ungleicher entwickeln(= auch hier Käuferrückgang) ODER die Ungleichheit zu reduzieren versuchen (=höhere Produktionskosten im Ausland), funktioniert das nicht mehr. Der Kapitalismus schneidet sich mit der Ungleichheitsschere selbst den Hals ab.
Hubschraubergeld?
Hubschraubergeld nun ist der Gedanke, nach den untauglichen Versuchen, durch Aufpumpen des Privatbankensystems mit ca. 80 Milliarden Euro monatlich (durch Draghis Quantitative Easing-Programme), die sich als nicht tauglich erwiesen haben, das Wachstum und die Inflation zu erhöhen, an der anderen Seite anzusetzen. Draghi wollte bisher die Verschuldung von Unternehmen und Privathaushalten erhöhen, indem er den Banken frisches Kapital in nahezu unbegrenztem Maße zur Verfügung stellte und sie gleichzeitig davon abbringen wollte (durch Negativzinsen), dieses Kapital zu horten. Haut nicht hin. Banken vergeben entweder nicht ausreichend Kredite – oder es werden (ein anderes Thema – Stichwort Dienstleistungs- und Digitalökonomie) nicht hinreichende Kredite nachgefragt. Unternehmen und Konsumenten haben wenig Lust, sich zu verschulden, nachdem ihnen jahrzehntelang gepredigt wurde, Schulden seien schlecht. Macht Sinn.
Dann also ein Strategiewechsel: Statt die Bürger zu verführen, Schulden zu machen, um den Konsum anzukurbeln, gibt man ihnen » Read the rest of this entry «