Fernsehen stellt die Betrachtung der Welt um von einer bloßen Wahrnehmung hin auf Interpretation. Worauf auch immer das Kameraauge sich richtet, das wird zunächst zu einem Gegenstand der Frage, und zwar der Frage nach der Bedeutung. Damit kassiert Fernsehen zunächst den Unterschied zwischen Naturdingen und Kunstwerken, wenn denn die Auszeichnung der hergestellten Kunstwerke im Gegensatz zu den (jedenfalls nicht von Menschen) hergestellten Naturobjekten darin besteht, dass sie bedeutend sind – während sie sich zugleich von allen anderen menschlichen Hervorbringungen dadurch unterschieden, dass sie keinen anderen zweck haben, als eben zu bedeuten.
Technik, verstanden als der zweckrationale Einsatz von physisch vorhandenen Mitteln, vernutzte die Welt als Rohstoff. Erst durch Einbeziehung in einen solchen Vernutzungszusammenhang bekamen die Rohstoffe „Sinn“ insofern als sie sich zweckmäßig einfügen ließen in eine Produktionskette, in der sie entweder als Produktionsmittel, als durch Arbeit zu ver- und bewertende Ausgangsstoffe oder als Produktionsorte auftraten. Der technisch-instrumentellen Vernunft erscheint die Welt als ein Rohstofflager, dessen Inhalt entweder bereits vernutzbar sind oder die auf eine zukünftige Nutzbarkeit warten, jederzeit auf der Suche, das Ungenutzte nutzbar zu machen und zu verwerten. „Sinn“ der Natur ist dann, darauf zu warten, vernutzt werden zu können.
Diesem technisch-zweckrationalen Sinn stellt das Fernsehen, ähnlich der Kunst, einen anderen Sinn gegenüber, denjenigen, eines verstehbaren Eigensinnes der Welt: Welt dabei zunächst und vorfernsehhaft verstanden als die nicht-einheitshafte Gesamtheit alles Vorhandenen. Als Vor-Welt oder Un-Welt, der die Möglichkeit unterstellt wird, Welt zu werden bzw. als Welt erkannt zu werden, das heißt als geordneter Zusammenhang des Seienden, darin dem griechischen Ursprungsbegriff von „kosmos“ als perfekte Ordnung sich anschließend. Noch die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, ist ja erst als nachrangige Frage zu verstehen und zwar nach der Grundannahme DASS es einen Zusammenhalt gibt. Und nicht etwa nur eine zufällige Anhäufung von Einzelheiten auf einem zufälligerweise recht lebensfreundlichen Planeten.
Im Unterschied zu Fernsehen aber trug die Kunst vor sich her, die Bedeutung erst durch ein Hinzutreten eines Künstlers zu erschaffen. Erst durch den Eingriff des Künstlers und die Attribuierung eines Dings als Kunstwerk kam dieses in den Verdacht bedeutend zu sein und zu kommunizieren. Allerdings natürlich nicht einfach und eineindeutig eine bestimmte Mitteilung zu kommunizieren, sondern eine prinzipiell uneindeutige oder mehrdeutige „Botschaft“, von der am Ende sogar der Verdacht aufkam, sie sei erst durch den rezipierenden Betrachter erzeugt worden oder überhaupt erzeugbar (unter Einbeziehung des Künstlers als ersten Betrachter etwa: primus inter spectatores).
Von hier aus ist der Weg – historisch – zurück zu theologischen Gott-Welt-Theorien nicht weit, war doch Gott als der erste Creator verstanden worden, der die Welt aus dem Nichts schuf und dadurch einen sinnhaften (oder wenigstens intentionalen – denn Gott würde ja wohl nichts chaotisch Sinnloses schaffen …?) Zusammenhang erzeugte. Gott schuf die Welt aus dem Nichts und räumte sie ordentlich auf – das war zu unterstellen. Ob es Menschen möglich sei, diesen Zusammenhang zu erkennen, ist damit noch nicht garantiert. Aber alle Ergebnisse der modernen Naturwissenschaft, alle „Gesetze“, die sich in der Natur finden lassen, stellen unumgänglich die Frage: Wer hat sie Gesetze gegeben? Wer hat sie erlassen? Und warum lassen sie sich nicht durch Naturverbrecher brechen?
In den Naturgesetzen der Naturwissenschaft feiert Gott (oder der Glaube an ihn) fröhliche Urständ, auch wenn Naturwissenschaftler in einer seltsamen Konkurrenzsituation zur Theologie zu finden sind, spätestens seit die kirchlichen Machthaber entscheiden haben, Galilei zu verdammen. Zwischenzeitlich versuchen Naturwissenschaftler den leeren Platz Gottes zu übernehmen, indem sie eben nicht nur den Beweis antreten, dass menschlicher Verstand und Vernunft eben doch in der Lage ist, die Gesetze zu erkennen – und mit ihnen technisch zweckrational umzugehen und eine andere Welt zu erschaffen.
Damit ersetzen Naturwissenschaft und Technik die alte Rolle Gottes als Creator – und lassen seine Funktion als spectator offen. Hier nun setzt die Rolle und der Siegeszug des Fernsehens ein. Selbst ein technischer Apparat, basierend auf avancierter Naturwissenschaft, leistet diese Media Divina zweierlei:
- Sie installiert einen technisch-naturwissenschaftlichen Weltzugang, indem alles, was vor dem Obkjektiv auftaucht und übertragen wird, als Rohstoff der televisionären Maschine fungiert. Darin ist das Fernsehen technisch.
- Das zweckrationale Um-zu übernimmt allerdings das Fernsehen von der Kunst, indem sie die potenziell sinnlosen Dinge zur Kommunikation verwandelt. Das Fernsehbild und der Ton zeigen nicht einfach nur auf irgend etwas, sondern sie teilen es kommunikativ mit. Dadurch dass dieses und kein anderes Objekt, Tier, Lebenwesen usw. ausgewählt und gesendet wird, wird es kommunikativer Inhalt.
- Fernsehen integriert die scheinbar isolierten, sinnlosen Elemente, die es überträgt, in zusammenhängende Sinnerzählungen. Es ist egal, ob es nur ein Fernsehprogramm oder zehntausende gibt, ob nur ein Gegenstand oder Mensch oder sämtliche Gegenstände und Menschen zugleich übertragen werden. Mit der Existenz von Fernsehen ist die Behauptung aufgestellt, dass potenziell alles, jedes Objekt, jedes Ereignis sich einbetten lässt in die Sinnerzählung(en). Dass Fernsehen also potenziell alles zeigen und die Zusammenhänge erklären könnte, sich aber beschränkt auf besondere Einzelfälle, die es selbst auswählt. Mehr oder minder zufällig. Jeder Bericht ist nur eine Parabel auf die Sinnhaltigkeit der Welt – besonders dann bestens zu bemerken, wenn für ein paar Stunden oder Tage (wie bei sogenannten Katastrophen) die Erzählbarkeit für einen Moment aussetzt und hektisch nach „Sinn“ gesucht wird.
- Die disziplinierende Spectatorik Gottes, die (mit Foucault zu sagen) panoptische Disziplinarmacht übernimmt Fernsehen, indem es einerseits überall und jederzeit zuschlagen und etwas „aufdecken“ könnte. Die zahllosen Skandalisierungen und der Invstigativjournalismus gehören hier dazu. Zugleich sind diese Aufdeckungen jederzeit mit moralisierenden oder anklagenden Diskursen verbunden und erfordern die Stellungnahme des Betroffenen im (verteidigenden oder sündenbekennenden) Interview.
Aber Fernsehen kann noch mehr – es kann Sinn aus dem Nichts erschaffen. Daher die zahllosen sogenannten „fiktionalen“ Sendungen, die den Eindruck des Realen erwecken wollen und damit nichts anderes tun als zu beweisen, dass die „Gesetze“ der Fernseherzählung in einem solchen Maße zutreffend sind, dass es Fernsehmachern gelingt, glatte Lügen als akzeptable Realität auszugeben.
Fernsehen also als Gotesmaschine? Media Divina? Das alles lässt sich vermutlich noch weiter ausführen.
Tob e continued. Maybe.