Ich betrachte es schlicht als Hilflosigkeit, wenn Theater sich Regisseure und Gruppen ins Haus holen, die mehr zu bieten haben, als die Neuinterpretation des Altbekannten. Texte zu zetrümmern, zu remixen, zu sampeln, als Pasticcio zu mischen, zu destrukturieren und zu restrukturieren, Romane und Filmdrehbücher zu adaptieren ist nichts anderes als Hilflosigkeit. Weil einerseits den postdramatischen (oder eher hochdramatischen) Lebensverhältnissen kein dramatischer Text ansatzweise gerecht werden kann. Andererseits hab ich gerade vergessen. Was ich jedenfalls sagen wollte: Die Dinge sind zu komplex geworden, um sie den Vereinfachungs-Anforderungen des Dramas noch anpassen zu können. Vor 150 Jahren lebten die Menschen im dreidimensionalen euklidschen Raum. Es gab ein geschichtliches vorher-nachher (was zumeist auch hier hieß: deswegen). Es gab ein gesellschaftliches Nebeneinander. Und ein hierachisches Übereinander. Das von der Postmoderne postulierte Ende der Geschichte ist ein Ende der Geschichte, wie wir sie kennen Es ist eine Krise des Erzählens von Geschichte in klassischer rhetorischer Hinsicht (vgl. Hayden Whites Metahistory), Das Fatale daran: Mangels angemessener Formen für ein anderes Geschichte- oder Geschichtenerzählen gehen die zu erzählenden Dinge unter. Opfergeschichten lasen sich heute nicht mehr erzählen, weil das Geschichtenerzählen nicht mehr funktioniert — die Opfer aber gibt es noch immer. Und es gibt sie immer mehr. Weil die Geschichten vom hierarchischen Übereinander (wie sie Shakespeare erzählt hat) nicht mehr erzählbar sind, wie sie erzählt wurden, droht die Herrschaft aus dem Blick zu geraten. Und was schlimmer ist: aus der Kritik. Wenn nur noch kabarettistisches Lästern bleibt, wo grundsätzliche Kritik angebracht ist, kann (legitime oder illegitime) Herrschaft sich in traumwandlerischer Sicherheit wägen. Und wo die Raumposition des Nebeneinander zu volksmusikalischer Schunkelei verkommt, ist mit Theater nicht mehr über das Wichtigste überhaupt nachzudenken. Über Gesellschaft.
Dennoch: Der Raum der Gegenwart ist kein dreidimensionaler mehr. Selbst die Physik geht von etwa 26 Raumdimensionen aus. Im Theater und im Drama können wirs uns vielleicht noch nicht einmal so leicht machen und brauchen noch mehr Dimensionen. Weil beim Unterdrücken de Komplexität das Wichtigste unterdrückt würde. Die Komplexität selbst. Und diejenigen, die sie (physisch oder gesellschaftlich) tötet.
Darauf reagieren Theater mit dem, was man postdramatisches Theater genannt hat. Die Lücken im Text, die Brüche und zugleich das scheinbar ungezähmte Chaos versuchen, der Komplexität auf die Spur zu kommen. Ich glaube aber, dass das nicht mehr lange gut gehen wird, dass der Text (der dann nicht mehr Drama aus Mono- und Dialog sondern Polylog sein wird) zurück kommen muss. Denn letztlich ist Ratlosigkeit allein auch nicht Spielplanfüllend.