Auf nachtkritik ist hier gerade zu lesen, dass das Hamburger Thalia Theater vier Positionen des nächsten Spielplans durch das Publikum bestimmen lassen will. Das klingt interessant — hat aber den einen oder anderen Pferdefuß, den es im Auge zu behalten gibt, der zugleich einige empirische Hinweise auf die Fallstricke der organisierten Partizipation geben.
Zunähst: Die Beteiligung findet offenbar im Wege der Vorschlagseinreichung per Mail oder Brief an das Theater statt. Das heißt: Das Theater sammelt einen Haufen an Ideen. So weit, so fein. Ob dabei sehr viel auftauchen wird, das den Dramaturgen nicht selbst eingefallen wäre, sei dahin gestellt. Der zweite chritt scheint dann eine Urnenwahl im haus zu sin. Damit will man offenbar sicherstellen, dass nur tatsächliches Publikum, und nicht etwa Kids aus Irgendwo die Wahl bestimmen. Zudem behält sich die Dramaturgie vor, besonders wichtige oder interessante Vorschläge direkt auszuwählen — nunja, Demokratie kann man sich auch einfach machen.
Die Probleme dabei
Zunächst ist natürlich der Vorwahlprozess etwas intransparent, da die Vorschläge offenbar einer Prüfung unterzogen werden (wie der Hinweis auf Direktauswahl interessanter Vorschläg nahe legt). Aber das ist vielleicht das kleinere Problem — glauben wir der Dramaturgie doch durchaus, dass die Veranstaltung fair abläuft.
Das eigentliche Problem ist ein anderes: Zu erwarten ist, dass eine große Zahl von Vorschlägen, die im zweiten Wahlgang an den Urnen abgestimmt werden sollen, den Zuschauern nicht bekannt sind. Die Zahl der Menschen, die Theaterstücke lesen, ist insgesamt eher gering (neue Stücke sind für das breite Publikum nicht greifbar, da von Theaterverlagen nur Theatern verfügbar gemacht). Zugleich ist die Schnittmenge des bekannten vermutlich relativ klein und auf Klassiker fokussiert, die in der Schule gelesen und landauf-landab gespielt werden. Die üblichen Verdächtigen eben: Schiller, Goethe, Brecht, Kleist, Lessing, Müller, Strauß … und so weiter.
Wenn nun die Urnengänger also abstimmen sollen, haben sie die Wahl zwischen gänzlich Unbekanntem und einigermaßen Vertrautem oder doch zumindet als “wichtig” oder “toll” Bekanntem. Und sie haben vermutlich wenig Gelegenheit, sich vertraut zu machen mit vorgeschlagenem Unbekanntem. Es ist also zu erwarten, dass die Chance der Klassiker unverhältnismäßig hoch ist. Und von denen auch wiederum die “bekannten” Werke.
Was könnte man anders machen?
Vermutlich dem Problem geschuldet, dass man streng regionale Wahlteilnehmer haben will, hat man darauf verzichtet, das Web als kommunikative Plattform einzusetzen. Dort hätte die Möglichkeit bestanden, dass die Vorschlagenden nicht nur einen Titel einreichen, sondern ein “Plädoyer” hinzufügen (und ggf. auch Textauszüge verlinken), die ihren Vorschlag mit einer Begründung und damit einer wachsenden und profunderen Betrachtung versehen. Zusätzliche simpe Like-/Voting-Mechanismen hätten zu einer Vorauswahl geführt, der sich dann eine Jury hätte widmen und eine Vorschlagsliste erarbeiten können. Solche Zwischen-Jurierungen machen aus vielerlei Gründen Sinn, wie zuletzt das Beispiel der crowd-gesourcten Pril-Flasche (hier und hier) gezeigt haben.
Es bestünde die Chance, auf einer solchen Plattform, interessierte Theaterfans zu versammeln und ins Gespräch zu verwickeln. Es hätte die Möglichkit bestanden, tatsächlich auch zu überraschenderen Vorschlägen oder Wahlergebnissen zu kommen.Trotzdem ist die Initiative natürlich zu begrüßen — und mit Spannung zu erwarten, was dabei rauskommt und was das Theater in der darauf folgenden Spielzeit macht.
Vielleicht wird ja dann auch irgendwann, wie hier von mir schon lange vorgeschlagen, den Intendanten vom Publikum wählen zu lassen …