Der Artikel, da sehr lang, hier als PDF.
Inspiriert von Thomas Strobls von mir mit Spaß und Interesse gelesenen Schulden-Buch, möchte ich meinen Gedanken, dass eventuell die traditionelle (nicht nur die klassische) ökonomische Lehre auf den Müllhaufen der Geschichte gehören könnte, weiter denken. Im Innersten von Strobls Ausführungen sitzt nicht nur – wie zuletzt bemerkt – der Gedanke der Produktionsindustrie, sondern auch der Gedanke des Eigentums an Sachen. Der Industrielle erwirbt Maschinen, Anlagen, Gebäude als illiquides Kapital, um damit höhere Gewinne zu erwirtschaften. Diese Gewinnaussicht rechtfertig den Einsatz liquider Geldmittel auch unter Eibeziehung von Schulden. Liegt der erwartete Gewinn bzw. das Umsatzplus höher als die Zinssumme, ist die Verschuldung gerechtfertigt. Es sei, so Strobl, eine Anleihe aus der Zukunft, mit der heute schon Umsatzgewinne erwirtschaftet werden können. Und nur durch solche Anleihen kann Wachstum entstehen.
Vom Ingenieur-Entrepreneur zum Manager
Bereits im letzten Posting hatte ich dem entgegen gesetzt, dass die investierende Produktionswirtschaft zunehmend abgelöst wird durch eine mietende oder leasende Servicewirtschaft – verkörpert in den Tätigkeiten der Nutte und des Managers in dem Film Pretty Woman. Das Produkt des Managers ist nicht das Produkt, das die Firma vertreibt, die er leitet. Sei Ziel sind nicht bessere Produkte. Das Produkt des Managers ist die Bilanz. Er wird an dieser Vorgabe, an diesen Zielen und ihrer Erreichung gemessen. Es sei die etwas platte typologische Abstraktion erlaubt: Der Unternehmer alter Provenienz ist eher der Ingenieur, der Edison, Benz, Krupp oder Ferdinand Porsche. Seine Geschäftsidee ist ein bestimmtes Produkt, für dessen Verbesserung er sich stark macht. Der Manager hingegen konzentriert sich darauf, was die beste Bilanz bringt. Wenn er dafür das Produkt verbessern muss – tut ers. Wenn er das Produkt verschlechtern muss – tut er auch das. Sein Leitstern ist ein anderer als der des Ingenieurs. Strobl formuliert ähnlich:
Die Identifikation der Manager mit ihren Unternehmen änderte sich: Sie hafteten jetzt nicht mehr als ‚ehrbare Kaufleute‘ mit eigenem Namen und Vermögen, sondern verdienten ihr Geld schlicht als ‚leitende Angestellt‘. […] Das Renditedenken trat in den Vordergrund, einzelne Unternehmen und ganze Gesellschaften wurden ihm unterworfen. Einmal mehr erwies sich der Kapitalismus als äußerst innovationsfähig: Schumpeters legendäre Entrepreneurs zogen den Blaumann aus und verließen ihre Fabrikhallen, um in Nadelstreifen die holzgetäfelten Büros des Geldadels zu erobern. (63f)
Zu Marx‘ Zeiten war der Kapitalist derjenig, der die Produktionsmittel besaß. Maschinen, Anlagen, Strukturen, Rohstoffe usw. Heute ist der Kapitalist der Bankmanager. Er besitzt gar nichts. Er ist beauftragt, ihm zur Verfügung gestellte Kapitalwerte so einzusetzen, dass am Ende die Bilanz besser wird als im Vorjahr.
Dasselbe gilt natürlich für Managervorstände in produzierenden oder dienstleistenden Unternehmen. Hier lautet der Auftrag, den „Besitzern“ (Aktionären) per Bilanz höhere Aktienkurse und Dividenden zu produzieren. Er besitzt die Produktionsmittel nicht. Er verwaltet d.h. managt das Kapital. Er ist gemietet wie das Haus, in dem die Bank sitzt.
Das System der Mietarbeiter
Der Manager war – Boltanski/Chiapello beschreiben diesen Übergang, der sich bereits seit den Nachkriegsjahren mit wachsender Geschwindigkeit vollzieht – allerdings nur der erste Schritt. Die Entwicklung vom Mitarbeiter zum Mietarbeiter ist die konsequente Weiterentwicklung. War dem Ingenieur die Stammbelegschaft ein wichtiger Besitz (auch wenn er sie vermutlich immer häufiger als lohngierigen Moloch erlebte), betrachtet der Manager die Belegschaft als laufenden Kostenfaktor. Im Rahmen der Bilanz ist die Lohnquote einfach ein Posten unter vielen anderen. Und wie eine Großinvestition die Bilanz eines Jahres hübsch verhageln kann (weil sie ja schuldenfinanziert ein Loch in die liquiden Mittel reißt) und entsprechend die Miete oder Leasing für ihn sinnvoller ist, dass hier laufende Leasingkosten gegen laufende (Mehr)Einnahmen gerechnet werden können, ist auch die Stammbelegschaft als zumeist unflexibler Kostenblock eine Belastung, die durch sogenannte Flexibilisierung, d.h. den Übergang von der Stammbelegschaft zur Leiharbeit (jenseits der unabdingbaren Kernbelegschaft), in eine Kosten-Ertrags-Rechnung überführt werden kann. Die gesamte Flexibilisierungs- und Leiharbeitsdebatte, die der tatsächlichen Leiharbeiterquote voraus läuft, deutet klar in diese Richtung- Egal ob es sich um den produzierenden Sektor oder die Dienstleistungsbranche handelt: Der Mietarbeiter liegt im Trend. Und die ebenfalls von Boltanski/Chiapello luzide beschriebe Wandlung hin zur projektbasierten Netzwerkökonomie wird diesen Trend in gewaltiger Geschwindigkeit realisieren.
Im Mietverhältnis tritt eine dritte Komponente des Besitzes in den Vordergrund: das vollgültige, aber befristete Nutzungsrecht. In einer vernetzten Welt muss man dieser und nur dieser Komponente seine ganze Aufmerksamkeit widmen. Anstatt sich als Eigentümer von seinem Eigentum vereinnahmen zu lassen oder als Vorstand von Objekten, für deren Reproduktion man verantwortlich ist, abhängig zu sein, bietet sich eine andere Möglichkeit. Vorrang haben hier Leih- und Mietobjekte, über die man nach Gutdünken verfügt, solange man sie eben braucht.
So wird aus dem Besitzverhältnis der Gegenstände mit dem Nutzungsrecht diejenige Komponente isoliert, die dem Wesenszug der projketbasierten Polis entspricht, ohne die Zwänge von Besitz oder Macht zu beinhalten. Jemand, der sich an eine vernetzte Welt angepasst hat, wird somit z.B. lieber Leihwagen mieten bzw. eine Mietwohnung als Hauptwohnsitz haben wollen, weil er häufig wird umziehen müssen.
Gerade in diesem Punkt unterscheidet sich der schwerelose Mensch der projektbasierten Polis von der traditionellen Figur des Bourgeois, der in den Karikaturen immer mit fettem Bauch dargestellt wird und den man sich stets schwerfällig und beleibt vorstellt. Das Mietverhältnis ist die Form, die dem Projekt, der Montage für eine befristete Tätigkeit entspricht.
Da die fruchtbaren Projekte nämlich nur schwer vorherzusehen sind, lässt sich nämlich die Art des eventuell nötigen Besitzes auch nur schwer im Voraus planen. Deswegen ist es vernünftig, dem eigentlichen Besitzverhältnis einen leichten und befristeten Zugang zu entliehenen Ressourcen vorzuziehen, die in dem Rahmen eines Projekts benutzt bzw. ausgegeben werden, während man sich so eine hinreichende Flexibilität bewahrt, um sie gegebenenfalls zu erneuern.
Diese Art des Besitzverhältnisses ist aber nicht allein auf die gegenständliche Welt beschränkt. Sie trifft genauso gut auf den Informationsbereich zu, wo die optimale Strategie darin besteht, diejenigen Elemente zu entleihen, die sich in neue Strukturen einfügen lassen, ohne deswegen das Gesamtwerk, dem sie entnommen sind, exklusiv zu erwerben. In gewisser Hinsicht kann das Urheberrecht als Leihvertrag betrachtet werden. Boltanski/Chiapello 207)
Die Freiberufler der „Digitalen Bohème“ sind die Avantgarde einer solchen (prekären) Arbeitnehmerschaft. Angesichts dieser Arbeitsverhältnisse stellt sich die Frage, ob es nicht grundsätzlich sinnvoller ist, den postindustriellen Arbeitnehmer (selbst wenn er noch als Leiharbeiter in der Industrieproduktion tätig ist) als Dienstleister zu betrachten und sich damit komplett von der Korrelation der geleiteten Arbeit mit dem produzierten Wert zu trennen. Der dienstleistende Mietarbeiter leistet keinen Beitrag zum Mehrwert – sondern zur Bilanz.
Vom Eigentum zur Miete
Die Firmenchefs sind gemietet. Die Mitarbeiter werden zunehmend zu Mietarbeitern. Das Produkt der Unternehmen wird zu einer bloßen Randbedingung für die Bilanz. Nun ist, um die Sache rund zu machen, trotzdem erneut die Frage nach der Schuld und der Investition zu stellen. Ist es nicht noch immer so, dass die heutige Investition, die durch Kredite finanziert wird, das Wachstum von morgen und übermorgen sicherstellt? Dass dieses Wachstum selbst wiederum dazu führt, dass die Kredite abgetragen werden können? Ich glaube – nein. Und zwar weil die transitiven Investitionen zugunsten der intransitiven Investitionen, die schlichte Kaptalumwandlung von liquiden in illiquide Mittel beinhaltet, voran schreitet. Keine Ahnung, ob es solche Begriffe bereits in der Ökonomie gibt. Ich könnte genauso gut sagen: Die Produzenten schaffen keine Produktionsmittel mehr an, sondern sie werden sie – wo immer es geht – mieten und leasen. Und die Eigentümer der Produktionsmittel produzieren mit diesen Produktionsmitteln nichts mehr, sondern sie besitzen und vermieten sie. Sie produzieren – wenn überhaupt – Geld damit. Eigentum an und Arbeit mit den Produktionsmitteln fallen auseinander.
Transitives und intransitives Kapital
Strobl führt am Beispiel des Wohneigentums den Unterschied zwischen Kauf und Neubau aus. Er könne, schreibt er, seine Mietsache aufgeben zugunsten eines Wohneigentums, das er entweder erwirbt oder selbst bauen lässt. Lässt er es bauen, schafft er damit Arbeit. Kauft er nur, schafft er damit nichts.
Ich würde dieses Beispiel gerne ausbauen. Nehmen wir also Miete, Neubau, Kauf. Und zwar nicht im privaten sondern im wirtschaftlichen Bereich. Ich will eine Firma eröffnen. Miete ich Räumlichkeiten, baue ich oder kaufe ich? Die beiden letzteren Alternativen scheinen Investitionen zu sein Schließlich muss ich jetzt bezahlen, um hinterher die Räumlichkeiten zu bekommen. Das wäre aber zu kurz gedacht. Wenn man nicht zwischen transitivem und intransitivem Kapital unterscheidet, sieht man den Unterschied nicht.
Strobls Eigenheim wäre die Wandlung von Geld in Wohneigentum. Er kauft die Wohnung um ihrer selbst willen – um darin zu wohnen. Damit schafft er keinen Mehrwert, er setzt die Wohnung also nicht als Produktionsmittel ein. Vielmehr wandelt er nur zwei Kapitalarten ineinander um: Das liquide Geld in illiquiden Raum. Nun könnte man sagen: Er investiert doch und verschuldet sich. Tut er nicht. Betrachten wirs so: Strobel bringt mit seinem Versprechen, aus seinen zukünftigen Einnahmen einen gewissen Wohnkostenbetrag an eine Bank abzuführen, diese Bank dazu, ein Haus zu bauen. Dieses gehört ihr (steht garantiert im Hypothekenbrief). Anders als bei anderen Mietsachen geht hier aber durch die Zahlung allmählich das Eigentum von der Bank an Strobl über. Die Bank verdient Geld damit, dass sie die Mietsache an Strobl „verleast“ und am Ende in sein Eigentum übergibt.
Strobl könnte aber auch eine Firma gründen, die in diesen Räumlichkeiten etwa Bremsfußhebel für ein Automobilunternehmen herstellt. Dann wäre der Raum potenziell ein transitives liquides Kapital. Es wäre ein Mittel zur Herstellung von Bremsfußhebeln. Sein Zweck ist, diese Bremsfußhebel produzieren zu können. Und die Räumlichkeiten werden aus dem Einnahmen der Bremsfußhebel bezahlt. Das ist das Kreditmodell. Man könnte auch hier sagen: Die Räumlichkeiten gehören der Bank, die keine Bremsfußhebel sondern Geld produziert. Und nur indem Strobl aus seinen Einnahmen das Interesse an Geld befriedigt, wie andere Unternehmen bei Strobl ihren Bedarf an Bremsfußhebeln befriedigen, kann die Bank ihr Geldbilanzproduktion aufrecht erhalten.
Ist die Wohnung nur als Wohnung interessant, ist sie intransitiv. Es gibt keinen inhärenten ökonomischen Zweck, dem sie als Mittel zur Verfügung steht. Es handelt sich dann einfach um die Umwandlung von Gespartem (das als nur Gespartes vermutlich auch eher intransitiv wirkt) in Eigenes. Zwei Eigentumsarten werden ineinander überführt. Aus Geld, das man bekanntlich nicht mal essen kann, wird Wohnraum.
Ist die Wohnung eine Produktionsanlage, wird sie intransitiv. Sie wirkt als Mittel für die Bremsfußhebelproduktion, dem Mitarbeiter oder der Maschine gleich. Warum aber sollte ein Unternehmer die Wohnung kaufen – wenn er sie doch mieten kann? Dann gibt es zwei Beteiligte: Den Eigentümer der Wohnung, der sein liquides Geldkapital in das (als potenzielle Produktionsanlage) transitive Wohnkapital verwandelt. Die Transitivität entsteht dadurch, dass die Summe der Mieteinnahmen eine interessante Höhe hat. Trotzdem investiert er nicht, weil er ja keine Schulden aufnimmt. Er überführt zwei Kapitalarten ineinander. Oder er nutzt ein der Bank gehöriges Mieteigentum, um es zu vermieten. Dann hat die Bank zwei Kapitalsorten ineinander umgewandelt.
Für Strobls Bremsfußhebelproduktion heißt das: Die Räumlichkeiten gehören ihm nicht (und nie). Sondern er zahlt lediglich aus seinen laufenden Einnahmen einen Betrag an den Vermieter (und der ggf. an die Bank). Wer verschuldet sich jetzt hier? Eigentlich niemand. Die Bank hat statt Geld ein Haus und stellt es dem Vermieter gegen Geld zur Verfügung (erster transitiver Gebrauch). Der Vermieter nutzt das Haus, um es zu vermieten (zweiter transitiver Gebrauch). Strobls Bremsfußhebelproduktion nutzt das Haus als Anlage (dritter transitiver Gebrauch). Aber keine Schulden zu sehen.
Wozu Kredit?
Am Ende läuft es darauf hinaus, dass Wachstum tatsächlich nur noch über Kredite funktioniert. Das heißt: Ein Staat nimmt Schulden auf, pumpt sie (am einen oder anderen Ende) ins Wirtschaftssystem und freut sich am Ende des Jahres, dass die Gesamtwirtschaft mindestens so sehr gewachsen ist, wie die Schuldenlast. Es ist ein spätkreditistisches oder spätkapitalistisches System, das das Wachstum tatsächlich nur noch aus Krediten beziehen kann, die allerdings durch kein Wachstum mehr abgetragen werden können. Die „Ökonomie auf Pump“ (Strobl nach Keynes) wird auf Dauer gestellt. Nur wenn Kredit der einzig mehrwertschaffende Importrohstoff (importiert aus der Zukunft oder der Luft ist), der am Ende nur wieder schaffen soll, was er als Kredit aufgenommen hat – wie soll da Wachstum entstehen? Innovation vielleicht – aber Wachstum?
Man mag die Zinsen so hinunter manipulieren wie man will. Ich einer kurzfristig aufwands-ertragsbasierten Bilanzökonomie investiert niemand. Vielmehr wandeln einige Kapitalinhaber ihr transitives Geldkapital um in illiquides Kapital (Häuser, Maschinen, Fahrzeuge usw.), das zar transitiv sein soll, aber nicht im Sinne eines Produktionsmittels. Der Fuhrparkbesitzer verdient nichts, indem er die Fahrzeuge bestimmungsgemäß einsetzt. Er verdient, indem er sie vermietet. Ebenso wie der Leiharbeitsunternehmer, der 100, 200 oder meinetwegen auch 1000 unterschiedliche Berufe in seinem Angebotsportfolio hat. Aber er verdient nicht mit den Produkten, die die Arbeiter herstellen, sondern lediglich mit der Vermietung der Arbeiter. Ein Kredit wäre für ihn komplett schwachsinnig. Zugleich aber sind die Unternehmen, die Leiarbeiter, gemietete Räumlichkeiten und geleaste Maschinen benutzen, gar nicht in der Situation, Kredite aufnehmen zu müssen. Denn die Lohn‑, Miet- und Leasingkosten müssen aus den laufenden Einnahmen bestritten werden.
Bilanz
Der Manager ist ein Bilanzproduzent, der Geld zu machen hat. Seine Mitarbeiter sind Mietarbeiter, die ebenfalls vornehmlich über den Lohn motiviert werden. Kapitalinvestitionen werden immer überflüssiger, weil es einerseits Kapitalbesitzer gibt, die eine Kapitalart gerne in eine andere Überführen, um letztere zu vermieten. Weil andererseits die Mieter, die damit vielleicht Produzieren oder ihren Dienstleistungsbetrieb möglich machen, keine Kredite benötigen, um die Produktionsmittel anzuschaffen, die sie mieten können. Das Nutzungsrecht und die Miete ersetzen den Arbeitsvertrag und das Eigentum an Produktionsmitteln.
Kann die traditionelle Ökonomie mit einem solchen Modell etwas anfangen? Das ist keine rhetorische Frage. Ich bin interessiert.
Kosequent:
http://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=130833741
Auch nett. Konsequent.