Januar 20th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Die Arbeit der Deutschen — eine Spekulation § permalink
Vielleicht gibt es zu dem Thema bereits Studien, Abhandlungen, Aufsätze, Dissertationen. Vielleicht suche ich danach, wenn Zeit dafür ist. Allemal aber zulässig ist, die zu verifizierende oder zu korrigierende These zu formulieren. Ein Antwortversuch auf die Frage: Warum hat in Deutschland und für die Deutschen die Arbeit einen so eminent moralischen, existenziellen und angstbesetzten Wert?
Das kann keine Angst vor dem biologischen Tod sein. Arbeitslosigkeit in Deutschland bedroht nicht die zoé, das “nackte Leben” von dem Agamben in Homo Sacer handelt. Anders als in Zeiten vor dem zweiten Weltkrieg steht dieses nackte Leben nicht auf dem Spiel. Versicherungen und Sozialfürsorge schützen vor dem Absturz. Verglichen mit den Lebensbedingungen arbeitender Menschen in anderen Teilen der Welt oder auch mit Lebensbedingungen der Geschichte ist der Zustand der Arbeitslosigkeit in Deutschland sicherlich nicht lebensbedrohend. Trotzdem ist die “Angst vor Arbeitslosigkeit” die vermutlich verbreitetste und die Deutschen am ehesten einigende Massenemotion. In diesem Lande lassen sich viele oder alle Vieles oder Alles gefallen — nicht aber die Bedrohung ihrer Arbeitsplätze. Mit dem Argument der Schaffung von Arbeitsplätzen lässt sich nahezu jedes politische Anliegen durchsetzen. Und was oder wer Arbeitsplätze zu bedrohen droht — ist chancenlos.
Natürlich lässt sich auf eine lange historische Tradition referenzieren, die in Deutschland der Wert der Arbeit hoch gehalten und noch gesteigert hat. Seien es religiöse Hintergründe (über die Verquickung von Protestantismus und Arbeit hat Max Weber Einschlägiges gesagt), der philosophische Idealismus der » Read the rest of this entry «
Wir müssen jedem Hartz-IV-Empfänger abverlangen, dass er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertige Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung. Dass er eben nicht bloß zu Hause sitzt.
So blubbern die Altlasten aus dem Schacht Roland. Gegenforderung meinerseits: Denkpflicht für Politiker. Nennen wir also Herrn Koch den Bundesarbeitsdienstminister. Wie wollen wirs machen, Herr Koch? Autobahnen bauen, die kein Mensch braucht? Denn diejenigen, die benötigt werden, werden von Menschen gebaut, die dafür in Lohnverhältnissen stehen (ohne allerdings davon garantiert ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Mindestlohnfrage — Sie wissen, schon …?). Bauen wir eine notwendige Autobahn mit Kocharbeitsdienstlern, werden die Lohnempfänger nichts mehr zu bauen haben und sich hinten in der Hartz IV Schlange anstellen. Natürlich könnten Hartz IV-Empfänger auch — ganz modern — Datenautobahnen bauen. Auch schön. Oder » Read the rest of this entry «
Januar 12th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Wir sind die Wirtschaft § permalink
Mit Luhmann zu sprechen: Stimmt es, dass die Wirtschaft ein Subsystem der gesellschaft ist — oder inzwischen die Gesellschaft ein Subsystem der Wirtschaft. Nämlich der nicht-produktive zeitliche (Feierabend, Rente, Krankheit), menschliche (Arbeitslose, Rentner) usw. Überschuss, der aus dem Gesamtsystem Wirtschaft herausragt wie das Bein eines Schlafenden aus dem Bett? Hat also das System Wirtschaft sich das System Gesellschaft einverleibt — und lässt nur noch ein Bein heraushängen? Dann ist wiederum an Brecht orientiert die Frage:
Wer aber ist die <Wirtschaft>?
Sitzt sie in einem Haus mit Telefonen?
Sind ihre Gedanken geheim, ihre Entschlüsse unbekannt?
Wer ist sie?
Wir sind sie.
Du und ich und ihr — wir alle.
Wenn es so ist, dass die Gesellschaft ein Subsystem der Wirtschaft ist, die Mitglieder des Subsystems Gesellschaft zugleich Träger des Systems Wirtschaft sind — dann führt die Veränderung der Mitglieder der Gesellschaft auch zu einer Veränderung des Systems Wirtschaft.
Hm.
Oder nicht?
Die Frage ist eben deswegen nicht irrelevant, weil etwa die Verkürzung der Ursachen der sogenannten Finanzkrise auf die “Gier einiger Banker” zu kurz greift. » Read the rest of this entry «
Zugegebenermaßen — hätte mich jemand vor einigen Tagen gefragt, was ich von Meinhard Miegel halte, hätte ich vermutlich ihn und Hans-Werner Unsinn in einen Topf geworfen und behauptet, von solchen Hochnotgestrigkeiten hielte ich nicht nur nichts sondern stünde ihnen diametral gegenüber. Nun bin ich zufällig im TV (dass es das noch gibt …) beim Zappen (dass es das noch gibt) über Monitor (dass es das noch gibt) und einen interessanten wirtschaftskritischen Beitrag (dass es das noch gibt) gestolpert (hier der Inhalt als PDF), in der sich Herr Miegel darüber verbreitete, wie dümmlich das Festhalten an der Wachstumsideologie und daraus abgeleiteten Wachstumbeschleunigungsgesetzen sein.
Hm.
Nun ist in Zeiten wie den Gegenwärtigen nicht unbedingt erkennbar, welches Interesse dahinter steckt, zumal die Vertreter der “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” (und hier das kritische INSM-Watchblog)eher nicht zu den fortschrittlich und unkonventionell denkenden Zeitgenossen zählen. Will er damit die Bürger daran gewönen, dass es kein Lohn‑, Gehalts‑, Rentensteigerungen mehr gibt? Dass alles schlechter wird für die, denen es sowieso schon schlechter geht? Oder denkt da jemand tatsächlich nach? Dann bin ich über dieses Interview in der FAZ (oha …) gestolpert. Und noch etwas nachhaltiger irritiert.
Ich erlaube mir, einige Zitate aus diesem Interview:
Zurzeit sind wir eine völlig durchmonetarisierte, auf Wachstum fokussierte Gesellschaft. Alles andere ist dem untergeordnet. Zum Teil hat das beinahe manische Züge angenommen, zum Beispiel wenn die Familienministerin sinngemäß erklärt, eine nachhaltige Familienpolitik stärke das wirtschaftliche Wachstum und steigere die dringend benötigten » Read the rest of this entry «
Januar 3rd, 2010 § Kommentare deaktiviert für Bestandsaufnahmen des Unbeständigen § permalink
Gestern abend hab ich mit meiner Schwester telefoniert und versuchte darzuelegen, wie fundamental der Wandel der Lebensverhältnisse momentan sei, auf den zu reagieren ich von Theatern erwarte. Politischen Wandel, veränderte Arbeitswelt. Auf die Schnelle wollte mir kein konsistenter Vortrag gelingen, deswegen versuch ichs jetzt in Ruhe:
Die digitale Vernetzung
Durch Facebokk (nach Mitgliedern gezählt wäre Facebook inzwichen das viertgrößte Land der Welt!), Twitter, Blogs, Communities werden Machtverhältnisse verändert. Die Menschen schaffen sich freie Informations- und Austauschwege, die sowohl staatlicher wie auch unternehmerischer Kontrolle nicht mehr völlig unterliegen. Niemals in der Geschichte was es besser möglich, sich frei mit beliebig vielen Menschen auszutauschen. Da dieser Austausch aber in einem unendlich speicherbaren Raum stattfindet, entstehen daraus zugleich massive Bedrohungen, die mit der Nutzung und Auswertung dieser Daten zu tun haben. Niemals war es nämlich in gleicher Weise wie heute möglich, durch automatisierte Verfahren Beziehungs‑, Denk- und Bewegungsprofile von Menschen herzustellen. Eine gigantische Utopie und zugleich eine riesige Bedrohung. Dzu wurde auf diesem Blog schon einiges an Links angeboten. Nun noch hier die Fortsetzung der Schirrmacher-Debatte: Absaufen in der Informationsflut. Lesenswert. Bedenkenswert. Und für alle, die es noch nicht kennen DAS Video zum Thema Social Media Revolution.
November 23rd, 2009 § Kommentare deaktiviert für Der Heilligenschrein der Gesellschaft § permalink
… ist das Theater. Dochdoch. Natürlich. Nicht wirklich überraschend? Dennoch. Dennoch. Wo kann Gesellschaft entstehen? Wo sich in Versammlung konstituieren? In der politischen Demonstration auf der Straße? Sicherlich. Aber das setzt bereits vorab konstituiertes Gemeinsames voraus. Ein gemeinsames Anliegen etwa. Und eine Gesellschaft wird nicht nur durch ein Anliegen Gesellschaft. Die gesellschaftliche Autopoiesis setzt keinen Rekurs auf eine oder von einer gemeinsamen Sache voraus. Kann sie nicht. Sie zerfiele, wäre die Sache erreicht. Oder geschwunden. (Müsste man jetzt auf Tönnies Gemeinschaft und Gesellschaft referenzieren? Weiß ich nicht.)
Konstituiert sich Gesellschaftlichkeit in der Menge und als Erfahrung von Gemeinschaftlichkeit im Fußballstadion? In der Kirche? Beides scheinen die letztverbliebenen Orte einer Entstehung von Gemeinde zu sein. Gläubige oder Fans. Anhänger und Schlachtenbummler. Jeder erscheint zu seinem Dienst regelmäßig. Und ist auch in der Ferne doch irgendwie mental dabei. Nicht nur Identität wird gestiftet. Sondern eben auch Gemeinschaft. Aber ist das eine Gemeinschaftlichkeit, die auf das Politische blicken kann? Fußball ist dezidiert außerpolitisch. Und Religion und Kirche sind viel zu individualistisch auf das egoistische Seelenheil des Einzelnen fixiert (Nietzsche schon witterte » Read the rest of this entry «
November 23rd, 2009 § Kommentare deaktiviert für Digitale Disruption 3 — Schwinden der Arbeit § permalink
„Lothar Späth und der frühere McKinsey-Manager Herbert A. Henzler haben im Jahr 1993 eine Berechnung angestellt: Was würde passieren, schöpfte man das technisch machbare Automationspotenzial in der Bundesrepublik voll aus? Die Antwort: Eine Arbeitslosigkeit von 38 Prozent wäre normal. Eindrucksvoll bestätigte eine weitere Studie der Universtität Würzburg im Jahr 1998 die Annahme der Autoren: Allein im Bankensektor liegt das Automationspotenzial bei mehr als 60 Prozent, im Handel immer noch bei mehr als der Hälfte des gegenwärtigen Beschäftigungsstands. In diesen und vielen anderen Sektoren ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Potenziale ausgenutzt werden.“ ) BrandEins 07/2005: Der Lohn der Angst)
Gesetzt den Fall es sei so. Gesetzt den Fall Späth, Rifkin und der Bericht der Bayerisch-Sächsischen Zukunftskommission hätten recht. Gesetzt den Fall, die Arbeit im klassischen Sinne käme an ein Ende. Wie soll die Finanzierung der Gemeinschaft und jedes Einzelnen gesichert werden, die als nahezu gottgebene Selbstverständlichkeit von der Arbeit abhängig betrachtet wird? Dabei ist nicht vom Ende des Reichtums die Rede — nur vom Ende der Arbeit. Wo sind die politischen Rezepte, die glaubhafte Lösungen erarbeiten? Das Herunterschrauben der Niedriglöhne bis eine Vollzeittätigkeit staatlicher Zuschüssen bedarf, um als Lebensunterhalt zu genügen, ist diese Lösung nicht. Sie färbt lediglich Arbeitslosenstatistiken schön. Das bestehende Wirtschaftssystem kommt mit weniger menschlicher Arbeitskraft aus, als zur Verfügung steht. Wohin also mit diesen “Überflüssigen”. Aus Wirtschaftssicht handelt es sich um Überflüssige, die » Read the rest of this entry «
November 22nd, 2009 § Kommentare deaktiviert für Digitale Disruption § permalink
Um den Epochenwandel zu beschreiben, in dem wir uns befinden, ist der Begriff der Digitalen Disruption wunderbar brauchbar. Er lässt die Frage nach Evolution oder Revolution nicht nur offen – er überspringt sie. Denn die Verhältnisse sind tatsächlich mehr als revolutionär. Sie sind disruptiv. Wie eine Eisscholle, die auseinanderbricht und deren beide Teile in unterschiedliche Richtungen davon treiben. Nicht um jemand damit Angst zu machen, die untergehende Restscholle spaltet immer neue Teile ab, die in die rettenden Regionen abtreiben. Zugleich spalten sich von den eigentlich rettenden Teilen immer wieder solche ab, die in den Untergang sich aufmachen. Das Bild sollte einfach sein, wird kompliziert. Was will es sagen: Zwischen Netzwelt und Nichtnetzwelt gibt es einen Bruch. Einen tiefen Bruch, Zwischen Generationen. Zwischen Unternehmensmodellen und Wirtschaftssystemen. Zwischen Staatsformen. Zwischen Lebens- und Arbeitsformen. Das Neue und das Alte ähneln einander nicht. Das Neue ist keine Form des Alten. Es ist ganz anders. Und das macht es schwer, die erkämpften Standards hochzuhalten und anzubringen, wo sich ihre Anwendbarkeit verunklart. Ist der Selbständige und Freiberufler » Read the rest of this entry «
November 15th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Wirtschaftsdämmerung § permalink
Nehmen wir an, das grundsätzlich stabile Wirtschaftssystem werde nicht ab und an durch Krisen erschüttert. Sondern das grundsätzlich instabile Wirtschafssystem werde lediglich zeitweise durch pausenhafte Momente der Ruhe charakterisiert. Die selektive und grundsätzlich positive Wahrnehmung der Menschen führe lediglich dazu, die stabilen Zwischenzeiten fälschlich für eine Basis zu halten.
Die Schwierigkeit besteht darin, den Beginn der gegenwärtigen Krisen zu finden. Nicht nur aus geschichtsphilosophischer Schwäche des Blicks. Finanzkrise alias Old Economy Krise. Davor die New Economy Krise alias Börsenkrise. Davor die Rationalisierungskrisen, Ölkrisen, Japankrise, Fernostkrise. Gibt es irgendwo im Netz vielleicht eine Aufstellung der Krisen? Ich behaupte: Sie fügen sich fast bruchlos aneinander bis hin zur Erfindung der Dampfmaschine, Eisenbahn usw. Die Wirtschaftskrise und damit die Krise der Arbeit und Arbeitslosigkeit ist 200 Jahre alt.
Unterbrochen wird diese Krise nur durch die Kriege und ihre Zerstörungen – inklusive der darauf folgenden Wiederaufbauphasen, die in ihrer letzten Phase zu einer Reichtumspause führen. Heißt: Wenn alles aufgebaut ist und die Routine dazu führt, dass trotzdem wie blöde weiter geschuftet wird – führt dies zu einer Phase des großen Wohlstands. Deutschland in den 60er/70er Jahren. Danach gibs schon wieder abwärts. Und diese Abwärtsbewegung hält an und setzt sich fort. Geschichtsphilosophisch betrachtet.
November 12th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Arbeit oder Muße — die Frage nach dem Ziel des Fortschritts § permalink
Seit schriftliche Überlieferungen existieren, tauschen Autoren ihre Meinungen aus darüber, ob es besser sei, ein Leben in Muße zu führen (und dementsprechend Arbeit eher Sklaven gebühre) oder nur Arbeit das Leben sinn- und wertvoll mache. Wert oder Strafe. Die eine Gesellschaft verurteilt ihre Häftlinge zur Zwangsarbeit. Die anderen sperrt sie in Arbeitslosigkeit ein. Bei Otium finden sich wundervolle Zitate dazu. Folgende Frage steht im Raum (und solte auch in den Bühnenraum):
Hat nun der technische Fortschritt das Ziel, die Produktivität der Arbeitskraft zu erhöhen? Oder die Effizienz des Mitteleinsatzes? Soll bei gleicher Arbeit mehr rauskommen – oder dasselbe mit weniger Arbeit erledigt werden. Schafft der technische Fortschritt mehr Freizeit oder mehr Reichtum?
Unsere Gegenwart wird nicht zuletzt durch diesen nicht thematisierten Gegensatz in der Spannung gehalten, die sie zu zerreißen droht. Denn die Mehr-Leistungs- » Read the rest of this entry «