März 3rd, 2010 § Kommentare deaktiviert für Eine Heuschrecke namens EU? § permalink
Gerade auf tagesschau.de gelesen: Die Europäische Kommission will zukünftig ihren Tochterges… verzeihung: Mitgliedsstaaten konkrete Zielvereinbarungen verzeihung: Wachstumsziele vorgeben. Denn wie wir alle wissen sind Oberbehörden naturgegeben schlauer und kompetenter als untere Abteilungen. Die Abteilungsle… Regierungschefs werden zukünftig eng an ihren Generaldir … CEO… Kommissionspräsidenten repor… Bericht erstatten, wie es denn so vorangeht. Ob eine Bonifizierung damit verbunden ist — wer weiß es? Ich erlaube mir, einen Abschnitt aus tagesschau.de zu zitieren:
Um mehr Wirtschaftswachstum zu erreichen, seien messbare und klare Ziele notwendig. Neben den bereits beschlossenen Klimazielen lauten diese: Auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung steigen; derzeit sind es nicht mal zwei Prozent. Der Anteil der Erwerbsfähigen, die einen Arbeitsplatz haben, soll ebenfalls steigen. Im Moment haben nur zwei Drittel der Europäer im Alter zwischen 20 und 64 einen Job. Dieser Anteil soll künftig 75 Prozent erreichen. Außerdem müsse die Zahl der Menschen sinken, die von Armut bedroht sind — und zwar um 20 Millionen. Vor der Wirtschaftskrise waren es 80 Millionen.
Dass es auch weniger Regentage und mehr Sonnenschein zu geben habe um den Tourismus zu fördern, mehr Kinder ohne Helm radfahren müssen, damit die Gesundheitsindustrie angekurbelt wird — davon ist hier nicht die Rede.
Spaß beiseite: Die Operation mit quantitativen Zielvorgaben ist einer wirtschaftswissenschaftlichen Denkweise geschuldet und verpflichtet, die leider die gesamte Krise ausgelöst hat. Nun könnte man ja auf die Idee kommen zu sagen: nutzen wir das wirtschaftliche Anzeizsystem um die auf dieses System getrimmten Meerschweinchen in genau die Richtung zu locken, in die wir sie » Read the rest of this entry «
Februar 23rd, 2010 § Kommentare deaktiviert für Homo Oeconomicus IV § permalink
Im Nachgang zu den letzten Postings zur Wirtschaftswissenschaft: würde der Homo Oeconomicus Arbeit aufnehmen, wenn er auch ohne zu arbeiten leben könnte? Will heißen: kann ein Neoklassiker eigentlich verstehen, dass Menschen arbeiten wollen — jenseits von “Anreizmechanismen”, an die vermutlich nicht einmal mehr Meerschweinchenfreunde glauben. Oder wird der Neoklassiker nicht einräumen müssen, dass eine strikte Arbeitsverweigerung bei gleichzeitigem Hartz IV-Bezug hochgradig rational ist?
Er wird es einfach nicht verstehen. Diese dritte Dimension kommt in seiner zweidimensionalen Welt einfach nicht vor. Vielleicht können wir diesen armen geistig beschränkten Herrschaften ein wenig helfen? Kamerakind Guido, der gestern wieder ganz arg putzig aber erfolglos versuchte, eine erwachsene Stellungnahme zur Frage des Afghanistan-Krieges abzugeben, bedarf der Hilfe. Um zu verstehen, was in seinem fiktionsbasierten Weltbild nicht vorkommt. Dass Menschen Lust (irrational!) zur Arbeit haben können. Würde ein Homo Oeconomicus eigentlich ins Fitnessstudio gehen?
Februar 22nd, 2010 § Kommentare deaktiviert für Das Grundproblem der Wirtschaft(swissenschaft) — Fortsetzung § permalink
Zugegebenermaßen ist das Posting zum Grundproblem von vorgestern etwas instringent und mäandert in der Nähe des argumentativen Ziels herum. Und es ist sicherlich im wissenschaftlichen Sinne weder wasserdicht noch solide argumentiert. Das ist mir zwar peinlich — ich nehme es aber in Kauf, weil hier kein fertifges Buch veröffentlicht wird, sondern die Dinge in Bewegung bleiben können und sollen. Posting um Posting. Trotzdem erfordert eine kurze aber heftige Debatte zu dem Thema, die leider offline geführt wurde und deswegen hier nicht dokumentierbar ist, einige Nachbetrachtungen und Klärungen. Hauptthema dieser Debatte war eine Variante des Sein/Bewusstsein-Problems. Sprich: Ist es zulässig zu behaupten, die verkürzte Sichtweise (ist sie wirklich verkürzt?) der Wirtschaftswissenschaft sei verantwortlich für die sich autonom dünkende und sich in der bekannten Weise ausdifferenzierende und als eigengesetzlich separierende Wirtschaft (also für die Bildung des Subsystems “Wirtschaft”). Oder folgt das wirtschaftswissenschaftlich reflektierende Bewusstsein dem längst separierten Sein des Sektors “Wirtschaft”?
Frage ist ja nicht schlecht — und hat meinerseits mehrere Antworten, die sich ggf. gegenseitig ausschließen (der freudschen kettle logic gleich). Deren erste:
Die Behauptungen sind weder streng wissenschaftlich noch streng historisch. Möglicherweise lassen sich historische Belege dafür finden, dass das ökonomische Denken, das sich vom allgemeinen gesellschaftlichen Denken abspaltet, zeitlich parallel zur Ausbildung eines Wirtschaftssektors beginnt. Vielleicht gar solche Belege, die zeigen, dass das reflektierende Denken die Ausbildung einer sich autonom dünkenden Wirtschaft gefördert haben. Vielleicht aber ist es auch die wachsende Macht der Industrie gewesen, die ein wirtschaftliches Denken befördert haben. Man mag Quesnays Tableau Économique (1758), Smith’s Inquiry (1776) oder Ricardos Principles (1817) als Geburtsstunde ansehen. Ich bin kein studierter Ökonom — nur aus der Ferne betrachtet scheinen mir diese Autoren die Wirtschaft als Funktion oder Kategorie » Read the rest of this entry «
Februar 21st, 2010 § Kommentare deaktiviert für Das Handeln im Postdrama § permalink
Angesichts des gestern geposteten Beitrags über das Grundproblem der Wirtschaft muss natürlich die Frage nach dem Handeln und der Handlung prominent in den Vordergrund rücken. Nicht aus der bloßen Mehrdeutigkeit des Begriss “Handlung” heraus, die zwar im Deutschen ganz eingängig aber in anderen Sprachen kaum in dieser Form zu reproduzieren ist (und damit eher auf sprachlicher denn auf gedanklicher Ebene liegt). Vielmehr kann ein oberflächliches, vulgärpsychologisches oder ‑soziologisches Handlungsmodell nicht länger als Grundlage dienen, das sich noch in vielen dramatischen Grundkonstruktionen findet. Einer der wichtigsten und für die Bühnen drängendste Grundkonflikte der Gegenwart ist genau derjenige zwischen soziologischen und ökonomischen Handlungsmodellen. Diie Theater selbst fallen in den Abgrund zwischen beiden Modellen, wie jeder feststellt, der sich mit den Stellungnahmen der Theater zu den drohenden Etatkürzungen und Hausschließungen beschäftigt. Konfrontiert mit einem ökonomischen Zusammenhang macht es überhaupt keinen Sinn, ein Drama um die gesellschaftlichen Dimensionen von Sinn und Unsinn von Theaterschließungen aufzuführen, wie es der Bühnenerein unternimmt:
Niemand unterschätzt die dramatische wirtschaftliche Lage der Stadt – wie auch der meisten anderen Städte in NRW – doch legt die vom Stadtkämmerer vorgeschlagene Schließung des Schauspielhauses einen Zustand offen, der das Gemeinwesen der Bundesrepublik gefährdet: Die Finanz- und Steuerpolitik insbesondere des Bundes nimmt billigend in » Read the rest of this entry «
Februar 20th, 2010 § § permalink
Im Zuge der sogenannten Finanz- und Wirtschaftskrise wird dem Wirtschaftssystem bzw. seinen führenden Vertretern gerne unverantwortliches, unmoralisches oder gar kriminelles Handeln vorgeworfen. Das mag so angehen — und der daraus resultierende Zwang zur Rechtfertigung etwa der Auto-Chefs vor dem Senat in den USA tut den Wirtschaftsführern sicherlich ganz gut. Allein: Die Wurzeln des Übels liegen woanders. Sie sind in der Absonderung des “Subsystems Wirtschaft” (Luhmann) von der Gesellschaft, in der wissenschaftlich-theoretischen Trennung von “Wirtschaft und Gesellschaft” bzw. in der Trennung von Soziologie, Psychologie und Ökonomie zu sehen.
Die Folge dieser theoretischen Trennung: Die Denker, die sich mit dem Subsystem Wirtschaft auseinandersetzten, konnten eine angemessene und ideale Weise des Umgangs und Handelns definieren. Allein die soziologische, psychologische und ökonomische Begrifflichkeit von “Handeln” in ihrer Differenz ist schon ein deutlicher Hinweis auf die Folgen. Der Wirtschaftswissenschaftliche Begriff von Handeln und Handlung (für dramatische wie postdramatische Überlegungen schwer zu vernachlässigen) setzt extrem restringierte Rahmenbedingungen voraus. Wirtschaftlich definiertes Handeln ist:
“…die wirtschaftliche Tätigkeit des Austauschs von Gütern zwischen Wirtschaftssubjekten auf dem Weg der Güter von der Produktion bis zum Konsum bzw. der Güterverwendung …” (Wikipedia)
Demgegenüber die (auf Weber zurückgehende) soziologische Definition des sozialen Handelns:
Soziales Handeln heißt ein „Handeln“, also ein Tun, Dulden oder Unterlassen, das für den Handelnden (den „Akteur“) subjektiv mit „Sinn“ verbunden ist, welches insofern „sozial“ ist, als es sich auf das Verhalten Anderer bezieht, und daran in seinem Ablauf orientiert.
Polemisch lässt sich bereits hier der Unterschied zwischen Güteraustausch und Sinnproduktion konstatieren. Es wäre aber zu einfach, hier zu schließen. Polemik bringt nicht voran, nicht zu den entzündeten Wurzeln des Übels. Denn die eingeengte Begrifflichkeit wirtschaftlichen Handelns lädt dazu ein, ein » Read the rest of this entry «
Februar 17th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Liebling, ich habe die Wirtschaft geschrumpft § permalink
Ich finde es besser, ein kleines verbrauchsarmes Auto zu fahren.
Ich brauche keine aufwändigen, sondern einen erholsamen Urlaub.
Ich brauche keine teuren, sondern lebliche Möbel.
Ich muss nicht teuer essen, sondern lecker.
Ich habe keine Lust auf mufflige Bankangestellte, erledige alles online.
Ich vergleiche im Internet Preise und kaufe, wos am Günstigsten ist.
Ich weiß, dass Produkte billiger werden, wenn weniger Menschen an der Herstellung beteiligt sind.
Und dass es noch billiger wird, wenn die Wenigen noch weniger Geld bekommen.
Meine Freunde verdienen immer weniger und arbeiten dafür mehr.
Deswegen sind sie gezwungen, günstiger einzukaufen.
Sie vergleichen strenger, sparen eher.
Deswegen werden noch weniger Menschen noch günstiger produzieren müssen.
Bis sie sich weniger Produkte leisten könne, weil auch die Billigsten zu teuer sind.
Dann werden Produkte vom Markt verschwinden.
Und die zugehörigen Produktionsanlagen.
Und die Arbeitsplätze in diesen Anlagen.
Anlagen, die überleben wollen, werden billiger produzieren müssen.
Sie werden technisch die Effizienz steigern und Personalkosten sparen müssen.
Und so sparen, sparen, sparen wir alle.
Und werden davon nicht etwa reicher.
Ist das naiv?
Februar 16th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Bundesphrasenminister Guido § permalink
Zweierlei gilt es nachzutragen. Zunächst der sehr eigentümliche Sozialismus-Begriff des Herrn Westerwelle, der glaubt, Sozialisten seien Typen, die für Nichtstun Lohn zahlen. Putzig. Vielleicht mal ein Zitat, dass gerade der Herr Westerwelle sofort unterschreiben würd:
Die Müßiggänger schiebt beiseite.
Und woher, Herr Westerwelle, mag dieses Zitat sein? Sie könnens selber Googeln. Oder sich von mir sagen lassen, dass es eine Textzeile aus der Internationale ist, dem “weltweit am weitetsten verbreitete[n] Kampflied der sozialistischen Arbeiterbewegung” (Wikipedia).
Dann noch ein kurzer Nachtrag zu der Frage, ob en sich liberal nennender Parteivorsitzender sich die moralische (!) Verurteilung von Menschen erlauben kann, die keine Arbeit haben. Moralische Verurteilung des Genusses ohne Produktivanteil ist der Kern der katholischen Sexualmoral. Sexueller Genuss nur zum Zwecke der Kinderproduktion. Wer nicht (Kinder)produziert, soll auch nicht genießen. Ernstzunehmende Liberalität steht über solch kleinlichen » Read the rest of this entry «
Februar 3rd, 2010 § Kommentare deaktiviert für Wirtschaftskrise? Für Kutschen, nicht für Autos [Updated] § permalink
Wie bereits gelegentlich in diesem Blog bemerkt, halte ich von der Behauptung einer allgemeinen Wirtschaftskrise nichts. Wir sehen ein dramatisches Einbrechen “traditioneller” Industrien — von der Musik- und Medien- bis zur Bank- und Finanz- oder auch zur Stahlbranche -, das insbesondere mit dem rasanten Produktivitätsschub durch den Einsatz von IT-Infrastrukturen und damit einhergehenden Arbeitsplatzstreichungen verbunden ist. Andererseits ist ein Aufblühen von eben den Bereichen zu sehen, die von der IT- und Internet-Revolution profitieren. Dazu aktuell zwei “interessante Zahlen”, die mir gerade über den Weg liefen:
- Siemens kündigt den Abbau von 2.000 Stellen an, nachdem bereits seit 2001 über 80.000 Arbeitsplätze bei Siemens verloren gingen. Der jetzige Abbau betrifft insbesondere die Bereiche Maschinen- und Anlagenbau. (Reuters)
- Yahoo! profitiert überraschend deutlich vom anziehenden Online-Werbegeschäft: Ein Zuwachs von 26% bei der Banerwerbung. Im Schlussquartal verbucht Yahoo! einen Gewinn von 153 Millionen Dollar. (Reuters) Dabei nicht ganz unwichtig: Als Werbeunternehmen ist Yahoo! » Read the rest of this entry «
Februar 1st, 2010 § Kommentare deaktiviert für Restauration und Regression § permalink
Keine Ahnung, wo dieses Posting enden wird. Ein Gedanke nur. Die Frage: Trügt der Eindruck oder befinden wir uns in einer Phase massiver Restauration oder Regression? Findet neben dem “Rückbau” sozialer Standards zugleich eine massive Rückwendung zu schlechten “guten alten Zeiten” statt, der sich entgegenzustellen ist? Verdient also die gegenwärtige Zeit die Diagnose einer soziokulturelen Regressionsphase?
Die Grundströmung I: Sparen
Der herrschende Gedanke des “Sparens und Bewahrens” ist hier im Blog schon angesprochen worden. Energie, Ressourcen, Haushaltsmittel. Was auch immer: Sparen ist in jedem Fall die herrschende Parole der Gegenwart. Ohne jede moralische Wertung. Lediglich Konstatieren einer Rückwärtswendung.
Die Grundströmung II: Umweltschutz
Die grüne Bewegung ist selbstverständlich konservativ. Bewahren und ggf. Wiederherstellung eines verlorenen Naturzustandes. Wiederum keinerlei » Read the rest of this entry «
Januar 21st, 2010 § Kommentare deaktiviert für Das Post-Drama der Arbeitslosigkeit § permalink
Als Nachtrag oder Beitrag zum Thema “niederwertige Arbeit” und Verschiebung der Debatte hin auf die fundamentale politische Dimension im Folgenden ein Auszug aus “Das Politische zurück ins Theater” (Vortrag im Frankfurter Autorentheater 03.Mai 2009). Zur Frage inwiefern Arbeitslosigkeit den politischen Herrschern und (sich-sebst-ver-)Göttern die Stellung in einer Weise rauben könnte, wie es für den christlichen Gott durch das Erdbeben von Lissabon 1755 geschah:
[…] Die politischen Nicht-Götter, die keine Könige sind, stehen kurz und haarscharf vor der Dämmerung. Der Ring der Macht droht ihnen vollends abhanden zu kommen, weil die Geschichte und Erzählung, die sie trägt, schwindet und zwar rapide. Es ist die Erzählung der Arbeit. Ein Glaube, der Anstrengung fordert und dafür gerechte Entlohnung verspricht. Eine diesseitige Religion mit diesseitigem, materiellem Lohn. Oder eben sein Entzug bei Versündigung gegen die Forderungen dieses Glaubens.
Die traditionelle Erzählung von der Arbeit lautet: Iss als Kind brav dein Tellerchen leer, sitz gerade, kippel nicht, pass in der Schule fein auf, sei nicht aufsässig oder frech, lerne und sei strebsam, widersprich den Lehrern nicht, dann wirst du einen » Read the rest of this entry «