Im Marketing spricht man seit Jahren bereits vom „Consumer Empowerment“. Nach berühmten Fällen wie dem Kryptonite-Desaster, Dellfire und Dellhell, Jako vs. Trainer Baade, DaWanda vs. Jack Wolfskin, Greenpeace vs. Nestlé begreifen auch die größten Unternehmen, dass Massenmarketing, wie es in der guten alten Zeit der Mad Men betrieben wurde, um noch nicht bestehende Wünsche mit neuen Produkten zu befriedigen, von einer Produktinnovation die 100.Kopie zu vertreiben, an ein Ende gekommen ist. Einerseits schwinden den Massenmedien die Rezipienten, zersplittern sich diese Kanäle intern extrem. Zum Anderen wird heute jeder einigermaßen vernünftige Mensch jenseits einer Bagatellpreisgrenze zunächst im Internet such nach Bewertung und Meinungen, nach günstigeren Preisen, nach besseren Konkurrenzprodukten. Der Kunde ist am längeren Hebel. Und Unternehmen machen die Erfahrung, dass sie im gesamten Stimmgewirr nur eine einzige Stimme haben – der man, wenn sie traditionell werblich ist, nicht einmal mehr zuhört.
Nun könnte man daraus die Konsequenz ziehen, dass diese Unternehmen ihre Kommunikation umstellen müssten. Das ist viel zu kurz gesprungen. Denn diese Unternehmen haben nicht etwa produziert – und dann Kommunikation betrieben. Sondern das gesamte Endkundenproduktionsmodell war massenförmig. Massenproduktion und Massenkommunikation gehören zusammen. Es galt, Produkte zu erfinden, die eine hinreichende Massenkäuferschaft hatten – und entsprechend lohnend in Massenkommunikationsmitteln kommuniziert werden konnten. Dieses Zeitalter ist das Prêt-a-porter Zeitalter. Convenience-Food. Identische Replikation eines initialen Geschmacksmusters. Das Zeitalter der identischen Einkaufs-Fußgängerzonen. Wenn ich als Douglas im Fernsehen werbe, muss ich dafür sorgen, dass alle mich erreichen können. H+M, Karstadt, Kaufhof, C+A. Das Geschäftsmodell war Massenware, durch Massenkommunikationsmittel verkündet, überall anzubieten.
Der Wechsel hin zum empowered consumer heißt: Übergang vom Prêt-a-porter zum Taylor Made. Individualisierung wird ebenso zunehmend wichtiger wie der Service. Es heißt, den Kunden und Konkurrenzkunden zunächst zuzuhören, wie was und worüber netzöffentlich gesprochen wird. Tendenzen, Wünsche und Trends aufzunehmen. Verstehen, was die Menschen sich wünschen um diese Bedürfnisse zu befriedigen. Das ist ein gänzlich anderer Ansatz als derjenige, der Produkte erfand, sich von der Werbung eine emotionale Begehrensdimension darum herum schnitzen ließ – und durch initiale Produktion des Begehrens dann in zweiter Linie das soeben produzierte Begehren mit dem eigenen Produkt zu verbinden. Ein altes Muster: Erschaffe die Phantasie eines paradiesischen Jenseits und leg zugleich die Beitrittserklärung zur Kirche hin. Dann wird der eine Raucher plötzlich zum Cowboy, der andere ist der clevere Wortwitzliebhaber, der nächste liebt das französische Lebensgefühl der Freiheit. Nichts von alledem hat je mit dem Glimmstängeln zu tun gehabt.
Fazit: Im Zeitalter des empowered consumers reicht es für Unternehmen nicht, ihre Kommunikation anzupassen. Sie müssen zuhören, auf Wünsche, Anregungen, Kritik reagieren (können!) – und ihr Produkt- und Serviceportfolio darauf anpassen können, was die Kunden wollen. Sie sind nicht länger die Jäger sondern die Gejagten.
Vom empowered consumer zum empowered citizen
Nun wird es Zeit, dass auch im Bereich des Politischen die Einsicht ankommt, dass die Massenmediendemokratie an ein Ende gelangt ist. Auch hier gilt es allerdings zu verstehen, dass es nicht eine Demokratie war, die im politischen Bereich arbeitete um dann vor laufenden Kameras ihre Ergebnisse kundzutun. Vielmehr war auch die Massenmediendemokratie in ihrem Innersten Massenkommunikationsförmig. Das ist keine Kritik, sondern zunächst eine Beschreibung.
Unter den Vielen, die den Verfall des Politischen durch die Massenmedien beklagen, möchte ich nur Colin Crouch und sein Buch Postdemokratie herausgreifen, dem ich durchaus Vieles abgewinnen kann. Der selbst aber in einen Medienrant verfällt, als seien „die Medien“ schuld an Politikverdrossenheit oder Politikverfall. Dabei zieht er die interessante Parallele zur Massenwerbung der Massenökonomie. Er behauptet, Politikkommunikation habe sich an der werblichen Kommunikation des Massenproduktionstzeitalters orientiert. Sei dem so. Dann war diese Politik eine Politik in Medien. Eine Politik, die medienförmig war und sein musste. Eine Politik, die nicht mit einem Bein in den Medien stand und mit dem anderen arbeitete. Sondern deren Arbeit vor allem Medienarbeit war. Spätestens seit Vietnam haben Politiker begriffen, dass Medien das Feld des Politischen selbst sind. Einiges dazu hatte ich ja schon in dem hier downloadbaren Aufsatz „Das Politische zurück ins Theater“ geschrieben. Das kann nur missverstehen, wer glaubt, „die Medien“ seien extraterrestrische Beobachter, die anderen Zuschauern Nachrichten aus der Welt bringen, die sie nicht betrifft. Massenmediale Politik ist zunächst Massenpsychologie. Man fragt sich geradezu, wie ein Bismarck wohl Politik betrieben haben mag, der ohne dauernde Interviews und TV-Coverage – ja eigentlich was tat? Politiker sind nur in den Medien. Außerhalb sind sie lediglich arme Würstchen, die Autogramme geben wie Bruce Willis, Daniela Katzenberger, Udo Lindenberg, Claus Kleber. Politik finden in Medien statt – und das politische Leben findet in einem Land namens „Medien“ insgesamt statt. Sind wir nicht alle Meder – gewesen?
Das ändert sich jetzt, das Land Medien wird zu einem neuen Land namens Digitalien. Und plötzlich wird verständlich, was gerade in #s21, in München und Berlin – und vor allem in all den vielen Diskussionen um repräsentative Demokratie und Bürgerbeteiligung in gesellschaftsinteressierten Blogs abgeht. Diese selbst sind zumeist weniger inhaltlich originell (fordern sie doch irgendwelche Volksabstimmungen/-entscheide, die der unternehmerischen MaFo sehr ähnlich sind …) als als Symptom spannend. Netzöffentlich diskutieren nicht-professionelle Beobachter über Gestaltung der Demokratie. Im Rahmen meines s21-Postings hatte ich dazu ja schon genug geschrieben.
Nimmt aber Politik und die politische Diskussion ernst, dass sie längst aus Medien nach Digitalien umgezogen ist, so könnte sie sich an den Einsichten des Marketings bestens orientieren:
- Parteien müssen zu Zuhör-Plattformen werden. Die Partei muss das Zuhören organisieren, personell vor allem.
- Parteien müssen zu Mitrednern werden. Sie müssen Standpunkte zur Diskussion stellen. Sie müssen zeigen, dass innerhalb der Partei eine Vielzahl an Menschen und Meinungen existiert, mir denen unterschiedliche Grundeinstellungen sich verbinden können. Die „Gesamthaltung“ der Partei zu Einzelthemen wird zunehmend unwichtiger werden.
- Die Partei muss zu einer Online-Community werden. Zu einer Gemeinschaft von Freunden und Sympathisanten des (zu schärfenden) Grundwerte- und Grundüberzeugungsprofils.
- Nur in Gemeinschaft mit diesen ihren Communities können Parteien in Zukunft (jenseits der Massenmedien übrigens) Zustimmung und Engagement gewinnen. Ansonsten gehen sie den Bach hinunter. Sie werden verschwinden.
- Die Unterscheidung zwischen „politischem Entscheidungsprozess“ und „Bürgerbeteiligung“ muss kassiert werden. Die Community ist ein fortgesetzter Prozess der Willensbildung. Allerdings ein endlicher Prozess, sofern es um Entscheidungen wie s21 geht. Irgendwann muss das letzte Wort gesagt, der erste Spatenstich getan oder abgesagt sein.
- Agendasetting wird keine Aufgabe der Massenmedien und der PR-Profis der Paretien mehr sein. Worauf sich Kameras richten, ist zukünftig unerheblich. Es werden Dutzende oder Hunderte von Agenden gleichzeitig zu verhandeln sein. Lokale, überregionale, nationale, europäische, internationale. Engagement und Unterstützung wird bestimmen, was auf die Agenda gehört.
- Experten sitzen nicht mehr in den Parteien. Da draußen gibt es weit mehr Expertise, auf die zu hören sich lohnt. Es gibt freiwilliges Engagement, das es unternimmt, Dinge in der tiefsten Eifel herauszufinden, von denen Berlin nie gehört hat. Der Bücher, Zeitschriften, Aufsätze kennt, von denen Berlin nie im Leben gehört hat.
Wenn der Citizen oder Citoyen sich in dieser Form selbst ermündigt und ermutigt an der Demokratie teilzuhaben – tut es den Parteien gut, darauf zu reagieren. Vielleicht sogar dem Staat. Aber vielleicht ist die repräsentative Demokratie nicht so schlecht, wie es gerade schein. Vielleicht muss es einfach nur die repräsentative Demokratie von Digitalien sein, und nicht von Medien. Also ein Umzug von der Medialdemokratie zur Digitaldemokratie.
Disclosure: Ich habe beruflich mit Unternehmen zu tun, die ihre Kommunikation aus dem Zeitalter der Massenmedien in s Netzzeitalter führen müssen und wollen.
Der 23millionste Kommentar zum cluetrain-manifesto?
Verstehst du den Unterschied zwischen Politik und Marketing?
Danke für den Beitrag. Das scheint mir eine gute Sichtweise auf die eigentliche Rolle der politischen Parteien zu sein. Der Artikle 21 im Grundgesetz beginnt mit dem Satz: “Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.” Das heißt, die Willensbildung entsteht beim Volk, und die Parteien dürfen die unterstützen. Das scheint mir aber nicht mehr das Selbstverständnis unserer Parteien zu sein: Bei jeder Wahl-Niederlage hört man den Satz: “Wir haben unsere Politik nicht genügend kommuniziert”. Der umgekehrte Schluss wäre richtig: Wir haben den Wählern nicht genug zugehört.
Also ich stimme voll zu: “Parteien müssen Zuhör-Plattformen werden”. Und das Internet bietet da eine sehr einfache Basis.