Das kleine psychische System – ein Märchen. Teil I

Februar 1st, 2011 Kommentare deaktiviert für Das kleine psychische System – ein Märchen. Teil I

Ein klei­nes psy­chi­sches Sys­tem beschloss eines Tages, sein leben­di­ges Sys­tem in eine wüs­te Ein­öde zu ver­brin­gen. Weit abge­schie­den von allen ande­ren psy­chi­schen Sys­tem. Weit ent­fernt von aller Gesell­schaft. Es woll­te sich in die Situa­ti­on eines Ere­mi­ten bege­ben. Oder glaub­te viel­mehr, das es das woll­te, wäh­rend ver­mut­lich doch eher Es das woll­te. Am Ende waren sie alle drei dort. Das psy­chi­sche Sys­tem, sein Kör­per. Und Es. Das es sich von Es bedroht fühl­te und der Desys­te­ma­ti­sie­rung nicht anheim­fal­len woll­te, ersann es sich diver­se Sta­bi­li­sie­rungs­me­cha­nis­men. Zum Bei­spiel ließ es (das psy­chi­sche Sys­tem also) sei­nen Kör­per Hun­gern, bis er schmerz­te. Oder es setz­te ihn der sen­gen­den Son­ne oder der bei­ßends­ten Käl­te aus. Und durch die Schmer­zen, die es aus sei­ner kör­per­li­chen Umwelt wahr­nahm (wahr­zu­neh­men glaub­te), glaub­te es, sich selbst zu sta­bi­li­sie­ren. Zugleich trat es in eine kom­mu­ni­ka­ti­ve Bezie­hung mit einem ande­ren Sys­tem ein, von dem es sich beob­ach­tet fühl­te. Die­ses Sys­tem nann­te es Gott. Es (also: es) rede­te täg­lich vie­le stun­den mit die­sem ande­ren Sys­tem. Gele­gent­lich hielt es das Sys­tem Gott gar für ein psy­chi­sches, gar ein kör­per­li­ches Sys­tem. Außer dem psy­chi­schen Sys­tem konn­te aller­dings nie­mand ande­res den kör­per­li­chen Gott sehen, noch mit ihm reden oder ihn ver­neh­men. Wie auch – war ja nie­mand ande­res da!

So also sta­bi­li­sier­te sich das psy­chi­sche Sys­tem. Und es tat noch eines mehr. Denn wen es (nicht das psy­chi­sche Sys­tem und auch nicht Es) reg­ne­te und sich klei­ne Was­ser­la­chen bil­de­ten, schau­te es hin­ein und sah ein Gesicht. Das Psy­chi­sche Sys­tem brach­te sei­nen Kör­per dazu, bestimm­te Bewe­gun­gen zu machen und fol­ger­te aus der Tat­sa­che, dass die Form im Was­ser die­se Bewe­gun­gen simul­tan aus­führ­te, dass es sich um sein Spie­gel­bild han­deln müs­se, dass ein Kör­per also sei­nen Befeh­len gehorch­te und es dem­nach exis­tie­ren müs­se. Es (also Es) glaub­te das übri­gens nicht. Was dar­an liegt, das Es nichts glaubt.

Eines Tages segel­te ein Zet­tel her­ab. Woher ist heu­te nicht mehr zu rekon­stru­ie­ren. Das ist auch nicht nötig, schließ­lich han­delt es sich um ein Mär­chen – und im Mär­chen gesche­hen Din­ge, weil das Mär­chen wei­ter­ge­hen muss und nicht unbe­dingt, weil es eine Erklä­rung dafür gibt. Also las das klei­ne psy­chi­sche Sys­tem den Zet­tel. Glück­li­cher­wei­se war er in einer dem psy­chi­schen Sys­tem ver­ständ­li­chen Spra­che geschrie­ben und so konn­te das psy­chi­sche Sys­tem ver­ste­hen, dass der Zet­tel zu einer gro­ßen Ere­mi­ten­ta­gung ein­lud. Es woll­te dahin. Es auch. Der Kör­per war etwas unwil­lig, da sol­cher Art Stra­pa­zen län­ger nicht mehr unter­zo­gen. Schließ­lich mach­ten sie sich aber doch auf die Rei­se. Zu dritt.

Das klei­ne psy­chi­sche Sys­tem trifft ande­re psy­chi­sche Systeme

Die klei­ne Rei­se­grup­pe aus psy­chi­schem Sys­tem, Kör­per und Es (die letzt­lich eins waren – aber das ist eine ganz ande­re Geschich­te) kamen end­lich nach lan­ger, ent­beh­rungs­rei­cher Wan­de­rung an einen rie­sen­gro­ßen Bahn­hof. Mit einer rie­sen­gro­ßen Bahn­hofs­hal­le. Dar­in war­te­ten schon furcht­bar vie­le ande­re Kör­per, ver­mut­lich mit jeweils einem eige­nen psy­chi­schen Sys­tem. Und einem eige­nen Es. Die Hal­le war also sehr sehr voll. Da es sich aber aus­schließ­lich um Ere­mi­ten han­del­te, woll­te kei­ner mit dem ande­ren in Kon­takt, Aus­tausch oder Bezie­hung tre­ten. Sie saßen und stan­den alle her­um, wo eben Platz war, rede­ten aber nicht und ver­mie­den es auch, sich gegen­sei­tig in die Augen zu bli­cken. Eigent­lich ein wenig wie in einer Lon­do­ner Metro­sta­ti­on zur Rush­Hour. Nur dass die hier ver­sam­mel­ten den­sel­ben Beruf bzw. die­sel­be Beru­fung hat­ten: Ere­mit zu sein.

Nun sprach aller­dings doch der eine oder ande­re mit sich selbst oder mit Gott. Bei man­chen sprach auch ein­fach nur Es mit dem psy­chi­schen Sys­tem. Das war den Kör­pern nicht anzu­se­hen. Jeden­falls war die Erwar­tung, aus die­ser ungu­ten Gemenge­la­ge her­aus­zu­kom­men, bei all den rei­sen­den Ere­mi­ten sehr stark vor­han­den. Und der eine oder ande­re rede­te mit sich selbst und beschimpf­te sich dafür, die Rei­se ange­tre­ten zu haben.

Die Ver­schüt­tung

Plötz­lich aber erhob sich ein mäch­ti­ger Wind. Ein gewal­ti­ger Sand­sturm tos­te. Ver­schüt­te­te die nahen­de Bahn un die Glei­se. Ver­schüt­te­te auch den Bahn­hof bis wei­ter über das Dach (wir sind im Mär­chen!). Aus kei­nem Fens­ter war mehr zu sehen, aus kei­ner Tür mehr zu gehen. Kein Tele­fon funk­tio­nier­te mehr. Nichts. In dem Bahn­hof waren die Ere­mi­ten ein­ge­schlos­sen wie eins Pha­rao in der Pyra­mi­de. Und wie es in Mär­chen manch­mal so geht: Es waren weder ande­re, nicht­er­emi­ti­sche Rei­sen­de da, noch Ange­stell­te. Nichts als Ere­mi­ten. Also: psy­chi­sche Sys­te­me in Ere­mi­ten­kör­pern mit Ere­mi­ten-Essen (???).  In Anbe­tracht der Situa­ti­on stell­ten die meis­ten der Ere­mi­ten fest, dass weder durch sin­gu­lä­res Bemü­hen aus der Lage zu kom­men ist, noch auch ein blo­ßes Abwar­ten zur Befrei­ung füh­ren könn­te. Abge­se­hen von eini­gen Ere­mi­ten, denen (ihr) Gott (da ein jeder sei­nen eige­nen zur Anspra­che hat­te, war die Bahn­hofs­hal­le also eigent­lich auch vol­ler Göt­ter …) gera­de ent­we­der sag­te, sie müss­ten sich um Erret­tung nicht sor­gen, oder aber die sei das letz­te Stünd­lein, das Gott ihnen eben so beschie­den habe (als Dank und Aner­ken­nung für die Müh­sal oder als Stra­fe für das Ver­las­sen der Ere­mi­ta­ge) , ent­wi­ckel­te sich in vie­len psy­chi­schen Sys­te­men ernst­haf­te Sor­ge ums Überleben.

Wie mag es wei­ter­ge­hen? War­te auf Teil II. Und bis dahin: Gute Nacht miteinand!

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