Nach einigem Umsehen stellte jedes kleine psychische System fest, dass sein lebendiges System ausweglos gefangen sei. Und so lebte man also etwa 10 Jahre verschüttet vor sich hin. Keiner vermisste die kleinen eremitischen psychischen Systeme. Die Umwelt hatte sie längst schon in der Wüste verloren gegeben. Und die Eremiten selbst dachten nicht im Träume daran, sich mit den anderen Eremiten im Raum zusammen zu tun. Etwa eine eremitische Gesellschaft zu gründen. Oder einen Verein zur Förderung des Eremtitismus. Oder ähnliches. Sie beschlossen vielmehr jeder für sich, sich nicht in kommunikative Akte verwickeln zu lassen. Dafür allerdings regten sich die Esse in den Träumen und trieben die Eremiten dazu, dass ihre psychische Systeme sich doch damit auseinandersetzten, dass da andere lebendige und psychische Systeme seine. Etwa durch eremitische Morgenlatten. Das beobachteten die psychischen Systeme sowohl an den eigenen lebenden Systemen, als auch an den anderen. Aber jenseits der Beobachtung tat sich nicht viel. Eremiten und Eremitinnen blieben brav auseinander, vermieden den direkten Blick. Es richtet sich jeder in einem kleinen Parzellchen ein.
Glücklicherweise waren Wasserleitung und Sanitäranlagen intakt geblieben. Und die Inhalte vielerlei Automaten reichten auch, um die Ernährung sicher zu stellen. Zudem sorgte ein laufender Videorekorder mit Filmen dafür, dass die Eremiten sich nicht viel mehr langweilten als in der Wüste. Die psychischen Systeme lebten nebeneinander her. Nein, falsch: Die lebendigen Systeme lebten nebeneinander her, jedes einzelne psychische System war nur um das eigene lebendige System bemüht. Den Rest ignorierten die, die überhaupt noch ignorieren konnten und nicht schon von ihrem jeweiligen Es völlig eingenommen waren und vegetierten.
Freude an der Beobachtung
Unser kleines psychisches System allerdings fing doch bald an, sich zu langweilen. Und es beschloss zu schauen, was und wie die andern es so treiben. Es wollte sich anschauen, wie sich die Beziehungen entwickeln. So stieg er auf eine Empore, die die gesamte Wartehalle weit überragte. Und es hatte all die anderen Eremiten bestens im Blick. Es beschloss, sich einen Zettel zu nehmen, und jeden Eremiten durch einen Punkt darzustellen. Und jeden Austausch zwischen Eremiten nur als Punkt aufzunehmen.
Es brauchte einige Zeit, bis überhaupt etwas stattfand. Ein Eremit nahm tatsächlich Kontakt zu einem anderen Eremiten auf. Eigentlich eine Eremitin, jedenfalls was das lebende System anging. Aber in diesem weiblichen System lebte ein kleines männliches psychisches System. Wir wolle das nicht weiter ausführen. Es ist ja schließlich Privatsache dieses leinen psychischen Systems. Jedenfalls wurde es kontaktiert. Falsch. Das lebendige System. Nein, auch falsch. Zwischen den beiden Punkten unseres kleinen psychischen Systems konnte jetzt eine kommunikative Linie gezeichnet werden. Das sich die beiden … halt nein. Es kam keine Kommunikation zustande. Denn die beiden Kommunikanten hatten keinen Zugriff auf dasselbe Signifikantenreservoir. Sie sprachen unterschiedliche Sprachen. Und hörten jeweils Geräusche aus den lebenden Systemen kommen – vermochten aber die Information des Senders nicht zu verstehen. Allerdings wurde beiden auch nicht klar, ob der jeweils andere wirklich eine sinnfähige Sprache spröche – oder doch nur aufgrund der langen Einsamkeit und Sonneneinwirkung so verwirrt und verkocht war, dass nurmehr Geräusche seinem Mund entwöchen. Sie redeten. Aneinander vorbei. Aber sie redeten immerhin. Eine Zeitlang. Bis es ihnen zu blöde wurde, sich gegenseitig anzugrunzen. Denn Grunzlaute waren aufgrund ihrer grundlegenden Sinnlosigkeit ebenso geeignet, eine unverständliche Kommunikation zu ermöglichen, wie Signifikantenketten, die jeder für sich sinnvoll fand (mutmaßlich – wer weiß schon, ob es sich um Sprachen handelte). Jedenfalls korrigierte das beobachtende kleine psychische System die Kommunikationslinie durch Schraffierung. Und es beobachtete und beobachtet und beobachtete. Und allmählich bildete sich ein ganzes Netzwerk aus Strichen und Punkten auf seinem Zettelchen.
Was sich da so tat
Im Laufe der zehn Jahre kam es zu weiteren Kommunikationsattacken, die den einen oder anderen Eremiten und die eine oder andere Eremitin befielen. Immer wieder mal kamen Eremiten miteinander dazu, sich zu unverständigen. Es schien tatsächlich keiner die Sprache des Anderen zu sprechen. Unverständnis war das Einzige, was sie sich gegenseitig kommunizierten. Da im Wesentlichen aber sowieso keinerlei Kommunikation nötig war, bestand kein großes Problem. Man lebte nicht miteinander, sondern nebeneinander her. Es war Einsamkeit in Gesellschaft – wie es sich für Eremiten halt so schickt. Nur die Esse trieben dann und wann ihren Schabernack mit ihren psychischen Systemen und lebenden Systemen. Sie machten Träumen und Begierde. Vor allem Begierde nach Anderen. Gelegentlich kam es zu nächtlichen Übergriffen, weil ein Es sein psychisches System dazu brachte, das eigene lebende System zu einem anderen lebenden System zu verfrachten und es gegen die Zustimmung seines psychischen Systems (jedenfalls gegen die kommunizierte) zur Erfüllung seiner lebendigen Begierden zu missbrauchen.
Davon abgesehen kam es aber nicht zum allgemeinen Austausch. Wie Steine in einem Steinbruch waren die Systeme angeordnet. Jedes auf sich beizogen. Aber Kommunikation fand nicht statt. Oder doch? Das kleine beobachtende psychische System war sich nicht ganz sicher. War nicht die Anordnung der Eremiten im Raum schon Kommunikation. War nicht die Halle voller Eremiten eine Gesellschaft? Musste denn unbedingt beobachtbare Kommunikation stattfinden? Konnte es sich um eine bloße Anhäufung (mutmaßlich) psychischer Systeme in lebendigen Systemen handeln, die allesamt ihren Tag damit verbrauchten, auf den Videobildschirm zu starren – und nichts miteinander zu schaffen zu haben? Das beobachtende kleine psychische System war darüber sehr verwirrt.
Wie mag es weitergehen? Warte auf Teil III. Und bis dahin: Gute Nacht miteinand!