Päpste, Huren, Könige, Beamte — Marxens Problem mit der Dienstleistungsarbeit

Juli 12th, 2010 § 4 comments

Ich bin kein Mar­xist. Aber mir scheint Mar­xens Den­ken eines der Frucht­bars­ten zu sein — wenn ich auch glau­be, dass er wesent­li­che, für die Gegen­wart beherr­schend wer­den­de Ver­hält­nis­se igno­riert oder aus­ge­blen­det hat. Das Wich­tigs­te die­ser Fel­der ist das Gebiet der Dienst­leis­tun­gen — zu der die Indus­trie­ge­sell­schaft der Marx-Zeit sich nun­mehr ent­wick­len soll und wird. Dazu fand ich bei Marx eini­ge Pas­sa­gen, die ich im Fol­gen­den weit­ge­hend unkom­men­tiert wie­der­ge­ben will.

War­um? Weil der Wech­sel von der Indus­trie- zur Dienst­leis­tungs­ge­sell­schaft mit einer Art “Imma­te­ria­li­sie­rung” ein­her geht. Bei Marx fin­det die Kon­zen­tra­ti­on auf die soge­nann­te “ver­ge­gen­ständ­lich­te Arbeit” statt, d.h. im Wesent­li­chen eine Arbeit, die einen phy­si­schen Gegen­stand ver­än­dert und sich dar­in “spei­chert” als han­de­le es sich um eine Bat­te­rie, die durch die Arbeits­en­er­gie des Arbei­ters auf­ge­la­den wird. Dar­aus lei­ten sich die Defi­ni­ti­on des Kapi­ta­lis­ten als Besit­zers der Pro­duk­ti­ons­mit­tel, des Genie­ßers des Mehr­werts und des Befehls­ha­bers ab. Wenn nun aber das Werk­stück und die Ver­ge­gen­ständ­li­chung der Arbeit schwin­det, der Auf­trag­ge­ber direkt die Ver­rich­tung des Auf­trag­neh­mers ent­lohnt, sei­ne Diens­te in Anspruch nimmt, ohne dass er für das mate­ri­el­le Geld ein mate­ri­el­les Gut erhält, ver­dre­hen sich die Ver­hält­nis­se. Der Auf­trag­neh­mer kann etwas, das sich der Auf­trag­ge­ber wünscht (als Kun­de) — und ist bereit dafür zu bezah­len. Am Ende der Leis­tung (neh­men wir eine Mas­sa­ge) ist das Bezahl­te weg. Und der Auf­trag­ge­ber muss wie­der­keh­ren, um die Leis­tung erneut in Anspruch zu neh­men. Über das Pro­duk­ti­ons­mit­tel (das Ver­mö­gen, Boltanski/Chiapello wür­den sagen: die Kom­pe­tenz) ver­fügt der Auf­trag­neh­mer, von dem der Auf­trag­ge­ber inso­fern abhän­gi­ger ist als der Kapi­ta­list vom Arbei­ter am Werkstück.

Aus MEW BD. 42 — Öko­no­mi­sche Manu­skrip­te 1857/58(Alle Fet­tun­gen vom mir; Kur­si­vie­run­gen im Original)

Der ein­zi­ge Unter­schied von der ver­ge­gen­ständ­lich­ten Arbeit ist die nicht ver­ge­gen­ständ­lich­te, son­dern sich noch ver­ge­gen­ständ­li­chen­de, die Arbeit als Sub­jek­ti­vi­tät. Oder die ver­ge­gen­ständ­lich­te, d.h. als räum­lich vor­hand­ne Arbeit kann auch als ver­gang­ne Arbeit der zeit­lich vor­hand­nen ent­ge­gen­ge­stellt wer­den. Soweit sie als zeit­lich, als leben­dig vor­han­den sein soll, kann sie nur als leben­di­ges Sub­jekt vor­han­den sein, in dem sie als Fähig­keit exis­tiert, als Mög­lich­keit; als Arbei­ter daher. Der ein­zi­ge Gebrauchs­wert daher, der einen Gegen­satz zum Kapi­tal bil­den kann, ist die Arbeit. {und zwar wert­schaf­fen­de i.e. pro­duk­ti­ve Arbeit. Die­se Neben­be­mer­kung ist vor­weg­ge­nom­men; muß erst ent­wi­ckelt wer­den; by and by. Arbeit als blo­ße Befrie­di­gung von unmit­tel­ba­ren Bedürf­nis­sen hat gar nichts mit dem Kapi­tal zu tun, da es sie nicht sucht. Wenn ein Kapi­ta­list sich Holz hacken läßt, um sein mut­ton zu rös­ten, so ver­hält sich nicht nur der Holz­ha­cker zu ihm, son­dern er zum Holz­ha­cker im Ver­hält­nis des ein­fa­chen Aus­tauschs. Der Holz­ha­cker gibt ihm sei­nen Dienst, einen Gebrauchs­wert, der das Kapi­tal nicht ver­mehrt, son­dern wor­in es sich kon­su­miert, und der Kapi­ta­list gibt ihm eine and­re Ware dafür unter der Form von Geld. So ver­hält es sich mit allen Dienst­leis­tun­gen, die Arbei­ter direkt aus­tau­schen gegen das Geld and­rer Per­so­nen und die von die­sen Per­so­nen kon­su­miert wer­den. Es ist die Kon­sum­ti­on der Revenu, die als sol­che immer in die ein­fa­che Zir­ku­la­ti­on fällt, nicht des Kapi­tals. Indem der eine der Kon­tra­hen­ten dem andern nicht als Kapi­ta­list gegen­über­steht, kann die­se Leis­tung des Die­nen­den nicht unter die Kate­go­rie der pro­duk­ti­ven Arbeit fal­len. Von der Hure bis zum Papst gibt es eine Mas­se sol­chen Gesin­dels. …}

(Marx lei­tet den Dienst­leis­ter vom Skla­ven ab):

Im Skla­ven­ver­hält­nis ist der Arbei­ter nichts als leben­di­ge Arbeits­ma­schi­ne, die daher einen Wert hat für and­re oder viel­mehr ein Wert ist. Das Arbeits­ver­mö­gen erscheint dem frei­en Arbei­ter gegen­über in sei­ner Tota­li­tät selbst als sein Eigen­tum, eins sei­ner Momen­te, über das er als Sub­jekt über­greift und das er erhält, indem er es ver­äu­ßert. […] Aus­tausch ver­ge­gen­ständ­lich­ter Arbeit gegen leben­di­ge Arbeit kon­sti­tu­iert noch nicht weder auf der einen Sei­te das Kapi­tal noch auf der and­ren Sei­te die Lohn­ar­beit. Die gan­ze Klas­se der sog Diens­te vom Schuh­put­zer bis zum König fällt in die­se Kate­go­rie. Eben­so der freie Tag­löh­ner, den wir spo­ra­disch fin­den über­all, wo [… die] Gemein­de sich auf­löst in ein­zel­ne Ele­men­te … [377)

Bei per­sön­li­chen Dienst­leis­tun­gen wird der Gebrauchs­wert als sol­cher kon­su­miert, ohne aus der Form der Bewe­gung in die der Sache über­zu­gehn. […] …selbst gesetzt, A zah­le Geld für den Dienst, so ist dies kei­ne Ver­wand­lung sei­nes Gel­des in Kapi­tal, son­dern viel­mehr Set­zen des­sel­ben als blo­ßen Zir­ku­la­ti­ons­mit­tels, um einen Gegen­stand des Kon­sums, einen bestimm­ten Gebrauchs­wert zu erhal­ten. Die­ser Akt ist daher auch kein Reich­tum pro­du­zie­ren­der, son­dern umge­kehrt Reich­tum kon­su­mie­ren­der Akt. Es han­delt sich für A durch­aus nicht dar­um, daß sich Arbeit als sol­che, eine gewis­se Arbeits­zeit, also Wert , in dem Tuch objek­ti­viert, son­dern daß ein gewis­ses Bedürf­nis befrie­digt wird. A ist nicht ver­wer­tend, son­dern ent­wer­tend sein Geld, indem er [es] aus der Form des Werts in den des Gebrauchs­werts über­setzt.  […] Je öfter A den Aus­tausch wie­der­holt, des­to mehr ver­armt er.  […] Es bedarf kei­ner weit­läu­fi­gen Aus­ein­an­der­set­zung, daß Geld kon­su­mie­ren nicht Geld pro­du­zie­ren ist. (379)

Abge­se­hen von die­ser selt­sam flui­den Form der Arbeit in der Dienst­leis­tung scheint es doch so, dass der Kapi­ta­list durch Dienst­leis­tung .… ent­eig­net wird? Marx schreibt:

In der bür­ger­li­chen Gesell­schaft selbst gehört in die­se Rubrik aller Aus­tausch per­sön­li­cher Dienst­leis­tun­gen — auch Arbeit für per­sön­li­chen Kon­sum, Kochen, Nähen etc., Gar­ten­ar­beit etc., bis hin­auf zu den sämt­li­chen impro­duk­ti­ven Klas­sen, Staats­die­ner, Ärz­te, Advo­ka­ten, Gelehr­te etc. — gegen Revenu in die­se Kate­go­rie. […] Es fällt aber nie­man­dem ein zu den­ken, daß durch Aus­tausch sei­ner Revenu gegen sol­che Dienst­leis­tun­gen, d.h. durch sei­nen Pri­vat­kon­sum, der Kapi­ta­list sich als Kapi­tal setzt. Er ver­aus­gabt viel­mehr dadurch die Früch­te sei­nes Kapi­tals. (380)

Bis hier­her hän­disch abge­schrie­ben vom Buch. Eini­ge wei­te­re Zita­te über­neh­me ich vom Marx-Forum und Trend­par­ti­san (hier und hier)

„Ein Schau­spie­ler z. B. … ist hier­nach ein pro­duk­ti­ver Arbei­ter, wenn er im Dienst eines Kapi­ta­lis­ten … arbei­tet, dem er mehr Arbeit zurück­gibt, als er in der Form des Lohns von ihm erhält, wäh­rend ein Flick­schnei­der, der zu dem Kapi­ta­lis­ten ins Haus kommt und ihm sei­ne Hosen flickt, ihm einen blo­ßen Gebrauchs­wert schafft, ein unpro­duk­ti­ver Arbei­ter ist. Die Arbeit des ers­te­ren tauscht sich gegen Kapi­tal aus, die des zwei­ten gegen Reve­nue (= Kon­sum­aus­ga­ben). Die ers­te­re schafft einen Mehr­wert; in der zwei­ten ver­zehrt sich eine Reve­nue.“ K. Marx, Theo­rien über pro­duk­ti­ve und unpro­duk­ti­ve Arbeit, MEW 26.1, 127.

„Eine Sän­ge­rin, die auf ihre eige­ne Faust ihren Gesang ver­kauft, ist ein unpro­duk­ti­ver Arbei­ter. Aber die­sel­be Sän­ge­rin, von einem Unter­neh­mer enga­giert, der sie sin­gen lässt, um Geld zu machen, ist ein pro­duk­ti­ver Arbei­ter; denn sie pro­du­ziert Kapi­tal.“ K. Marx, Theo­rien über den Mehr­wert I., MEW 26.1, 377.

„End­lich erlaubt die außer­or­dent­lich erhöh­te Pro­duk­tiv­kraft in den Sphä­ren der gro­ßen Indus­trie, beglei­tet, wie sie ist, von inten­siv und exten­siv gestei­ger­ter Aus­beu­tung der Arbeits­kraft in allen übri­gen Pro­duk­ti­ons­sphä­ren, einen stets grö­ße­ren Teil der Arbei­ter­klas­se unpro­duk­tiv zu ver­wen­den …“ K. Marx, Kapi­tal I, MEW 23, 469.

Fin­de ich enorm span­nend, weil sich m.E. gegen­wär­tig nicht nur die Arbeits­pro­zes­se zuneh­mend in die­sem selt­sam “flui­den” Zustand befin­den, aus dem Marx sie ret­ten woll­te — son­dern sich schon bei Marx anzu­deu­ten beginnt, dass die Kon­zen­tra­ti­on auf die ver­ge­gen­ständ­lich­te Arbeit eine künst­li­che Abs­trak­ti­on, der Wer­tä­ti­ge mit sei­ner ver­gen­ständ­li­chen­den Arbeit — eine Rand­er­schei­nung. Denn was genau wür­de den dienst­leis­ten­den Holz­ha­cker vom Werk­tä­ti­gen bzw. Wert-Täti­gen scharf genug tren­nen? Wie gesagt — ich bin kein Mar­xist, fin­de nur an die­ser Fra­ge eine sinn­vol­le Anknüp­fung und ein Befra­gen von mar­xis­ti­schen Kate­go­rien drin­gend notwendig.

Zudem ver­an­lasst es mich, dem­nächst doch noch über die Fra­ge des Urhe­ber­rechts in Zei­ten des Flui­dums oder des Per­for­mats (Kus­anow­sky etwa hier) zu schreiben.

§ 4 Responses to Päpste, Huren, Könige, Beamte — Marxens Problem mit der Dienstleistungsarbeit"

  • Anonymus sagt:

    Solan­ge Kus­anow­sky sei­nen Kom­men­tar­teil so mas­siv zen­siert und Bei­trä­ge ein­fach ablehnt, die ihm nicht in den Kram pas­sen, soll­ten wir tat­säch­lich genau­er über Fra­gen des Urhe­ber­rechts nachdenken.

  • Postdramatiker sagt:

    Kua­now­skys Kom­men­tar-Rou­ti­nen ken­ne ich nicht. Kann ich nichts zu sagen — ist auch nicht The­ma hier. Urhe­ber­recht ist in Arbeit, ich hof­fe, ich kom­me dem­nächst kon­zen­triert dazu.

  • kusanowsky sagt:

    @anonymus Ein guter Troll beschwert sich nicht dar­über, gelöscht zu wer­den, son­dern sorgt dafür, dass ande­re sich selbst löschen. Des­halb bin ich in die­sem Fall der bes­se­re Troll, da es mir gelingt dafür zu sor­gen, dass du dich selbst löscht, z.B. aus der Face­book-Lis­te. Aber post­dra­ma­ti­ker hat Recht. Die­se Dis­kus­si­on gehört hier nicht her.

  • Postdramatiker sagt:

    Na jetzt wirds Marx­pos­tig noch zum Troll­haus… Sind die Trol­le also die Post-Marx’schen Gespens­ter, die im Netz umge­hen? Oder sind sie die Anar­chis­ten? Oder ist der Anar­chist im Netz nicht der, der “nichts” sagt und sonst nichts!

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