Ich bin kein Marxist. Aber mir scheint Marxens Denken eines der Fruchtbarsten zu sein — wenn ich auch glaube, dass er wesentliche, für die Gegenwart beherrschend werdende Verhältnisse ignoriert oder ausgeblendet hat. Das Wichtigste dieser Felder ist das Gebiet der Dienstleistungen — zu der die Industriegesellschaft der Marx-Zeit sich nunmehr entwicklen soll und wird. Dazu fand ich bei Marx einige Passagen, die ich im Folgenden weitgehend unkommentiert wiedergeben will.
Warum? Weil der Wechsel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft mit einer Art “Immaterialisierung” einher geht. Bei Marx findet die Konzentration auf die sogenannte “vergegenständlichte Arbeit” statt, d.h. im Wesentlichen eine Arbeit, die einen physischen Gegenstand verändert und sich darin “speichert” als handele es sich um eine Batterie, die durch die Arbeitsenergie des Arbeiters aufgeladen wird. Daraus leiten sich die Definition des Kapitalisten als Besitzers der Produktionsmittel, des Genießers des Mehrwerts und des Befehlshabers ab. Wenn nun aber das Werkstück und die Vergegenständlichung der Arbeit schwindet, der Auftraggeber direkt die Verrichtung des Auftragnehmers entlohnt, seine Dienste in Anspruch nimmt, ohne dass er für das materielle Geld ein materielles Gut erhält, verdrehen sich die Verhältnisse. Der Auftragnehmer kann etwas, das sich der Auftraggeber wünscht (als Kunde) — und ist bereit dafür zu bezahlen. Am Ende der Leistung (nehmen wir eine Massage) ist das Bezahlte weg. Und der Auftraggeber muss wiederkehren, um die Leistung erneut in Anspruch zu nehmen. Über das Produktionsmittel (das Vermögen, Boltanski/Chiapello würden sagen: die Kompetenz) verfügt der Auftragnehmer, von dem der Auftraggeber insofern abhängiger ist als der Kapitalist vom Arbeiter am Werkstück.
Aus MEW BD. 42 — Ökonomische Manuskripte 1857/58(Alle Fettungen vom mir; Kursivierungen im Original)
Der einzige Unterschied von der vergegenständlichten Arbeit ist die nicht vergegenständlichte, sondern sich noch vergegenständlichende, die Arbeit als Subjektivität. Oder die vergegenständlichte, d.h. als räumlich vorhandne Arbeit kann auch als vergangne Arbeit der zeitlich vorhandnen entgegengestellt werden. Soweit sie als zeitlich, als lebendig vorhanden sein soll, kann sie nur als lebendiges Subjekt vorhanden sein, in dem sie als Fähigkeit existiert, als Möglichkeit; als Arbeiter daher. Der einzige Gebrauchswert daher, der einen Gegensatz zum Kapital bilden kann, ist die Arbeit. {und zwar wertschaffende i.e. produktive Arbeit. Diese Nebenbemerkung ist vorweggenommen; muß erst entwickelt werden; by and by. Arbeit als bloße Befriedigung von unmittelbaren Bedürfnissen hat gar nichts mit dem Kapital zu tun, da es sie nicht sucht. Wenn ein Kapitalist sich Holz hacken läßt, um sein mutton zu rösten, so verhält sich nicht nur der Holzhacker zu ihm, sondern er zum Holzhacker im Verhältnis des einfachen Austauschs. Der Holzhacker gibt ihm seinen Dienst, einen Gebrauchswert, der das Kapital nicht vermehrt, sondern worin es sich konsumiert, und der Kapitalist gibt ihm eine andre Ware dafür unter der Form von Geld. So verhält es sich mit allen Dienstleistungen, die Arbeiter direkt austauschen gegen das Geld andrer Personen und die von diesen Personen konsumiert werden. Es ist die Konsumtion der Revenu, die als solche immer in die einfache Zirkulation fällt, nicht des Kapitals. Indem der eine der Kontrahenten dem andern nicht als Kapitalist gegenübersteht, kann diese Leistung des Dienenden nicht unter die Kategorie der produktiven Arbeit fallen. Von der Hure bis zum Papst gibt es eine Masse solchen Gesindels. …}
(Marx leitet den Dienstleister vom Sklaven ab):
Im Sklavenverhältnis ist der Arbeiter nichts als lebendige Arbeitsmaschine, die daher einen Wert hat für andre oder vielmehr ein Wert ist. Das Arbeitsvermögen erscheint dem freien Arbeiter gegenüber in seiner Totalität selbst als sein Eigentum, eins seiner Momente, über das er als Subjekt übergreift und das er erhält, indem er es veräußert. […] Austausch vergegenständlichter Arbeit gegen lebendige Arbeit konstituiert noch nicht weder auf der einen Seite das Kapital noch auf der andren Seite die Lohnarbeit. Die ganze Klasse der sog Dienste vom Schuhputzer bis zum König fällt in diese Kategorie. Ebenso der freie Taglöhner, den wir sporadisch finden überall, wo [… die] Gemeinde sich auflöst in einzelne Elemente … [377)
Bei persönlichen Dienstleistungen wird der Gebrauchswert als solcher konsumiert, ohne aus der Form der Bewegung in die der Sache überzugehn. […] …selbst gesetzt, A zahle Geld für den Dienst, so ist dies keine Verwandlung seines Geldes in Kapital, sondern vielmehr Setzen desselben als bloßen Zirkulationsmittels, um einen Gegenstand des Konsums, einen bestimmten Gebrauchswert zu erhalten. Dieser Akt ist daher auch kein Reichtum produzierender, sondern umgekehrt Reichtum konsumierender Akt. Es handelt sich für A durchaus nicht darum, daß sich Arbeit als solche, eine gewisse Arbeitszeit, also Wert , in dem Tuch objektiviert, sondern daß ein gewisses Bedürfnis befriedigt wird. A ist nicht verwertend, sondern entwertend sein Geld, indem er [es] aus der Form des Werts in den des Gebrauchswerts übersetzt. […] Je öfter A den Austausch wiederholt, desto mehr verarmt er. […] Es bedarf keiner weitläufigen Auseinandersetzung, daß Geld konsumieren nicht Geld produzieren ist. (379)
Abgesehen von dieser seltsam fluiden Form der Arbeit in der Dienstleistung scheint es doch so, dass der Kapitalist durch Dienstleistung .… enteignet wird? Marx schreibt:
In der bürgerlichen Gesellschaft selbst gehört in diese Rubrik aller Austausch persönlicher Dienstleistungen — auch Arbeit für persönlichen Konsum, Kochen, Nähen etc., Gartenarbeit etc., bis hinauf zu den sämtlichen improduktiven Klassen, Staatsdiener, Ärzte, Advokaten, Gelehrte etc. — gegen Revenu in diese Kategorie. […] Es fällt aber niemandem ein zu denken, daß durch Austausch seiner Revenu gegen solche Dienstleistungen, d.h. durch seinen Privatkonsum, der Kapitalist sich als Kapital setzt. Er verausgabt vielmehr dadurch die Früchte seines Kapitals. (380)
Bis hierher händisch abgeschrieben vom Buch. Einige weitere Zitate übernehme ich vom Marx-Forum und Trendpartisan (hier und hier)
„Ein Schauspieler z. B. … ist hiernach ein produktiver Arbeiter, wenn er im Dienst eines Kapitalisten … arbeitet, dem er mehr Arbeit zurückgibt, als er in der Form des Lohns von ihm erhält, während ein Flickschneider, der zu dem Kapitalisten ins Haus kommt und ihm seine Hosen flickt, ihm einen bloßen Gebrauchswert schafft, ein unproduktiver Arbeiter ist. Die Arbeit des ersteren tauscht sich gegen Kapital aus, die des zweiten gegen Revenue (= Konsumausgaben). Die erstere schafft einen Mehrwert; in der zweiten verzehrt sich eine Revenue.“ K. Marx, Theorien über produktive und unproduktive Arbeit, MEW 26.1, 127.
„Eine Sängerin, die auf ihre eigene Faust ihren Gesang verkauft, ist ein unproduktiver Arbeiter. Aber dieselbe Sängerin, von einem Unternehmer engagiert, der sie singen lässt, um Geld zu machen, ist ein produktiver Arbeiter; denn sie produziert Kapital.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert I., MEW 26.1, 377.
„Endlich erlaubt die außerordentlich erhöhte Produktivkraft in den Sphären der großen Industrie, begleitet, wie sie ist, von intensiv und extensiv gesteigerter Ausbeutung der Arbeitskraft in allen übrigen Produktionssphären, einen stets größeren Teil der Arbeiterklasse unproduktiv zu verwenden …“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 469.
Finde ich enorm spannend, weil sich m.E. gegenwärtig nicht nur die Arbeitsprozesse zunehmend in diesem seltsam “fluiden” Zustand befinden, aus dem Marx sie retten wollte — sondern sich schon bei Marx anzudeuten beginnt, dass die Konzentration auf die vergegenständlichte Arbeit eine künstliche Abstraktion, der Wertätige mit seiner vergenständlichenden Arbeit — eine Randerscheinung. Denn was genau würde den dienstleistenden Holzhacker vom Werktätigen bzw. Wert-Tätigen scharf genug trennen? Wie gesagt — ich bin kein Marxist, finde nur an dieser Frage eine sinnvolle Anknüpfung und ein Befragen von marxistischen Kategorien dringend notwendig.
Zudem veranlasst es mich, demnächst doch noch über die Frage des Urheberrechts in Zeiten des Fluidums oder des Performats (Kusanowsky etwa hier) zu schreiben.
Solange Kusanowsky seinen Kommentarteil so massiv zensiert und Beiträge einfach ablehnt, die ihm nicht in den Kram passen, sollten wir tatsächlich genauer über Fragen des Urheberrechts nachdenken.
Kuanowskys Kommentar-Routinen kenne ich nicht. Kann ich nichts zu sagen — ist auch nicht Thema hier. Urheberrecht ist in Arbeit, ich hoffe, ich komme demnächst konzentriert dazu.
@anonymus Ein guter Troll beschwert sich nicht darüber, gelöscht zu werden, sondern sorgt dafür, dass andere sich selbst löschen. Deshalb bin ich in diesem Fall der bessere Troll, da es mir gelingt dafür zu sorgen, dass du dich selbst löscht, z.B. aus der Facebook-Liste. Aber postdramatiker hat Recht. Diese Diskussion gehört hier nicht her.
Na jetzt wirds Marxpostig noch zum Trollhaus… Sind die Trolle also die Post-Marx’schen Gespenster, die im Netz umgehen? Oder sind sie die Anarchisten? Oder ist der Anarchist im Netz nicht der, der “nichts” sagt und sonst nichts!