Seit einigen Wochen mehren sich Stimmen, die die endgültige Abschaffung des Bargelds fordern (Peter Bofinger), ernsthaft erwägen oder mit unterschiedlichen Argumenten ablehnen (Roland Tichy, Heiner Flassbeck). Zugleich findet sich eine vergleichsweise breite politische Öffentlichkeit, die die sogenannte Vorratsdatenspeicherung kritisiert oder aktivistisch bekämpft – ohne offenbar zu ahnen, dass sich hinter der Bargeld-Debatte eine Art der Vorratsdatenspeicherung und Ermächtigung des Staates (und der Banken) verbirgt, als sie sich in ihren ärgsten Albträumen ausmalen könnten. Warum das so ist – das soll dieser zweiteilige Artikel ausführen. Im ersten Teil wird die Verschiebung beschrieben, die sich im Verhältnis zwischen Geschäftsbanken und Bürgern einstellt. Im zweiten, morgen folgenden Teil, die Veränderung, die sich im Verhältnis zwischen Regierung und Bürgern dadurch einstellt und die bei genauer Betrachtung nicht nur eine Umdefinition von “Freiheit” hin zu der Freiheit ist, freiweillig an einem Ermittlungsverfahren teilzuhaben, das nicht nicht stattfinden und dem sich zu entziehen unmöglich ist, sondern auch zu einer Bewegung weg von einem demokratischen Staatswesen führt.
Leider unumgänglich dafür zu Beginn einen zwar maximal komprimierten (und deswegen vielleicht detailarmen) aber unumgänglichen Rückblick auf das Bar‑, Papier, Buch- usw. Geld zu werfen, der in ähnlicher Form von mir auch in „Schuld und Schein“ bühnenfähig vorliegt.
Vorspiel
Geld lag in der Vergangenheit in unterschiedlichsten Formen vor: Als definiertes Wertobjekt, als definiertes Metall (Gold, Silber) mit definierten Einheiten, als Papiergeld (Banknote, Scheck, Schuldschein, Wechsel usw.) und in weitgehend vernachlässigbaren Sonderformen (Zigaretten nach dem Krieg, Flugmeilen, Rabattpunkte, portalspezifische Coins, Bitcoins, Casino-Chips, Regiogelder usw.). Zu unterscheiden sind dabei die staatlich garantierten und mit gesetzlichem Annahmezwang ausgestatteten Geldmittel (Währung) und die nicht mit Annahmezwang, sondern auf Freiwilligkeit basierenden und deswegen zumeist nur in begrenzten zeitlichen oder regionalen Zusammenhängen nutzbaren Geldformen.
Zusätzlich zu unterscheiden sind Publikumsgeld, Zentralbankgeld und Buchgeld/Bank-Noten. Zentralbankgeld ist in den letzten Jahrhunderten faktisch Publikumsgeld: Ob es sich um staatlich geprägte Metallstücke oder staatliches Papiergeld handelte – das Geld in den Taschen der Bürger eines Landes (und außerhalb des Landes zum Teil) wurde von einer zentralen Stelle hergestellt, ausgegeben und in seiner Menge (und letztlich: Werthaltigkeit) bestimmt. Die heute kursierenden Münzen und Geldscheine sind von der/den Zentralbank/en herausgegeben. Sie werden von dort an die Geschäftsbanken weitergereicht und von dort in Umlauf gebracht (wofür die Geschäftsbanken wiederum Sicherheiten bei der Zentralbank hinterlegen müssen). Ohne zu tief ins Detail zu gehen bleibt: das Bargeld in den Portemonnaies ist Zentralbankgeld, das von Geschäftsbanken weitergereicht und zur Arbeit genutzt wird, das selbst herzustellen ihnen aber verboten ist.
Die Banken können selbst Bank-Noten herstellen, was heute eher selten der Fall ist, in der Vergangenheit aber durchaus vorkam. Es handelte sich dabei zumeist um papierförmige Artefakte, die die Bank in Umlauf brachte, die bei den Menschen (Kaufleuten) wie Geld genutzt wurden und zirkulierten, die aber jeweils auf einer Einlage aus einem Zentralbankgeld (oder einem vergleichbaren beständigen Wertgegenstand wie einem Edelmetall) beruhten. Das ist die sogenannte Deckung. Die Geschäftsbank war verpflichtet, bei Einlieferung einer ihrer Noten (Wechsel, Schuldpapiere o.ä.) auf Verlangen jenes Gut herauszugeben, das zur Deckung diente: also etwa das Zentralbankgeld, die Währungs-Goldmünze, Silber o.ä.
Einige Banken entdeckten es als lukratives Geschäftsmodell, mehr Bank-Noten herauszugeben als Währungsgeld bei ihnen eingelagert war, im sicheren Vertrauen, dass schon nicht alle Einleger gleichzeitig kommen würden, um ihre Zentralbankgeld-Einlagen zurückzufordern. Es war also lediglich nötig, eine Bruchteil des Wertes der selbst geschaffenen Bank-Noten als Zentralbankgeld vorzuhalten. Das ist der Ursprung des sogenannten Buchgeldes: Geld, das von Banken geschaffen wird, aber KEIN Zentralbankgeld ist, das allerdings auf Verlangen in Zentralbankgeld umzuwandeln ist. Einfaches Beispiel der Gegenwart: Eine Bank muss Geldautomaten unterhalten, um den Kunden zu ermöglichen, das Buchgeld, das sich auf dem Konto befindet, in Geldscheine (=Zentralbankgeld) umzuwandeln.
Die Mitspieler und die Girofalle
Aus dem Bisherigen sind vier zentrale Spieler im Geldsystem zu identifizieren: Staat, Zentralbank, Geschäftsbank, Bürger/Kunden. Eine weitere Differenzierung (etwa von Bürgern in Privatleute und Unternehmen usw.) ist nicht nötig, verkompliziert das Folgende nur, ohne das Verständnis der wesentlichen Zusammenhänge zu erhöhen.
In der Vergangenheit hatten die meisten Bürger eher wenig (oder: gar nichts) mit Geschäftsbanken zu tun – sie hatten nicht genug Geld, um es zur Bank bringen zu können oder zu müssen. In ihren Taschen befand sich das Zentralbankgeld (plus ggf. Sonderwährungen oder regional standardisiert akzeptierte Tauschobjekte). Mit Buchgeld hatten sie nichts zu tun. Banken waren für Kaufleute und Unternehmer relevant, zudem für Regierungen, um Staatshaushalt und Kriege zu finanzieren. Die Bürger hatten unter dem von Zentralbanken oder Regierungen induzierten Wertverlust des Geldes zu leiden (Reduzierung des Metallgehalts von Münzen, Abnahme des Wertmetallgehalts von Münzen durch Abnutzung, Zunahme der Geldmenge), der sich aber zumeist eher schleichend vollzog und keine größeren Sprünge machte. Auch Währungszusammenbrüche oder Staatspleiten dürften an dem überwältigend größten Teil der Bürger vo9rbeigegangen sein.
Das änderte sich schlagartig, als um 1700 die Papiergeld-Experimente der Regierungen und ihrer Zentralbanken einsetzten. Legendär der Crash der französischen Zentralbank in den 1720er Jahren. Sowohl solche Experimente, wie auch die Crashs nahmen in den Folgezeit erheblich zu. Zu verführerisch war der Gedanke, nicht an die relativ wenig veränderliche Menge des Währungs-Edelmetalls gefesselt zu sein, sondern die Geldmenge (und damit die staatlichen Ausgaben) nach Belieben durch die Druckerpresse erhöhen zu können. Die Folge: Die Zentralbank musste nunmehr denselben Deckungsmechanismus nutzen, den zuvor die Geschäftsbanken genutzt haben. Sie musste Edelmetall (Gold, Silber, Bodenertrag, zukünftige Profite) als Deckung für die herausgegebenen Münzen (deren Edelmetallgehalt nunmehr nicht mehr ihrem Wert entsprach) und Papierscheine bereithalten. Das ist letztlich die Daseinsberechtigung für Zentralbanken: Man wollte es nicht Regierungen überlassen, festzulegen, wie viel Papiergeld hergestellt wird. Jede Regierung würde die Druckerpresse viel zu extensiv nutzen – und damit das Scheingeld unmittelbar zerstören. Nur durch die zentralbankliche Einbremsung der Regierungen ist es den Regierungen möglich, mit den Optionen des Papiergeldes in ihrem Sinne zu verfahren.
Damit hatte in den letzten ca. 300 Jahren der Bürger zunehmend Papiergeld in der Tasche, das eigentlich nichts anderes ist, als Zentralbank-Buchgeld. Dieses aber ist noch immer zu unterscheiden vom Geschäftsbanken-Buchgeld, das nunmehr das Zentralbankbuchgeld (Papiergeld) als Deckung für ihr eigenes Buchgeld nutzen konnte. Die Zentralbank hielt Goldreserven für die Deckung des Zentralbank-Buchgeldes, das das Papiergeld ist (ich vergröbere, diese Deckung ist durch Nixon 1973 aufgehoben, was zunächst nichts zur Sache tut). Die Geschäftsbank hielt Zentralbank-Buchgeld als Deckung für ihr Buchgeld, das zunehmend tatsächlich zu einem „Buch“-Geld wurde. Die Bürger wurden zunehmend dazu gedrängt, Korrentkonten (Girokonten) einzurichten, um den Zahlungsverkehr „bargeldlos“ abwickeln zu können. Diese Entwicklung ist im 20. Jahrhundert, in den meisten Staaten nach dem 2. Weltkrieg zu beobachten. Zahlungsverkehr tendierte zunehmend zum Buchungsverkehr per Überweisungsauftrag. Der Bürger wurde in die Giro-Falle geschickt.
Das Gehalt wurde nun nicht mehr dem Arbeitnehmer ausgehändigt, sondern seiner Bank. Einem Privatunternehmen – man hätte es auch Haribo, McDonalds oder Beate Uhse aushändigen können, ebensolche Privatunternehmen. Aus Praktikabilitätsgründen allerdings wurde es stattdessen Geschäftsbanken ausgehändigt. Daueraufträge und Einzugsermächtigungen sorgten dafür, dass regelmäßig anfallende höhere Beträge (Mieten, Telefon, Heiz‑, Stromosten, Zeitungen, GEZ usw.) gar nicht mehr an den Kontoinhaber ausgezahlt, von ihm dem Zahlungsempfänger übergeben wurden, sondern direkt von einer Bank zur anderen umgebucht wurden. Die wachsende Nutzung von Schecks, später Kredit-/Debit-Karten, der sog. EC-Card und im 21. Jahrhundert der Online-Zahlungsverkehr sorgte dafür, dass die Gesamtbeträge im bargeldlosen Zahlungsverkehr von Jahr zu Jahr steigen. Und bei den Statistiken der letzten Wochen, die behaupten, die Deutschen würden überwiegend noch „bar“ bezahlen, wird regelmäßig diese Differenzierung ausgeblendet: Es mögen zwar sehr viele Bezahlvorgänge bar stattfinden, die Zahlvorgänge mit hohen Beträgen allerdings werden unbar, durch reine Umbuchung von Bank zu Bank erledigt. Knapp gesagt: Das Auto wird unbar bezahlt, die Tankfüllung bar.
Erstes Fazit
Damit zeigt sich bereits jetzt eine fundamentale Veränderung: Fanden Zahlungsvorgänge im „Publikum“ (Privatleute, Unternehmen) in der Vergangenheit vor allem und in weitestgehendem Umfang mit entweder Metallgeld (Gold, Silber) oder Zentralbank-Buchgeld statt, so finden diese Zahlungsvorgänge nunmehr mit Geschäftsbank-Buchgeld statt. Die Bürger haben das Buchgeld der Geschäftsbanken in der Tasche und hängen damit auf Gedeih und Verderb an den Geschäftsbanken. Keiner größeren („systemrelevanten“) Bank wäre es auch nur ansatzweise möglich, die bei ihr vorhandenen (Giro‑, Spar‑, Tagesgeld)-Anlagen in Bargeld auszuzahlen. Es handelt sich eben nicht (mehr) um bei Banken gelagertes Währungs-Geld oder Zentralbank-Papier-Buchgeld, sondern um Bank-Geld. Um Buchgeld. Die Giro-Falle schließt sich. Schon jetzt ist es nicht mehr möglich, das den Bürgern gehörende Geld aus dem Privatbankensystem zurück zu bekommen. Geht nicht. Keine Chance.
Noch aber gibt es die Möglichkeit, immerhin etwas (oder für einige Frühmerker: gerade noch alles) aus diesem System zu bekommen. Durch Bar-Abhebung. Und genau diese Möglichkeit wird nun durch die mögliche Abschaffung des Bargelds beschnitten werden. Die Geschäftsbanken haben dann kein Risiko mehr gegenüber den Bürgern. Insbesondere das Bank-Run Risiko, die massenhafte gleichzeitige Umwandlung von Geschäftsbanken-Buchgeld in Zentralbank-Papiergeld entfällt. Das Gekd ist nicht mehr aus dem Geschäftsbanken herauszuholen, weil es nur noch in ihren Büchern existiert. Die Geschäftsbank muss sich auch nicht darum kümmern, einem Kunden irgendwelche attraktiven Angebote zu machen. Er hat keine Möglichkeit, aus dem System zu entkommen. Und diese schöne Wahrheit verkündete der Wirtschaftsweise Bofinger: Mit der Abschaffung des Bargelds hätten es die Zentralbanken einfacher ihre Geldpolitik durch Negativzinsen auf Einlagen durchzusetzen.
Aber: was würde die Geschäftsbanken daran hindern, standardmäßig Negativzinsen auf alle Einlagen zu nehmen? Letztlich ist dieser Status faktisch schon insofern erreicht als die Kombination aus unverzistem Giro-Guthaben in Kombination mit Kontoführungsgebühren nichts anderes sind als „Negativzinsen“ (darauf wies Hermann-Josef Tenhagen letztens hin). Die Bürger haben keine Alternative, sie kommen aus dieser Girofalle nicht mehr heraus. Warum soll eine Bank noch eine Zins-Belohnung für Einlagen zahlen, die sie sowieso bekommt? Und nicht stattdessen zum Beispiel im Wege von Gebühren für die Einlage von Geldern, deren Einlage selbst nicht verzinst wird, Negativzinsen einnehmen? ACDH DAS TUN DIE BANKEN SCHON? Mit der Bargeldabschaffung würde das allerletzte kleine Mauseloch geschlossen, nämlich die Möglichkeit, das Papiergeld unters Kopfkissen zu legen.
Zweites Fazit
Mit dieser drohenden Entwicklung ergibt sich – und das ist die tatsächlich vorhersehbare und gefährliche Entwicklung – eine gewaltige Machtverschiebung zwischen den vier Mitspielern:
Die Zentralbanken werden machtlos. Sie haben jetzt schon – durch die gigantische Buchgeldschöpfung der Geschäftsbanken – ihre historische Hauptaufgabe, die Geldmengenkontrolle nämlich, verloren. Keine Zentralbank der Welt kann mehr kontrollieren, ja nicht einmal mehr statistisch herausfinden, wie viel Geld unterwegs ist. Die Folgeaufgabe, die Inflationsrate zu kontrollieren, versucht die EZB gerade wie wahrzunehmen? Indem sie über 1 Billion Euro Buchgeld erschafft, das sie Geschäftsbanken im Tausch gegen Staatsanleihen gibt. Sie spielt das Spiel mit. Und ist damit völlig obsolet geworden. Die Zentralbanken sind ein teurer Witz geworden.
Das Publikum (Privatleute und Unternehmer) sind vollkommen den Geschäftsbanken ausgeliefert. Ihr gesamtes Geld liegt dort. Mag es ein wenig Konkurrenz unter den Banken gerade geben – diese Konkurrenz ist Pseudokonkurrenz. Das Publikum, der Bürger hat keine Chance mit dem eigenen Geld etwas anderes zu tun, als es bei Geschäftsbanken zu lagern bzw. von einer zur anderen Geschäftsbank umher zu schieben.
Regierungen sind gegenüber den Geschäftsbanken machtlos, da hinreichend große Banken, sich von Land zu Land bewegen können und sich damit jeder einzelnen Regierungsmaßnahme entziehen. Sie werden abhängig vom Diktat der Banken (Griechenland ist hierfür ein kleiner Vorgeschmack). Zugleich werden sie eine neue Macht gegenüber dem Publikum bekommen – wovon im zweiten Teil zu handeln sein wird.
Die Geschäftsbanken aber erleben einen Machtzuwachs, der die Demokratie nicht etwa gefährdet. Sondern abschafft. Sie haben das Risiko für sich abgeschafft – abgesehen von dem Risiko, dass sie bilanziell bankrott sind. Warum sollte das in Zukunft noch geschehen? Das gesamte Geld liegt bei den Geschäftsbanken, wenn eine von ihnen gerade bilanziell etwas zu wenig davon hat – wen scherts denn? Dann werden die Bilanzvorschriften geändert oder die Bank wechselt ihren Hauptsitz. Kein Problem, im Digitalzeitalter eine Sache von ein paar Mausklicks. Das Risiko, das die Bankgeschäfte in den letzten Jahrhunderten bestimmt hat, ist verschwunden: das Risiko, dass das erzeugte Buchgeld überhandnimmt und ein Bank Run dafür sorgt, dass die Bank zahlungsunfähig wird. Die Banken sind unsterblich geworden. Sie sind das Risiko los geworden. Die Banken brauchen das Geld der Bürger nicht mehr – sie haben es bereits und können es nicht mehr herausgeben müssen. Und sie werden diese Machtfülle nutzen. Was der Spruch „Geld regiert die Welt“ bedeutet, wird dann vielleicht erst wirklich zu verstehen sein.
Wer es gerne einfacher und konkreter möchte: Stellen Sie sich vor, das Bargeld ist abgeschafft. Und dann entscheidet die Bank, Ihr Konto zu sperren. Aus welchem Grund auch immer. Von einer Sekunde auf die nächste haben Sie keinen Cent mehr. Nichts im Portemonnaie. Nichts unterm Kopfkissen. Nichts, was Ihnen ein Freund leihen könnte. Nichts. Gar nichts. Verstehen Sie? Per Mausklick durch die Bank. Nichts. Vernichtet.
Im zweiten Teil lesen Sie, wie und warum die Macht der Regierungen (ALLER Regierungen, netter Demokratien wie die von Angela Merkel, David Cameron, Viktor Orban, Wladimir Putin, aber auch nichtnetter, wie die von arabischen Despoten, koreanischen Diktatoren und möglichen zukünftigen unnetten Regierungen in diesem unserem Lande) jenseits des Demokratischen anwachsen.