Ganz begeistert feiern Werner/Goehler das Dorf Otjivero in Namibia. Hier habe man, heißt es, das BGE ausprobiert. Lese ich genauer, lautet meine Antwort: mitnichten. Goehler schreibt
Aus dem Dorf bezogen 930 Menschen unterhalb des Rentenalters in dieser Zeit 100 Namibia-Dollar, also knapp zehn Euro: ein Betrag, der nicht ganz existenzsichernd ist, aber mehr als nur schlimmste Not zu lindern.
Ist das das BGE? „Nicht ganz existenzsichernd“? Auf den vielen Seiten vorher klang das anders. Mir scheint das eine Lösung knapp unterhalb der Sozialhilfe oder von Hartz IV zu sein. Mit der Ausnahme der relativ unbürokratischen Auszahlung. Schauen wir uns an, was Werner/Goehler als Konsequenzen beschreiben:
- Das erste Beispiel Cecilia: Nach einer ersten Welle lebensnotwendiger Anschaffungen folgten Anschaffungen von Herd, Mikrowelle, Fernseher und DVD. Es sei ihr von Herzen gegönnt! Aber es handelt sich um eine indirekte Subvention an die Industrien, die die entsprechenden Güter herstellen. Eine Aufwrack-Prämie sozusagen.
- Hendrisen, das zweite Beispiel, hat einen Lebensmittelladen mit gut genutzter Jukebox aufgemacht. Auch das schön für sie und für die jungen Leute. Das bei ihr ausgegebene Geld dürfte vorwiegend das Pseudo-BGE sein. Das heißt: Indirekte Subvention für sie. Was nicht schlecht ist. Aber was passiert, wenn das BGE weg ist?
- Elmarie ist Pflegemutter geworden, da andere Mütter sich jetzt die Finanzierung einer Pflegemutter leisten können, um selbst auf dem Feld arbeiten zu gehen. Aus dem zurückgelegten Geld hat sie sich Stahltöpfe, Herd, Fernseher und Stromgenerator für den Fernseher gekauft. Und Prepaid-Karten. Auch hier fließt der Gewinn offenbar weitgehend in den Konsum.
Zusammenfassend urteilen Werner/Goehler:
Es ist schwer vorstellbar, wie armselig das Dorf vor zwei Jahren ausgesehen haben muss, als seine Bewohner nur mit dem nackten Überleben beschäftigt waren – alle erwähnen diesen krassen Unterschied. (214)
Klar – es gab keine Herde und Fernseher. Es gab keine Händler, die jetzt aus dem Boden schießen, weil niemand Geld auszugeben hatte. Andere Frage: Können denn die Einwohner von Otjivero als Dorfgemeinschaft das Geld erwirtschaften, das hinterher im Pseudo-BGE verteilt und in Konsumgüter gesteckt wird?
Was genau geschieht eigentlich in einer Wirtschaft, wenn sich plötzlich viele Menschen Herde und Fernseher kaufen (können)? Wenn – wie man zu sagen pflegt – die Nachfrage explodiert? Was geschah mit den Bananenpreisen in den ersten Tagen nach der Maueröffnung? Sonderangebote? Pustekuchen. Die Preise werden allein aufgrund der sprunghaft gestiegenen Nachfrage nach oben schnellen. Den Grundeinkommensbeziehern wird das Grundeinkommen einfach weginflationiert.
Und nun wird’s putzig:
Wo sind Otjiveros Männer? Wohin man auch schaut im Dorf, es sind die Frauen und Kinder, die das Leben prägen. […] Bei den Männern sind die Veränderungen durch das BIG weniger sichtbar. (214)
Heißt: Etwa 50% erleben keine Veränderung. Abgesehen davon, dass sich die Restfamilien (von ihnen?) befreit fühlt:
Wenige Männer finden draußen regelmäßige Arbeit, weite Fußmärsche von den Familien entfernt. Viele hatten zu Zeiten bitterer Armut ihre Frauen und Kinder im Dorf zurückgelassen. Und seit es das BIG gibt, müssen diese ihre Männer nicht mehr ausfindig machen, damit die ihnen Geld zu Leben oder für andere Dienste geben. Die Restfamilie erlebt diese Zustände wie eine Befreiung.(215)
Freunde – Spaß beiseite: habt ihr noch alle Nadeln an der Tanne? Die doofen Kerle machen Fußmärsche, um irgendeine mies bezahlte Arbeit zu bekommen – und die Familie freut sich, dass sie diese Deppen jetzt nicht mehr „ausfindig“ machen muss? Hm. Was ne Utopie! Und dass die Deppen gar so deppert nicht sind – liest sich kurz darauf. Denn Bertha spürt eine große Unsicherheit aufziehen.
Man würde die große Unsicherheit aufziehen spüren, jetzt wo es nur noch das Übergangsgeld gebe, das eben schon nicht mehr ganz ausreiche, all die Errungenschaften zu verteidigen. (215)
Jo – Geld verjuxt. Und nun? Doch wieder die Kerle suchen gehen? Was blieb denn, rein kreativwirtschaftlich betrachtet. Neben Handel und Konsum, was wurde denn beflügelt? Zwei Jahre wurde dieses BGE/BIG gezahlt. Wie viele tragfähige Konzepte von Selbständigkeit? Die zusammengefassten Ergebnisse sind – ehrlich gesagt – niederschmetternd:
- Es gibt keinen einzigen Fall von Unterernährung
- 90 Prozent der Kinder gehen in die Schule … bezahlen das Schulgeld
- Vor Projektbeginn lagen 76% unterd er Armutsgrenze, hinterher 36%
- Ansätze zu Kooperationen wie gemeinschaftlicher Ziegenkauf
- Ökonomische + sexuelle Abhängigkeit der Frauen von den Männern ist deutlich gesunken
- Diebstahl und Beschaffungskriminalität nahmen ab
Das sind die Erfolge des BGE? Nee – das ist die Folge, wenn man jedem Menschen einen Geldbetrag gibt. Aber woher kommt denn die Knete? Hat das Dorf sie erwirtschaftet? Wenn das Dorf es nicht schafft – wie dann ganz Namibia. Wie ein anderes ganzes Land? Was ist gleichzeitig schief gelaufen? Es gab keine vernünftige Entwicklungspolitik, die Infrastrukturen geschaffen hätte. Sonnenkollektoren usw.
Werner/Goehler schließen das Kapitel:
Überhaupt bringt die Erfahrung in Otjivero die entscheidende Frage auf die Tagesordnung: Weshalb wird die klassische Entwicklungshilfe […] nicht radikal auf das bedingungslose Grundeinkommen umgestellt? Wie könnte man besser dem Wohle und der Würde der Menschen gerecht werden? […] Die BIG-Kommission hat ihre Vision benannt, wie diesen Zielen näherzukommen ist: Grundeinkommen erst in Namibia, dann in Afrika, dann in der gesamten Welt. Dann erst können wir beginnen, von Gerechtigkeit in der Welt zu sprechen…
Wenn – was nochmal? Alle Fernseher, DVD’s, Stahltöpfe oder kleine Lädchen mit Jukeboxen haben? Das sind EURE Beispiele? Es gibt bessere, die die Nachhaltigkeit des BGE beweisen? Warum beschreibt ihr sie nicht? Die beschriebenen forcierten die übelsten Vorurteile gegen transferabhängige Menschen. Otjivero braucht das Geld von außen, um diese Konsumexplosion zu bewerkstelligen. Namibia bräuchte – es steht bei Werner/Goehler geschrieben – ebenfalls Entwicklungshilfe. Woher aber kommt die Entwicklungshilfe, wenn die „gesamte Welt“ darauf setzt? Ganz ehrlich: eine so nach hinten losgehende Argumentation hat das BGE nicht verdient.
P.S. Denkt mans wirklich zu Ende, argumentieren Werner/Goehler am Falle Otjivero nicht für ein BGE – sondern für die Verschuldung der Drittweltstaaten zugunsten des Binnenkonsums. Mir wird angst und bange bei diesem Gedanken. Die nächste Schuldenfalle, die die gerade ein wenig hoffnungsfrohen Menschen endgültig ins Verderben stürzt.
Um über das Pilotprojekt in Namibia urteilen zu können, sollte man sich nicht nur auf eine einzige Informationsquelle stützen. Das verzehrt doch leicht die Weltsicht … ;-)
Gerade in den letzten Wochen wurde sehr viel über die aktuelle Diskussion in Namibia, die dort über das BGE geführt wurde, auf http://www.grundeinkommen.de und http://www.aktuelles.archiv-grundeinkommen.de berichtet.
Als Hintergrundinformation gibt es zusätzlich hier einen Pressespiegel zu Namibia (u.a. Der Spiegel: Im Dorf der Zukunft)
http://bgekoeln.ning.com/profiles/blogs/pressespiegel-ueber-die
Fernsehberichte über das Pilotprojekt:
http://bgekoeln.ning.com/video/video/search?q=Namibia
Interessant sind auch die parallelen zu dem Pilotprojekt in Brasilien, wo z.T. ähnliche Erfahrungen gemacht wurden.
Informationen zu Brasilien:
http://bgekoeln.ning.com/profiles/blogs/renda-basica-statt-bolsa
Mit besten Grüßen aus Köln
Henrik Wittenberg
Aha, also das Buch von Werner/Goehler taugt nichts?
Dass Menschen, die keine Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt siherzustellen, in grausamer Armut leben ist nicht neu. Auch nicht die Tatsache, dass regelmäßige finanzielle Transfers die Armut und die Zwangslage ändern.
Aber was genau ist die Quintessenz für das Gesamtkonzept des BGE?
Und warum — um die Debatte ein wenig zu drehen — verbindet man die Zahlung zum Grundeinkommen nicht mit der Verpflichtung, in Abstimmung mit der Dorfgemeinschaft eine gewisse Zahl Stunden der Woche oder des Tages eine Aufgabe anzunehmen, die das Dorf gemeinsam voranbringt? Keine sinnlosen 1‑Euro Jobs, sondern Tätigkeiten, die einerseits dem ganzen Dorf zugute kommen, andererseits die Möglichkeit schaffen, dass die Gemeinschaft langfristig zusammen vorankommt. Das wäre mein Ansatz aus dem ABC-Konzept. http://bit.ly/dCNBjs
Das Buch von Herrn Werner und Frau Goehler kann ich nicht beurteilen, da ich es nicht gelesen habe. Da Frau Goehler sich das Pilotprojekt in Namibia vor Ort angesehen hat, wird sie zumindest Informationen aus erster Hand erhalten haben und sich ein eigenes Bild von der Situation im Dorf gemacht haben.
Die Quintessenz für die Entwicklungshilfe insgesamt lautet wohl, dass es zurzeit kein anderes Konzept gibt (auch nicht die vielgepriesenen Mikrokredite), welches Armut so schnell und nachhaltig beseitigt wie ein BGE.
Dabei zeigt die Erfahrung aus Namibia und Brasilien, das ein BGE durchaus ähnliche Effekte wie ein Mikrokredit haben kann, wenn es als Starthilfe für Existenzgründungen benutzt wird (wie bei beiden Pilotprojekten geschehen). Beide Ansätze zu kombinieren, wäre vielversprechend …
Die individuelle Veränderung bei den Betroffenen durch das Basic Income Grant (BIG) ist eine andere Dimension, die nur der einzelne selbst Beurteilen kann. Wenn Menschen, die vorher auf einer Farm gearbeitet haben und aufgrund ihrer Armut von den weißen Farmen ausgenutzt wurden, mit einem BIG ihren Arbeitsplatz wechseln konnten, wenn oder Frauen sich nicht mehr prostituieren müssen, um von betrunken Farmarbeitern am Feierabend ein wenig Geld zu erhalten, dann ist allerdings klar, dass viel gewonnen wurde für die Dorfbewohner und deren Würde.
Die Dorfgemeinschaft in Omitara hat schon sehr früh nach der ersten Auszahlung des BIG damit begonnen, ein Komitee zu bilden, das in Übergangszeit als eine Art Selbstregulierungs-Instanz fungiert hat (man verhinderte z.B., dass ein ortsansässiger Händler Dorfbewohner mit dem Laster eingesammelt hat, um diese in seine Trinkhalle zu chauffieren und mit „Sonderaktionen“ um deren BIG zu erleichtern…). Die zivilgesellschaftliche Selbstorganisation funktioniert also, wenn man ihr die Möglichkeit gibt, sich zu entfalten – da brauch es keiner Nachhilfe aus unsere Kulturkreis (erklären sie denen doch mal, wie so ein 1‑Ero-Job funktioniert oder was es mit „Bürgerarbeit“ auf sich hat … ;-D).
Mit besten Grüßen aus Köln
Henrik Wittenberg
“Das sind die Erfolge des BGE? Nee – das ist die Folge, wenn man jedem Menschen einen Geldbetrag gibt. Aber woher kommt denn die Knete? Hat das Dorf sie erwirtschaftet? Wenn das Dorf es nicht schafft – wie dann ganz Namibia. Wie ein anderes ganzes Land? Was ist gleichzeitig schief gelaufen? Es gab keine vernünftige Entwicklungspolitik, die Infrastrukturen geschaffen hätte. Sonnenkollektoren usw.”
Mir fehlt in der ganzen Zitate-Analyse (mindestens) ein wichtiger Aspekt. Das Dorf-Projekt war ein Versuch der BIG-Koalition, mit dem Ziel, der landesweiten Einführung durch die Regierung. Das Geld ist vorhanden, im Land, aus Steuermitteln. Und die Idee mit dem Grundeinkommen stammte ursprünglich von einer Regierungskommission. Das BIG — bezogen aufs ganze Land — ist durchaus ein Konzept, das ohne fremdes Geld auskommt. Das Projekt hat (aus meiner Sicht) gezeigt, dass sich die Lebensbedingungen verbessern, mit dem BIG. Es hat nicht gezeigt, dass das Dorf sich sein BIG direkt selber erwirtschaften kann. Aber … ist das eine Bedingung des bedingungslosen Grundeinkommens, dass sich jede kleine Gemeinschaft sofort ihr Grundeinkommen erwirtschaften muss? Könnte ein interessantes Ziel sein, im Sinne von autonomen, dezentralen Strukturen mit fliessendem Geld usw … aber Voraussetzung????
Falls beim Kauf von Geräten usw. Steuern anfallen, bleiben diese sicherlich nicht im Dorf. Darum ist die Forderung, das Dorf muss sich jetzt schon das Geld für sein Grundeinkomemn selbst erwirtschaften für mich nicht nachvollziehbar. Ausser, dass das deiner “ABC-Logik” entspricht.
Die Strukturpolitik haben sich die Gewerkschaften in der BIG-Koalition auf ihre Fahnen geschrieben, so las ich es zumindest. Nach ihrer Rückkehr im September in die Koaltion.
Vorschlag: Besuch uns in Bonn. Wir zeigen bis zum 31.10. eine Fotoausstellung über das Projekt. Am 31.10. ist auch eine Abschluss-Veranstaltung (Finissage) mit Infos und Diskussion. Mehr auf unserer Homepage.
Grüße aus Bonn
Ulrich Buchholz
http://www.grundeinkommen-bonn.de
Dass es Menschen, die nichts haben und die bitter arm sind, besser geht, wenn sie nicht arm sind sondern Geld haben ist eine Trivialität. Stimme ich sofort zu. Bisher ging ich aber nicht davon aus, dass das die Dimension des BGE-Gedankens ausmacht.
Meine Kritik rührt vor allem aus der Einbindung des Beispiels in das Buch von Werner/Goehler, das dem BGE vor allem in Industriestaaten eine positive Wirkung durch Entkoppeltung Arbeit/Einkommen, Freisetzung selbstbestimmten kreativen Potentials, Abschaffung der Existenzbedrohung von HartzIV-Empfängern usw. zuspricht. Dass nationale Wirtschaftsräume ihre Bürger abzusichern haben, sei es durch eigene Umverteilung oder durch Entwicklungshilfe, ist ja kein schlechter Ansatz. Das würde aber vermutlich durch “Soziale Marktwirtschaft” auch gefordert. Aber was ist die Perspektive? Heißt es, wir geben den Gedanken, dass diese Regionen sich selbst weiter entwickeln, auf? Beschränken wir uns auf weltweit organisierte Armenspeisung? Zu der Frage vermag ich nicht wirklich zu entscheiden, weil ich mich im Bereich Entwicklungshilfe zu wenig auskenne. Ich halte nur die Verquickung des BGE-Konzeptes für die industrialisierten Staaten mit Otjivero für desaströs. Weil Otjivero nicht die benötigten Hinweise auf die Entwicklung der Gesellschaft nach Einführung eines BGE in den Industriestaaten gibt.
Zum ABC-Konzept: Ich halte es einfach für sinnvoller, eine Verbindung herzustellen aus “Der gesellschaftliche Wohlstand kommt allen zugute” und “Was erledigt werden muss, verteilen wir auf alle tragfähigen Schultern”.