In der Frankfurter Neuen Presse war gestern hier eine interessante Statistik zu sehen: die Zunahme angemeldeter Demonstrationen im Verlauf der letzten zehn Jahre. Im Hauptartikel liegt der Fokus auf Frankfurt. Ein weiterer Text stellt zudem einige Zahlen aus anderen Städten dar. Und das Ergebnis ist erstaunlich. Von 2004 bis 2012 hat sich die Zahl angemeldeter Demos in Frankfurt nahezu verfünffacht. Die gelegentlich zu hörende oder zu lesende Einschätzung, die #Aufschrei-Kultur des Netzes würde dazu führen, dass sich Protest zu einer Protestsimulation wandelt, dass also Unmut nur getwittert und damit entschärft würde, bestätigt sich nicht. Im Gegenteil.
Die FNP listet einige Berichte über Demonstrationen aus der letzten Zeit auf. Es finden sich beispielsweise:
- Demo gegen Nahrungsmittelspekulation (Link)
- Anti-Späh-Demo (Link)
- Solidaritätsdemo für die Türkei (Link)
- Blockupy-Großdemo (Link)
Als wichtigste Themen berichtet die FNP die Finanzkrise und den Ausbau dess Frankfurter Flughafens. Der Anstieg verblüfft — unter anderem auch den Frankfurter Soziologen Sieghard Neckel, den der Artikel dahingehend zitiert, dass seiner Einschätzung nach das Internet die Straßenprotestkultur offenbar nicht nur nicht vermindert, sondern sogar befördert.
Stuttgart, Berlin, Köln, München, Hamburg
Ähnliche Entwicklungen lassen sich, so die FNP in einem ergänzenden Artikel hier, auch in anderen Großstädten in Deutschland feststellen:
- in Stuttgart stiegen die angemeldeten Demos von 520 (2009) auf 1400 (2013) wiewohl die Hochphase der S21-Proteste vorbei ist.
- in Berlin gab es 2013 ein Rekordhoch mit 5047 Demos, die die FNP vor allem auf den Flughafenbau zurückführt
- in Köln stiegen die Zahlen von 350 (2009) auf 621 (2013)
- in München von 821 (2010) auf 1345 (2013)
- in Hamburg von 998 (2010) auf 1782 (2013)
Auch wenn statistisch natürlich aus einer zunehmenden Zahl von angemeldeten Demos nicht unbedingt und direkt auf steigende Teilnehmerzahlen zu schließen ist, ist doch der Entwicklungstrend spannend. Städtische Bürgerschaften wandern eben nicht ins Netz ab, um ihre Wünsche, ihren Willen oder ihre Forderungen kund zu tun. Sie gehen auf die Straße. Gegebenenfalls unterstützt von den digitalen Möglichkeiten, die solche Veranstaltungen schneller verabreden, planen, organisieren und öffentlich verbreiten lassen. Der reale Raum wird nicht entpolitisiert durch einen digitalen Protestraum — vielmehr wandelt sich offenbar auch die traditionelle Protestkultur zu einer Protestkultur der Netzgesellschaft, die sich über digitale Kanäle verbindet, Meinungen prozessiert und austauscht — um sich dann im Realen sichtbar zu zeigen. Eine Verbindung von Physischem und Realem — über die ich im Vortrag in Mannheim als Utopie für ein Theater der nächsten Gesellschaft angesprochen hatte — ist also so abwegig nicht.