Vorvielen Jahren habe ich einmal in einem Buch über die Wassertechnik der römischen Antike ein enorm eindrucksvolles Bild gesehen ich finde es leider nicht online), das das Prinzip der ABC-Verträge ganz gut widerspiegelt. Denn es handelt sich um „soziale Wasserverteiler“. Zisternen oder Wasserverteiler waren mit drei unterschiedlichen Röhrensystemen ausgestattet, die jeweils in unterschiedlicher Höhe an der Zisterne ansetzten. (Hier ein Word-Doc, das dieses Prinzip mit Vitruv als Quellenangabe wiedergibt).
Ein soziales Röhrensystem – bedingungslose Wasserversorgung in Rom
Ganz unten in der Zisterne oder Verteilstelle, dort also, wo außer in allerhärtesten Dürreperioden immer Wasser ist, setzte das Rohr an, das zu öffentlichen Verteilstellen führte und damit allen Einwohnern Wasser bot. Darüber setzte ein Roh an, das „private“ Verteilstellen – also Paläste, große Güter oder die Häuser von Wohlhabenden – versorgte. In Zeiten knappen Wassers wurden diese Verbraucher also abgeschnitten, konnten sich aber in den öffentlichen Verteilstellen weiterhin versorgen. Die dritte Röhre, sehr hoch ansetzend, führte nur in Überflusszeiten Wasser – und versorgte dann Brunnen, Wasserspiele und ähnliche „Luxusinstitutionen“. Beeindruckend daran ist der technische Automatismus, der dafür sorgt, dass ein allgemein geteiltes gesellschaftliches Ziel erreicht wird. Notweniges, Wünschenswertes und Luxus teilten sich nahezu von selbst auf. Es mag die eine oder andere Verhandlung gegeben haben, welche Entnahmestelle an welches Rohr darf oder muss. Aber die Grundstruktur als Abbildung gesellschaftlichen Willens funktioniert.
Ein soziales Verteilungssystem für Arbeit und Wohlstand
Ähnlich soll auch das ABC-System funktionieren. Jeder Einwohner soll einen A‑Vertrag haben und 20 Stunden pro Woche arbeiten, um sich und die Familie zu versorgen. Damit ist ein (Über-)Leben oder gar auch ein gutes Leben möglich. Und zwar sogar in „Krisen“-Zeiten, da gegenüber jetzigen 40-Stunden-Verhältnissen innerhalb kürzester Zeit die Kapazität um bis zu 50% gesenkt werden und Lohn gespart werden kann. Arbeitgeber müssen dann für sich berechnen, welche Mischung aus A- und B‑Verträgen sie in ihrem Unternehmen bevorzugen. Wer nur A‑Verträge hat, zahlt zwar vermutlich weniger Löhne/Gehälter im Vergleich zu B‑Verträgen, die vermutlich durch die höhere Abgabenlast auch höher bezahlt werden müssen – hat dafür aber nicht die Flexibilität, da A‑Verträge nicht unter 20 Stunden gesenkt werden können und vermutlich längere Kündigungsfristen haben werden.
Was Arbeitnehmer davon haben
Als Arbeitnehmer mit bestehendem Arbeitsvertrag kann ich ohne große Veränderung in einen AB-Vertrag überwechseln. Arbeitgeber und ich sparen Arbeitslosen- und Krankenversicherung. Davon profitieren wir beide. Ich kann mehr kaufen, das Unternehmen hat freies Investitionskapital. Ein Teil davon wird sicherlich abgeschöpft werden müssen, um die GKV zu finanzieren.
Ich kann aber auch einen Blick auf meinen Lohnzettel tun und dort feststellen: Ein Drittel oder gar nur ein Viertel der Steuern, die ich zahle, fallen auf meinem A‑Vertrag an. Zwei Drittel oder gar drei Viertel auf meinem B‑vertrag. Sollte ich nicht vielleicht auf den B‑Vertrag verzichten, mit einem A‑Vertrag 20 Stunden pro Woche arbeiten und die anderen Stunden seis mit Freizeit, eigener schöpferischer Tätigkeit, sozialer Hilfe – oder einfach mit der Familie verbringen? Wenn das Unternehmen möchte, dass ich länger arbeite, muss es mich mit guten Argumenten dazu bewegen.
Wenn meine Haupttätigkeit aber etwa im Schreiben von selten gespielten Theaterstücken und sporadisch gelesenen Blogposts besteht, kann ich mir mit einem A‑Vertrag mit vertretbarem Stundenaufwand ein passables Grundeinkommen sichern und behalte trotzdem genug Freiraum, für die artes liberales.
Was Unternehmen davon haben
Interessant für Arbeitgeber dürfte die gewaltige Flexibilität sein, die etwa im Kündigungsmechanismus liegt. Solange noch B‑Verträge in einem Unternehmen existieren, dürfen A‑Verträge nicht gekündigt werden. Dafür dürfen die B‑Verträge relativ schnell und einfach beendet werden. Das heißt Ein Unternehmen, das weitgehend 40-Stundenkräfte hat, kann sehr schnell die Workforce um nahezu 50% auf „Kurzarbeit“ setzen. Da die B‑Verträge in 5er-Schritten reduzibel sind, lässt sich das bestens abteilungsspezifisch regeln. Zugleich bleibt den Arbeitnehmern aber eine Grundsicherung, die sozialabgabenfrei und sehr niedrig besteuert ist. Und die Arbeitnehmer haben die Möglichkeit, sich ohne Genehmigungspflicht des Arbeitgebers nach einem B‑Vertrag bei einem beliebigen anderen Arbeitgeber umzusehen. Da zugleich in Lebensgemeinschaften (oder auch Wohngemeinschaften) jeder Partner einen A‑Vertrag abschließen kann, wird die Verteilung der Arbeit auf mehr Schultern gefördert.
Der eingebaute Vollbeschäftigungsmechanismus
Da A‑Verträge sehr lukrativ sind für Arbeitgeber (der Mitarbeiter erhält viel Netto vom Brutto, der Arbeitgeber hat keine Nebenkosten), wird die Suche nach A‑Verträgen intensiv sein. Für den Arbeitgeber hat eine hohe Zahl an A‑Verträgen vielerlei Vorteile: abgesehen von einer vielleicht erhöhten Verwaltungsanforderung, die aber per IT und Self-Service extrem reduziert werden kann.
Der eingebaute soziale Sicherungsmechanismus
Der Mitarbeiter hat die Möglichkeit, seinen B‑Vertrag (wenn er denn einen solchen haben möchte) entweder beim selben Arbeitgeber oder woanders zu schließen. Warum sollte ein Autoschlosser nicht bei Opel und VW gleichzeitig arbeiten können? Ein IT-Admin nicht bei einer Bank und einer Versicherung? Ein Maler nicht zugleich angestellt in einer Firma und nachmittags freiberuflich? Der Briefträger morgens Briefe austragen, nachmittags auf eigene Rechnung Eis verkaufen? Warum nicht morgens im Finanzamt rechnen, nachmittags bloggen? Sowohl Job-Sharing als auch Employer-Sharing werden denkbar. Warum sollte, wer will, nicht zwei unterschiedlichen Tätigkeiten nachgehen, so er dazu Lust hat? Und Nachfrage besteht. Oder die B‑Vertragszeit als freiberufliche Tätigkeit anmelden? Die ausschließliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber würde aufhören, zugleich wäre die Aufnahme einer freiberuflichen Tätigkeit kein abrupter Übergang.
Ich denke, auf diese Weise ließe sich der bereits gestern geforderte Übergang von der Industrie- oder Dienstleistungsgesellschaft hin in eine Netzwerkgesellschaft (Boltanski/Chiapello) organisiere, ohne auf utopische Selbstblendungen hereinzufallen – ohne aber auch in den Wahn der Alternativlosigkeit und des Schicksalhaften zu verfallen.
In welcher Weise die Sozialsysteme funktionieren können und werden, sollte morgen hier zu lesen sein.