Das Zittern und Schlottern in den traditionellen Medien ist gewaltig — gerade rauscht durch alle Ticker, dass die Münchner Abendzeitung, eine feste Lokalgröße in München, ihre Redaktion aus wirtschaftlichen Gründen um 25% verkleinert (taz, SpOn). Gleichzeitig veröffentlicht SpOn einen fulminanten Bettelartikel (hier), in dem die geneigten Leser des Online-Magazins argumentativ davon überzeugt werden sollen, Ad-Blocker zu deaktivieren und bitteschön die Werbung rund um die (sonst nicht mehr) kostenlos lesbaren Artikel zu beachten und zu beklicken. Die in diesem Blog hier beschriebene Abwärtsspirale oder Digitale Disruption (z.B. Posting hier) findet sich in diesem SpOn Artikel in ein paar Bulletpoints — als Zusammenfassung von “The State of the News Media” des PEW Project for Excellence in Journalism:
Die Symptome der Medienkrise:
- Der seit Jahren schwächelnde Werbemarkt ist in der Krise regelrecht kollabiert.
- Medien müssen sich statt aus Werbeumsätzen (Zeitungen in Deutschland 2009: minus 13 Prozent) zunehmend aus Verkaufs- und Vertriebserlösen refinanzieren, werden also teurer. Der Kunde ist aber nur bedingt zahlungsbereit. Das bedeutet unter dem Strich ein Umsatzminus (US-Zeitungen 2009: minus 26 Prozent in einem Jahr).
- Medien können aufgrund der einbrechenden Umsätze auch weniger in die Qualität des Angebots investieren, weil ihnen schlicht die Puste ausgeht. 2009 gaben US-Medien 1,6 Milliarden Dollar weniger für Redaktionen aus als vor zehn Jahren; immer mehr Journalisten wechseln von festen in freie (und oft prekäre) Beschäftigungsverhältnisse.
- Die Werbe-Etats im sogenannten Media-Mix verschieben sich zunehmend von Offline- zu Online-Medien, zugleich aber bucht und bezahlt die Werbewirtschaft online weniger als offline: Der Werbekuchen schrumpft, obwohl die Reichweite steigt.
- Die Hauptnutznießer von Werbung online sind nicht Medien, sondern Dienstleister, die zu Werbeträgern wurden: 42 Prozent der weltweiten Online-Werbeumsätze fließen allein Google zu. Insgesamt landen laut ZenithOptimedia, Teil des zweitgrößten Media-Agenturnetzwerks Publicis, 53 Prozent der weltweiten Web-Werbegelder bei den Suchmaschinen: Die sollten wissen, wovon sie reden, denn sie sind die Dienstleister, die solche Werbeetats verteilen.
- Online-Medien sind nicht einfach nur ein neues Medium im Angebot, sondern haben das Potential, alte Medien zu ersetzen, und tun dies zunehmend auch: Insbesonders Tageszeitungen verlieren immer mehr Leserschaft an News-Web-Seiten.
Damit ist das Krankheitsbild beschrieben. (Quelle)
Kann man kaum kürzer und besser sagen. Und sowohl die Meldung der Abendzeitung (die ja nur eine unter vielen vergleichbaren Kürzungsmeldungen ist) als auch diejenige von SpOn, die versucht die Offline-Verluste durch Online-Werbung hereinzuholen, beweisen eindringlich, dass dem so ist. ABER.
Aber was viel dramatischer ist, ist die Folge: Die rapide Verschlechterung der Qualität der Medien. Um nicht zu sagen: Die skandalöse Verskandalisierung, Verflachung, Verboulevardung. Die Bereitschaft, journalistische Grundsätze über Bord zu werfen, nur um durch Meldungen Aufmerksamkeit (heißt: Leser, heißt: potenzielle Werbeklicks) zu generieren. Und damit zu einem anderen Bericht von gestern — einber Vergewaltigungsmeldung. Sprechen wir nicht davon, um wen es geht. Lesen wir einen Abschnitt aus der SpOn-Meldung dazu:
Die Mannheimer Staatsanwaltschaft nannte im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten keine Namen, bestätigte aber das Ermittlungsverfahren gegen einen 51-jährigen Journalisten und Moderator wegen des Verdachts der Vergewaltigung.
Wenn ein Journalist einen solchen Passus schreibt — ist ihm bewusst, dass er gerade mit Persönlichkeitsrechten spielt. Und sie schmählich missachtet. Was die Mannheimer Staatsanwaltschaft tunlichst unterlässt — SpOn scheißt drauf, um eine geile Meldung zu verbreiten. Mit Namen und Foto wird der Beschuldigte gezeigt. Noch bevor irgendjemand die Zeit hatte, auf der Gundlage journalistischer Recherche überhaupt Erkundigungen einzuholen, meldet SpOn schon. Und nimmt billigend die zerstörung einer Karriere oder eines Lebens ins Kauf — denn noch ist der Verhaftete ein Verdächtiger. Und noch gelten in diesem Lande Unschuldsvermutungen bis ein Gericht das Gegenteil feststellt.Wie ist das vereinbar mit dem Pressekodex Ziffer 1:” Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse” ?
Die anderen Online-Medien lassen sich natürlich nicht lumpen und blasen ins selbe Horn. Die Suche nach dem Nachnamen des Beschuldigten generieren in diesem Moment bei Google News 527 Treffer. 527 Online-Medien also, die einen Beschuldigten öffentlich an den Pranger stellen. Nochmal: Einen BESCHULDIGTEN. Der diesen Makel nie wieder loswerden wird. Vielleicht hat er ihn zurecht. Vielleicht hat er ihn zu Unrecht. Das zu entscheiden obliegt nicht den Medien — die mit der Meldung aber nicht nur implizit bereits ein Urteil gefällt und verkündet haben. Sondern die damit auch gleich die Strafe bewirken: Die vermutlich lebenslange öffentliche Ächtung des Beschuldigten.
Es sind Momente wie diese, wo ich mir wünsche, die “Qualitätsmedien” würden nicht langsam dahinsiechend krepieren. Sondern in einer Supernova heute Nachmittag um halb vier verglühen und von diesem Planten verschwinden. Es sind wirtschaftliche Gründe, die die Medien dazu bringen: Auflagen, PageViews — und Klicks auf Werbebanner. Ich weiß nicht, wie Medienvertreter sich heute noch zur Kritikern von “gierigen Bankern” aufschwingen können — wenn sie selbst im Namen der Verkaufszahlen ihrer jämmerlichen Medien ohne Skrupel Menschen öffentlich hinrichten.
Es ist 16.30 — und keine Supernova hat die Medien insgesamt verschwinden lassen. Aber kleinere Sonnenwinde fegen durch den Blätterwald: Der Jahreszeiten-Verlag (Petra, Merian, Prinz, Für Sie u.a.) entlässt ALLE Redakteure. Nur die Führungskräfte bleiben und füllen ihre Hefte mithilfe freier Mitarbeiter. Mehr als 70 Stellen — weg. Und das tut mir leid für die Betroffenen.
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,685258,00.html