Jeden Abend um acht schneien die Lichtgestalten auf den Heiligenschrein im Wohnzimmer, um als Boten der umgekehrten Mission die schlechte Nachricht zu verkünden. Alles ist immer neu, anders, aufregend, skandalös. Bis auf eines, das Veränderliche selbst, das am Ende der Nachrichten erscheint. Jene Nachricht, die nicht aus der Ferne kommt, sondern das Nächste ist. Das Nächste am nächsten Tag, dasjenige, was jenseits aller verstandesgemäßen Interessen am Weltgeschehen auf den Leib rückt, den vergeistigten oder entgeisterten Nachrichtenseher wieder aufs einen Körper zurückwirft, jenes schwitzende oder frierende Bündel, das jetzt gerade in amorpher Gemütlichkeit auf der Couch oder im Sessel hockt. Es ist dasjenige, was die Verbindung schafft zwischen dem Jenseits der Nachrichtenwelt und dem Diesseits des Zuschauers. Zugleich die Verbindung schafft zwischen dem hypermodernen Medienkonsumenten und dem Steinzeitmenschen, der besorgt aus der Höhle schaut und die Götter anfleht – um gutes Wetter.
Erst wenn wir jenes Mysterium verstanden haben, das der Fernsehwetterbericht ist, wenn er also erst zum Mysterium und Rätsel wurde durch dessen Durchgang das Verstehen zu verstehen beginnt, können wir einen Ausblick darauf bekommen, warum die Börsennachrichten, die seit gut einem Jahrzehnt dabei sind die Wetterberichte in ihrer Funktion abzulösen, zu einem neuen Mysterium und zum Ort der naturreligiösen Zeichenschau werden.
Das Rätsel Wetter
Da sitzt er also, der elektronisch ausgestattete, voll digitalisierte Zuschauer, der hypermoderne Dreiviertelgott vor seinem Fernseher – und lässt sich das Wetter von morgen berichten. Ist das nicht uninteressant? Ist es für einen Bewohner moderner Großstädte nicht völlig ausreichend, morgens beim Blick aus dem Fenster zu entscheiden, ob Mantel, Regenschirm, Gummistiefel oder leichte Sommerbekleidung das Beste ist? Warum der Blick in das leuchtende Fenster, der das Wetter von morgen verkündet. Das Interesse am Wetterbericht ist eines der Hauptinteressen des Nachrichtenschauens. Deswegen steht es am Ende der Nachrichtensendung, als das Versprechen, dass dasjenige, was der Zuschauer am Interessantesten findet, am Ende noch kommen wird, während ihm zuvor Meldungen präsentiert wurden, von denen die Redaktion entschieden, dass sie interessant sind und die sie mit der interessantesten Meldungen beginnen ließen. Das Wichtigste (der Redaktion) steht am Anfang. Das Wichtigste (des Zuschauers) kommt am Schluss.
Dieses Zuschauerinteresse ist ein Rätsel, das sich nur als solches konstatieren, aber nicht auflösen lässt. Es ist eine Konstante – darauf weisen die Statistiken auch des Internets und der Handy-Applikationen hin, die Wetterangebote weit oben in der Beliebtheit sehen. Er (oder sie) geht vielleicht vor lauter Medienkonsum gar keinen Schritt vor die Tür. Aber wissen will er (oder sie) wie am nächsten Tag das Wetter sein wird. Das würde für einen Bauern, Piloten oder Hochseekapitän verstehbar sein- für die aber (so wenige sie sind) sind die Fernsehwetterberichte bei weitem zu ungenau. Der Wetterbericht ist der Magnet für das Fernsehen, seine Funktion für jenes Format, das man Nachrichten nennt, ist enorm. Natürlich könnte man argumentieren, das hohe Interesse rechtfertige die permanente Berichterstattung über das Wetter. Aber das würde auch einen pornographischen Clip am Ende der Nachrichtensendung rechtfertigen – und der wird bekanntlich nicht gezeigt. Sondern der Wetterbericht.
Der Wetterbericht ist konstant – das Wetter nicht
Und es wird nicht nur „meldungsartiges“ Wetter gezeigt und vorhergesagt. Nicht nur Unwetter oder Wetterwechsel. Die Wetterprophezeiung hat ihren festen Platz und ihre feste Länge. Egal, ob das Wetter bleibt wie es ist, ob es sich ändert – die Prophezeiung bleibt. Das ist überraschend. Rechnete man alle Nachrichtensendungen, jede Ausgabe einer Nachrichtensendung über die Zeit zusammen und berechnete ihre relevantesten Inhalte: Das Wetter wäre zweifellos auf Platz 1.
Und die Form des Wetterberichts wäre vermutlich geeignet, eine Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts zu schreiben. Sähe man sich die Vorhersageform der 60er, 70er, 80er Jahre an – man könnte daraus die herrschenden Zentraldogmen ableiten. Der Bericht über Wetterfronten, Hoch- und Tiefdruckgebiete, mit Linien und Dreiecken versehen, holprig gebastelt und animiert. Später dann Satellitenfilme, bunte Animationen. Ein entscheidender Unterschied, ob eine körperlose Stimme aus dem Off das Wetter vorhersagt, ein göttlicher Niemand, oder ein Wissenschaftler, dessen Titel eingeblendet wird. Oder ein Kasper wie Kachelmann.
Dieses Video gibt einen kurzen, prägnanten Einblick:
Das Wetter als Witz
Ungeheurer Aufwand wird betrieben, um das Wetter vorher zu sagen. Die teuersten Supercomputer werden dafür genutzt, im ganzen Land Wetterstationen errichtet – um eine mangelhafte Genauigkeit zu erreichen. Präzision ist unmöglich. Nicht nur weil im brasilianischen Regenwald ein Schmetterlingsschlag ein Unwetter auslösen kann, weil das Wetter ein nichtlineares, determiniert chaotisches System ist. Sondern weil die Regionalvorhersage immer zu grobmaschig ist. Selbst wenn für Norddeutschland 100% genau Regen vorhergesagt werden könnte – ist es weder garantiert, dass es in Pinneberg regnen wird, noch gar zu welcher Zeit. Das Ausweichen auf Prozent-Wahrscheinlichkeiten ist sinnlos, weil ein 30%iger Regenschauer ebenso nass ist, wie ein 90%iger. Und eine 50%ige Wahrscheinlichkeit von Niederschlägen gibt mir für morgen gar keinen Anhalt. Denn Regen oder Nichtregen sind zumeist 50% wahrscheinlich.
Kaum ein Thema dürfte so anhaltend für Spott und Witze gesorgt haben, wie der Wetterbericht. Und trotzdem will jeder ihn sehen. Und trotzdem wird er stoisch gesendet. Hinter der Wettervorhersage steckt mehr, als nur eine nette Information.
Das Wetter: Thema der Götter
Es waren die höchsten Götter im Altertum, die für das Wetter zuständig waren: Jupiter, Zeus. Das Wetter ist nicht irgendein Faktum, das Wetter ist Chefsache der Götter. Das Wetter beeinflusst Nahrungszufuhr und Lebensqualität. Dafür gab es in den Religionen verschiedenste Praktiken, vom Erntedank und Fruchtbarkeitsriten über das Wettergebet oder den Wetterzauber. Zum Ende des 20. Jahrhunderts erhob der Mensch sich selbst zum (zerstörenden) Gott, als sich die Einsicht durchzusetzen begann, dass nicht Götter alleine das Wetter machen, sondern der Mensch mit technischer Hybis es zu verantworten hat, dass das Klima sich ändert, dass es zerstört wird. Der Renaissancemensch, der sich zum göttlichen Schöpfer erhob, kommt nun an sein endgültiges Ziel, das Wetter machen zu können – ohne es allerdings selber zu wollen. Der technische Mensch wird nicht nur gesehen als Macher der neuen Natur, sondern als ihr Zerstörer – am höchsten Punkt als Zerstörer des Wetters. Das Wetter ist kein Thema wie alle anderen.
Die Vorhersage des Wetters: Wissenschaftliche Neutralisierung des Zufalls
Das Wetter ist das Veränderliche selbst. In allem Konstanten der Natur, im Sonnenauf- und Untergang, im Wechsel des Monds und der Gezeiten bleibt das Wetter das Veränderliche und Quasi-Schicksalhafte selbst. Wer es neutralisieren kann, indem er es vorhersagbar macht, der nimmt dem Zufall die Macht, und damit dem Schicksal. Es gehört zu den Sternstunden der Philosophie und der beginnenden Wissenschaft, dass ein (im weitesten Sinne) Wetterphänomen wie eine Sonnenfinsternis vorhergsagt wurde: Die Sonnenfinsternis 585 vor Christus durch Thales von Milet, das „wissenschaftliche“ Gegenstück zum Erdbeben von Lissabon. Wo letzteres die Theodizee in Gang setzte, die von Gott Rechenschaft forderte, wie er ein solches Ereignis zulassen könne, ihm damit die Autorität zu bestreiten unternahm, da war die vorhergesagte Sonnenfinsternis des Thales der Ursprung der wissenschaftlichen Autorität.
Wenn es dem Medium Divinum also gelingt das Wetter vorherzusagen, so beweist es damit die Autorität im quasi-göttlichen Ausmaß. Der Wettervorhersager wird zum Propheten im strengsten Sinne des Wortes. Er beglaubigt die Leitreligion der Naturwissenschaften, er beweist die Beherrschung der Natur durch ihr Verständnis. Alles andere im Fernsehen könnte wohl nachrangig sein – hinter der Wettervorhersagekunst.
Die Wettervorhersage bekommt damit zentrale Funktion im Fernsehen zu – zumindest im „referentiellen“ Bereich der Nachrichten. Und zwar sogar mehrere Funktionen.
1. Funktion: Die Beglaubigung der Referentialität
Fernsehnachrichten berichten aus aller Welt alles Mögliche. Warum sollte man ihnen Glauben schenken? Niemand kann überprüfen, was das Fernsehen aus der Ferne berichtet. Wo ist der Referenzbeweis? In der Wettervorhersage. Fernsehen berichtet – als umgekehrtes Teleskop – zu selten aus dem Nahbereich, den ein jeder Zuschauer kennt und der es erlauben würde, die Angemessenheit des Berichts an das, wovon er berichtet, beurteilen zu können. Fernsehen verlangt Glauben – als handele es sich um biblische Gleichnisse. Um Erzählungen aus dem Leben Jesu. Wer weiß schon, ob das Fiktion oder Faktenbericht ist? Wer weiß, ob es Troja gab? Oder die Heiligen und die Apostel? Das Mittelalter fand Wege für die Beglaubigung durch die Reliquien. Körperfragmente, Knochen wurden ausgestellt und hatten die Aufgabe zu belegen, dass es die Referenten der Bibel physisch gab. Die Reliquienverehrung fand ihren profanen Erben dann in der Archäologie, deren mythischer Held Schliemann ist, der durch die Ausgrabung einer alten Stadt die Behauptung aufstellen konnte, es habe Troja wirklich gegeben, und auch den Achilles. Das Auffinden von Teilen des Referenten beglaubigt also diesen Bericht.
Dieses Reliquientum ist dem Fernsehen nicht zugänglich. Es gäbe nur andere Bilder, Filme, Fotos, auf die verwiesen werden könnte von diesem Ereignis oder auch jenem. Die massiven, paranoiden Betrugstheorien, die sich um die Mondlandung ranken und die Behauptung, sie habe nicht stattgefunden, sondern sei gestellt worden in einem Studio stellen den zentralen Angriff auf diese Glaubwürdigkeit vor – ein Angriff auf den sternstündlichen Gottesbeweis des Medium Divinum. Wie also kann Fernsehen die Glaubwürdigkeit sichern?
Durch den Wetterbericht. Der Wetterbericht kehrt die nachträgliche Nachricht um und macht das tatsächlich eintreffende Wetter zur Reliquie. Die Vorhersage, die sich auf den Lebensraum all derer bezieht, die den Wetterbericht schauen, bezieht sich auf ihre Lebensrealität. Am eigenen Leibe lässt sich am nächsten Tag der Referent erleben, von dem der Bericht gehandelt hat. Der fallende Regen, der Schnee, der Sonnenschein sind die Reliquien der Fernsehreligion – aus der archäologischen Vergangenheit in die meteorologische Zukunft gewendet.
2. Funktion: Ausgleich der kippenden Zeit
Fernsehen ist ein Live-Medium. Die Nachrichten werden live gesendet. Aus den ersten Zeiten der Fernsehnachrichten gibt es keine Aufzeichnungen. Und die Abendnachrichten werden nicht etwa vorproduziert und zeitversetzt ausgestrahlt. Sie werden live gesendet. Allerdings nicht ganz.
Das Live-Medium berichtet über Zurückliegendes, wenn auch nur einige Stunden. Es ist nach Hinten gerichtet, auch wenn die Live-Schalte zu Reportern die Livehaftigkeit herstellen soll. Die Nachrichten sind Nach-Richten. Das, worüber berichtet wird, ist vergangen. Das Livemedium transformiert sich in einen Engel der Kurzgeschichte, der nach Hinten blickt. Das Live-Medium kippt in die Vergangenheit und verliert damit seine behauptete Wesenhaftigkeit des „jetzt“. Dieses Kippen in die Vergangenheit „heilt“ der Wetterbericht, der ja nicht etwa erzählt, wie es jetzt ist (was ebenso viel oder wenig Relevanz hätte, wie die Vorhersage), sondern er richtet sich in die Zukunft. Der ENgel der Geschichte dreht sich um und blickt nach vorne und verkündet was er sieht. Selbst wenn es eine Nachricht von schlechtem Wtter ist, ist es (beabsichtigt) eine gute Nachricht, weil sie das Schlchte, das die Unsicherheit vor dem kommenden Wetter ist, neutralisiert und gute Nachricht verkündet: Dass das Wetter nicht überraschend sein wird. Der Segen am Ausgang der Kirche: Gehet hin im Regen. Und ob ihr wandelt im verschneite Tal, es kann euch nichts passieren, denn ich bin bei euch. Ihr wisst vom Schnee und könnt seine Auswirkung neutralisieren. Die schief hängende Waage mit den Schalen „Vergangenheit“ und „Zukunft“ wird durch den Wurf der Wetterprophezeiung in die Zukunfts-Waagschale ausgeglichen. Auf der Live-Nadel in der Mitte liegen Vergangenheit und Zukunft etwa ausgeglichen auf.
3. Funktion: Der korrigierte Schematismus
Die Nachträglichkeit der Nachrichten und die Vorträglichkeit des Wetterberichts hat aber noch eine andere Funktion. Wenn es zwischen Ereignis und Nachrichtsbericht einen Zeitversatz gibt, kommt der Schematismus zweizeitig. Erst findet die Wahrnehmung (durch das Kameraobjektiv) statt – dann die einordnende, schematisierte Erzählung. Der Wetterbericht kehrt dieses Verhältnis um. Zunächst ist es die Nachricht, die miteinander verbindet die wissenschaftlich-verstandesmäßige Herleitung des Wettergeschehens und die Voraussage des sinnlich wahrnehmbaren Wetters am nächsten Tag. Das tatsächlich eintreffende Wetter, der körperlich spürbare Regen, das sinnliche Faktum folgt dem schematisierten Wetter. Der Schematismus des Fernsehens kommt der Wirklichkeit zuvor und zeigt die wahrnehmbare Welt als eine nachfolgende Auswirkung dessen, was der schematisierende Verstand vor-gestellt hat.
4. Funktion: Gegen die Zeitungen siegen
Nachrichten melden die Fernseher, Nachrichten melden die Zeitungen auch. Auch sie kommen immer zu spät. Konzentriert man sich für einen Moment nicht darauf, dass das Schriftmedium Zeitung aufgrund seiner Schriftlichkeit gegen die Bildhaftigkeit des Fernsehens hat, kommt dem Wetterbericht eine weitere Funktion zu. Auch Zeitungen können das Wetter vorhersagen – aber warum sollten sie dieses tun? Die Zeitung liest man am Morgentisch – und liest man die Prognose darin, kann man sich mit einer Wendung des Kopfes falsifizieren. Das steht es regnet, dort regnet es nicht. Es wäre dumm, den Wetterbericht in der Zeitung zu bringen. Aus produktionstechnischen Gründen würde die Vorhersage etwa zum selben Zeitpunkt gemacht, wie diejenige, die sich im Fernsehen findet. Das Fernsehen aber kann darauf spekulieren, dass die konkreten Inhalte der Vorhersage am nächsten Tag schon vergessen sind. Es sagt in die Zukunft hinein, wo die Zeitung, wenn sie versucht in die Zukunft zu blicken, dem Leser nur die Gegenwart zu melden vermöchte. Das interessanteste Thema, das Wetter, hat das Fernsehen der Zeitung voraus.
5. Funktion: Die körperliche Relevanz
Fernsehnachrichten berichten alles von überall – und die Frage könnte nun sein: na und? Was hat das mit mir zu tun? Was haben Fernsehnachrichten mit mir, dem elenden Couchbewohner vor dem Heiligenschrein, zu tun? Warum soll ich es sehen? Ist es für mich relevant? Am Ende kommt diese Relevanz ins Spiel, bei der Wetterprognose. Sie rückt dem Couchbewohner auf den eigenen Leib. Mögen alle Berichte, fernliegend, abstrakt, von geistiger Relevanz sein. Das Wetter packt den Zuschauer selbst am eigenen Körper. Wirft ihn zurück auf das eigene Schwitzen und Frieren, auf das jämmerlich körperbehaftete Wesen, das er ist. „Du wirst morgen frieren“ – ist nach allem aus den Ecken der Welt das Konkrete am Ende der Fernsehnachrichten. Und dieses Wetter verbindet den Vereinzelten auf der Couch, der auf den Fernseher starrt, der sich die einzelnen Fernen betrachtet, wieder mit denen, die mit ihm frieren werden am nächsten Tag. Die Sprach- und Kulturnation wird durch das Fernsehen zur Wetternation. Gemeinsamkeit stiftet das Wetter – und der Prophet, der es allen vorhersagen kann.
Die Abkehr vom Wetter
Die Wettervorherage hatte ihre Funktionen – zenbtral. Und hat begonnen, sie zu verlieren. Seit etwa der Jahrtausendwende schickt sich die Börsenschau an, die Nachfolge des Wetterberichts anzutreten. Allmählich schleicht er sich an diese Position. Und dokumentiert damit zugleich einen Gesellschafts- und Medienwandel.
Vom Wetterbericht zum Börsenwetter
Der Wetterbericht war eine naturreligiöse Praxis im engeren Sinne: Die Dokumentation, dass die scheinbar unvorhersehbaren, in früheren Jahrtausenden von (anbetbaren) Götter und ihrem freien Willen geleiteten Geschehnisse, einer naturgesetzlichen Logik aus Hoch- und Tiefdruckgebiten, Fronten, Windrichtungen und Stärken usw. bestehen und sich damit vorhersagen lassen. Er war ein fernsehinhalt, insofern Fernsehen Wahrnehmung und Kommunikation verschaltet, wie die vorherigen Jahrunderte es von der Kunst kannten, und Bilder von Gegenständen zum sprechen benutzten wie zuvor nur Sprache und Schrift sprachen. Das Bild der Welt wird zur Rede, erzeugt ein Weltbild mit politischen und meteorologischen Sinnzusammenhängen. Die Wissenschaft wird die Königsdisziplin dieser Formation.
Der Börsenbericht schaltet um. Weg von der Vorhersage. Kaum ein Börsenbericht wagt es, eine Vorhersage für die nähere oder fernere Zukunft zu machen. Im Gegenteil. Wenn solche Aussichten vorgestellt werden, dann eher ironisch. Das Börsengeschehen selbst ist dabei kein Naturgeschehen, es ist ein scheinbar chaotisches, aber soziales Geschehen. Die Börsenkurse werden durch menschliches (Börsen-)Handeln bewegt und verändert. Kein einziger Handelnder kann sie alleine bewegen. Keine organisierte Aktion kann sie bewegen. Erst die Aufbereitung durch so etwas wie Indizes macht sie überhaupt als Phänomen erkennbar. Und öffnet sie der Finanzhermeneutik der Börsenschauer. Der Börsenbericht unternimmt es, zwei Welten zusammen zu bringen: Die Welt der Finanzströme und die Welt des Sinns, des sinnhaften Handelns – und insbesondere des politischen Handelns. Das machen etwa die Erscheinungen der letzten Jahre unter dem Namen „Finanzkrise“ klar. Das Oderhochwasser war vielleicht das letzte Mal, dass politisches und naturgewaltiges Handeln miteinander verschränkt und zur großen Erzählung wurden. Seit etwa 2007 wurde die Erzählung umgestellt auf die Verbindung zwischen Börsenhändlertum und politischem Handeln. Das vielfältige Geschehen der Börse wird dazu zu einem Gesamtbild, einem „Wetter“ gleich, aufbereitet, in ein größeres „Klima“ integriert. Und es wird mit Sinn versehen.
Wetter hat keinen Sinn, der Wetterbericht hat den Sinn zu zeigen, dass menschliche Wissenschaft in der Lage ist, nachzuweisen, dass die Natur Gesetzen unterliegt und dadurch in der Lage ist, Vorhersagen zu treffen. Der Börsenbericht versammelt die chaotischen Börsengeschehnisse zu einem ganzen, aus dem Sinn destilliert werden soll. Der Sinn, dem die Börsenbewegung folgt. Die Botschaft, die daraus entsteht: Einerseits die reflexive Botschaft der Auskunft über sich selbst. Denn die Zahlen sollen besagen, wie der Markt steht und sich verhält. Erst durch künstliche Kumulation der Daten lässt sich sagen. Ob es regnet oder die Sonne scheint an der Börse. Der Börsenbericht erklärt nicht, was das Wetter von morgen ist, sondern er sagt, wie das Wetter heute ist bzw. war. Der Börsenbericht IST das Wetter, das als Sinn aus den Daten abgeleitet werden kann. Zugleich leitet es die Botschaft daraus ab, die „die Märkte“ damit aussagen wollen – insbesondere an „die Politik“.
Es ist kein Zufall, dass die Börse ihren Status (zumindest in Deutschland, wo ich es beobachten konnte) zu genau dem Zeitpunkt einzunehmen begann, als die sogenannte New Economy im Zusammenhang mit den großen Zukunftshoffnungen durch das Internet ihren Höhenflug hatte. Börse und Internet hängen strukturgleich zusammen. Börse ist jenes dezentrale Multi-User-Netzwerk, das sich kommunikativ als Internet erfahrbar macht. Und Fernsehen übernimmt die Aufgabe, dieses chaotische Netzwerk wie ein Wettergeschehen in den Blick zu nehmen und interpretatorisch aufzubereiten. Wer von der „Netzgemeinde“ spricht, kann genauso von der Börse sprechen.
Und mit dem Umstieg von der Meteorologie zum Börsenguru tritt das Fernsehen in eine neue Zeit, neue Welt ein. Es macht eine neue Welt.
[…] Nur ein Kommentar: Lesen! Das Mysterium der Wettervorhersage (via POSTDRAMATIKER) […]