Das Zypern-Experiment — und die Girofalle

März 18th, 2013 Kommentare deaktiviert für Das Zypern-Experiment — und die Girofalle

Zunächst klingt es ganz ein­fach — aber auch das schon bedroh­lich: Zypri­sche Spa­rer sol­len von ihrem Gut­ha­ben zwi­schen 6,75% (unter 100.000 Euro Gut­ha­ben) und 9,9% abge­ben als Bei­trag zur Lösung der loka­len Finanz­kri­se. (Mehr auf Spon). Das ist natür­lich ein Expe­ri­ment, das durch­aus zu erwar­ten war. Die­ses heißt: Was geschieht, wenn tat­säch­lich nicht nur insti­tu­tio­nel­le Inves­to­ren und Anle­ger (wie sei­ner­zeit in Grie­chen­land) bei einem Schul­den­schnitt blu­ten müs­sen, son­dern die Bür­ger jeder Ein­kom­mens- und Vermögensschicht?

Zypern ist der geeig­nets­te Kan­di­dat für ein sol­ches Expe­ri­ment, weil Bevöl­ke­rungs­zahl und Wirt­schafts­leis­tung in der Euro­zo­ne über­schau­bar sind. Das heißt: Ver­mut­lich sind auch die Schä­den bei einem Miss­lin­gen beherrsch­bar. Was heißt hier “Miss­lin­gen”?

Dass nah Wie­der­eröff­nung der Ban­ken in den nächs­ten Tagen die Zyprio­ten und alle ande­ren Besit­zer von Ein­la­gen auf zyprio­ti­schen Ban­ken doch noch ihr (inzwi­schen redu­zier­tes) Ein­la­ge­ka­pi­tal abhe­ben, weg­über­wei­sen, aus Zypern abzie­hen. Dann stür­zen die zyprio­ti­schen Ban­ken zusam­men, was teu­er wird, aber ver­mut­lich für die EU noch rett­bar. Dafür ist Zypern eben klein genug — anders sähe das aus, wür­den etwa Spa­ni­en, Ita­li­en oder Frank­reich die­sen Schritt gehen und die ent­spre­chen­den Fol­gen ein­tre­ten. Die Zyprio­ten blu­ten auf Probe.

Denn wenn es in Zypern gelingt, sich die Stim­mung schnell beru­higt, darf über den media­len Gewöh­nungs­ef­fekt davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass nun­mehr an den Gedan­ken und an den Pro­zess gewöhn­te Öffent­lich­kei­ten (sicher in Grie­chen­land, ver­mut­lich auch in wei­te­ren Län­dern) bei dem­sel­ben Schnitt­schritt bei ihnen ver­mut­lich ähn­li­che Ver­hal­tens­wei­sen auf­tre­ten. Die Bür­ger und Ein­le­ger in nach­fol­gen­den Län­dern gewöh­nen sich dar­an, dass ein biss­chen ihres Gel­des ver­schwin­det, der Rest aber erhal­ten bleibt. Der zwei­te Skan­dal ist kein Skan­dal mehr, son­dern als ers­te Wie­der­ho­lung bereits ein Schritt zur Rou­ti­ne. Na, kannst halt nix machen, sind ja nur XX Pro­zent. — Und es wer­den sicher­lich schritt­wei­se mehr Prozent.

Das Risiko der europaweiten Bank-Runs

Das eigent­li­che Risi­ko besteht drin, dass die Bür­ger ande­rer Län­dern den Bra­ten rie­chen. Dass sie also jetzt zum ers­ten mal die Bewe­gung jener kal­ten, unsicht­ba­ren Hand spü­ren, die bereits in ihrer Tasche steckt. Dass sie also bereits jetzt begin­nen, ihre Ein­la­gen in Sicher­heit zu brin­gen. Vor­sorg­lich. Denn auf Zypern ist der Bank-Run jetzt sinn­los. Jetzt ist das Geld nicht mehr zu ret­ten. Bevor die Ban­ken wie­der eröff­nen — sind die Pro­zen­te bereits weg.

In “Schuld und Schein” (hier down­load­bar) hat­te ich ja am Ende rela­tiv unver­hoh­len zum Bank-Run auf­ge­ru­fen. Bevor sol­che Schnit­te erfol­gen, sind sie erfolgt, ist es zu spät. Es ist auch zu spät, wenn die Bank-Runs bereits zur Not-Schlie­ßung von Ban­ken und zum Aus­zah­lungs- und Über­wei­sungs­stopp geführt haben. Im Grun­de wäre also ein euro­pa­wei­ter Bank-Run in den Län­dern, die den Schnitt noch nicht voll­zo­gen haben, zum Gegen­wär­ti­gen Zeit­punkt noch sinnvoll.

Die Girofalle

Auf dem Schuld und Schein-Blog habe ich (hier) über die Giro­fal­le geschrie­ben (hier ein Keynes-Zitat dazu, hier ein Lösungs­vor­schlag) , das heißt über jene sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten voll­zie­hen­de Bewe­gung, dass Geld zuneh­mend weni­ger in phy­si­scher Form (als Bank­no­ten und Mün­zen) in den Hän­den und Taschen der Bür­ger ist, son­dern in elek­tro­ni­scher Form auf den Ban­ken liegt. Und dort als Zah­lungs­mit­tel elek­tro­nisch ein­ge­setzt wird: Gehalt geht elek­tro­nisch ein, Mie­ten wer­den elek­tro­nisch über­wie­sen, grö­ße­re Zah­lun­gen fin­den elek­tro­nisch statt. Das elek­tro­ni­sche Giro­kon­to wird zur vir­tu­el­len Geld­bör­se, mit dem Effekt, dass auch das nicht als Spar­ver­mö­gen ein­ge­leg­te Geld, son­dern das Geld al Zah­lungs­mit­tel nun­mehr in immer grö­ße­rem Umfan­ge auf Ban­ken liegt. Und genau das bekom­men die Zyprio­ten — soweit gegen­wär­tig abseh­bar ist — bit­ter zu spüren.

In Zypern sind — soweit man es gegen­wär­tig den Ver­laut­ba­run­gen ent­neh­men kann — nicht nur län­ger­fris­ti­ge Spar­ein­la­gen von dem Schnitt betrof­fen, son­dern offen­bar auch Giro­kon­ten (so schreibt heise.de: “Betrof­fen sind nicht nur Spa­rer, son­dern auch Giro­kon­ten, über die Gehalts­zah­lun­gen lau­fen.”) . Um das klar zu machen: Wer sein Giro­kon­to jetzt im Plus hat, weil Gehalt eige­gan­gen ist, weil die Mie­te erst am Ende des Monats fäl­lig wird, weil eine Zah­lung ansteht, weil Hartz IV (oder wie das in Zypern hei­ßen mag) ein­ge­gan­gen ist: Der gibt die ent­spre­chen­den Pro­zen­te ab. Nicht aus Spar­an­la­gen, son­dern aus der elek­tro­ni­schen Geldbörse.

Vor eini­gen Jahr­zehn­ten hät­te man, um das bewerk­stel­li­gen zu kön­nen, noch Poli­zis­ten auf den Stra­ßen patrouil­lie­ren und Geld­bör­sen­kon­trol­len durch­füh­ren las­sen müs­sen — mit direk­ter Ein­zie­hung der betref­fen­den Pro­zen­te. Man hät­te Haus­durch­su­chun­gen machen müs­sen, um Spar­strümp­fe zu fin­den und plün­dern zu kön­nen. All das voll­zieht sich jetzt auf elek­tro­ni­schem Wege. Und es betrifft eben nicht nur zurück­ge­leg­te Spar­gelder, das heißt sol­che Gel­der, die tat­säch­lich im enge­ren Sin­ne (ange­leg­te) Ver­mö­gen sind. Son­dern es betrifft — wohl­ge­merkt: nach aktu­el­lem Stand — auch das Umlauf­geld in elek­tro­ni­scher Form.

Wer jetzt noch nicht kapiert, dass im elek­tro­ni­schen oder digi­ta­len Zeit­al­ter sich fun­da­men­ta­le Spiel­re­geln gewan­delt haben, dem ist nicht mehr zu hel­fen. Die Zyprio­ten sit­zen in der Giro­fal­le, in der man ihnen ihre Zah­lungs­mit­tel pro­zen­tu­al ein­zieht. Der sym­pa­thi­sche Glau­be, man könn­te über phy­si­sche Rea­li­sie­rung (in Form von Bank­no­ten) sein Geld ret­ten, ist naiv. Es gibt nicht genug phy­si­sches Geld um die gesam­ten elek­tro­ni­schen Ein­la­gen zu rea­li­sie­ren. Nicht ein­mal für die zyprio­ti­schen Ein­la­gen. Noch weni­ger für die Ein­la­gen grö­ße­rer Wirtschaftsräume.

Sind wir gespannt, wie die Zyprio­ten reagie­ren. Wel­che Schlüs­se dar­aus die Grie­chen, Spa­ni­er, Ita­lie­ner, Por­tu­gie­sen, Fran­zo­sen zie­hen. Ob sie ver­su­chen, sich phy­si­sches Geld zurück in die Strümp­fe zu ste­cken. Und damit Zypern tat­säch­lich die Kern­schmel­ze durch eine Ket­ten­re­ak­ti­on aus­löst. Oder ob die Euro­pä­er in guter Tra­di­ti­on dar­auf war­ten, bis die kal­te unsicht­ba­re Hand ihnen die Haa­re schneidet.

 

 

 

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