Der Reichstag brennt in allen Köpfen. Hier zum Beispiel oder da. Da und da. Es gibt noch keine Bilder, die den brennenden Reichstag zeigen wie einst das WTC. Aber der Bericht über die Gefahr eines zukünftig brennenden Reichstags hat dieselbe Wirkung wie der Bericht über einen brennenden Reichstag. Phantasien hier oder da, Imaginationen dessen, was geschah und berichtet wird oder was geschehen könnte. Die Phantasie trennt nicht zwischen Vergangenem und Zukünftigem. Die Warnung vor dem Terrorakt nimmt den Terrorakt vorweg. Und schnell herbeigezauberte „Maßnahmen“ (wie die VDS) gaukeln vor, eine Sicherheit herstellen zu können, die natürlich die Angst nicht bannen wird. Denn es geht um anderes – aber worum? Es geht um die Bilder des brennenden Reichstags. Nur um Bilder (die ein geübter Photoshopper innerhalb einiger Minuten, Roland Emmerich sicher sogar als Film produzieren könnte).
Die Wette
Terrorismus alter Prägung war mit Forderungen verbunden Erpressung zur Systemänderung oder zur Freilassung von Häftlingen. Was ist hier die Forderung? Worum geht es? Um das Bild des brennenden Reichstags. Auf der einen Seite die Wette, dass es dieses Bild geben wird. Auf der andern Seite die Wette, dass nicht. Die Wettpartner Al Kaida und Thomas de Mezière. Wird Gottschalk dauermoderieren? Ist Ackermann, jener Spekulant auf die Zukunft, der Wettpate? Oder Jörg Kachelmann? Denn die mediale Verfassung dieses Terrors ähnelt der medialen Verfassung der Bankenkrise, ungemein. Einsturz des WTC führte zu weltweiter Angst, Einsturz von Lehmann Brothers stürzte die Weltwirtschaft aufgrund einer „Vertrauenskrise“ zwischen den Banken ins Verderben. Der Wettervorhersager Kachelmann stürzte ein, als eine Nachricht über ihn in Umlauf kam. Spekulationen über „tat ers“ oder „tat ers nicht“, Börsenspekulation, Nachrichtenspekulation, Ereignisspekulation. Die Spekulation ist der Kriegsschauplatz der Gegenwart. Wer ist der Gegenstand dieser medial ausgetragenen spekulativen Wette? Wir. Sind der Wetteinsatz. Roulette – aber nicht russisches, sondern arabisches Roulette.
Die verkehrte Welt: Wirkung vor der Ursache
Die Wette trifft uns in unserm Innersten: In unserer Ausrichtung auf die Zukunft. Erinnerung und Vergangenheit ist eine Welt der Historiker und der massenmedialen Fernsehberichte, die uns sagen, was geschah. Nur der Wetterbericht sagt, was vermutlich morgen geschehen wird. Und natürlich die Börsenspekulation. Die Zukunft. Der große Glaube der Gegenwart. Die Schulden, die unsere Kinder abzahlen müssen. Die Wirtschaftsentwicklung, die die 5 Weisen aus dem Übermorgenland verkünden. Prognosen und Sonntagsfragen , die herausfinden sollen, wie die nächste Wahl ausgegangen sein werden könnte.
Es war einmal eine Zeit, das schlug eine Tat ein wie ein Blitz. Zum Beispiel ein Reichstagsbrand. Polizei und Feuerwehr zogen danach auf, sperrten ab, sicherten und löschten. Der Berliner ging durch die Satdt und fragte sich: Wer war es. Die Polizei sichert Spuren, dem Archäologen und Reliquiensammler gleich. Dann fand man den „Täter“ (oder jemanden, den man dafür ausgab) – und rächte sich an ihm.
Heute geschieht die Tat in der Zukunft. Sie wird mit einer Wahrscheinlichkeit angekündigt, die der Wettervorhersage gleicht. Bombenwarscheinlichkeit im Februar und März: 80 Prozent. Und heute geht, wer vor dem Reichstag steht, mit dem Blick herum: Wer wird es sein? Wird es dieser sein? wird es mich treffen? Die Polizei sperrt vor der Tat ab, sucht vor der Tat Spuren einer Tat, die erst geschehen wird. Geschehen werden könnte. Die Reliquien gehören einem kommenden Anti-Messias, der sich zugleich mit seiner Tat vermutlich auslöschen wird. Wie der Täter einstamals erst als Täter erschien, als die Tat geschehen war und gesucht werden könnte, so entsteht der Täter jetzt vor der Tat und verschwindet mit und in ihr.
Die Wette trifft uns in unserem Glauben an die Zukunft, und der Hoffnung, die Zukunft heute bereits präformieren zu können. Die Wirkung des Reichstagsbrandes tritt ein, bevor ihre Ursache eingetreten ist (die vielleicht nie eintreten wird). Die Folgen und Konsequenzen werden schon jetzt gezogen. Das ist die neue Form des Terrorismus, der keine Aufblähung des Fahndungsapparates umfasst, sondern die Aufblähung der Prophylaxe – ein weiteres Thema. Prophylaxe ist das Zauberwort der Gegenwart: Gesund essen, um länger zu leben. Nachhaltig wirtschaften. Vorsicht, damit die Zukunft nicht ruiniert wird. An dieser Zukunft setzt die Wette an. Wetten, dass wir euch die Zukunft zerstören? In Zukunft? Und dass euer Blick auf die Zukunft kein Blick mehr mit Hoffnung sein wird, sondern mit Angst! Wette gewonnen? Spekulation erlaubt.
Der Täter ist unsichtbar
Der Kampf gilt einem unsichtbaren Feind, der jetzt nicht zu sehen ist und nach der Tat sich unsichtbar in seine Einzelteile zerstreut haben wird. Wer ist der Täter bei Selbstmordattentaten? Derjenige, der den Gürtel trägt und sich mit der Tat in seine Einzelteile auflöst? Der im Zweifelsfall der Zerrissenste aller Zerrissenen ist? Der vielleicht sogar der einzige Zerrissene ist — bis zur völligen Spurlosigkeit? Ist der nicht vielmehr dem klassischen Bombenkoffer gleich, der irgendwo abgestellt wird? Dann wäre der Täter derjenige, der ihn abstellt. In der Rechtsprechung wäre der aber vermutlich eher nur Anstifter. Kein Zeuge sieht ihn am Tatort. Der zerstörerische Wille geht vom Anstifter aus, der den Attentäter nur als Werkzeug benutzt.
Spätestens seit Vietnam und der sogenannten Asymmetrie der Kriege wissen Staaten um die Gefahr unsichtbarer Feinde. Nicht-Uniformierte, nicht „reguläre“ Truppen sind nicht regulär zu bekämpfen. Der Feind gleicht einem Gespenst, das sich kurz zeigt und dann wieder verschwindet. Im Wald. In der Menge. Wer in der Menge ist der Täter? Der Attentäter ist nicht feindlicher Kämpfer und nicht Krimineller. Er ist zugleich beides und nichts von beidem. Etwas Drittes, das sich nicht fassen lässt mit den traditionellen Kategorien. Dem Partisanen in Carl Schmitts Spätwerk gleich, wandelt er auf der Grenze zwischen denjenigen, der nur für seine Kampfteilnahme interniert und am Weiterkämpfen gehindert werden darf, und dem, der für seine Verbrechen bestraft werden muss. Guantanamo ist das grauenvolle Zeichen dieses Dritten, das Schwanken zwischen feindlichen Kombattanten und Verbrechern, zwischen Militär- und Zivilgerichtsbarkeit.
Wenn aber der Reichstag schon jetzt brennt — wer hat ihn angezündet? Vor 77 Jahren schob man einen Täter vor — von dem bis heute nicht geklärt ist, ob und wenn ja unter welchen Umständen ers war. Wer hat den Reichstag heute in den Köpfen angezündet? Könnten es — Massenmedien sein?
Der unsichtbare Dämon
Erst durch mediale Berichterstattung und politische Warnungen wird den möglichen Tätern eine Aura des Dämonischen, eine Macht über Leben und Tod, über die Zukunft gegeben, die Angst verbreitet. Eine quasi-göttliche Macht, die entscheidet, wer abberufen wird aus dem Leben, wer nicht. Wie lächerlich. Wer traut sich, eine Comedysendung über Selbstmordattentäter zu machen? Wer traut sich, die Knallfrösche als die Knallfrösche zu zeigen, die sie sind. So zum Beispiel:
Die Endlichkeit
Ich fahre Auto. Ich rauche. Ich ernähre mich nicht besonders gesund. Ich gehe bei Rot über die Straße. Ich nutze Flugzeuge. Ich habe vermutlich hunderte Stunden in asbestverseuchten Räumen verbracht . Ich habe Nahrungszusätze in mich geschaufelt, die heute vermutlich nicht einmal mehr als Sondermüll entsorgt werden dürften. Ich werde irgendwann sterben. Das ist nichts neues. Jetzt kommt noch die Möglichkeit dazu, dass ein solcher Anschlag mich tötet. Na und?
Ich leb und waiss nit, wie lang,
Ich stirb und waiss nit, wann,
Ich far und waiss nit, wohin,
Mich wundert, dass ich froelich bin.
Martinus von Biberach, 1498
Die Wette
Warum eingehen auf die Wette? Warum noch Polizisten gefährden. Warum nicht einfach sagen: Ihr wollt den Reichstag zerstören? Nur zu. Wir haben den Reichstag schon so oft wieder aufgebaut. Wir bauen ihn auch nach euch wieder auf. Na und? Ihr wollt eine Wette? Wir wetten nicht. Wir leben in Freiheit. Und von euch lassen wir uns noch lange nicht bange machen.
P.S. Und wir lassen die Angst, die die Pressesprecher, Regierungsmitglieder, Polizeiverantwortlichen, Geheimdienstchefs und wer da noch so alles mitplappert, nicht dafür missbrauchen, diese Freiheit zu beschneiden.