Was ist eine Revolution? Fragen wir den Protagonisten der enzyklopädischen Revolution, Wikipedia:
Der Begriff Revolution wurde im 15. Jahrhundert aus dem spätlateinischen revolutio („das Zurückwälzen, die Umdrehung“) entlehnt und zunächst als Fachwort in der Astronomie für den Umlauf der Himmelskörper verwendet. Später wurde das Wort auch allgemein für „Veränderung, plötzlicher Wandel, Neuerung“ gebräuchlich. Die heutige Bedeutung als „meist, jedoch nicht immer, gewaltsamer politischer Umsturz“ bildete sich erst im 18. Jahrhundert unter dem Einfluss der Französischen Revolution
Es macht Sinn, einen Schritt hinter die Begriffsdimension des 18. Jahrhunderts zurückzugehen – hin zur Astronomie. Denn ganz so harmlos, wie es diese Definition andeutet, ist die „Revolution“ der Astronomie nicht. In De revolutionibus Orbium Coelestium hatte Nikolaus Kopernikus die größte Revolution der Neuzeit formuliert: Die Einsicht, dass sich die Erde um die Sonne dreht (und nicht umgekehrt). Diese Revolution änderte nichts an den physikalischen „Gegebenheiten“. Sie war „lediglich“ eine „Revolution der Denkungsart“, wie Kant so schön formulierte. Heißt: Revolutionen haben nicht unbedingt damit zu tun, dass Regierungen gestürzt oder andere bestehende Verhältnisse radikal gewandelt würden. Schon ein radikaler Wandel der Beobachtungsprinzipien und Grundeinstellungen oder einfach der Verhaltensweisen (von denen das Beobachten ein Sonderfall wäre) genügt für eine Revolution.
Auf einen Kommentarhinweis von Kusanowsky hin habe ich mir Revolutionsmedien – Medienrevolution beschafft und mit großem Interesse gelesen. Insbesondere hinsichtlich der Französischen Revolution ist darin festgestellt, dass eine explosionsartige Nutzungsvermehrung von Verbreitungsmedien wie Plakaten, Flugblättern, Broschüren und Untergrundzeitungen wesentlich an dieser Revolution beteiligt war. Dass also eine bestimmte, massive Mediennutzung quasi grundsätzlich revolutionsimmanent ist. Für das 20. Jahrhundert mag der Verweis, das es ein – wenn nicht DAS – Hauptziel einer jeden putschistischen oder revolutionären Bemühung ist, zunächst in den Besitz der wichtigsten Massenkommunikationseinrichtungen zu gelangen. Die Meldung über den Sturz der Regierung ist wichtiger, als der „reale Sturz“. Macht über die Nachrichten heißt Macht über das Land zu haben. Als erstes sind die Rundfunkstationen zu besetzen. Zugleich ist die ausländische Berichterstattung der dritte entscheidende Faktor: Wie schätzt das Ausland die Revolution ein. Im Falle Ägypten zeigte sich insbesondere die Macht von Al Jazeera, die per Livestream unablässig aus Kairo berichteten und damit das Auge der Welt auf den Geschehnissen ruhen ließen. Erst als die Welt sich einig war, dass es sich nicht um eine Revolte, sondern um eine Revolution handelt, dass also die bisherigen Machthaber nicht zu halten sein würden, die militärische Ordnungsmacht sich für Neutralität entschied, war der Bewegung Erfolg gesichert. Prager Frühling, Tian-an-men, 1989 – sie alle lassen sich auch und vor allem mit diesen erfolgskritischen Ingredienzien beschreiben.
Das heißt aber, um zu einer vorläufigen Bestimmung von „Revolution“ zu kommen: Revolutionen sind Bewegungen, die sich „autopoietisch“ (an dieser Stelle halte ich den Begriff für tatsächlich zielführend) durch bestimmte Kommunikationsmittel als gemeinsame Bewegungen bilden. Die zerstreute Unzufriedenheit oder die in Resistance-Nestchen organisierte Widerstandsbewegung findet durch Einsatz von Massenkommunikationsmitteln schlagartig zusammen, bildet eine gemeinsame Struktur, den Zellen im erhitzten Silikonöl gleich.
Diese dissipative Struktur muss nunmehr die Macht über die noch vereinzelten Köpfe bekommen, indem sie sich die wichtigsten Massenkommunikationsmittel aneignet. Und sie muss zugleich in den Augen der ausländischen Beobachter als legitime politische Bewegung wahrnehmbar werden.
Sind nun also die arabischen Revolutionen „Facebook-Revolutionen“? Damit hat sich Christoph Kappes auf Carta beschäftigt. Im nächstenPosting dazu mehr.