Was ein Drama ist, was ein Dramatiker macht, scheint mir noch nicht so recht verstanden zu sein. Es gibt seit einiger Zeit die Debatte über dramatisches und postdramatisches Theater, gelegentlich wird dabei entweder das Ende des Dramas, der Tod des Dramatikers als Autor konstatiert gefeiert, gefordert, alternativ dazu das Überleben oder Nicht-tot-zu-kriegen des Dramas oder Dramatikers – oder dessen Rückkunft gefordert. Das alles funktioniert ganz gut, um irgendwie noch über irgendwas etwas zu sagen und zu reden zu haben. So könnte man es weiter laufen lassen und sich sicher sein, dass auch in näherer Zukunft noch Druckseiten gefüllt, Stammtische und Konferenzen damit belebt werden können.
Dabei kommt die Frage zu kurz, wovon eigentlich die Rede ist, wenn vom Drama die Rede ist. Sicherlich gibt es eine große Zahl der Versuche dramatischer Regelpoetiken bis zurück zu Aristoteles und man könnte mit dem Verweis darauf oder einigen einschlägigen Zitaten versuchen, diese Frage zurückzuweisen, auf mangelnde Informiertheit des Fragers verweisen und ansonsten weiter machen, wie gehabt. Wer das möchte, kann und sollte an dieser Stelle aufhören zu lesen.
Wer jetzt noch weiter liest, kann sich die Frage stellen, wie es denn kommt, dass bestimmte Geschehnisverflechtungen als Drama bezeichnet werden, andere nicht. Das impliziert, sich von einer selbstverständlichen Verwendung von Begriffen wie „Anfang“, „Mitte“, „Ende“ zu verabschieden und diese darauf zu befragen, was denn überhaupt ein Anfang sein soll. Oder ein Ende. Oder noch eigenartiger: etwas zwischen beiden. Man nehme ein beliebiges, unstrittig als „Drama“ qualifiziertes Artefakt und streiche ganz mathematisch (nach gezählten Wörtern) die ersten 10%, die letzten 10% und nehme auch in der Mitte nach rein mathematischen Kriterien 10 % heraus. Würde das, was da übrig bleibt, von einem Betrachter, der in der Lage war, das ungestrichene Artefakt als „Drama“ zu erkennen, jetzt noch als Drama beschrieben werden? Was sorgt dafür? Alle Antworten, die dazu jetzt gegeben werden könnten, sollten als Antworten vermerkt„ aber nicht akzeptiert werden, sondern Ausgangspunkt für die Fragen sein: Was genau meint und besagt diese Antwort? Woher kommt diese Antwort, warum kann sie der Betrachter geben, aus welcher Tradition, welchem Bezugsrahmen, welcher Ideologie heraus kann er sie geben? Und wie kann ein als Drama beschriebenes Artefakt Bestandteile verlieren und dennoch weiter als Drama gelten? Denn tatsächlich gehört es ja durchaus zum theatralen Alltag, Dramen einzustreichen.
Was also sorgt dafür, dass ein bestimmtes Gebilde, das auf einer Ebene aus Figuren oder Personen bestehen mag, auf einer tiefer liegenden Ebene aus Sätzen besteht, als „Drama“ beschreibbar wird, ein anderes solches Ensemble nicht? Dass es zuschauer gibt, die nach einer Vorstellung, in der sie ein Artefakt aus unterschiedlichen Geschehnissen betrachtet haben, feststellen können, sie hätten es entweder “verstanden” oder “nich verstanden”, es habe “Sinn” oder “keinen Sinn”. Usw. Wie kann Bertolt Brecht einen Satz wie den Folgenden schreiben:
Die alte Form des Dramas ermöglicht es nicht, die Welt so darzustellen, wie wir sie heute sehen. (Brecht, Über experimentelles Theater, 47.)
To be continued. Maybe.