Vor einigen Tagen war in der Welt Online hier ein Interview mit dem Sony Music International Chef Edgar Berger zu lesen, das sowohl in den Äußerungen spannend, wie auch in den Implikationen verblüffend ist. Zeigt es doch mehr als deutlich, dass die Musikindustrie in den letzten anderthalb Jahrzehnten die Gesetzgebung vor den eigenen Karren gespannt oder gezerrt hat, um eine mangelhafte Anpassung des eigenen, überholten Geschäftsmodells zu vermeiden. Anderthalb Jahrzehnte wurden Musikfans abgemahnt, kriminalisiert oder gar vom Netz abgeschnitten — weil die Musikindustrie es geschafft hat, durch massive Lobbyarbeit Parlamentariern den nahenden Untergang der Kultur zu prophezeien. Neben einem weidlichen Entsetzen meinerseits, führt es doch auch zu der ganz klaren Konsequenz, dass andere Industrien wie Filmfirmen oder Verlage keine Chance haben dürfen, den selben Rechtsmissbrauch zu wiederholen.
Das Internet ist für die Musikindustrie ein großer Glücksfall, oder besser gesagt: Das Internet ist für uns ein Segen.
Das sagte Edgar Berger wörtlich. Bedrohung? Untergang? Segen! Ach was? Und warum ist das so?
Wir haben im Netz inzwischen weltweit mehr als 500 Musikhändler wie iTunes oder Amazon, die kaum noch etwas mit den früheren Musikläden zu tun haben. Diese Dienste sind von überall erreichbar, jeden Tag für 24 Stunden. Und sie haben keine Platzprobleme, weil sie keine Regale brauchen. Außerdem schaffen soziale Netzwerke ganz neue Verbindungen zwischen Musikstars, Fans und Produzenten. Wir können auf diesen Weg viel zielgenauer werben.
Dolles Ding, dieses Internetz. Noch doller, dass die Musikindustrie 15 Jahre braucht, um das zu verstehen. Die Musikindustrie macht jährlich Umsätze von 5 Milliarden Euro im Internet. Etwa ein Drittel des Gesamtgeschäftes, so Berger, ist heute digital. Und jetzt kommts:
Die Welt: Warum hat sich die Industrie denn mehr als zehn Jahre Zeit für diese Anpassung gelassen?
Edgar Berger: Es dauerte, bis neue Geschäftsmodelle entwickelt waren und die kritische Masse erreicht war.
Mir hauts vor Verblüffung fast die Finger von der Tastatur. Berger sagt hier nichts anderes, als: Hey Leute, schade, dass wir euch über 10 Jahre strafrechtlich verfolgen mussten — aber hey, wir mussten halt mal bisschen nachdenken. Und damit in der Zwischenzeit keine Fakten geschaffen werden, musstet ihr mal kleine Auszeit im Knast nehmen. Sorry. Konntet in der Zelle ja bestimmt Radio hören. Jailhouse Rock und so. Wenn ihr GEZ gezahlt habt.
Bestandsschutz für Raubrittertum
Nun sagt Berger in der Folge etwas, das immer wieder zu hören ist — und das auf den ersten Blick schlagend wirkt:
Edgar Berger: Wer das Urheberrecht abschafft, wird nur dafür sorgen, dass es irgendwann nichts mehr zu kopieren gibt.
Genau das ist die Vermischung von Urheberschutz und Industrieinteressen, die leider dazu führt, dass oberflächliche Betrachter der Debatten und verängstigte Urheber sich der Forderung der Musikindustrie nach Schutz vor “Raubkopien” anschließen. Tatsächlich ist dem natürlich nicht so. Was Herr Berger verschweigt, ist der Anteil der Urheber an den 5 Milliarden Digitalumsatz. Ich wette, er beträgt genau den selben Prozentsatz wie beim Verkauf physischer Datenträger (CD’s) in stationären Ladenhandel. So um die 10 %. Das heißt 90% für die Industrie, die keinen Handschlag und keinen Cent für die Erstellung und den Vertrieb der Dateien über das Netz investieren müssen. Wie das zu bewerten ist, haben die Ökonomen Volker Grossmann und Guy Kirsch letztens hier in der FAZ dokumentiert:
Die einzelnen Künstler und Autoren werden als menschliche Schutzschilde eingesetzt. Denn Urheberrechte manifestieren oftmals eine im vordigitalen Zeitalter erworbene Machtposition, mittels derer die Unterhaltungsindustrie eine Rente, das heißt ein leistungsloses Einkommen, erwirtschaftet. Wie ehedem die Raubritter: Auch diese nahmen die Bauern aus, die ihre Waren in die Stadt bringen wollten, ebenso die Städter, die auf dem Markt einkaufen wollten — und rechtfertigten dies damit, dass sie die Sicherheit der Wege gewährleisteten.
Die elende Debatte weiter zu führen, lohnt sich jetzt nicht mehr. Das Berger-Interview zeigt, was das Problem ist: In einer von Wasser komplett bedeckten Welt lässt sich mit Pressluftflaschen gutes Geschäft machen. Gehen die Menschen aber an Land und können die Luft frei atmen — hilft nur noch, den Menschen Plastiksäcke über den Kopf zu ziehen, um ihnen weiter Luft in Dosen verkaufen zu können. Das genau hat die Musikindustrie 15 Jahre lang getan — und Film- und Buchindustrie machen Anstalten, es ihr nachzutun.
Napster ist doch dufte gewesen
Dabei zeigt das Berger-Interview auch, was vor 15 Jahren der richtige Weg gewesen wäre:
Untersuchungen haben übrigens ergeben, dass Menschen, die Musik illegal aus dem Internet laden, pro Jahr für durchschnittlich 42 Dollar Musik kaufen. Legale Downloader hingegen kaufen für 76 Dollar. Wer aber ein Abo-Service nutzt, gibt 126 Dollar aus.
126 Doller für netzbasierten Abo-Service. Ich gehe mal nicht davon aus, dass 100 Dollar davon an die Künstler verteilt werden, sondern nur 12. Das ist eine veritable Gelddruckmaschine, gegen die das Fiat Money Prinzip der Banken, die aus der Luft durch Kredite Geld schöpfen können, wie eine Anfängerübung aussieht. Eine Datei erstellen, auf ein par Plattformen zum Anhören bereitstellen — und die Kröten in großer Schar in die eigene Tasche wandern lassen.
“Netzbasierten Aboservice” gab es übrigens vor 15 Jahren schon. Nannte sich Napster und das Abo war kostenlos. Jeder konnte hören, was er wollte. Was tat die Industrie? Verfolgte Napster gerichtlich bis zum traurigen Ende. Anstatt Napster zu kaufen, den Nutzern die Weiternutzung gegen eine Gebühr von 2–3 Dollar anzubieten — mit der Kommunikation, dass 80% der Einnahmen, die hier erzielt werden, den Künstlern ausgeschüttet werden. Wetten, dass die User das gerne genutzt hätten. Und wetten auch, dass bis heute die Preiserhöhung auf 8 oder 9 Dollar durchgesetzt worden wäre? Ohne Kriminalisierung.
Das ist utopisch? Mitnichten. Mein Theaterverlag, der großartige “Verlag der Autoren”, zahlt 70% der eingehenden Tantiemen jeder Inszenierung direkt an den Autor. Und das funktioniert seit über 40 Jahren bestens. Reich wird der Verlag damit nicht. Aber die Urheber haben ein ordentliches Auskommen. Und der Verlag gehört übrigens zudem den Autoren, die als Gesellschafter über die Aktivitäten entscheiden. Er wurde von Autoren und ihren Freunden gegründet — nicht von Industriellen, die mit den Rohstoffen kreativer Urheber ihren eigenen Kaffee kochen und verkaufen wollen.
Kreative aller Länder — vereinigt euch
Es wird Zeit, dass die Kreativen und Urheber ihre eigenen Interessen in die Hand nehmen und sie gegen die Raubritter verteidigen. Es gibt weit mehr User, die bereit wären für Musik zu zahlen, wenn damit ein höheres Einkommen für die Künstler verbunden wäre. Zudem könnten die Preise für Musikdownloads gesenkt werden. Wenn die Künstler vom Abo-Angebot nur 12 Dollar bekommen (Hypothese!), den Rest die Industrie: Dann fragt sich doch, warum die Industrie überhaupt dazwischen geschaltet werden muss? Wenn ein Abo für 1 Dollar im Monat den Künstlern genausovel bringt, wie ein Abo für 10 Dollar im Monat, an dem sich die Musikindustrie bereichert — warum dann nicht ein Abo von Künstlergenossenschaften, das 2 Dollar kostet? Verdoppelt das Einkommen der Künstler, verringert den Preis für die Nutzer. Und die Musikindustrie kann sich allein mit ihren Pressluftflaschen amüsieren.
P.S.: Gibt es einen Straftatbestand “Missbrauch der Justiz”, der gegen die Lobbyisten und Industrievertreter geltend gemacht werden könnte? “Jailhouse Rock” würde ich den Herrschaften dann kostenlos zur Verfügung stellen. Zum Downloaden.
achtrag: Zum Verständnis für alle Urheber udn Kreativen: das Urheberrecht hat zwei Exitenzgrüne. Zum einen schützte es Verwerter avor, dass andere Verwerter physische Raubkopin auf den Markt arfen. In einer vordigitalen Zeit sicherlich nicht unberechtigt. Zum zweiten aber — und das ist viel wichtiger — sollte es die Urheber vor der Ausbeutung durch die Verwerter schützen. Diesen zweiten gednken unterschlagen die Industrievertreter gerne, während er aktueller ist denn je.