Zugegebenermaßen — hätte mich jemand vor einigen Tagen gefragt, was ich von Meinhard Miegel halte, hätte ich vermutlich ihn und Hans-Werner Unsinn in einen Topf geworfen und behauptet, von solchen Hochnotgestrigkeiten hielte ich nicht nur nichts sondern stünde ihnen diametral gegenüber. Nun bin ich zufällig im TV (dass es das noch gibt …) beim Zappen (dass es das noch gibt) über Monitor (dass es das noch gibt) und einen interessanten wirtschaftskritischen Beitrag (dass es das noch gibt) gestolpert (hier der Inhalt als PDF), in der sich Herr Miegel darüber verbreitete, wie dümmlich das Festhalten an der Wachstumsideologie und daraus abgeleiteten Wachstumbeschleunigungsgesetzen sein.
Hm.
Nun ist in Zeiten wie den Gegenwärtigen nicht unbedingt erkennbar, welches Interesse dahinter steckt, zumal die Vertreter der “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” (und hier das kritische INSM-Watchblog)eher nicht zu den fortschrittlich und unkonventionell denkenden Zeitgenossen zählen. Will er damit die Bürger daran gewönen, dass es kein Lohn‑, Gehalts‑, Rentensteigerungen mehr gibt? Dass alles schlechter wird für die, denen es sowieso schon schlechter geht? Oder denkt da jemand tatsächlich nach? Dann bin ich über dieses Interview in der FAZ (oha …) gestolpert. Und noch etwas nachhaltiger irritiert.
Ich erlaube mir, einige Zitate aus diesem Interview:
Zurzeit sind wir eine völlig durchmonetarisierte, auf Wachstum fokussierte Gesellschaft. Alles andere ist dem untergeordnet. Zum Teil hat das beinahe manische Züge angenommen, zum Beispiel wenn die Familienministerin sinngemäß erklärt, eine nachhaltige Familienpolitik stärke das wirtschaftliche Wachstum und steigere die dringend benötigten Renditen. Oder wenn die Bedeutung des Sports nach dessen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt bewertet wird. Ähnliches lässt sich für Bildung und Kunst sagen. Immer wieder heißt es: Was bringen sie für die Mehrung unseres materiellen Wohlstands? Irgendwie ist es wie im Mittelalter. Nur dass damals alles im Dienste der Theologie stand. Jetzt steht es im Dienste des Wachstums.
Was ist eigentlich so schlimm daran, wenn das Wirtschaftsvolumen in Deutschland auf das Niveau von 2005 zurückgeht? Das waren doch wirklich keine Elendszeiten. Nein, unsere Gesellschaft ist dermaßen auf Wachstum getrimmt, dass selbst bescheidene Rückschritte als Katastrophe empfunden werden. […]
Zu wissen, wie bisher geht es nicht weiter, ist das eine. Aber wie soll, wie wird es weitergehen? Das ist das andere. Und auf diese Frage haben alle Parteien im Kern wieder nur die Antwort: durch Wachstum. Das ist nicht genug. So viel Ideenarmut verunsichert.
Die Qualität einer Gesellschaft bemisst sich nicht zuletzt an ihrer Fähigkeit, zwischen individueller Wertschätzung und wirtschaftlichem Status zu unterscheiden
Die ganze Gesellschaft ist gedopt.
Hm, da lässt sich so einiges unterschreiben. Den Diagnosen also zugestimmt — bleibt nun die Frage, was daraus folgt? Wie lässt sich die Forderung erfüllen, eine Gesellschaft zu schaffen, die auch unter wachstumsarmen, wachstumlosen oder rezessiven Wirtschaftsbedingungen noch lebenswerte Gesellschaft ist. Und ein Sozialwesen, dass die unteren Schichten nicht als Erste vom Wachs- und Reichtum abschneidet. Vielleicht tatsächlich durch das Grundeinkommen? Jedenfalls die einzige intelligente Utopie, die weit und breit zu sehen ist.
Jetzt reiht sich auch die ZEIT unter die Kritiker des Wachstums ein: Wachstum bedeutet Selbstzerstörung. Zitat: “In der totalen Fixierung auf Wachstum liegt der tiefere Grund für das desaströse Scheitern der Kopenhagener Klimakonferenz.” Spannend daran: Sowohl im Sozialbereich als auch in der Klimapolitik wird ein gemeinsamer Schuldiger identifiziert. Der Beelzebub der vereinheitlichten Weltformel heißt Wachstum. Das passt wiederum in das herrschende Klima des Spardiktats. Es fügt sich ein Ganzes.
Gerade im Netz gefunden ein ZEIT-Dossier vom 20.05.2009 zum Thema Wachstum “Wir könnten auch anders.”