Theater als gesellschaftliche Berufsfeuerwehr – Antwort an Frank Kroll, Teil 2

Januar 8th, 2013 § 11 comments

Es ist an der Zeit, dass die deut­sche Gesell­schaft (wenn auch nicht unbe­dingt wie­der die Deut­sche Gesell­schaft) wie­der ein­mal frag­te: „Was kann eine gute ste­hen­de Schau­büh­ne eigent­lich wirken?“.

Und bevor wir uns an die über­ge­ord­ne­ten Fra­gen hin­sicht­lich des Mensch­seins bege­ben, ist also das „ste­hen­de“ zu befra­gen. Denn die zuletzt immer lau­ter wer­den­de Debat­te, die das soge­nann­te Freie gegen das soge­nann­te Stadt­thea­ter aus­spielt, hat mehr oder min­der deut­lich die Fra­ge nach die­sem Ste­hen­den gestellt, sofern das Ste­hen­de doch offen­bar das alzu Bestän­di­ge, das Star­re, das Nicht-Beweg­li­che zu bezeich­nen schien. Soll­te eine Schau­büh­ne also ste­hen oder nicht viel­mehr gehen? Aber das nur als Exergue.

Wozu leis­ten sich Gesell­schaf­ten (ich ver­wen­de die­ses Wort als lee­ren Begriff, der nichts meint als das, was er poten­zi­ell mei­nen könn­te ohne doch bereits bestimmt zu sein) ste­hen­de Insti­tu­tio­nen? Wozu die­ser Bestand? Nicht weni­ge davon sol­len wider­ste­hen, sol­len der Gang der Din­ge ver­lang­sa­men und auf­hal­ten, der ansons­ten en pas­sant zu Ergeb­nis­sen führt, die wären sie vor­her bedacht wor­den, nicht ein­ge­tre­ten wären, da uner­wünscht oder gefürch­tet. Bau­äm­ter sind der Inbe­griff sol­cher wider­stän­di­gen Insti­tu­tio­nen, die ver­lang­sa­men, was uner­wünsch­te Fak­ten schaf­fen kann. Das macht sol­che Insti­tu­tio­nen zum Kern­be­stand von Demo­kra­tie, deren (nicht ein­zi­ge) Aus­zeich­nung dar­in besteht, das Ein­fa­che zu ver­kom­pli­zie­ren, das Schnel­le zu ver­lang­sa­men, der Lösung immer mit einem Pro­blem zu begeg­nen. Da wo, das dik­ta­to­ri­sche Dekret die Lösung ist, streut Demo­kra­tie Sand ins Getriebe.

Aber nicht alle Insti­tu­tio­nen sind in die­ser Art ste­hen­de Insti­tu­tio­nen. Dem Thea­ter ver­gleich­bar ist viel­mehr eine ganz ande­re Insti­tu­ti­on: die Berufs­feu­er­wehr. Ein Ver­gleich, der mir hin­sicht­lich der Funk­ti­on von Thea­ter ähn­lich schla­gend, wenn auch weni­ger mar­tia­lisch scheint, wie mei­ne Alte Bestim­mung von Thea­ter als Flak­stel­lung der Demokratie.

War­um leis­ten sich Städ­te Berufs­feu­er­weh­ren? Sicher nicht, um Pro­zes­se zu ver­lang­sa­men. Im Gegen­teil. Grund­sätz­lich wäre die Brand­schutz­be­reit­schaft auch durch frei­wil­li­ge Kräf­te sicher zu stel­len. Aber die wären eben lang­sa­mer. Weil sie von zuhau­se oder von der Arbeit kom­men müs­sen. Weil sie haupt­säch­lich Ande­res zu tun haben, womit sie zum Bei­spiel ihren Lebens­un­ter­halt ver­die­nen müssen.

Berufs­feu­er­weh­ren sind ste­hen­de Insti­tu­tio­nen mit dem Ziel, inner­halb von 60 Sekun­den alle not­wen­di­gen Mann­schaf­ten und Gerä­te in Bewe­gung zu set­zen. Zu jeder Tages- und Nacht­zeit. Wenn der Gong ertönt, ist die Mann­schaft schlag­kräf­tig und aus­rück­be­reit. Dass sie zudem noch pro­fes­sio­nel­le Aus­bil­dung, Berufs­er­fah­rung und erlern­tes Team-Zusam­men­spiel auf­weist, ergänzt die Vor­tei­le der Trup­pe noch. Berufs­feu­er­wehr­leu­te sind Tag und Nacht auf der Wache und erhal­ten ihre Bezah­lung als ste­hen­de Trup­pe, um SCHNELL reagie­ren zu kön­nen. (Dass das wun­der­bar funk­tio­niert durf­te ich in mei­ner knapp zehn­jäh­ri­gen Berufs­tä­tig­keit im Ret­tungs­dienst feststellen).

Nun also das Thea­ter: was kann eine ste­hen­de Schau­büh­ne eigent­lich wir­ken – wenn sie nicht die Reak­ti­ons­schnel­lig­keit einer Berufs­feu­er­wehr hat, sofort auf die gesell­schaft­li­chen Brand­her­de zu reagie­ren? Wozu leis­ten sich Städ­te Dut­zen­de, oder Hun­der­te fest ange­stell­te Mit­ar­bei­ter an Thea­tern, wenn die­se in einen Pla­nungs­pro­zess ein­ge­bun­den sind, der Mona­te und Jah­re vor­weg nimmt? Es ist ein blan­ker Blöd­sinn, die Pla­nungs­funk­ti­on der insti­tu­tio­nel­len Aus­las­tung in den Vor­der­grund zu stel­len gegen­über der Reak­ti­ons­fä­hig­keit in (nahe­zu) Echtzeit.

Und natür­lich gehö­ren zu einem sol­chen thea­tra­len Lösch­zug auch Schrei­ber. Nen­nen wir sie nicht mehr Autoren. Son­dern Mit­glie­der des künst­le­ri­schen Teams, die gleich­be­rech­tigt mit allen ande­ren an dem arbei­ten, was vor­ge­stellt wer­den soll. Die Unfä­hig­keit der Thea­ter, sich mit den aktu­el­len Brand­her­den aus­ein­an­der­zu­set­zen liegt an die­ser fal­schen Pla­nung und Steue­rung. Man will ein The­ma ange­hen – und fin­det kei­nen „fer­ti­gen“ Text zu die­sem The­ma bei den Ver­la­gen. Oder der the­ma­tisch rich­ti­ge Text lässt sich nicht beset­zen. Oder man mag die Spra­che nicht. Oder der Plot ist zu ein­fach oder zu kom­pli­ziert. Was für ein Ana­chro­nis­mus. Sind Schrei­ber und Dra­ma­tur­gen, Regis­seu­re, Aus­stat­ter, Dar­stel­ler, Tech­ni­ker, Musi­ker, Pro­gram­mie­rer sowie Büh­nen- und Mas­ken­bild­ner von Anfang an mit an der Arbeit, ent­steht eine schlag­kräf­ti­ge, reak­ti­ons­fä­hi­ge Truppe.

War­um gehö­ren Autoren dazu? Wie dumm ist es denn, Schau­spie­ler, Regis­seu­re, Mas­ken­bild­ner, Büh­nen­bil­der, über­haupt das gesam­te künst­le­ri­sche Per­so­nal gedul­dig und inten­siv aus­zu­bil­den – und sich aus­ge­rech­net bei den Autoren dar­auf zu ver­las­sen, dass Genies vom Him­mel fal­len und in ehren­amt­li­cher Vor­ar­beit im ers­ten Wurf Meis­ter­wer­ke schaf­fen? Was nutzt der bes­te Schau­spie­ler, wenn das, was er zu reden und zu zei­gen hat, puber­tä­ter, pen­nä­ler­haf­ter Klump oder ober­deutsch­leh­rer­haf­ter Schrott ist? Was nicht heißt, dass der alte Autor mit sei­ner Auto­ri­tät unfröh­li­che Urständ fei­ern und die Zug­füh­rung über­neh­men müss­te. Aber in einer pro­fes­sio­nel­len Trup­pe Schreib­a­mateu­re ein­zu­bau­en schwächt die gesam­te Trup­pe. Ist rela­tiv ein­leuch­tend, fin­de ich.

Fazit

Es macht kei­ner­lei Sinn, ste­hen­de Thea­ter­in­sti­tu­tio­nen zu bezah­len, wenn die Kon­se­quenz ist, dass sie läh­men­de Pla­nungs­vor­läu­fe haben. Dass die frei­wil­li­gen Thea­ter­trup­pen die ste­hen­den Insti­tu­tio­nen in Sachen Inno­va­ti­ons­freu­de und Schnel­lig­keit schla­gen, ist ein nie­der­schmet­tern­des Armutszeugnis.

Und im Übri­gen sorgt die­se Pla­nung ja nicht etwa dafür, dass die Mit­ar­bei­ter an den Thea­tern bes­se­re Arbeits­be­din­gun­gen haben. Wäre das so, könn­te man es dis­ku­tie­ren. Wenn ich es recht sehe, zeigt die Debat­te etwa auf nacht­kri­tik gera­de, dass das Gegen­teil der Fall ist. Die Insti­tu­ti­on lähmt sich und for­dert trotz­dem von ihren Ange­stell­ten Unver­schäm­tes. Was aller­dings „Schnel­lig­keit“ in die­sem Zusam­men­han­ge heißt, dar­um wird es im nächs­ten Pos­ting gehen.

§ 11 Responses to Theater als gesellschaftliche Berufsfeuerwehr – Antwort an Frank Kroll, Teil 2"

  • kai bremer sagt:

    Jetzt bin ich doch etwas über­rascht: hät­te eher erwar­tet, dass Du das Thea­ter zum Brand­be­schleu­ni­ger machen möch­test und nicht zur Feu­er­wehr. Aber Scherz beiseite.
    Völ­lig rich­tig ist natür­lich, dass wir es in einem Thea­ter in aller Regel mit einem recht kom­ple­xen, prä­zi­se aus­dif­fe­ren­zier­tem Kunst­be­trieb zu tun haben, der bei der Aus­wahl der Text­grund­la­ge (die ich wei­ter­hin Dra­ma nen­nen wür­de, aber das steht hier nicht zur Debat­te) eigen­tüm­lich black-box-mäßig und viel­fach auch undif­fe­ren­ziert vor­geht. Anders kann ich mir die maue Qua­li­tät eini­ger UAs, die ich in den letz­ten Jah­ren gese­hen habe, nicht erklä­ren. Und anders kann ich mir auch die zwei­fel­haf­ten Kri­te­ri­en, die für Stü­cke­prei­se genannt wer­den (Alters­gren­zen z.B.), nicht erklären.
    Die Fra­ge ist nur, ob Dei­ne Feu­er­wehr tat­säch­lich in der Lage wäre, bes­se­re Tex­te zu schrei­ben. Das, was ich über kol­lek­ti­ve Schreib­pro­zes­se weiß, spricht nicht dafür.
    Kurz gefragt: Droht nicht Wider­spruch zwi­schen Feu­er­wehr und künst­le­ri­schem Anspruch, den zumin­dest ich nicht auf­ge­ben möchte?

  • Postdramatiker sagt:

    Kol­lek­ti­ver Schreib­pro­zess ist nicht gleich kol­lek­ti­ver Schreib­pro­zess. In IT und digi­ta­ler Pro­duk­ti­on sind Kol­la­bo­ra­ti­ons­pro­zes­se ent­wi­ckelt wor­den, die effi­zi­ent, hoch effek­tiv im Sin­ne gemein­ser Höchst­qua­li­tät funk­tio­nie­ren. Male­rei vor den Zei­ten des Ori­gi­nal­ge­nies war ein hoch kol­la­bo­ra­ti­ver Manu­fak­tur-Pro­zess. Kol­la­bo­ra­ti­on heißt nicht Rin­gel­piez mit alle-haben-gleich­viel-recht-und-alle-kön­nen-sich-total-duf­te-aus­le­ben. Ver­tei­lung von Auf­ga­ben nach Fähig­kei­ten, gemein­sa­me Reviews und Über­ar­bei­tung. Und jemand hat die Müt­ze auf. Des­we­gen die Feu­er­wehr auch als ganz pas­sa­bles Ver­gleichs­mo­dell. Gehe in spä­te­ren Pos­tings noch ein bis­serl dar­auf ein.

  • kai bremer sagt:

    Mir ist schon klar, was Du meinst. Und von Rin­gel­pietz habe ich nicht gespro­chen und das auch nicht nahe­ge­legt. Du soll­test die Beden­ken nicht ein­fach weg­wi­schen. Es geht mir um den Zusam­men­hang von schnel­lem Reagie­ren und kol­lek­ti­vem, anspruchs­vol­len Schrei­ben. Die Par­odie auf einen geschei­ter­ten Poli­ti­ker knallt jede Come­dy-Trup­pe in weni­gen Stun­den oder Tagen raus, das ist klar. Aber nur weil ein Kol­lek­tiv schreibt, ist es nicht not­wen­dig schnel­ler. Thea­ter ist pri­mär eine Qua­li­täts­fra­ge, Schnel­lig­keit ist gut, aber nicht not­wen­dig. Die von Dir ange­führ­ten Mal­erwerk­stät­ten waren schnell, wenn’s um eta­blier­te For­men ging (Herr­scher­por­träts z.B.), aber doch nicht bei den Gemäl­den, die uns vor­schwe­ben, wenn wir an Cra­nach z.B. den­ken. Und wenn ich den nahe­li­gen­den Film zum Ver­gleich her­an­zie­he, kann von Schnel­lig­keit (zumin­dest wenn er über­zeugt) trotz kol­lek­ti­ver Arbeit kei­ne Rede sein.
    Du siehst, ich blei­be dabei. Bin also gespannt, was Du zur Feu­er­wehr noch schreibst. Um in Dei­ner Meta­pho­rik zu blei­ben: Viel­fach ist es bes­ser, wenn Brand­meis­ter und Lösch­zug eine Minu­te spä­ter ankom­men, daür dann aber die rich­ti­ge Aus­rüs­tung dabei haben.

  • Postdramatiker sagt:

    Zunächst ist die Voka­bel “Schnel­lig­keit” zu befra­gen, scheint mir hier die ers­te Quel­le von Miss­ver­ständ­nis. Blei­ben wir zunächst in der tra­di­tio­nel­len Pro­duk­ti­ons­lo­gik von Thea­ter, die da heißt: Es wird eine Pro­duk­ti­on vor­be­rei­tet, geprobt, hat Pre­mie­re und wird dann weit­ge­hend unver­än­dert wie­der­holt. In die­ser Pro­duk­ti­ons­lo­gik heißt Schnel­lig­keit nicht jour­na­lis­ti­sche Tages­ak­tua­li­tät. Das macht bei Thea­ter über­wie­gend wenig Sinn. Natür­lich geht es um Vor­lauf­zei­ten, die aus Qua­li­täts­grün­den irre­du­zi­bel sind und die Sinn machen, weil Thea­ter eben kein schnel­les Berichts­me­di­um mit der Auf­ga­be ist, die Nach­richt ein­fach ästhe­tisch “auf­zu­be­rei­ten”. Son­dern es ist selbst­ver­ständ­lich eine refle­xi­ve Arbeit. Wor­über reden wir dann bei Schnel­lig­keit? Viel­leicht über 3, 4, 5 Mona­te. Von Idee und Pro­duk­ti­ons­start bis Pre­mie­re. Das Schrei­ben ist dabei in der ers­ten Pha­se, viel­leicht 2 oder 3 Mona­te über­wie­gend ange­sie­delt — unter Ein­be­zie­hung von Regie, Bau und Aus­stat­tung, ggf. Dar­stel­lern, sodass hier bereits eine Aus­ein­an­der­set­zung mit der Pro­duk­ti­on, die Ein­be­zie­hung ihrer Gedan­ken und Ideen statt­fin­den kann. Und wenn du die Schrei­ber am Haus hast, kann selbst im Pro­ben- und eigent­lich sze­ni­schen Pro­duk­ti­ons­pro­zess noch text­lich gear­bei­tet wer­den. Ein gemein­sa­mer Vor­gang eben.
    Das ist den­noch eine erheb­li­che Beschleu­ni­gung gegen­über dem Pro­zess: AUtor schreibt vor sich hin, schickt an Ver­lag. Ver­lag prüft, Ver­lag lek­toiert, AUtor über­ar­bei­tet. Ver­lag erstellt Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ma­te­ria­li­en, Dra­ma­tur­gen lesen irgend­wann Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ma­te­ria­li­en, for­dern evtl. Text an, lesen wenn Zeit ist, bil­den sich eine Mei­nung, stel­len fest, dass Beset­zung nicht funk­tio­niert, Spra­che ihnen nicht gefällt, Plot Schwä­chen hat. Und gehen dann even­tu­ell in einen gemäch­li­chen Pro­zess der Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Verlag/AUtor zur Fra­ge der Über­ar­bei­tung — wenn überhaupt.
    Und wie sich die Pro­duk­ti­ons­den­ke ver­än­dert, wenn der Pro­zess eben nicht der klas­si­schen Indus­trie­lo­gik von Pro­duk­ti­on, Pre­mie­re, iden­ti­sche Wei­der­ho­lung fügt, son­dern zu einem Pro­zess wird, der auch nach einer ers­ten Vor­stel­lung Ver­än­de­run­gen, Ver­bes­se­run­gen, Erwei­te­run­gen, Kür­zun­gen zulässt, wenn also “per­ma­nent beta” zum Leitgdan­ken wird — das stün­de noch­mal auf einem ande­ren Blatt.

  • Dan­ke, Ulf, für die­se Anstös­se! Das sind die Dis­kus­sio­nen, die brei­ter geführt wer­den müss­ten! Berufs­feu­er­wehr vs. Bau­amt beschreibt sehr gut die zwei Pole, zwi­schen denen das aktu­el­le “deut­sche” Thea­ter­sys­tem sein per­ma­nen­tes Gefan­ge­nen­di­lem­ma “spielt”. Wobei das Bild der Berufs­feu­er­wehr aller­dings nicht berück­sich­tigt, das auch die Lang­sam­keit, gera­de im letz­ten auf dem “Kör­per­li­chen” behar­ren­den Medi­um, “Feu­er” löschen kann. Man­cher Brand­herd erweist sich durch die eine ent­schleu­nig­te Bril­le ja auch ger­ne mal als Luf­num­mer oder Schnee von ges­tern. Womit ich nicht dem Tot­rei­ten des Kanons das Wort gere­det haben will, denn ver­ab­schie­de­te man sich in der Tat vom Mül­lerschen Thea­ter als “Repe­ra­tur­be­trieb für nicht fahr­be­rei­te Klas­si­ker”, wür­de der Blick viel­leicht auch frei­er für Lang­sam­keit als ästhe­ti­sche Erfah­rung. Ich glau­be jeden­falls, dass das Bedürf­nis auf­grund aktu­el­ler Ent­wick­lun­gen stei­gen dürf­te und die Kunst wird sein, die­sen urei­gens­te “Kraft” des Thea­ters wie­der stär­ker in den Vor­der­grund zu rücken, ohne dabei in Retro­ro­man­tik zu ver­fal­len. Der aktu­el­le Spa­gat zwi­schen Jung­au­toren­blut­hy­pes, denen nichts nach­folgt und Pro­gramm fürs ZDF-Publi­kum, ist jeden­falls auf Dau­er wohl nicht durch­zu­hal­ten. Ich hät­te zum Bei­spiel nichts dage­gen, wenn sich in Zukunft ein paar Thea­ter auf rei­ne Klas­si­ker­ver­mitt­lung spe­za­li­sier­ten, von mir aus ger­ne auch im Stil: “SO hat man das zu Goe­thes Zeit gespielt.”. Ein Ort für die “Regie­thea­ter­has­ser”? — bit­te­s­ehr! Sowie­so ist zu bemer­ken, dass wir von unse­rerm Publi­kum immer weni­ger “kano­ni­sches Wis­sen” vor­aus­set­zen kön­nen. (Wobei ich auch hier nicht den Unter­gang des Abend­lan­des das Wort reden will, eben die­ser Kanon gehört zu Recht in Fra­ge gestellt, aber das heu­ti­ge Stadt­thea­ter eben tut so, als prü­fe es die­sen Kanon am Heu­te, und zemen­tiert ihn dabei doch bloß.) Jeden­falls: das “kanon­freie” Thea­ter könn­te dann frei von Bewah­rungs­zwän­gen sowohl die Berufs­feu­er­wehr sowie jene ande­re Lang­sam­keit, die ich mei­ne, bedie­nen. Das wäre ein ande­res, dua­les Sys­tem jen­seits des heu­ti­gen Stadt/Frei … Nur mal so unzuen­de­ge­dacht herumgesponnen.
    Ach so, noch was: “per­ma­nent beta”, wird uns ja viel­leicht auch anders­wo ver­mehrt erei­len bzw. wird gera­de im Lite­ra­tu­be­reich auch schon mehr­fach pro­biert und dis­ku­tiert, sie­he z.B. http://www.dirkvongehlen.de/index.php/neue-version/ bzw. oder auch mei­ne expe­ri­men­tel­le Roman-“public beta” des “Nor­lan­do” (http://www.wechselwetterwolken.de/norlando/) von dem ich noch nicht ganz weiß, ob er, sowohl aus inhaltlich/formalen, als auch aus Qua­li­täts­grün­den (Erst­ling!) nicht am bes­ten im wan­del­ba­ren Beta­sta­di­um nur im Netz ver­bleibt. Auch hier aber, ähn­lich wie bei der Lang­sam­keit, juckt mich immer auch jener Künst­ler­fin­ger, der sich bewüsst gegen die Trends krümmt bzw. von die­sen nicht ver­bie­gen las­sen will. Denn “alles Beta” ist defin­tiv ein aktu­el­ler Trend, der doch aber nur das offen­legt, was zumin­dest die Kunst eigent­lich immer schon war. Also doch wie­der die sin­gu­lä­re Autoren­stim­me, ein “Genie” und “Werk” behaup­ten, auch wenn die­ses sich sowie­so (und schon immer) aus dem Kol­lek­ti­ven speist? Ich sähe ger­ne einen neu­en Shakespeare/Müller/Büchner, der frech aus den ganz gro­ßen The­men ganz gro­ße Dra­men­tex­te(!) ent­wirft, ja Wür­fe wag­te (die, so wie die Post­mo­der­ne immer schon zur Moder­ne gehört, zugleich auch post­dra­ma­tisch sind…). Den würd ich ger­ne insze­niert sehen, wenn nicht sel­ber (natür­lich ganz regie­thea­t­rig) insze­nie­ren. Also viel­leicht müs­sen wir ja wie­der Alpha­tie­re-wer­den, um unser im mer all­ge­gen­wär­ti­ger wer­den­des Beta­sta­di­um künst­le­risch reflek­tie­ren zu kön­nen? Auch das mal nur so als stei­le Gegen­the­se … Vie­le Fra­gen, mei­ne lan­ge Kom­men­tar­zeit aber endet nun!

  • Postdramatiker sagt:

    Dan­ke dir. Ich betrach­te das übri­gens gar nicht unbe­dingt als Gegen­the­se. Rei­ne Klas­si­ker­häu­ser, à la Comé­die Fra­cai­se? Pour­quoi pas? Aber das setzt dann ver­mut­lich vor­aus, dass ich Kräf­te zusam­men­zie­he, die die­ses Niveau auch in allen Gewer­ken hal­ten kön­nen. Das heißt dann eben, dass nicht jedes Thea­ter mit Goe­the und Schil­ler rum­macht, obwohl die finan­zi­el­len, tech­ni­schen, schau­spie­le­ri­schen oder was weiß ich auch immer Mit­tel feh­len. Das ist ein Weg — für eini­ge weni­ge Theater.
    Lang­sam­keit — ja, war­um nicht lang­sam arbei­ten, wenn die Sache Lang­sam­keit braucht. War­um nicht Jah­re an einem Pro­jekt arbei­ten, wenn es die Sache för­dert. Der ent­schei­den­de Punkt dabei ist: Kommt die Lans­gam­keit aus einer Betriebs­form, die nichts ande­res zulässt als Lang­sam­keit? Oder ist Lang­sam­keit Ergeb­nis einer bewuss­ten Ent­schei­dung? Auch wenn mir die Feu­er­wehr lang­sam schon selbst auf die Ner­ven geht, weil sie sich als Bild so schön tot­rei­ten lässt: Die Feu­er­wehr rückt auch nicht jeder­zeit in Voll­stär­ke mit Son­der­si­gnal aus. Wo nötig tut sie, wo nicht nötig, kommt sie gemüt­lich ange­zu­ckelt. Aber die Fähig­keit zu haben, inner­halb kür­zes­ter Zeit schlag­kräf­tig zu agie­ren, ver­schafft doch erst die Ent­schei­dungs­frei­heit, ob man schnell oder lang­sam arbei­ten will.
    “Alles beta” ist nicht nur ein Trend, es ist eine Arbeits­wei­se, der die klas­si­sche Pro­duk­ti­ons­form von “für ein und alle­mal fer­tig” mit einer Alter­na­ti­ve ver­sieht. Und zwar mit einer Alter­na­ti­ve, die auf Ver­än­de­run­gen eben­so reagie­ren kann, wie auf Din­ge, die erst mal nicht so funk­tio­nie­ren, wie gewünscht. Und den Kopf dafür auf­zu­ma­chen, dass man Din­ge wei­ter ändern kann in der live­haf­ti­gen Kunst des Thea­ters, anders als in den zum Sta­ti­schen ten­die­ren­den Dis­zi­pli­nen wie etwa Film, öff­net für mich jeden­falls einen Mög­lich­keits­raum. Wenn du den Genie­streich fin­dest und insze­nie­ren willst — why not? Aber die Aus­rich­tung des Betriebs auf die mono­li­thi­schen “Wür­fe” schränkt sich in dem Maße ein, wie es sich abhän­gig macht von Wür­fen. Wie­vie­le sol­cher Wür­fe gibt es? Rei­chen die aus für den gesam­ten Thea­ter­be­trieb? Har­ren wir des neu­en Shakespeare/Müller/Büchner — oder fin­den wir Wege, die ein star­kes, kraft­vol­les, begeis­tern­des Thea­ter auch dann ermög­li­chen, wenn der Mes­si­as (gibt es eigent­lich eine weib­li­che Form von Mes­si­as? mir ist zu viel von Män­nern die Rede) län­ger auf sich war­ten lässt, als geplant?
    Und wie — das als Abschluss­fra­ge — soll­te sich ein solch mono­man­er Künst­ler über­haupt in den immer schon kol­lek­ti­ven Pro­zess von Thea­ter fügen? Wenn mono­ma­ne Autoren auf mono­ma­ne Regis­seu­re tref­fen, die mit mono­ma­nen Schau­spie­lern arbei­ten, aus­ge­stat­tet von mono­ma­nen Kostümbildnern,beleuchtet von mono­ma­nen Beleuch­tern, beschallt von mono­ma­nen Musi­kern — ist das dann das Thea­ter, das dir vorschwebt?

    Ein Nach­trag — ich lie­be Mono­ma­nie. Ich lebe Mono­ma­nie und Grö­ßen­wahn. Wenn du Mono­ma­nes willst, hier ist der Link zum Mari­en­tha­ler Dachs, dem Text, den kei­ner der bis­he­ri­gen Leser geschafft hat auch nur durch­zu­le­sen. Geschrie­ben für einen A1-Plot­ter. Völ­lig aus­ge­schlos­sen, dass irgend­ein Thea­ter den rea­li­siert, scheint mir. Will sagen: Ich habe nichts gegen Mono­ma­nie. Aber ist Mono­ma­nie der Weg? Oder nur mein Privatvergnügen?

  • -“Rei­ne Klas­si­ker­hä­user, à la Comé­die Fra­caise? Pour­quoi pas? (…) Das ist ein Weg — für eini­ge weni­ge Thea­ter.” Genau: weni­ge reich­ten auch völlig.
    — “Kommt die Lans­gam­keit aus einer Betriebs­form, die nichts ande­res zulässt als Lang­sam­keit? Oder ist Lang­sam­keit Ergeb­nis einer bewuss­ten Ent­schei­dung?” Allein genau um die­se Dif­fe­ren­zie­rung ging es mir.
    -“per­ma­nent Beta”: Ich koket­tier­te und iro­ni­sier­te natür­lich. Aber die Bei­spie­le Shakespeare/Müller/Büchner waren schon bewusst gewählt als sol­che, die auf je unter­schied­li­che Wei­se Kol­la­bo­ra­ti­on (und kul­tu­rel­les Sam­pling) mit “gros­sen Wür­fen” ver­ban­den — mit und ohne “Betrieb”. Mein klei­ner Ein­wand woll­te sich nur gegen das “per­ma­nent” vor “Beta” rich­ten, und bezog sich auch nur auf die Wer­ke. Und mein Wort “Wür­fe” soll­te auch bereits das “Zufäl­li­ge, Pas­sie­ren­de, glück­haft Zustan­de­kom­men­de” dar­an frei jeg­li­chen Geniet­ums ver­deut­li­chen. Aber du hast sicher Recht, dass auch neue sol­cher “gro­ßen Wür­fe” nicht für den gesam­ten Thea­ter­be­trieb aus­rei­chen wür­den und dass wir nun sowie­so schon recht lan­ge auf genau jene “Mes­sia­nin” (ist die Jeli­nek viel­leicht die zuletzt die­ser­art “Gekreu­zig­te”?) war­ten — und das auch Teil des Struk­tur­pro­blems ist. Mir ging es nur um die klei­ne Ergän­zung “per­ma­nent Beta” zwar als wich­ti­ge und nütz­li­che Leit­fi­gur, doch des­halb nicht gleich als Dog­ma zu neh­men in einer Zeit, in der auch der Neo­li­be­ra­lis­mus “per­ma­nent Beta” in der Brei­te zu eta­blie­ren ver­sucht. Viel­leicht ist so her­um bes­ser for­mu­liert: Was müss­te sich ändern, um (auch, aber alles ande­re als nur) einen Shakespeare/Müller/Büchner bzw. sol­cher­art “Wür­fe” wie­der möglich(er) zu machen. Und dabei geht es mir wie dir erst­mal wirk­lich nur um die Erwei­te­rung des Mög­lich­keits­raums, kei­ner­lei Zwang (was “per­ma­nent” etwas tota­li­tär impli­ziert). Genau wie du sagst: dafür müs­sen die Autoren anders mit ins Boot, als das im Moment der Fall ist. Und natür­lich steu­ert sich das Boot von einem Kol­lek­tiv aus Mono­ma­nen eher schlecht. Mir ging’s nur dar­um, dass am Ende trotz­dem auch mal wie­der ein “Werk” ange­steu­ert wer­den darf, dass sich als ein Alpha behaup­tet. Im Bewusst­sein, dass das eben Behaup­tung ist/bleibt. Natür­lich hal­te ich “Ver­flüs­si­gun­gen” für abso­lut gebo­ten. Aber genau­so braucht es auch ihr dia­lek­ti­sches Gegen­teil: Ori­en­tie­rungs­pfei­ler. Die man ja natür­lich nach “Benut­zung” auch wie­der abbauen/hinter sich las­sen kön­nen soll­te; denn es sol­len ja auch wei­ter­hin Gebrauchs­ge­gen­stän­de blei­ben. Aber viel­leicht ver­lie­re ich mich hier gera­de nur in den fal­sche Asso­zia­to­nen wecken­den Detailbildern.

  • Ah, eben erst dei­nen Nach­trag gese­hen. Der ermög­licht mir die Kurz­fas­sung: Mono­ma­nie ist nicht der Weg, darf aber durch­aus ab und an das Ziel sein. (Wie es genau­so auch bei mei­nem Wech­sel­wet­ter­wol­ken­pro­jekt der Fall ist). Des­halb fin­de ich’s groß­ar­tig, dass du den “Dachs” durch­ge­zo­gen und “Schuld und Schein” ver­stei­gert hast. Ich muss aber zuge­ben, bis­her noch nicht mehr Zeit gefun­den zu haben, als nur mal hineinzulinsen.

  • kai bremer sagt:

    Der Dis­kus­si­ons­ver­lauf hier zeigt, wie sinn­voll gemein­sa­mes Nach­den­ken im Netz sein kann. Zum Bei­spiel ist mir jetzt die Feu­er­wehr-Meta­pher (Stich­wort Geschwin­dig­keit) deut­lich kla­rer. Und dass sich mit Stef­fen die Dis­kus­si­on aus­wei­tet, ist auch klas­se. Könn­te noch viel Lob aus­streu­en, aber dar­um geht’s nicht, son­dern ums Weiterdenken:
    Die Fra­ge, die sich mir bei der Lek­tü­re Eurer sym­pa­thi­schen Über­le­gun­gen immer mehr auf­drängt, ist die nach dem Publi­kum und der Reso­nanz. Viel­leicht geht Ulf dar­auf in der vier­ten, ange­kün­dig­ten Ant­wort zur Gesell­schaft ein? Mich nervt zuneh­mend, wenn ambi­tio­nier­te Ideen im Netz ent­wi­ckelt wer­den, die aber an der Rea­li­tät der Zuschau­er­inter­es­sen vor­bei­ge­hen. Ich spre­che von klei­ne­ren Häu­sern wie von grö­ße­ren. Wenn Stef­fen groß­zü­gig ein paar Häu­ser für Klas­si­ker übrig­las­sen will, geht das doch schlicht an der Rea­li­tät der Zuschau­er­zah­len vor­bei, Stich­wort Abo, Stich­wort Schul­klas­sen. Ich weiß, dass sol­che Fra­gen ner­ven. Ich weiß, dass sie schon tau­send­fach dis­ku­tiert wur­den. Aber wenn es hier um mehr gehen soll als einen net­ten vir­tu­el­len Aus­tausch übers unser Traum­thea­ter, dann ist das mitzuberücksichtigen.
    Ich ver­ste­he auch nicht, was die­se per­ma­nen­ten Oppo­si­tio­nen sol­len: Bau­amt vs. Feu­er­wehr. Ich dach­te hier geht es zunächst mal um die Fra­ge, wie ein ins­ge­samt zu kol­lek­ti­vem Arbei­ten nei­gen­der Thea­ter­be­trieb an ange­mes­se­ne Thea­ter­tex­te kommt. Und da schei­nen mir Ulfs Hin­wei­se sehr sinn­voll und über­zeu­gend. Aber die­ses Alles-hat-mit-Allem zu tun, damit bekommt man doch eine aus­dif­fe­ren­zier­te und arbeits­tei­li­ge Gesell­schaft nicht in den Blick. Des­we­gen fin­de ich Ulfs Hin­wei­se zu den Soaps auch sehr sinn­voll. Ich zumin­dest las­se mich ger­ne mal gut unter­hal­ten, im Thea­ter und im Fern­se­hen (wobei es mei­nem Ein­druck nach weit schwie­ri­ger ist in Deutsch­land gute Unter­hal­tung im Fern­se­hen (sieht man mal von HBO-DVDs ab) zu bekom­men als im Theater).
    Aber viel­leicht grei­fe ich Ulf vor. Ich war­te ger­ne Teil 4 der Ant­wort ab.

  • Postdramatiker sagt:

    @kai — viel­leicht musst du dich bis zum fünf­ten und letz­ten (ver­spro­chen) Teil gedul­den in Sachen Publi­kum. Wobei ich da auch nicht letz­te Auf­klä­rung ver­spre­chen kann, weil das, was mir zum The­ma Publi­kum durch den Kopf geht, das Fass ver­mut­lich doch noch ein­mal anders auf­ma­chen und das The­ma noch ver­brei­tern wür­de. Ich schau mal, wie mei­ne Zeit in den nächs­ten Tagen bbschaf­fen ist, viel­leicht kann ich dazu was ver­schrift­li­chen. Was dich nicht davon abhal­ten soll, mir zuvor zu kom­men. Bin ja nicht der Denkmonomane :-))

    Dass das The­ma sich aller­dings jen­seits von koope­ra­ti­ver Text­ar­beit ver­brei­tert, ist mir durch­aus nicht unwich­tig. Und die Oppo­si­tio­nen sind nur um der gedank­li­chen Schär­fung wil­len da, Hilfs­kon­struk­te, die am Ende der Argu­men­ta­ti­on ger­ne abge­tra­gen wer­den kön­nen. Das betrifft auch, um dar­auf noch ein­mal zurück­zu­kom­men, die kas­san­dra­haf­te Dys­to­pie bezüg­lich der Zukunft unse­rer Stadt­thea­ter­land­schaft. Ich male lie­ber ein­mal zu viel den Teu­fel an die Wand, als dass das Thea­ter in der Annah­me es han­de­le sich doch nur um einen put­zi­gen Pudel, der da auf uns zukommt, unver­se­hens zum Teu­fel geht.

    Insgs­amt zu den letz­ten Kom­men­ta­ren: Vie­les von dem hier von mir Ger­an­te­ten erklärt sich nicht zuletzt aus mei­nen Erfah­run­gen der letz­ten Zeit mit Tex­ten, mit der elend lan­gen Arbeit an einem Dachs ohne sze­ni­sche Zukunft, an Schuld+Schein, das mit — mei­ner­seits — maxi­ma­lem Tem­po pro­du­ziert wur­de, aber dann die Aus­kunft bekam, dass ein Urauf­füh­rungs­zeit­raum in die­ser oder auch nur zu Beginn der kom­men­den Spiel­zeit illu­so­risch sei, da die Pla­nun­gen ja schon viel zu weit fort­ge­schrit­ten sei­en. 2014 sei denk­bar (was ich ein­fach mal igno­riert habe und was das Metropl in Mün­chen ja mit der Erstei­ge­rung hono­riert hat, wofür ich dank­bar bin).
    Nun kann aller­dings das Des­in­ter­es­se an der Erstei­ge­rung zwei Grün­de haben:
    1. die Frist war zu kurz. Das führ­te mich auf den “Feuerwehr”-Gedanken und die Über­le­gun­gen zur Reak­ti­ons­ge­schwin­dig­keit von Theater.
    2. der Text wur­de als nicht geeig­net für eine Umset­zung emp­fun­den — was mich auf den Gedan­ken der früh­zei­ti­ge­ren Ein­be­zie­hung der Kol­la­bo­ra­ti­on zurück­brach­te, wie er mir tat­säch­lich schon seit ewi­gen Zei­ten durch den Kopf geht und wie ich es in mei­nem Brot­job ganz selbst­ver­ständ­lich (wenn auch nicht kon­flikt­los, das sei dazu gesagt) erlebe.

    Wei­ter­hin steht bei mir am Ende die­ser High-Speed Pro­duk­ti­on die Ein­sicht, dass der gesam­te not­wen­di­ge Pro­zess — inklu­si­ve Stu­di­um von gut 2 Metern aller­dings recht wahl­los aus­ge­such­ter öko­no­mi­scher Fach­li­te­ra­tur und Klas­si­kern — nicht unbe­dingt zu einem opti­ma­len Ergeb­nis füh­ren muss bei wei­te­ren Pro­duk­tio­nen, wäh­rend ich zugleich den Ein­druck habe, dass der Pro­duk­ti­ons­weg nicht unbe­dingt sequen­zi­ell von einer Ein­zel­per­son durch­lau­fen wer­den muss, son­dern bei klu­ger Orga­ni­sa­ti­on durch­aus auf meh­re­ren Schul­tern oder Köp­fen par­al­le­li­siert wer­den kann — wie gesagt unter Ein­be­zie­hung eines inter­es­sier­ten Hauses.
    Dass ich per ebay und allem kom­mu­ni­ka­ti­ven Drum­rum den­noch so viel “Druck” hin­ter Schuld+Schein gesetzt habe, liegt dar­an, dass mir das The­ma enorm wich­tig ist und das bis­he­ri­ge Ange­bot sei­tens der Thea­ter weit unter den Mög­lich­kei­ten lag. Ich freue mich jetzt, hof­fent­lich mög­lichst bald Vei­els Him­beer­reich zu sehen — dass die­se Pro­duk­ti­on eben nicht Wochen son­dern durch die vie­len Inter­views Mona­te oder viel­leicht auch Jah­re gebraucht hat, scheint mir durch die Arbeits­wei­se sehr gut nach­voll­zieh­bar und wider­spricht des­we­gen auch über­haupt nicht mei­nem (ich kanns nicht mehr hören) Feuerwehr-Ansatz.

    In jedem Fal­le: Dan­ke für eure aus­führ­li­chen, klu­gen und anre­gen­den Kom­men­ta­re! Kol­la­bo­ra­ti­on macht Sinn.

  • @Kai Gut, dass die Publi­kums­fra­ge noch­mal ins Spiel kommt. Wobei das Rät­sel­ra­ten, was die­ses angeb­lich “will” genau­so gefähr­lich und irre­füh­rend sein kann, wie ein oft erleb­ter “Erzie­hungs­wil­len” von uns Thea­ter­ma­chern her­ab­las­send ist. Abgse­hen davon hal­te ich zuviel “Rea­lis­mus” wenig frucht­bar für eine Zukunfts­de­bat­te. Von der Rea­li­tät muss man sich durch­aus auch mal befrei­en dür­fen, das Baby ist ja mit­ter­wei­le schon soweit, dass sie schon zusieht, dass man sich nicht all­zu­weit von ihr ent­fernt; die schreit dann sowie­so alles zusam­men und herbei.
    Aber zum Publi­kum: Den Thea­tern geht es da wie dem öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk: “mess­bar” ist der Publi­kums­er­folg (bis­her, angeb­lich) nur in Zuschau­er­zah­len, also wird sich nach denen ver­hal­ten. Im Fern­se­hen heißt das Quo­te. Und ärgert die­je­ni­gen, die dach­ten, sie hät­ten ihre GEZ­ge­büh­ren doch für etwas bezahlt, das irgend­wie anders funk­tio­nie­ren soll­te, als Privatfernsehen …
    Also Stich­wor­te Schu­le, Abo, Unter­hal­tung: Zu letz­te­rer wäre von mei­ner War­te aus zu sagen, dass ich Ulf im Hin­blick auf die “Soaps” abso­lut zustim­me. Thea­ter wür­de dies­be­züg­lich mehr U‑Zeitgenössischkeit gut tun. Das Kino, so ein­falls­los-wie­der­käu­end es manch­mal auch ist, scheint mir da oft­mals wirk­lich “schnel­ler” dran an den Sachen, die gera­de in der Luft lie­gen. Zwar geht es dafür sel­ten in die Tie­fe, aber die erst­mal nied­rig­schwel­li­ge Zugäng­lich­keit wür­de ich als Plus ver­bu­chen. Etwas mehr von die­sem Aspekt von “Pop­kul­tur” wür­de ich mir auch für’s Thea­ter wünschen.
    Was die Schu­len anbe­langt liegt hier aus mei­ner Wahr­neh­mung ein ech­ter Hund begra­ben. Als Regis­seur, der immer wie­der auch mit Schu­len und Jugend­thea­ter zu tun hat, beob­ach­te ich hier ein­fach einen fata­len Teu­fels­kreis: Die Stadt­thea­ter set­zen Stü­cke an, von den sie eigent­lich selbst nicht ganz oder nicht mehr über­zeugt sind, ein­fach weil sie mit dem Bedie­nen des Schul­stoffs die Bude voll krie­gen (wie­der: die Zah­len!). Und die Leh­rer freu­en sich über Anschau­ungs­ma­te­ri­al und eine Stun­de, die sie nicht selbst gestal­ten müs­sen. Dum­mer­wei­se hinkt der Stoff den aktu­el­len Ent­wick­lun­gen noch immer hin­ter­her, nach­wie­vor gel­ten weit­ge­hend Dür­ren­matt und Frisch als das Maß des Aktu­el­len. Da wird also schon in der Schu­le eine gewis­se Sicht auf und Vor­stel­lung von Thea­ter antrai­niert, da sind häu­fig das Abfra­gen von Inter­pre­ta­tio­nen, das ein­deu­ti­ge Zei­chen­de­co­die­ren wich­ti­ger als nicht auf den Begriff zu brin­gen­de ästhe­ti­sche Erfah­run­gen, wird Thea­ter immer noch in ers­ter Linie als Lite­ra­tur­ver­kör­pe­rungs­an­stalt ver­mit­telt, denn als eige­ne ästhe­ti­sche Pra­xis. Was dann nach­her nur schwer wie­der auf­zu­bre­chen ist. Sicher, mit irgend­was muss man anfan­gen, sich der Thea­ter­welt zu nähern, und gott­sei­dank tut sich auch schon eine Men­ge, z.B. im Bereich Dar­stel­len­des Spiel, wo man ver­mehrt nicht schon wie­der Thorn­ton Wil­der insze­niert, son­dern die Schü­ler For­men für ihre eige­nen The­men fin­den dür­fen. Klar: Ich sche­re über den Kamm. Den­noch befin­den sich Stadt­thea­ter und Schu­le grund­sätz­lich in einem struk­tur­be­ding­ten Kreis­lauf gegen­sei­ti­ger Befrie­di­gung, der in ers­te Linie den Zuschau­er­zah­len und Lehr­plä­nen dient (also des sys­tem­be­ding­ten “Druck-von-oben-Abbaus”) und erst in zwei­ter Linie der Ästhe­ti­schen Erzie­hung. “Publi­kums­ori­en­tie­rung” hilft hier also kei­nes­wegs weiter.
    Ich ken­ne jede Men­ge Leh­rer wie Dra­ma­tur­gen, die da ger­ne aus­bre­chen wol­len wür­den, aber nicht wis­sen wie. Auch des­halb mein zuge­ge­ben ket­ze­ri­scher Vor­schlag der “Klas­sik­häu­ser”. Aber die Anfor­de­run­gen der kom­men­den Gesell­schaft wer­den den Schu­len in den nächs­ten Jah­ren auch so wohl noch vie­le Ver­än­de­run­gen besche­ren. Und da hal­te ich Ulfs Panik­ma­che, ob dann Thea­ter in der aktu­el­len Brei­te noch so wich­tig­ge­nom­men wer­den wird, durch­aus für ange­bracht. Sicher gibt es auch Anzei­chen für das Gegen­teil: für eine Rück­kehr der Attrak­ti­vi­tät der “Liveness”. Aber Pro­phy­la­xe hat ja noch sel­ten geschadet …
    Was frei­lich das “Abo” angeht: Da fra­ge ich mich auch schon lan­ge, ob uns wirk­lich schon klar ist, was der demo­gra­phi­sche Wan­del uns wohl noch für Ver­schie­bun­gen brin­gen mag. Auch hier ist das aktu­el­le Sys­tem gefan­gen im Dilem­ma: dem “Neu­en” in Gestalt der Jugend hin­ter­her­zu­ren­nen, wäh­rend doch zugleich eher beim Alter die Koh­le zu holen ist. Und das eine gefühl­te Mehr­heit der “Alten”, um sie wie­der ganz doof und unkor­rekt über dem Kamm zu sche­ren, ange­sichts des aktu­el­len Wan­dels ver­mehrt eher nach Wie­der­erken­nung des Ihnen schon Ver­trau­ten suchen/sich seh­nen, kann man wohl nicht ernst­lich kri­ti­sie­ren. Also doch wie­der die Fah­nen hoch fürs klas­si­sche Drei­spar­ten­haus, wie wir es schon ken­nen? Ich fürch­te, auch die Thea­ter wer­den sich aus­dif­fe­ren­zie­ren (müs­sen), um das alles in den Griff zu krie­gen, “Frei” und “Stadt” wer­den sich ver­mehrt an einen Tisch set­zen und besper­chen müs­sen, wer wel­chen Teil des Kuchens backt.
    Und noch­mal zu den “weni­gen Klas­si­ker­häu­sern”. Damit mein­te ich eigent­lich auch erst­mal nur Häu­ser, die sich auf his­to­ri­sie­ren­de Insze­nie­run­gen spe­za­li­sie­ren (ähn­lich dem Glo­be in Lon­don). Das heisst nicht, dass Klas­si­ker im Thea­ter vor Ort nicht mehr vor­kom­men dürf­ten. Aber sie dürf­ten damit beru­higt etwas sel­te­ner wer­den und wären befrei­ter vom Druck eines “bit­te ori­gi­nal­ge­treu­en” Zugriffs. Den gibt’s dann halt als Spe­cial, das man sich ein­mal im Jahr leis­tet, wie man frü­her auch mal für “Cats” raus­fuhr aus der Provinz.

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You are currently reading Theater als gesellschaftliche Berufsfeuerwehr – Antwort an Frank Kroll, Teil 2 at Postdramatiker.

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