In den letzten beiden Postings versuchte ich zu zeigen, wie Stadttheater einerseits seine Funktion in der Abendunterhaltung eingebüßt hat, andererseits seine Funktion für die Konstitution einer städtischen Bürgerlichkeit verlor. Im dritten Teil möchte ich nun darauf eingehen, inwiefern Theater auch das Theaterhafte, das Spektakuläre eingebüßt hat.
Der Verlust des Spektakulären
Dem Theater eignete in seinen Hochzeiten das Spektakuläre, das sich noch in Spuren in der Oper der Gegenwart wiederfindet. Zu seinen Hochzeiten war Theater eine multimediale technische Meisterleistung. Nicht nur der Darbietenden, sondern auch der Bühnen- und Beleuchtungstechnik. Rasche Verwandlungen, Drehbühnen, Schiebebühnen, bewegliche Plafonds und Heerscharen von Bühnenarbeitern schufen in Minutenschnelle szenische Zauberkunststücke. Ein gleißend erhellter Zuschauerraum konnte mit Gas- oder Elektrobeleuchtung ins Dunkel gehüllt, die Bühne mit Licht‑, Feuer- und Wassereffekten verwandelt werden. Schon im Frühbarock sorgten kerzenbasierte Beleuchtungsmaschinerien für Effekte, die außerhalb der Theater (abgesehen von einigen sakralen Meisterwerken) nicht zu denken und schon gar nicht zu finden waren. Orchestermusik, Gesangskunst, Ballett schufen wovon die Gesamtkunstwerkbewegung des 19. Jahrhunderts wieder träumte. Wagners Bayreuth ist in gewisser Hinsicht der Kulminationspunkt und Paroxysmus des Spektakulären, dem zunächst aus nachvollziehbaren inhaltlichen Gründen Realismus und Naturalismus, dann aber schlichte Gedanken- und Interesselosigkeit der Macher die Existenz nahmen (selbst wen man die Versuche des Futurismus, des Konstruktivismus noch beachtete). Selbst die geschmacklosen Musical-Maschinerien unserer Tage vermögen nicht die vorhandene Technik so für sich zu nutzen, dass es gelänge, den Zuschauern die Unterkiefer aufs Gewoge zu treiben.
Darin schloss sich Theater in seiner Frühzeit der Kirche an, die mit allen verfügbaren multimedialen Mitteln wie gigantischen Bauwerken, Wandmalereien, Glasfenstern, dröhnenden Glocken, benebelndem Weihrauch, Chören, gigantischen Orgeln, protzendem Goldschmuck, monumentalen Plastiken und Altären und gemeinsamen Gesängen für Sinnesräusche sorgte. Wo in den Kirchen Gott (oder zumindest seine weltlichen Statthalter) verklärt und sinnenhaft geadelt wurden, adelte sich der Adel und der weltliche Regent in den Hof- und Schlosstheatern selbst durch die Sinnespracht des Dargebotenen. Und die Mechnisierung der Theater in der Industriewelt des 19. Jahrhunderts schlossen nicht nur an die mechané der attischen Bühnen an, sondern sorgten mit ihren Zügen und Ober‑, Unter- und Seitenbühnenverwandlungen für Verblüffung.
Zudem sind die Spektakularität des Neuen und des Skandalösen abhanden gekommen, die das technische Spektakel ergänzen, flankierten oder zu ersetzen vermochten. Theater ist gegenwärtig das gänzlich Unspektakuläre. Ein weitest gehend beliebiges, einigermaßen unauffälliges, wenn auch für den Betrachter angenehmes Schaufensterdesign. Und das Angenehme ist sicherlich der Tod des Theaters.
Auch die Spektakularität des Neuen gibt es nicht mehr. Was noch die Zampanos der 70er und frühen 80er, die Zadeks, Flimms, Steins, Kupfers, Berghaus, Peymann schafften, schaffen die Puchers, Thalheimers, Breths lange nicht mehr, taugen sie bestenfalls zu Branchen-Sensatiönchen. Der „neue Krötz“, „neue Strauß“, „neue Kipphardt“, „neue Goetz“ starb mit dem „neuen Bernhardt“, dessen Heldenplatz es immerhin noch in eine breitere Öffentlichkeit brachte. Einen „neuen Müller“ gab es schon nicht mehr, ganz zu schweigen von allen Nachfolgenden. Die Rückzugsposition der Theater schlägt sich heute im Stichwort „Uraufführung“ nieder, der gerade der erfolgreichste lebende Autor zu sein scheint. Zugkraft hat auch er nur mäßig.
Auch das Darsteller-Startum verbrauchte sich selbst in der Oper nach Domingo, Carreras, Pavarotti, Norman. Wie zugkräftig und mächtig diese Spekularität ist, lässt sich am Kino wunderbar verfolgen, in dem der neue Willis, Clooney, Pitt, Jolie, Roberts, Gere oder Eastwood seinen Magnetismus entfaltet, der neue Wachowski, Allen, Coen, Spielberg, Cameron oder Nolan. Ähnlich die neuesten, spektakulärsten Animations‑, Explosions‑, Stunt- oder 3D-Effekte. Nichts, aber auch gar nichts davon sorgt im Theater der Gegenwart für ähnliche Anziehungskraft.
Mit einer fast schon anrührenden Sturheit beweisen Theater in ihrer institutionellen Organisation ihre Zugehörigkeit zu den vergangenen Zeiten des 19. Jahrhunderts. Der Blick auf die Gewerke in den Häusern zeigt: Tischler, Schreiner, Maler, Schlosser, Kostümbildner, Maskenbildner, Bühnenarbeiter, Beleuchter, Mechaniker. Wo ist die Videoabteilung? Die Internetredaktion? Wo sind die 3D-Artisten, die Augmented Reality Experten, Sound Artists, Netzwerktechniker? Nicht aus Gründen eines Aktualismus um seiner selbst willen – sondern weil es der Spektakularität des Theaters eignet, das Neueste im Neuen aufzunehmen und künstlerisch zu nutzen. Das elektrische Licht (und Musik vom Band) sind offenbar die letzten Neuerungen, die im Theater Einzug gehalten haben. „Hohoho – unser Licht ist computergesteuert“ – Hohoho, ihr seid langweilig. Das ist das dritte Problem. Todlangweilig.
Was braucht es zum Überleben? Entweder die klare Positionierung als letzter Hort der Bürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts Klassiker in Werktreue. Oder etwas ganz Anderes. Neues. Beides zusammen ist tödlich. Klassizismus wird zum Überleben von – sagen wir mal – 10% der heutigen Häuser führen, die sich wie Musicalstätten ihr Publikum im Rahmen einer Pauschal-Städtetour mit Bus und Bahn zuführen lassen.
Alles andere – ganz anders.
Fazit
Theater hat seine Monopolstellung für die Abendunterhaltung verloren, muss sich in einem Wettstreit mit anderen Abendunterhaltungen messen, mit denen es nicht mithalten kann. Es hat seine Funktion für die Konstitution eines städtischen Bürgertum spätestens jetzt verloren, da die Netzwelt ganz andere Konstitutionsprinzipien sieht. Und es hat seinen alten Glanz und seine Eigenspektakularität verloren. Was bleibt da noch? Warum sollte Theater nicht langsam von Kämmerern ausgetrocknet werden, die sicher schnell eine bessere Verwendung für das Geld finden? Das ist nicht zu bejubeln noch gar hämisch zu begrinsen. Es ist eine Gefahr, die den Theatern das Überleben kosten könnte.