Von Olivier Garofalo, dessen Master-Arbeit über Sich Gesellschaft leisten ich ja letztens verlinkt hatte, bekam ich den folgenden Gastbeitrag, den ich gerne veröffentliche.
Als Konsument des Theaters ist der Zuschauer in der ökonomisierten Gesellschaft das beste Indiz, Erfolg oder Misserfolg auszumachen. Gleichzeitig ist das Publikum auch jenseits des Verkaufsschalters notwendige Bedingung für die Existenz des Theaters. Anders als der Film kann das Theater nicht ohne Publikum existieren. Theater ohne Publikum ist kein Theater, höchstens eine Probe. Diese Erkenntnis, so offensichtlich sie auch ist, scheint vergessen zu sein. Das Theater basiert auf diesem Dualismus : einerseits die Künstler, welche ihr Geld damit verdienen, Theater zu realisieren und auf der anderen Seite der Zuschauer, der sein verdientes Geld im Theater wieder ausgibt. Damit sind die zwei Pole eindeutig erkennbar: einerseits der Arbeitende, andererseits der Freizeitler.
Genau diese Schwelle ist gegenwärtig ein wesentliches Problem des Theaters. In einer leitungsorientierten, ökonomisierten Gesellschaft wird die freie Zeit zum Moment des systemischen Ausbruchs. Kein Druck und keine Verantwortung soll die Freizeit stören, weshalb ihre Gestaltung wiederum kostengünstig sein soll, denn das Gegenteil würde eine finanzielle Legitimation bedeuten und also Druck und Verantwortung. Das Fernsehen hat kein Problem mit einem Publikum, welches im Jogging zwischen Chips und Bier auf der Couch die Beine ausstreckt – egal, ob es dabei desinteressiert eine Serie kuckt oder aber gedanklich aktiv eine Politsendung verfolgt. Das Kino als öffentlicher Ort erwartet sich ein bisschen mehr von seinen Kunden, aber letztendlich kann man auch hier in dem tiefen Sitz mit Cola und Popcorn versenken. Dem Kinopublikum sind die anderen Menschen gleichgültig. Tatsächlich ist der Begriff Publikum irreführend, denn eigentlich besteht die gemeinte Masse aus Einzelgänger, die sich nicht als Gemeinschaft verstehen. Hier also entsteht der liberale Raum der Gleichgültigkeit: dem Fernsehen und Film ist das Publikum ebenso gleichgültig, wie das Publikum sich selbst gleichgültig ist. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass den Machern das Publikum auch egal sein kann, denn auch bei diesen Medien existiert ein Quotendruck. Wesentlicher Unterschied ist aber, dass allein die Quote über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Nur wenige Produktionen, die inhaltlich wie ästhetisch innovativ und sehenswert sind, aber nicht eingeschaltet werden, können sich im Programm halten. Im Unterschied zum Theater können solche Produktionen noch als Füller im Nachtprogramm zweckvoll eingesetzt werden. Letztlich nicht zu vergessen ist zusätzlich die Flexibilität: während die Theatervorstellung zur fixen Abendstunde beginnt und im Regelfall mit nummerierten Karten hantiert, kann beispielsweise der Kinobesuch spontan entschieden oder verschoben werden. Sollte man den Film dennoch verpassen, so gilt die DVD als guter Ersatz, denn höchstens der Bildschirm wird kleiner, ansonsten aber ändert sich am Produkt nichts. Ebenso lassen sich Fernsehsendungen aufnehmen oder werden auch zum Teil im Internet zur Verfügung gestellt. Erneut ändert sich am Produkt nichts. Höchstens die Werbung, die sich ihrerseits über die vielfältige Präsenz freut.
Das Theater seinerseits fordert jedoch ein aktives Publikum, welches sich die Abendkarte gerne leistet und sich den Ritualen einer Aufführung unterwirft. Während sich das Fernsehen und der Film nicht um die Rahmenbedingungen ihres Publikums zu interessieren brauchen, ist das Theaterpublikum festes Bestandteil des Abends. Ein Theater, welches sich für den Menschen interessiert, muss sich logischerweise auch für seine Zuschauer interessieren. Und während auf der Bühne die große Freiheit proklamiert wird, zwingt das Theater sein Publikum pünktlich zu sein, das Handy auszuschalten, bestenfalls nicht während der Vorstellung den Saal zu verlassen aber während der Pause unbedingt, bevor der berühmte Gong wieder zur Rückkehr ruft etc. Warum aber sollte jemand für solch eine Behandlung auch noch Geld zahlen – und sich seine freie Zeit demgemäss organisieren lassen? Anders formuliert: wie soll auf diese Weise dem Publikum das Gefühl vermittelt werden, dass es notwendige Bedingung des Theaters ist? In dem Maßen wie den neuen Medien qua ihrer virtuellen Form die Präsenz des Publikums gleichgültig sein kann und entsprechend dem Publikum ebenfalls so ziemlich alles egal sein kann, muss das Theater auf den Moment der Realität setzen. Diese Realität findet jedoch nicht nur auf der Bühne statt.
Es reicht nicht nur, dass die Theater verstanden haben, dass das Publikum dem Theater wesentlich ist. Das Publikum muss sich selbst als solches erkennen.