Zum Begriff des Publikums — Gastbeitrag von Olivier Garofalo

April 10th, 2011 Kommentare deaktiviert für Zum Begriff des Publikums — Gastbeitrag von Olivier Garofalo

Von Oli­vi­er Garo­fa­lo, des­sen Mas­ter-Arbeit über Sich Gesell­schaft leis­ten ich ja letz­tens ver­linkt hat­te, bekam ich den fol­gen­den Gast­bei­trag, den ich ger­ne veröffentliche.

Als Kon­su­ment des Thea­ters ist der Zuschau­er in der öko­no­mi­sier­ten Gesell­schaft das bes­te Indiz, Erfolg oder Miss­erfolg aus­zu­ma­chen. Gleich­zei­tig ist das Publi­kum auch jen­seits des Ver­kaufs­schal­ters not­wen­di­ge Bedin­gung für die Exis­tenz des Thea­ters. Anders als der Film kann das Thea­ter nicht ohne Publi­kum exis­tie­ren. Thea­ter ohne Publi­kum ist kein Thea­ter, höchs­tens eine Pro­be. Die­se Erkennt­nis, so offen­sicht­lich sie auch ist, scheint ver­ges­sen zu sein. Das Thea­ter basiert auf die­sem Dua­lis­mus : einer­seits die Künst­ler, wel­che ihr Geld damit ver­die­nen, Thea­ter zu rea­li­sie­ren und auf der ande­ren Sei­te der Zuschau­er, der sein ver­dien­tes Geld im Thea­ter wie­der aus­gibt. Damit sind die zwei Pole ein­deu­tig erkenn­bar: einer­seits der Arbei­ten­de, ande­rer­seits der Freizeitler.

Genau die­se Schwel­le ist gegen­wär­tig ein wesent­li­ches Pro­blem des Thea­ters. In einer lei­tungs­ori­en­tier­ten, öko­no­mi­sier­ten Gesell­schaft wird die freie Zeit zum Moment des sys­te­mi­schen Aus­bruchs. Kein Druck und kei­ne Ver­ant­wor­tung soll die Frei­zeit stö­ren, wes­halb ihre Gestal­tung wie­der­um kos­ten­güns­tig sein soll, denn das Gegen­teil wür­de eine finan­zi­el­le Legi­ti­ma­ti­on bedeu­ten und also Druck und Ver­ant­wor­tung. Das Fern­se­hen hat kein Pro­blem mit einem Publi­kum, wel­ches im Jog­ging zwi­schen Chips und Bier auf der Couch die Bei­ne aus­streckt – egal, ob es dabei des­in­ter­es­siert eine Serie kuckt oder aber gedank­lich aktiv eine Polit­sen­dung ver­folgt. Das Kino als öffent­li­cher Ort erwar­tet sich ein biss­chen mehr von sei­nen Kun­den, aber letzt­end­lich kann man auch hier in dem tie­fen Sitz mit Cola und Pop­corn ver­sen­ken. Dem Kino­pu­bli­kum sind die ande­ren Men­schen gleich­gül­tig. Tat­säch­lich ist der Begriff Publi­kum irre­füh­rend, denn eigent­lich besteht die gemein­te Mas­se aus Ein­zel­gän­ger, die sich nicht als Gemein­schaft ver­ste­hen. Hier also ent­steht der libe­ra­le Raum der Gleich­gül­tig­keit: dem Fern­se­hen und Film ist das Publi­kum eben­so gleich­gül­tig, wie das Publi­kum sich selbst gleich­gül­tig ist. Das bedeu­tet nicht zwangs­läu­fig, dass den Machern das Publi­kum auch egal sein kann, denn auch bei die­sen Medi­en exis­tiert ein Quo­ten­druck. Wesent­li­cher Unter­schied ist aber, dass allein die Quo­te über Erfolg oder Miss­erfolg ent­schei­det. Nur weni­ge Pro­duk­tio­nen, die inhalt­lich wie ästhe­tisch inno­va­tiv und sehens­wert sind, aber nicht ein­ge­schal­tet wer­den, kön­nen sich im Pro­gramm hal­ten. Im Unter­schied zum Thea­ter kön­nen sol­che Pro­duk­tio­nen noch als Fül­ler im Nacht­pro­gramm zweck­voll ein­ge­setzt wer­den. Letzt­lich nicht zu ver­ges­sen ist zusätz­lich die Fle­xi­bi­li­tät: wäh­rend die Thea­ter­vor­stel­lung zur fixen Abend­stun­de beginnt und im Regel­fall mit num­me­rier­ten Kar­ten han­tiert, kann bei­spiels­wei­se der Kino­be­such spon­tan ent­schie­den oder ver­scho­ben wer­den. Soll­te man den Film den­noch ver­pas­sen, so gilt die DVD als guter Ersatz, denn höchs­tens der Bild­schirm wird klei­ner, ansons­ten aber ändert sich am Pro­dukt nichts. Eben­so las­sen sich Fern­seh­sen­dun­gen auf­neh­men oder wer­den auch zum Teil im Inter­net zur Ver­fü­gung gestellt. Erneut ändert sich am Pro­dukt nichts. Höchs­tens die Wer­bung, die sich ihrer­seits über die viel­fäl­ti­ge Prä­senz freut.

Das Thea­ter sei­ner­seits for­dert jedoch ein akti­ves Publi­kum, wel­ches sich die Abend­kar­te ger­ne leis­tet und sich den Ritua­len einer Auf­füh­rung unter­wirft. Wäh­rend sich das Fern­se­hen und der Film nicht um die Rah­men­be­din­gun­gen ihres Publi­kums zu inter­es­sie­ren brau­chen, ist das Thea­ter­pu­bli­kum fes­tes Bestand­teil des Abends. Ein Thea­ter, wel­ches sich für den Men­schen inter­es­siert, muss sich logi­scher­wei­se auch für sei­ne Zuschau­er inter­es­sie­ren. Und wäh­rend auf der Büh­ne die gro­ße Frei­heit pro­kla­miert wird, zwingt das Thea­ter sein Publi­kum pünkt­lich zu sein, das Han­dy aus­zu­schal­ten, bes­ten­falls nicht wäh­rend der Vor­stel­lung den Saal zu ver­las­sen aber wäh­rend der Pau­se unbe­dingt, bevor der berühm­te Gong wie­der zur Rück­kehr ruft etc. War­um aber soll­te jemand für solch eine Behand­lung auch noch Geld zah­len – und sich sei­ne freie Zeit dem­ge­mäss orga­ni­sie­ren las­sen? Anders for­mu­liert: wie soll auf die­se Wei­se dem Publi­kum das Gefühl ver­mit­telt wer­den, dass es not­wen­di­ge Bedin­gung des Thea­ters ist? In dem Maßen wie den neu­en Medi­en qua ihrer vir­tu­el­len Form die Prä­senz des Publi­kums gleich­gül­tig sein kann und ent­spre­chend dem Publi­kum eben­falls so ziem­lich alles egal sein kann, muss das Thea­ter auf den Moment der Rea­li­tät set­zen. Die­se Rea­li­tät fin­det jedoch nicht nur auf der Büh­ne statt.

Es reicht nicht nur, dass die Thea­ter ver­stan­den haben, dass das Publi­kum dem Thea­ter wesent­lich ist. Das Publi­kum muss sich selbst als sol­ches erkennen.

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