Im ersten Teil des Beitrags war geschildert worden, wie die bevorstehende Abschaffung des Bargelds die Bürger auf Gedeih und Verderb den Geschäftsbanken ausliefert. In diesem Teil soll nun gezeigt werden, dass die aktuell diskutierte Vorratsdatenspeicherung ein Witz gegen das ist, was mit der Bargeldabschaffung bevorsteht. Hellhörig dürfte dabei machen, dass „Experten“, die die Bargeldabschaffung fordern, insbesondere damit argumentieren, dass damit Kriminelle (insbes. Drogenhändler) und Steuerhinterzieher getroffen werden. (z.B. hier).
Steuern, Regierung und Bürger
Gemeinhin werden Steuern als lästiges Ärgernis, als ungerechtfertigter Zugriff auf das Privateigentum, als Quelle der Staatsverschwendung, als Ausweis staatlicher Willkür und was auch immer sonst betrachtet. Das verkennt ihr Funktion auf fatale Weise. Die Steuer ist kommunikative Kernbeziehung zwischen der Staatsfunktion (kurz: Regierung) und den Nichtregierenden. Die Steuer ist die Kernbeziehung und historische Konstante zwischen Regierung und X, wobei X sich aus Bürgern, Besuchern, Unternehmen, Händlern usw. variabel zusammensetzt. Es mag diese Beziehung in verschiedenen Regionen und verschiedenen Zeiten unterschiedlich umfangreich gestaltet gewesen sein, es mögen Regierungen und X mehr, weniger nahezu gar nichts oder nahezu alles miteinander zu tun haben: Es gibt keinen Staat auf der Welt und in der Vergangenheit, in dem es nicht eine Form von Steuerbeziehung gegeben hat. Und diese Kernbeziehung ist und war immer eine Machtbeziehung: Einerseits die Regierung, die für ihr Funktionieren und Agieren Finanzmittel benötigt, die sie im Wege der Steuern einzunehmen versucht, die dementsprechend Steuerarten definiert und festsetzt, Steuerhöhen festsetzt, Steuerregeln, Ablieferungszeiten und ‑formen bestimmt. Andererseits die Größe X, die mit diesen Forderungen und beauftragten Eintreibern konfrontiert ist und zu der naturgegeben der versuch gehört, die eigene Steuerlast zu senken, sich vor Zahlungen zu drücken, die Beträge zu senken usw. Diese Machtbeziehung sucht permanent nach einem Gleichgewicht und ist zumeist aus der Beobachtungsposition nicht im Gleichgewicht, was dazu führt, dass es eine laufende steuerrelative Kommunikation zwischen Regierung und X gibt, weil das gemeinsame Gesprächsthema (und: für beide Seiten existenziell relevante Gesprächsthema) Steuern gibt. Es gäbe ohne Steuern für die Regierung kaum einen Grund mit X zu kommunizieren, noch für X einen Grund, sich an die Regierung zu richten. Das gilt es vorab zu verstehen, wenn es darum geht, wie sich das Machtgefüge zwischen Regierung und X verschiebt, wenn die Regierung Komplettzugriff auf alle steuerrelevanten Finanzdaten von X (kurz: der Bürger) bekommt – wie, das sollen die folgenden Ausführungen darlegen.
Finanzielle Vorratsdatenspeicherung
Ein erster Hinweis auf die weit größeren Auswirkungen der Bargeldabschaffung im Vergleich zur VDS ist schnell gemacht: Während die Vorratsdatenspeicherung, die gerade diskutiert wird, Kommunikationsverbindungsdaten für einige Wochen bei den Providern zu speichern plant, werden unbare Zahlungsvorgänge von Geschäftsbanken durch gesetzliche Vorgabe 10 Jahre (§257 HGB) gespeichert. Unterschied an dieser Stelle klar? Wenige Wochen (was tatsächlich bereits ein tiefer Eingriff in die Freiheitsrechte ist) versus 10 Jahre. 10 Jahre lang muss die Geschäftsbank alle Kontobewegungen aufheben. Und je mehr Zahlungen bargeldlos (EC-Karte, Überweisung, Online, oder wie zukünftig auch immer) getätigt werden, desto mehr Informationen liegen hier. Jaja, könnte nun jemand einwenden: doch nur Meta-Daten. Wer wem wann wie viel. Schauen Sie sich die Kontoauszüge der letzten 10 Jahre von einem Unbekannten an – Sie werden staunen, was daraus alles zu entnehmen ist. Weitaus mehr als aus den vergleichsweise piffigen Kommunikationsdaten. Hier nämlich können Sie ersehen, wer wofür wie viel Geld ausgibt und ausgegeben hat. Und wer in den letzten 10 Jahren wem Geld überwiesen wurde, wer von wem Geld empfangen hat. Und die Vergleichssetzung zwischen Konto- und Kommunikationsdaten ist insofern sowieso Unfug, als es ja nicht um ein Entweder-Oder geht. Die Kontobewegungen werden 10 Jahre gespeichert, die Kommunikationsdaten kommen hinzu. Plus ggf. weitere Datenquellen.
Auch der zweite Hinweis ist relativ einfach: Die VDS der Kommunikationsdaten umfasst „nur“ die in der elektronischen Kommunikation entstandenen Spuren – zugleich bleiben andere Kommunikationsformen erhalten, wie etwa das mündliche Gespräch – das „Bargeld“ der Kommunikation. Vergfleichbar mit der Abschaffung des Bargelds wäre also das Verbot, sich zur Kommunikation irgendwelcher anderer Mittel zu bedienen, als überwachbarer elektronischer Verbindungsgeräte. Das Verbot des Bargelds kommt dem Verbot des persönlich und direkt gesprochenen Worts unter bloßer Zuhilfenahme der Luft und des Schalls ziemlich nahe – erweitert noch um die Vorschrift, Denkakte nicht mehr still zu vollziehen, sondern auch diese (so sie denn stattfinden) ausschließlich in elektronisch überwachbaren Umfeldern in überwachbarer Form durchzuführen. Es wird mit der Bargeldschaffung unmöglich, Zahlungsakte vorzunehmen ohne dabei elektronische, speicher- und auswertbare Artefakte zu produzieren.
Der Zugriff auf die Bankdaten
Nun könnte beschwichtigend auf das Bankgeheimnis verwiesen werden, das es allerdings nur noch in einigen nostalgischen Köpfen gibt. Tatsächlich besteht dieses Bankgeheimnis für staatliche Stellen kaum noch – für Geheimdienste mit ihren inzwischen bekannt gewordenen technischen Eigenmächtigkeiten grundsätzlich nicht. Gehen Sie davon aus, dass die NSA Ihre Bankdaten hat (sofern sie sich dafür interessiert). Und ähnlich kompetente Geheimdienste bereits heute, weniger kompetente vielleicht in 5–10 Jahren. Bereits in der Vergangenheit wurden immer wieder Einschränkungen auch in Deutschland umgesetzt, was den Zugriff durch Finanzbehörden unabhängig von richterlichen Durchsuchungsbeschlüssen beim begründeten Anfangsverdacht auf eine Straftat betrifft. Es geht vielmehr darum, die Kontobewegungen daraufhin zu untersuchen, ob sich ein Anhaltspunkt für einen Verdacht ergibt – der vielzitierte Generalverdacht mit Aufhebung der Unschuldsvermutung. Ein platter Vergleich: Die Polizei durchsucht regelmäßig sämtliche Provatwohnungen daraufhin, ob sich Hinweise ergeben, die auf kriminelles Verhalten hinweisen – und beschlagnahmt die gefundenen Hinweise, um sie anschließend als Beweise zu verwenden. Die USA sind wieder einmal einen Schritt weiter:
Der Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA, beschlossen von den USA im März 2010) soll verhindern, dass US-Steuerpflichtige ihr Vermögen in ausländische Steuerparadiese schaffen. Der FATCA verpflichtet in den USA ansässige Banken, automatisch Namen, Anschriften, Kontostand und Kontobewegungen von Anlegern an die US-Steuerbehörde zu melden. (Wikipedia)
Es handelt sich, kurz gesagt, um einen elektronischen Datenaustausch, bei dem die Banken automatisch die Kontobewegungen an das Finanzamt melden. Diesen Schritt verfolgen nun auch die Staaten der EU:
Am 14. Oktober 2014 vereinbarten alle Finanzminister der EU-Staaten, das Bankgeheimnis ab 2017 in Bezug auf Steuerhinterzieher abzuschaffen. Zwischen den EU-Staaten wird ein automatischer Datenausgleich vereinbart.[2]
Dieselbe Bewegung vollzieht sich im internationalen Verhältnis – um: Steuerhinterzieher zu verfolgen. Gute Sache doch, oder nicht?
Der Staatsfeind des 21. Jahrhunderts: Der Steuerhinterzieher
Wer Steuern hinterzieht, muss Geld haben. Wer hohe Steuersummen hinterzieht, muss viel haben. Und schadet mit dieser seiner Hinterziehung dem Gemeinwesen – was es rechtfertigt, gegen ihn alle Möglichkeiten der Strafverfolgung einzusetzen. So oder so ähnlich kann der momentan in vielen Köpfen vorherrschende Duktus zusammengefasst werden. Und daran wäre weniger auszusetzen. Der Steuerhinterzieher ist jener Steuerungläubige, der das Seelenheil des Volkskörpers bedroht, weswegen seine Verfolgung jenseits rechtsstaatlicher Standards (etwa durch den Ankauf illegal beschaffter Bankdaten aus der Schweiz) gerechtfertigt ist. Jagt ihn, den Volksschädling. Lautet die polemische Gegenzeichnung.
Nüchterner betrachtet gibt vielleicht zweierlei zu denken:
- Die größten Einnahmeausfälle entstehen nicht dadurch, dass einer 80 Millionen hinterzieht, sondern dadurch, dass 80 Millionen Bürger jeweils 10 Euro hinterziehen. Rechnen Sie nach. Das stimmt. Es ist also bei den Massen der Kleinbeträge in Summe mehr zu holen, als bei Herrn Hoeneß oder Herrn Zumwinkel. Warum sonst der gigantische Aufwand bei der Überprüfung der Einkommensverhältnisse von Hartz IV-Antragstellern? Bisher war es nicht effizient, die Steuerfahndung auf kleine Einkommen und Ihre paar Kröten anzusetzen. Ein automatisierter Datenabgleich hingegen kostet nahezu nichts. Außer die Privatsphäre.
- „Jaja, aber es geht ja doch um Untäter – um Steuerhinterzieher! Nicht um mich. Ich habe nichts zu verbergen.“ Gegenfrage: Woher weiß die Behörde, dass jemand ein Steuerhinterzieher ist, wenn sie nicht vorher Hinweise (aus den Kontobewegungen) gesammelt hat, die auf Steuerhinterziehung deuten? Wie bei der Vorratsdatenspeicherung ist auch hier das Grundproblem, dass jeder als Steuerhinterzieher verdächtigt und behandelt wird. Und zwar genau so lange, bis die Behörde den eindeutigen, unabweislichen und in alle Zukunft gültigen Beweis hat, dass keine Steuerhinterziehung vorliegt.
- „Ja, aber ich hinterziehe halt keine Steuern, stört mich also nicht.“ – Nicht? Gar nicht? Wie weit ist der Weg zur Arbeit genau? Wie hieß das Buchgeschenk, dass Sie gerade als „Werbungskosten“ abgesetzt haben? Was geben Sie Ihrem 16-jährigen Sohn für das Schneeschieben im Winter? Steuererklärungen sind Grauzonen-Artefakte. Waren es immer und werden es sein bis zur Bargeldabschaffung.
Fiskal-Terrorismus als Argument für die Totalüberwachung
Aber es geht letztlich nicht um die Steuerhinterziehung – sondern darum, dass damit staatlichen Behörden der Zugriff auf sämtliche Bankdaten gewährt wird. Mit dem Hintergrund der gesellschaftlich akzeptierten Jagd auf Steuerhinterzieher (hat sie schon jemand „Fiskal-Terroristen“ genannt?). Und dass mit diesem Komplettzugriff eben letztlich mehr bezweckt wird, als Steuern einzutreiben. Genau das sagen die Befürworter ja in dankenswerter Offenheit (und mit der Hoffnung auf vergrößerte öffentliche Unterstützung): Es geht darum, den Drogenhandel lahm zu legen, Schwarzarbeit auszumerzen, Prostitution zu verfolgen, den Zigarettenhandel abzuschaffen, den Kauf und Verkauf bestimmter aufwieglerischer oder gotteslästerlicher Bücher wenn nicht zu verhindern, so doch nachvollziehen zu können. Rückwärts für die letzten 10 Jahre. Richtig, nicht alle der aufgezählten Ziele werden von den Befürwortern genannt – aber erst in dieser Reihung und ihrer möglichen Fortführung wird deutlich, was der behördliche Zugriff auf einen Datenbestand, in dem sämtliche Zahlungsbewegungen für 10 Jahre gespeichert sind, tatsächlich für Konsequenzen hat oder haben kann. Und das „kann“ reicht bei weitem aus, um sich dagegen aufzulehnen. Wird die Barzahlung abgeschafft, sind sämtliche Bezahlvorgänge transparent für eine Regierung, die darauf zugreifen will. Und für „befreundete“ Regierungen. Und für nicht-befreundete Regierungen mit hinreichenden technischen Fähigkeiten ihrer Geheimdienste.
Und die Kriminellen?
Werden Kriminelle sich das Handwerk legen lassen, weil es kein Bargeld mehr gibt? So dumm sind Sie nicht. Es stehen ihnen hinreichende Möglichkeiten zur Verfügung:
- Gold
- Eigene Parallelwährung
- Zentrale Buchhaltung mit eigenem Buchgeld im Telefonbankingverfahren … in Palermo vielleicht?
- Kryptowährungen
Und sicher noch viele weitere kreative Lösungen, die sicherstellen, dass „die Verbrecher“ sich umorganisieren und weiter machen – was Otto Normalbürger nicht kann.
Erstes Fazit
Regierungen und Behörden gewinnen durch Zugriff auf Kontobewegungen der letzten 10 einen immensen Machtzuwachs in einem Zeitalter, in dem Bezahlung nur noch durch Buchung zwischen Geschäftsbanken machbar ist. Der automatisierte Datenaustausch von Finanzamt und Banken wird darauf hinauslaufen, dass die im Steuersystem jederzeit vorhandenen Grauzonen einseitig klargestellt werden. Das Finanzamt entscheidet, welche Buchung steuerlich relevant, welche steuerlich abzugsfähig ist. Das ist nicht weiter schlimm, weil es doch eh so ist, dass das Finanzamt Bescheide erlässt? Dann wird der erste Bescheid spannend, den Bürger für Ihr Bankkonto erhalten, auf dem sämtliche Zahlungsvorgänge ausgewiesen sind. Der Bürger wird dabei keine Beteiligung haben. Wer jemals in den Überprüfungsmechanismen von Sozial-/Arbeitsamt und Hartz IV eingebunden war als „Kunde“, weiß, was diese Komplettentmündigung heißt. Vor dem Finanzbeamten jede Zahlung erklären zu dürfen. Der Staat wird dann nicht mehr zur Sanktionsmacht für (angezeigtes oder von Amts wegen ins Visier geratenes) Fehlverhalten. Der Staat wird zur Regulationsmacht, der Fehlverhalten unterbindet. Das nennt man totale Diktatur: der Staat diktiert das Verhalten, anstatt Fehlverhalten aus freiem Entschluss zu sanktionieren.
Selbst wenn man aktuellen Regierungen den Missbrauch (aus welchen Gründen auch immer) nicht zutraut, bedeutet das: auf den Missbrauch zu warten. Das bloße Vorhandensein von Instrumenten wie der durch Bargeldabschaffung herbeigeführten Totaltransparenz ist wie die Vorratsdatenspeicherung bereits der Missbrauch. Nochmal: Die Instrumente müssen nicht aktiv missbraucht werden, ihr Besitz ist bereits Missbrauch. So wie Drogenbesitz ebenfalls strafbar war und (zumindest teilweise) ist. Waffenbesitz ohne behördliche Genehmigung ist eine Straftat. Und genauso sind es Vorratsdatenspeicherung und Bargeldabschaffung, die die Datenbasis für eine verdachtsunabhängige Totalüberwachung (zusammen mit Bewegungsdaten, Krankenakten, Online-Shopping-History usw.) liefern und nicht nur zugriffsfähigen Geheimdiensten unterschiedlichster Länder und Absichten einen paradiesischen Informationsreichtum liefern: sondern der generalisierten Schuldvermutung in der Beziehung der Regierung zu X den Weg bereiten.
Zweites Fazit
Die Machtbeziehung zwischen Regierung und X, deren historischer und globaler Kern die Steuerbeziehung war und ist, wird grundlegend umdefiniert, wenn durch Bargeldabschaffung eine Informationsbasis für den Behördenzugriff bereit gestellt wird, die nicht nur der Regierung einseitig die Berechnung der Steuer auf Grundlage der Daten ohne freie Beteiligung von X erlaubt, sondern zugleich noch mit der Begründung „Straftaten können verhindert werden“ der Zugriff auf diese Daten zum Steuerungselement für die Gesellschaft als Ganzes und den einzelnen Bürger wird – inklusive Rückgriff auf die letzten 10 Jahre. Inklusive der Möglichkeit des geheimdienstlichen Zugriffs aus jedem dazu befähigten und daran interessierten Land. In Kombination von diesen kompletten Finanzbewegungen mit der Speicherung der Kommunikationsvorratsdaten, der Bewegungsdaten durch Mobiltelefone und andere Devices entsteht eine datenbasierte Akte, die es Regierungen einseitig und ohne Beteiligung des zu Beurteilenden erlaubt, automatisierte Beurteilungen vorzunehmen und Entscheidungen zu fällen, an denen derjenige, den die Entscheidung betrifft, nicht in der Entscheidungsfindung teilnimmt und Gehör findet. Sondern in der er schlicht und einfach Gegenstand oder Opfer der Entscheidung wird. Ende der Demokratie.
Die Herausforderung dieser neuen Gestalt der Kontrollgewalt liegt darin, dass sich die Regierung hier nicht als traditionelle Zensur- oder Unterdrückungsgewalt zeigt. Das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken ist nicht das Ziel einer Kontrollinstanz, so wenig wie es Ziel von U‑Bahn-Kontrolleuren ist, den Zutritt zu U‑Bahnen ohne gültigen Fahrausweis unmöglich zu machen. Die Kontrollgesellschaft setzt nicht nur das Recht sondern auch die Praxis der freien Meinungsäußerung und der freien Bewegung voraus – um aus den Spuren, die die Wahrnehmung dieser Rechte hinterlässt, eine Verdachtsakte zu konstruieren, deren Existenz dem Verdächtigen bewusst, die ihm aber nicht konkret bekannt ist, deren Inhalte und daraus möglicherweise abgeleiteten Vorwürfe oder Verdächtigungen er nicht kennt. Er (oder: sie) befindet sich in einem permanenten Ermittlungsverfahren, dem er/sie mögliche Anhaltspunkte liefert, ohne auf ein Recht zur Aussageverweigerung geschweige denn auf Unschuldsvermutung bestehen zu können. Ich empfehle Klaus Kusanowskys Überlegungen zur Paranoia und Überwachung, um den Implikationen dieser veränderten Beziehung zwischen Regierung und X detaillierter zu folgen, der etwa schreibt: „Die Freiheit wird nicht mehr verhindert, sondern sie kann jederzeit denjenigen zum Nachteil ausgelegt werden, die sich ihrer bedienen. Die Nutzung und Achtung von Freiheit kann nun verdächtig machen und nicht mehr die Missachtung von Sicherheitsregeln.“ (hier)
Gesamtfazit
Wer sich gegen die Bargeldabschaffung nicht wehrt, weil es praktischer sei und man doch nichts zu verbergen habe, wird sich auch nicht gegen die Abschaffung der Meinungsfreiheit wehren: weil denken anstrengend sei und man im Übrigen eh keine eigene Meinung habe.
Schöner Artikel, insbesondere das Fazit
“Wer sich gegen die Bargeldabschaffung nicht wehrt, weil es praktischer sei und man doch nichts zu verbergen habe, wird sich auch nicht gegen die Abschaffung der Meinungsfreiheit wehren”
fasst das Gesagte für zusammen. Ich möchte jedoch einwenden oder vielleicht eher hinzufügen, dass eine veränderte Wortwahl hilfreich wäre, nämlich die Unterscheidung zwischen individuellem und institutionellen Geld/Bankgeld. Bargeld wird nämlich im Regelfall u.a. nicht auf die erwähnten Kryptowährungen bezogen, der Steuerungscharakter ist hingegen identisch. Bankgeld funktioniert nur über die Institution, die die Überweisung bestätigt, sie ist nur Besitz solange die Bank sie gewährt. Bankgeld gehört uns in etwa so wie uns Daten auf einer Dropbox gehören: Insofern müssten wir auch weniger von einer Abschaffung des Bargeld sprechen (das wird es immer geben), denn von einer Verpflichtung zur Verdatung.
Vielen Dank nochmal für den nachdenklich stimmenden Artikel.