Das ABC der kommenden Wirtschaft, Folge 2: Nachtrag zum Grundkonzept

September 20th, 2010 Kommentare deaktiviert für Das ABC der kommenden Wirtschaft, Folge 2: Nachtrag zum Grundkonzept

Ich habe mich ein wenig mit dem BGE aus­ein­an­der gesetzt und fin­de grund­sätz­lich die­sen Gedan­ken ver­lo­ckend, dass ein rei­ches Land sei­nen Bür­gern ein Grund­ein­kom­men bedin­gungs­los garan­tiert. Ich bin aber eben­so davon über­zeugt, dass das Kon­zept in nähe­rer Zukunft null Chan­ce auf Rea­li­sie­rung haben wird. Und zwar des­we­gen, weil all­zu vie­le Ein­wän­de mit opti­mis­ti­schen Annah­men wider­legt wer­den müs­sen. Dass Men­schen schon von sich aus arbei­ten wer­den. Dass schon kei­ne sprung­haf­te Infla­ti­on die Lebens­grund­la­ge des Basis­ein­kom­mens auf­fres­sen wer­de. Dass schon kei­ne Neid­de­bat­te von der Bild­zei­tung los­ge­tre­ten wird, die dar­auf auf­setzt, dass die­je­ni­gen, die vom BGE pro­fi­tie­ren, nicht die­je­ni­gen sind, die mit klei­nen Löh­nen knapp jen­seits des BGE leben. Dass beim Weg­bre­chen des öko­no­mi­schen Arbeits­drucks und dem Ende der Dif­fa­mie­rung von Arbeits­lo­sen schon wei­ter ein so hohes BIP erar­bei­tet wer­den wird, wie vor­her. Und so weiter.

Schwä­chen des Bedin­gungs­lo­sen Grundeinkommens

Das BGE ist eine schlag­ar­ti­ge Reform, die – wenn sie denn schief geht – inner­halb kür­zes­ter Zeit eine Volks­wirt­schaft zer­stö­ren kann. Und das wird sich nie­mand trau­en. Die zwei größ­ten Vor­wür­fe, die den Ver­fech­tern des BGE zu machen sind, lau­ten imho: Es wur­den – so weit ich sehe und weiß – kei­ne Sze­na­ri­en durch­ge­rech­net, die unter­schied­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen in Rech­nung zie­hen. Zwei­tens wur­den kei­ne sinn­vol­len Über­gangs­sze­na­ri­en erar­bei­tet. Zudem – viel­leicht ein drit­ter Vor­wurf – löst das BGE nicht das Pro­blem, dass die indus­tri­el­le Wert­schöp­fung ein­bricht und wei­ter sin­ken wird, wäh­rend zugleich Arbeits­for­men ent­ste­hen, deren größ­ten Pro­blem es ist, das kein finan­zi­ell rea­li­sier­ba­rer Wert damit geschaf­fen wird. Das Schick­sal von Musik­in­dus­trie, Zei­tungs­jour­na­lis­mus, Wer­be­indus­trie, Post, Ban­ken usw. wer­den immer mehr Indus­trien teilen.

Digi­ta­l­öko­no­mie gestalten

Wie in die­sem Blog bereits gele­gent­lich bemerkt (und mit der Grün­dung des ers­ten vir­tu­el­len Insti­tuts für Digi­ta­l­öko­no­mie sym­bo­li­siert), glau­be ich, dass wir eine Zei­ten­wen­de erle­ben und mit­ge­stal­ten kön­nen. Wir befin­den uns in einer Situa­ti­on der Renais­sance gleich, in der Mensch fest­stell­te, dass er selbst gott­gleich eine Welt erschaf­fen kann. Damals ent­stand die Welt des (menschen)vernünftigen Den­kens, der schöp­fe­ri­schen Kunst und der Tech­no­lo­gie – ver­eint in der Gestalt Leo­nar­dos. Heu­te kön­nen wir eine digi­ta­le Welt schaf­fen, die noch einen Schritt wei­ter geht. Es wird eine kom­plett in der „Phan­ta­sie“ des Vir­tu­el­len exis­tie­ren­de Welt sein, gott­frei vom Men­schen geschaf­fen. Und so wei­ter – bevor mir die Pfer­de gänz­lich durch­ge­hen: Der Über­gang muss gestal­tet wer­den von der alten in eine neue Welt. Am Ende wer­den wir viel­leicht beim BGE lan­den. Viel­leicht aber auch woanders.

Die Fra­ge ist also: wie wird eine Rei­se ein­ge­lei­tet, die die Her­aus­for­de­run­gen, die das BGE anpackt, so auf­nimmt, dass es kein alles-oder-nichts-Spiel wird. Das glau­be ich mit dem ABC-Kon­zept vor­stel­len zu kön­nen. Es ist eine Über­gangs­re­gu­lie­rung, die enorm fle­xi­bel an plötz­li­che Ereig­nis­se (inkl. Finanz­kri­sen), wie auch an sys­tem­ei­ge­ne Fehl­ent­wick­lun­gen ange­passt wer­den können.Vielleicht war das im letz­ten Pos­ting noch nicht hin­rei­chend klar, des­we­gen jetzt noch mal anders hergeleitet.

Die Ausgangssituation

Wir haben gegen­wär­tig um die 40 Mil­lio­nen Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se und – je nach Berech­nung – zwi­schen 3 und 5 Mil­lio­nen Men­schen, die kei­nen Arbeits­platz haben und von staat­li­chen Leis­tun­gen abhän­gig sind. Zudem sind bei den Arbeit­neh­mern eben­falls eini­ge Mil­lio­nen Men­schen dar­auf ange­wie­sen, ihr kar­ges Ein­kom­men durch Hart­zIV auf­zu­sto­cken. Staat und Sozi­al­kas­sen sogen dafür, dass klei­ne Ein­kom­men noch klei­ner wer­den. Trotz­dem ist der 40-Stun­den Ver­trag die Regel – obwohl jeder weiß, dass Auto­ma­ti­sie­rung, Digi­ta­li­sie­rung, schwin­den­de Indus­trie, ver­än­der­tes Kun­den­ver­hal­ten (Inter­ne­t/S­elf-Ser­vice) dazu füh­ren, dass immer weni­ger Men­schen tat­säch­lich in die­sen Ver­trä­gen voll arbei­ten kön­nen und müssen.

Das Modell

Die Grund­über­le­gung des ABC-Modells ist kei­ne flä­chen­de­cken­de Arbeis­zeit­ver­kür­zung. Auch kei­ne unbe­grenz­te Über­nah­me der Kurz­ar­beits­re­ge­lung. Es funk­tio­niert anders.

Start

Es gibt noch immer die her­kömm­li­chen sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen, zu ver­steu­ern­den Arbeits­ver­trä­ge. Alles wie bis­her. Aber: Neue Arbeits­ver­trä­ge wer­den mit einer neu­en Rege­lung geschlos­sen. Statt des bis­he­ri­gen Klas­se I oder III oder sonst was 40-Stun­den­ver­tra­ges erhält in Mit­ar­bei­ter zwei Ver­trä­ge: den A‑Vertrag und einen B20-Ver­trag. Für Arbeit­neh­mer und Arbeit­ge­ber ändert sich dadurch zunächst (fast) nichts. Die Steu­er­last auf bei­den Ver­trä­gen zusam­men ist in etwa so hoch, wie bis­her. Es ent­fal­len nur die Sozi­al­ab­ga­ben: Kran­ken­kas­se und Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung müs­sen nicht abge­führt wer­den. Dadurch hat die­ser Arbeit­neh­mer eine impli­zi­te Lohn­er­hö­hung von etwa 10%. Zugleich pro­fi­tiert der Arbeit­ge­ber davon, dass kei­ne Sozi­al­ab­ga­ben zu zah­len sind. Bei­de haben mehr in der Tasche. Für Arbeit­neh­mer, die die­ses Sys­tem anneh­men, wird die Kran­ken­ver­si­che­rung nicht vom Lohn abge­zo­gen, son­dern staat­lich finanziert.

Ent­wick­lung

Schaut der Arbeit­neh­mer auf sei­ne Lohn­ab­re­chung, stellt er fest, dass unge­fähr ein Drit­tel sei­ner Steu­ern auf den A‑Vertrag ent­fal­len, zwei Drit­tel (oder mehr – je nach Steu­er­grup­pe) auf den B‑Vertrag. Heißt: Die ers­ten 20 Stun­den sind für ihn erheb­lich effi­zi­en­ter ver­dient, als die nächs­ten 20 Stun­den. Mit der Arbeit­neh­mer­ver­tre­tung wird er nun dafür sor­gen, dass der Arbeit­ge­ber sich an der höhe­ren Steu­er­last des B‑Vertrages betei­ligt, indem er die Stun­den­sät­ze erhöht. Also wird der B‑Vertrag für Arbeit­neh­mer und Arbeit­ge­ber teu­rer als der A‑Vertrag.
Logi­scher­wei­se wird der Arbeit­ge­ber dort, wo es mach­bar ist, nun aus Kos­ten­grün­den ver­su­chen, die Lohn­kos­ten zu drü­cken, indem er B‑Verträge durch A‑Verträge ersetzt. Ein Run auf Arbeits­lo­se wird statt­fin­den – denn die haben noch A‑Verträge zu ver­ge­ben. Dadurch wird die Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung abschaff­bar. Men­schen mit einem ver­füg­ba­ren A‑Vertrag sind für die Wirt­schaft hoch­in­ter­es­sant. Zugleich ist für die Men­schen ein A‑Vertrag mit sei­ner mini­ma­len Steu­er­last selbst dann finan­zi­ell inter­es­sant, wenn nur der Min­dest­lohn gezahlt wird.

Und wei­ter

Die „stil­le Reser­ve“ wird akti­viert. Men­schen, die sich bereits aus dem Erwerbs­le­ben frus­triert ver­ab­schie­det haben (Allein­er­zie­hen­de, beschäf­ti­gungs­lo­se Ehegattinnen/gatten) wer­den nun für die Wirt­schaft auf­grund der Tat­sa­che inter­es­sant, dass hier noch A‑Verträge zu holen sind. Für die Men­schen ist es inter­es­sant, dass in einer Ehe jeder der bei­den Part­ner einen A‑Vertrag hat – heißt: Wenn jeder 20 Stun­den arbei­tet, ist das Ein­kom­men höher, als wenn einer von bei­den 40 Stun­den schaf­fen geht.

Ziel der Übung

Jeder arbeits­fä­hi­ge Mensch arbei­tet in jeden Fall 20 Stun­den und kann damit sei­nen Lebens­un­ter­halt bestrei­ten. Auf mitt­le­re Sicht wer­den vie­le Men­schen über die 20 Stun­den hin­aus mit B‑Verträgen arbei­ten. Sie arbei­ten vol­le 40 Stun­den – haben aber die Mög­lich­keit, jeder­zeit den B‑Vertrag zu been­den, einem zwei­ten Arbeit­ge­ber anzu­bie­ten, damit frei­be­ruf­lich zu arbei­ten oder sich als Klein­un­ter­neh­mer selb­stän­dig zu machen.
Arbeit­ge­ber haben die Mög­lich­keit, mit vie­len A‑Verträgen die Lohn­be­las­tung gering zu hal­ten, mit zusätz­li­chen B‑Verträgen Las­ten abzu­fe­dern, bzw. durch Kün­di­gung von B‑Verträgen (was nie­mand in Arbeits­lo­sig­keit stürzt) Ein­brü­che abzfan­gen – dem Kurz­ar­bei­ter­geld gleich.

Das Kon­zept hat den Vor­teil, fle­xi­bel anpass­bar zu sein. Sei es durch Umge­wich­tung der Steu­er­las­ten zwi­schen A- und B‑Verträgen, sei es durch die Zahl der Stun­den bei A- und B‑Vertrag (man kann sie höher oder nied­ri­ger anset­zen). Irgend­wann wer­den nur noch 20–25 Stun­den Arbeit not­wen­dig sein. Das ist abbild­bar. Irgend­wann wer­den weit­aus mehr Men­schen als heu­te selb­stän­dig in der Digi­tal­wirt­schaft sein – kein Pro­blem. Das Ziel ist, dass alle Arbeit und ein Aus­kom­men haben (letz­te­res dem BGE ähn­lich) – ohne dabei an den bescheu­er­ten 40 Stun­den fest­zu­hal­ten. „Teil­zeit“ ist eine Dif­fa­mie­rung, die zudem steu­er­lich nicht attrak­tiv genug ist. Ein A‑Vertrag ist attrak­tiv – und eine Vollarbeitsstelle.

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