DieBedrohung des offenen Internet war hier im Blog bisher (etwa hier) vornehmlich an Facebook festgemacht worden (was auch immer noch imminent ist — ich glaube, dass Facebook tatsächlich durch die eigene Währung mit 500 Millionen Mitgliedern weltweit zu einer quasi-staatlichen überstattlichen Macht wird). Heute aber — wie hier von ZEIT Online gemeldet — macht Google den ersten offenen Zug in dem anstehenden großen Digitalkrieg. Jeff Jarvis nennt das, was zwischen Google und Verizon verabredet wurde, hier ein “Münchener Abkommen” — sich dabei auf das Abkommen von 1938 beziehend, in dem Hitler von Frankreich und England die Besetzung des Sudetenlandes erlaubt wurde. ZEIT findet den Vergleich hart, ich dagegen denke, wir sind schon über München hinaus. Zitat ZEIT:
Der Suchmaschinenkonzern und die amerikanische Telefongesellschaft versuchen, im Internet so etwas wie Mautgrenzen und Zollschranken einzuführen. Gleichzeitig bauen sie an einer dauerhaften Überwachung der Inhalte.
Dabei ist Inhaltsüberwachung keine Übertreibung:
Der übelste ist die Idee des “lawful content”. Die Neutralität des Netzes und die Gleichbehandlung von Daten sollen nur noch für solchen “gesetzestreuen Inhalt” gelten. Was illegal ist, darf diskriminiert werden. Prinzipiell nicht schlimm, das gesellschaftliche Leben funktioniert genauso. Mit einem entscheidenden Unterschied: In demokratischen Gesellschaften wird öffentlich, transparent und eben demokratisch verhandelt, was legal und was illegal ist.
Apple hat in Sachen Zensur schon mit den Apps einen kleinen Vorgeschmack gegeben, ein eher geringes Grenzscharmützel, das den Herstellern von blinkenden Kästchen und hübschen Touchscreens nicht wirklich übel genommen wurde in der breiten Öffentlichkeit. Google aber verkündet nunmehr, selbst zu entscheiden, was lawful ist und was unlawfuil. Gehen wir mal nicht davon aus, dass davon nur ein paar tausend Seiten betroffen sein werden, die sich durch Phishing oder K*nd*rp*rn*gr*phie auszeichnen. Es geht um Massen, die aus irgendwelchen Gründen gesperrt werden könnten. Von Google.
Jeder Konzern, jeder Betreiber entscheidet für sich, was im Netz wichtig und schön ist und somit verdient, weitergeleitet zu werden. Der Rest wird verlangsamt, blockiert oder gelöscht. Es wäre ein Rückfall ins Mittelalter, in eine Zeit, in der in jeder Stadt und in jedem Fürstentum andere Regeln und andere Währungen galten. Zweihundert Jahre demokratische Entwicklung umsonst.
Es schwingen sich jetzt die wirtschaftlich orientierten Großmächte auf, das Netz unter ihre Kontrolle zu bringen. Jenseits von Gesetzen (oder geht es darum, amerikanische Gesetze zu universalisieren?). Jaja, es bezieht sich auf das mobile Net. Nur — das Mobile-Net ist eindeutig der Entwicklungspunkt von weiten Teilen des Internets. In Kürze wird die mobile Nutzung von Internetinhalten weltwit an der stationären Nutzung vorbeiziehen. Und wenn der Präzendenzfall im Mobilen geschaffen wurde — ist die “Säuberung” des restlichen Netzes nur noch eine Kleinigkeit. Übrigens: Vorgestern sprach sich Google-Chef Eric Schmidt auch gegen die Anonymität im Internet aus und erklärte sie für gefährlich (taz)
Das Problem dabei ist: Die Wirtschaftsmächte sind nicht die einzigen, die diese Schlacht ums Netz führen werden und wollen. Die Regierungen sind wenn nicht schon mitten darin, so doch auf dem Sprung dazu, das Internet dazu zu verwenden, die User am Draht auszuhorchen. Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner, Netzsperren sind auch hier nur erste Vorboten eines anstehenden Sturmes, um die staatliche Hoheit im globalen Netz wiederzugewinnen. In einem sehr lesenswerten Artikel hat Björn Ognibeni diese Bedrohungen vor kurzem hier zusammengefasst: Medienkonzerne, Netzbetreiber, Regierungen.
Der Griff nach dem Netz als Mittel ist eine Kriegserklärung, die als solche ernst genommen werden muss. Von Google, von Apple, von Facebook. Von Geheimdiensten und Heimatschutzbehörden. Von “Leistungsschützern”, Urheberrechts-Bütteln, Abmahnwahnsinnigen. Es wird Zeit, sich auf diese bevorstehende Auseinandersetzung vorzubereiten.
Der Protest beginnt hier mit einer Petition. Und auf netzpolitik hier eine Stellungnahme, der ich mich vollumfänglich anschließe.