Stadttheater – Zerquetscht wie eine Nussschale?

Oktober 24th, 2012 Kommentare deaktiviert für Stadttheater – Zerquetscht wie eine Nussschale?

Man muss schon in beson­de­rer Wei­se lei­dens­fä­hig sein, um in Zei­ten wie die­sen an einem Stadt­thea­ter zu arbei­ten und es zu ver­tei­di­gen. In einem Umfeld mit zuneh­men­dem Ver­än­de­rungs­druck und immer aggres­si­ve­ren Reform­for­de­run­gen die eige­ne tra­di­ti­ons­för­mi­ge Arbeit wei­ter zu betrei­ben, nötigt durch­aus Respekt ab. Einer­seits. Ande­rer­seits droht es zu dem Ende zu füh­ren, das Mar­tin Sem­mel­rog­ge als Wach­of­fi­zier schon in Das Boot ankün­dig­te, als es lang­sam zu Grun­de ging: Wenn der Außen­druck zu groß wird, wird es zer­quetscht wie eine Nuss­scha­le. Nach­dem die­se Debat­te sich auf den unter­schied­lichs­ten Platt­for­men und Medi­en abspiel­te, star­tet nun die Uni­ver­si­tät Hil­des­heim mit einer Ring­vor­le­sung noch eine aka­de­mi­sche Breitseite.

Woher kommt der Druck? Fas­sen wir eini­ge Kom­po­nen­ten (Ergän­zun­gen ger­ne per Kom­men­tar) zusammen:

Zuschau­er­zah­len: Wahr­schein­lich guckt wie­der kein Schwein

Aus­las­tungs­zah­len sind nichts Neu­es, sie erfül­len in etwa die Funk­ti­on der Ein­schalt­quo­ten und Auf­la­gen. Sie mes­sen eigent­lich nichts, aber man­gels einer bes­se­ren Quan­ti­fi­zie­rung zieht man sie her­an, um die Arbeit ins­be­son­de­re einer Thea­ter­lei­tung zu bewer­ten. Ergänzt noch um die Ein­nah­men, die damit erzielt wer­den. Dass das zu einer unge­sun­den Pro­duk­ti­ons­be­schleu­ni­gung führt, um in Zei­ten schwin­den­der Thea­ter­in­ter­es­sier­ter die weni­ger ver­blei­ben­den Besu­cher öfter ins Thea­ter zu holen, habe ich schon vor eini­ger Zeit hier aus­ge­führt. Es ist eine Spi­ra­le, die dafür sorgt, dass in immer kür­ze­ren Pro­ben­zei­ten „Pro­duk­tio­nen“ erzeugt wer­den müs­sen, die dann immer weni­ger Vor­stel­lun­gen haben. Und deren Qua­li­tät sich sicher­lich nicht durch Pro­duk­ti­ons­be­schleu­ni­gung stei­gert. Oder in Faust-Spek­ta­kel wie in Frank­furt enden, die das Unzu­läng­li­che zum Ereig­nis machen tun.

Finan­zie­rung: Spa­ren wir uns das Theater

Je weni­ger Rück­halt Thea­ter in der städ­ti­schen Öffent­lich­keit haben, des­to leich­ter fällt es in Zei­ten ange­spann­ter öffent­li­cher Haus­hal­te deren Bud­gets zu kür­zen, Spar­ten zu strei­chen, Häu­ser zusam­men zu legen. Oder Thea­ter ein­fach dicht zu machen. Das Kri­so­me­ter auf nacht­kri­tik lis­tet – lei­der wohl nicht mehr aktu­ell gepflegt, da etwa die aktu­el­len Wup­per­ta­ler Ent­wick­lun­gen dort nicht zu fin­den sind – in einem Kata­log der Schre­cken die an vie­len Orten anzu­tref­fen­de Mani­pu­al­ti­on des Geld­hahns auf.

Die Kul­tur­in­farkt-Fuz­zis: Immer fes­te druff

Sekun­diert wer­den die­se finanz­po­li­ti­schen Ein­schnit­te von den Autoren des berüch­tig­ten „Kul­tur­in­farks“ (mei­ne Rezen­si­on hier). In kru­der Ver­mi­schung einer­seits durch­aus beden­kens­wer­ter Ein­wän­de und Beob­ach­tun­gen mit einem Gene­ral­an­griff auf die deut­sche Thea­ter­land­schaft lie­fern die Ver­fas­ser die argu­men­ta­ti­ve Unter­füt­tern für Kür­zungs­be­stre­bun­gen – täte es doch ihrer Mei­nung nach nicht nur die Hälf­te des Bud­gets für die Stadt­thea­ter, son­dern die Hälf­te täte der Thea­ter­land­schaft auch noch gut.

Stadt­thea­ter­de­bat­te: Geld den frei­en Hüt­ten, Sturm auf die Paläste

In der auf nacht­kri­tik geführ­ten und von Mat­thi­as von Hartz mit einem Bei­trag dort begon­ne­nen Debat­te wer­den Stadt­thea­ter und freie Grup­pen gegen­ein­an­der geführt – mit der Behaup­tung, Inno­va­tio­nen (Ein ziem­lich unglück­li­cher Begriff in die­sem Zusam­men­hang) kämen in der letz­ten Zeit vor­nehm­lich von den Frei­en. Und ent­spre­chend sol­le ihnen eine bes­se­re Finan­zie­rung auch auf Kos­ten der Stadt­thea­ter zukom­men. Die Tei­le der Debatte:

Mat­thi­as von Hartz: Dem Stadt­thea­ter ist noch zu helfen
Ulf Schmidt: Die Funk­ti­on des Stadt­thea­ters – zum Thea­ter in der Netzgesellschaft
Ute Nys­sen: Die Geburt des Autors aus dem Nach­spie­len
– zu Neu­er Dra­ma­tik im Repertoirebetrieb
Tors­ten Jost und Georg Kasch:
Kraft­zen­tren im Dickicht der Städ­te – Stadt­thea­ter als kom­mu­na­ler Diskursmotor
Niko­laus Merck: Ten­den­zi­el­ler Fall der Legi­ti­mi­täts­ra­te
– Ein Brief zum Arbeits­buch “Heart of the City. Recher­chen zum Stadt­thea­ter der Zukunft”
Dirk Pilz und Chris­ti­an Rakow  im Inter­view mit Ulrich Khuon:
In den Städ­ten fin­den Kämp­fe statt -
Eine Rei­he wei­te­rer inter­es­san­ter Tex­te auf nacht­kri­tik hier.

Zudem ist das Thea­ter der Zeit Arbeits­buch „Stadt­thea­ter der Zukunft“ zwar auf Inspi­rie­ren­des für die besag­te Zukunft aus­ge­rich­tet, muss aber natür­lich dabei auch als Kri­tik am Bestehen­den ver­stan­den wer­den, wie es in der Beschrei­bung des Ban­des auch zu lesen ist:

Die als not­wen­dig ange­nom­me­ne Neu­be­stim­mung der Insti­tu­ti­on Stadt­thea­ter vor­aus­ge­setzt, woll­ten wir mit den Recher­chen der hier ver­sam­mel­ten Autorin­nen und Autoren Mate­ria­li­en für unse­re tas­ten­den Ver­su­che auf schwan­ken­dem Boden zusam­men­tra­gen. (Quel­le)

Hil­des­hei­mer Ring­vor­le­sung: Geball­te pro­fes­so­ra­le Macht

Seit heu­te fin­det an der Uni­ver­si­tät Hil­des­heim eine (auf nacht­kri­tik durch The­sen­zu­sam­men­fas­sun­gen doku­men­tier­te) Ring­vor­le­sung (Fly­er­down­load) statt, mit dem Titel „Thea­ter. Ent­wi­ckeln. Pla­nen.“ Als Auf­takt ist Prof. Dr. Wolf­gang Schnei­der, Direk­tor des Insti­tuts für Kul­tur­po­li­tik der Uni­ver­si­tät Hil­des­heim an den Start und das Pult getre­ten. Die The­sen sind auf nacht­kri­tik hier zu fin­den. Ein kur­zes Zitat aus den (lesens­wer­ten) Thesen:

Die Situa­ti­on, in der wir uns im Moment befin­den, ist nicht nur eine Fol­ge des Ver­sa­gens der Kul­tur­po­li­tik, son­dern auch der Thea­ter. Wenn sie sich selbst für neue For­men geöff­net haben, dann nur in eini­gen weni­gen Pro­jek­ten. Wenn sich etwas geän­dert hat, dann eigent­lich nur durch ein­zel­ne künst­le­ri­sche Per­sön­lich­kei­ten, die hier und da die Zei­chen der Zeit erkannt haben. Aber es ist nichts Struk­tu­rel­les pas­siert, bei dem man sagen könn­te, dass es eine Per­spek­ti­ve für das Über­le­ben wäre.

Das wei­te­re Pro­gramm liest sich eben­falls nicht unbe­dingt wie eine Argu­men­ta­ti­on für das Bewah­ren, son­dern als aka­de­mi­sches Brain­stor­ming für die Erneue­rung. Auf dem Titel­blatt bereits zu lesen: „Wel­che Refor­men sind über­fäl­lig, wel­che Pro­duk­ti­ons­for­men braucht Thea­ter, wel­che Neu­ori­en­tie­run­gen sind not­wen­dig, um die Not zu wen­den?“ Die Vor­tra­gen­den und ihre Themen:

Kon­gress­ma­nia: Alles voll von Ideen – wer machts?

Es häu­fen sich die Visi­ons­kon­gres­se und ‑kon­fe­ren­zen. Ich bin gera­de zu faul, sie alle zusam­men­zu­stel­len. Aber es scheint, als wäre es kein Pro­blem min­des­tens ein­mal im Monat irgend­wo einen Kon­gress zum Thea­ter zu fin­den, der sich um Visio­nen, Ideen, Zukunfts­mo­del­le dreht. Man könn­te also nicht behaup­ten, es man­ge­le an Betei­li­gung bei der Ideen­fin­dung dafür, was zu tun sei. Getan wer­den könn­te. Müss­te. Soll­te. Kön­nen wür­de. Gehabt gewe­sen zu sein wür­de. Gekonnt haben. Man müss­te – es nur machen.

Black­fa­cing-Debat­te: Der Kampf um Büh­nen­mit­tel und Mentalitäten

Seit bald einem Jahr nun ist das The­ma auf der Tages­ord­nung: Der Ras­sis­mus-Vor­wurf an deut­sche bzw. das Deut­sche Thea­ter, durch Ver­wen­dung brau­ner oder schwar­zer Schmin­ke auf der Büh­ne dem Ras­sis­mus Vor­schub zu leis­ten oder gar ras­sis­ti­sche Tra­di­tio­nen fort­zu­füh­ren. Ohne sich erneut dar­auf ein­las­sen zu wol­len, wer da recht hat, kann auch hier eine Druck­quel­le aus­ge­macht wer­den, die Thea­ter sowohl for­mal als auch inhalt­lich und gesell­schafts­po­li­tisch aufs Korn nimmt. Dau­er­haft dem Vor­wurf des Ras­sis­mus aus­ge­setzt zu sein gehört sicher­lich nicht zu den Situa­tio­nen, die Thea­ter sich erträu­men würden.

Der thea­tro­sta­ti­sche Druck: Zum Not­aus­stieg fertigmachen??

Es sind ver­mut­lich nicht ein­mal alle Druck­quel­len zusam­men­ge­tra­gen. Dem nur ein trot­zi­ges „Thea­ter muss sein“ durch Auto­auf­kle­ber ent­ge­gen zu schmet­tern bringt nichts.  Es han­delt sich ja (über­wie­gend) nicht etwa um ein­ge­fleisch­te Kul­tur- oder Thea­ter­fein­de, die die­sen Druck machen. Im Gegen­teil. Es sind, wie der Ver­fas­ser die­ses Blogs, über­wie­gend Men­schen, die das Boot auf­ge­taucht und kamp­fes­lus­tig sehen wol­len. Die Zei­ten sind nicht so, dass eine gesell­schaft­li­che Insti­tu­ti­on mit den Mit­teln, Ein­rich­tun­gen und Fähig­kei­ten, die die Thea­ter haben, ein­fach so zu Grun­de sin­ken und implo­die­ren dürf­ten. Vor zwei­ein­halb Jah­ren habe ich Thea­ter hier mal als „Flak­stel­lung der Demo­kra­tie“ bezeich­net. Womit ich nicht etwa eine nicht vor­han­de­ne Vor­lie­be für Meta­phern aus dem Mili­tä­ri­schen belegt sehen will, auch wenn Das Boot nicht unbe­dingt fried­fer­tig ist. Son­dern auf die Qua­li­fi­ka­ti­on des alten Spie­gel-Maga­zins als „Sturm­ge­schütz der Demo­kra­tie“ abhob. Meta­phoro­lo­gie bei­sei­te: Wann beginnt das ste­hen­de Thea­ter wie­der, sich mit der Gesell­schaft und Poli­tik (nein, nicht die Tages­po­li­tik) zu befas­sen, Stel­lung zu bezie­hen, ein- und aus­zu­grei­fen in die Umge­bung? Der Ver­än­de­rungs­druck kommt nicht von Thea­ter­geg­nern. Son­dern von sol­chen, die ver­stan­den haben, dass, wer Thea­ter bewah­ren will, es nicht bewah­ren kann wie es ist, son­dern ver­än­dern muss, damit es kann was es ein­mal konn­te, ohne dabei wer­den zu wol­len wie es war. Schnell. Sehr schnell.

Ver­zei­hung. Ich woll­te nicht noch mehr Druck machen. Oder … doch.

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