Während das Netz allerorten darüber palavert, ob Zeitungs- und Medienhäuser durch ein Leistungsschutzrecht geschützt werden sollen vor dem Niedergang (aktuelle Zahlen kommentiert Knüwer), ob nicht Zeitungen dann den Leistern, über die sie berichten, vielleicht ebenfalls für deren Leistung ein Entgeld zahlen müssten (also etwa den Theatern, wie Niggemeier meint), scheint Gott Mammon Fakten zu schaffen. Gerade kreist sein tödlicher Hammer über den Köpfen der geschätzten und von etwa hier mir bejubelten Nachtkritikredaktion. Hier gibt es ein Video mit Esther Slevogt, die (nach ermüdenden Ausführungen über die Spiralblock-„Affäre“) ein wenig über die Unternehmung erzählt.
Die Reaktion von Nachtkritik auf die schlechte wirtschaftliche Situation der Redaktion: seit einigen Wochen wird ein Spendenaufrauf mal mehr mal weniger prominent auf der Startseite vorgehalten, um User zu Unterstützern zu machen. Das ist sympathisch aber gescheitert.
Quo Vadis, Journalismus?
Die Frage, die sich daraus ableitet, lautet: Wenn denn die traditionellen (Print-)Zeitungsverlage darnieder gehen – wie kann sich qualitativ wertiger bis hochwertiger Journalismus noch finanzieren. Und mit finanzieren ist an dieser Stelle gemeint: Das alltägliche Überleben derer sicherstellen, die einen so großen Teil ihres Tages in die Erstellung der Inhalte investieren, dass sie keiner traditionellen Geldarbeit nachgehen können. Und nachtkritk ist schon relativ weit gegangenl in Sachen Kostensenkungen: relativ lächerliche Honorare für die Autoren, keine Reiosekosten, wenig Gehalt für die Festangestellten. Man spart wo es geht. (Selbst)Ausbeutung? Na sicher!
Nun ist im Web inzwischen allerorten die Meinung durchgesetzt: Was im Netz ist, kost nichts. Wer ins Netz arbeitet, kriegt nichts. Deswegen erwarte ich für dieses postdramatische Blog hier keinerlei Entgelt. Auch wenn ich hoffe, irgendwann eine Lebensfinanzierung u finden, die aus dieser Tätigkeit (und dem Schreiben) mehr macht, als eine Urlaubs‑, Wochenend- und Nachtbeschäftigung. Die Problematik von Nachtkritik ist also gar so weit nicht von der anderer Autoren entfernt. User lieben hochwertige Inhalte – bezahlen wollen sie aber nicht dafür. Das ist so. Bezahlpflicht für Nachtkritik wäre das Todesstündlein der Seite.
Es scheint, dass Nachtkritik mit der für Idealismus typischen Naivität an den Start gegangen ist. Wir machen mal – um Geld kümmern wir uns später. Das Beschissene daran ist: Der Bäcker, der Vermieter, der Schuster, der Hoster der Nachtkritiker will jetzt schon Geld. Und jetzt. Und jetzt. Und jetzt wieder.
Mammons Hammer
Nach dem Niedergang der traditionellen, printbasierten Massenmedien (Zeitungen, Zeitschriften …), die selbstverständlich wirtschaftlich orientierte Unternehmen sind und schon immer waren, scheint die Vision von funktionierenden Onlinemedien eine Illusion. Das Geld, das Verlage in Zeitungen verlieren, werden sie zukünftig in digitalen Medien nicht einnehmen können – da mag Döpfner das iPad anbeten, solange er will (“Jeder Verleger sollte sich einmal am Tag hinsetzen, beten und Steve Jobs dafür danken, dass er mit diesem Gerät die Verlagsindustrie rettet.” Welt). Durch (Banner-)Werbung werden die Rückgänge an Printwerbung nicht kompensiert. Punktum.
Ich habe keine große Lust, mich in die Leistungsschutzdebatte einzumischen – weil sie eine Phantomdebatte ist. Wenn ein Kind im Brunnen liegt, muss man nicht über Brunnenabdeckungen reden. Sondern den Bestatter rufen – denn dieses Kind ist längst ertrunken. Nur postmortale Reflexe sind noch zu sehen. Das alte Geschäftsmodell ist perdu. Und wo ist das neue Geschäftsmodell? Heißt: Wie lassen sich fähige, erfahrene und unbestechliche Journalisten finanzieren? Werden die GEZ-finanzierten Öffentlich-Rechtlichen die Medien der Zukunft sein? Einem Modell der Kirchensteuer gleich also durch „Haushaltsabgaben“ finanziert und pseudo-kirchliche Autonomie genießen? Oder gibt es einen gesellschaftlichen Konsens, der diese gesellschaftliche Funktion als so wichtig einschätzt, dass aus gesellschaftlicher Kraft heraus die Finanzierung gesichert wird (keine Ahnung, wie das gehen soll – durch Nachtkritik-Spenden oder flattr oder ähnliches geht’s nicht).
Übrigens: Diesmal liegt Mammons Hammer nicht in den Händen der Banken, sondern in den Händen der Konsumenten und Leser. Es werden nicht die bösen Agenten des Finanzkapitalismus sein, die Nachtkritik platt machen (könnten) sondern es sind die Menschen, die keine Zeitungen mehr kaufen, die zugleich für zeitungsartige Inhalte im Netz nicht bezahlen wollen. Die Macht der Konsumenten richtet sich – gegen sie selbst?
Jedenfalls – und damit will ich den allgemeinen Teil beenden – wird nachtkritik auf dem falschen Bein erwischt, ebenso wie die Leser. Denn in den letzten Jahrzehnten schon hat ein Ökonomismus gesellschaftlich um sich gegriffen und auch die Kultur erfasst (ich hab schon in den späten 80ern studentische Artikel verfasst die sich gegen die „Subventionskürzungen“ gegenüber Theatern richteten …) – der weder von Kulturschaffenden, noch von institutionellen Vertretern, noch offenbar von nachtkritik ernst genommen wurde. Die Kultur hat sich nicht dafür interessiert, wie den Vielen langsam das Wasser abgedreht wurde – jetzt interessieren sich die vielen einen Scheißdreck dafür, dass Theatern und Theaterzeitungen das Wasser bis zum Halse steht. Hättet ihr euch mal um den Turbo-Ökonomismus gekümmert! Vielleicht ist es noch nicht zu spät.
Die hausgemachten Probleme
Nachtkritik hat (wie bereits angedeutet) auf ihrer Seite vieles falsch gemacht, kaum einen Fehler ausgelassen. Die relaunchte Webseite ist eine Katastrophe. Gegen das Fischerchorkonzert der um Aufmerksamkeit herrschenden Links, Fettungen und Kästchen ist die Pilotenkanzel eines SpaceShuttles geradezu benutzerfreundlich. Kein Erstbesucher dieser Seite wird sich hier zurechtfinden, keiner, der verwirrt gegangen ist, wird wiederkommen.
Zugleich ist die Strategie, Einnahmen auf Banner zu konzentrieren, geradezu hanebüchen. 135.000 monatliche Visits (November) sind ca. 3–4.000 Visits am Tag. Bei einer üblichen Bannerklickrate zwischen 0,1 und 0,3% heißt das: Ein Werbetreibender würde pro Tag zwischen 3 und 12 Klicks erhalten. Das ist – mit Verlaub – ein gespielter Witz. Wer soll hier werben? Zumal ein großer Teil der Klicks – darauf wette ich – auf das Konto jener üblichen Verdächtigen gehen, die auch in den Kommentaren durch Aktivität hervorstechen. Tägliche Besucher bringen wiederum Werbetreibenden nichts, weil die 30malige Betrachtung eines Banners nicht viel mehr bringt als die 4–5malige. Noch schlimmer aber: Im Schreikonzert der Links übernehmen die Banner zusätzlich die Funktion der Kesselpauken, die reinhauen, wann immer sie wollen und ansatzweise interessierte User nun endgültig abschrecken.
Branchenübliche Verbreitungsmechanismen – Fehlanzeige. Weder Facebook‑, noch Twitteranbindung, nicht einmal ein funktionierender RSS wird geboten. Das ist Dilettantismus. Sorgt dafür, dass jeder Kommentator die Tatsache, dass er kommentiert hat, mit seinen Freunden auf Facebook shared. „Likes“ und „Send a Friend“ sind bewährte und ultrasimple Mechanismen, die nicht für explodierende Userzahlen sorgen, aber doch für kontinuierliches Wachstum.
Dass die Seite zu textlastig ist – ist wohl selbst der Redaktion bewusst. Warum zum Geier werden hier nicht einfach Bilder von den Theatern abgefragt und eingebunden? Warum nicht Videos. Ja – sicher ist das ein Bezahlproblem. Nur sollte inzwischen auch das letzte Theater Deutschlands kapiert haben, dass Aufmerksamkeit im Netz lebenswichtig ist (demnächst mehr dazu im Teil 2 von Mammons Hammer …) und dass diese Aufmerksamkeit umso höher wird, je multimedialer sie ist. Bilder sagen nicht mehr als Worte, das war schon immer Schwachsinn. Aber Video, Bild und Wort bilden eine tendenziell mächtige Verbindung wenn es darum geht, Lust auf Theater und auf Webseiten zu machen, die Lust auf Theater wecken sollen.
Lösungen in Sicht?
Ich stecke natürlich weder in den Schuhen der Nachtkritiker noch weiß ich um ihre Erfahrungen, Überlegungen und Ziele. Was ich weiß: Mit Spenden wird’s nicht gehen. Keine Chance. Illusion. Wie könnte es dann gehen? Paar Dinge gehen mir durch den Kopf, ich schreib sie einfach hier hin. Vielleicht nutzt es was. Vielleicht ist es auch nur ein Diskussionsbeitrag, um das Überleben der Seite zu sichern. Meine Spende sozusagen – statt Geld.
Kooperation mit Theaterzeitungen?
Wenn mich nicht alles täuscht, hat „Theater der Zeit“ kein vernünftiges Online-Angebot. Kooperation mit denen denkbar? Für mich wär das der Königsweg. Die Gefahr ist allerdings, dass sich ein Blinder und ein Lahmer finden – wenn beide nicht daran gehen zu schauen, wie man gemeinsam besser überlebt als zuvor.
Contentsyndication mit Zeitungen?
Je bedrohlicher die Lage für bestehende Zeitungen wird, desto mehr sind diese Verlage darauf angewiesen, fremd produzierte Artikel billig einzukaufen. Das läuft üblicherwesie darauf hinaus, dass Agenturmeldungen schlicht übernommen werden. Auch im Bereich Kritiken ist das mehr als üblich. Die meisten dieser Kritiken sind ziemlich dürftig. Warum stellt Nachtkritik nicht den Zeitungen – ggf. wenigstens für die Onlineausgabe – die Kritiken gegen Entgelt zur Verfügung?
Contentsyndication mit Theatern?
Theater müssen sich enger mit ihren Besuchern verbinden – dazu gehört auch, die Webseiten zu mehr als Spielplankalendern mit dürftiger Beschreibung und Ensembleübersicht zu machen. Warum nicht den Theatern gegen (kleines) Entgelt anbieten, die Nachtkritiken in ihre Seite zu integrieren, einen Querzugriff auf die Kommentarfunktion zu schaffen (sodass Besucher der Theaterseite und von Nachtkritik.de in einen gemeinsamen Kommentar-Stream posten). Kommentarmanagement durch Nachtkritik gegen (kleines) Entgelt.
Shopanbindung?
Wenn Nachtkritik schon gut oder schlecht über Inszenierungen schreibt – warum kann ich von dieser Seite aus nicht direkt in die Kartenbestellung des besprochenen Theaters einsteigen? Warum nicht ein Affiliate-Programm schaffen, bei dem Nachtkritik Provision für den Kartenvertrieb erhält? Selbstverständlich muss das von der redaktionellen Arbeit streng getrennt werden, darf die Meinung der Kritiker nicht … blablabla. Zeitungen haben sich seit ewigen Zeiten durch Werbung teilfinanzieren lassen – wenn Nachtklinik es nicht schafft, finanzielle und redaktionelle Belange zu trennen, hat sie das Überleben eh nicht verdient. Dann wäre es eben kein Qualitätsjournalismus – deswegen gehe ich davon aus, dass das schaffbar ist.
Medien-Kooperation?
Langfristig wird sicher ein Überleben nur als Kooperation denkbar sein – mit einem der siechenden Medienhäuser vielleicht. Das lächerliche Kultiversum von Friedrich könnte durch Nachtkritik ersetzt werden. Großverlage wie Holtzbrinck oder WAZ-Gruppe (oder Der Freitag?) könnten einsteigen und für ihre Zeitungen ein Zusatzangebot schaffen, das von Nachtkritik inhaltlich gefüllt und betreut wird.
Sponsoring?
Am Ende müsste man über den Sündenfall nachdenken und überlegen, ob nicht eine oder mehrere große Marken mit Kulturschwerpunkt ein Interesse daran haben könnten, als Sponsoren aktiv zu werden. Es geht ums Überleben – da sollte kein Gedanke von vornherein ausscheiden. Wäre zu fragen, ob es kultur- oder gar theateraffine Marken oder Unternehmen gibt, die unter Beibehaltung der inhaltlichen Souveränität von Nachtkritik eine Unterstützung gewähren, um das eigene Image damit zu stützen. Gibt’s garantiert. Kann man wollen – muss man?
Mammons Hammer überleben?
Keine Ahnung, ob nachtkritik jetzt noch dem Hammerschlag der Ökonomie ausweichen kann. Ich wünsche es allen Beteiligten. Und ich wünsche mir, dass die Beteiligten anfangen, darüber nachzudenken und zu schreiben, was die Ökonomisierung der Gesellschaft bedeutet. Und dass die Theater dabei mitziehen. Wie immer wieder in diesem Blog gesagt:: Ich halte Theater für die Flakgeschütze der Demokratie – auch und vor allem in Verteidigung gegen ökonomische Selbstmordattentäter, Profit-Mullahs, EBITDA-Predigern, Ökonomiemadrassas und Effizienztaliban. Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt, sondern auf den Bühnen. Fangt damit an (mehr dazu in Mammons Hammer II – demnächst in diesem Blog).