Juni 3rd, 2010 § Kommentare deaktiviert für Theater nach Zahlen § permalink
Nur ein Gedanke beim Aufwachen: Ist ein Theater, das die ewigselbenvorlagen von tschechowhorvathibsenstrindbergundsoweiter immer wieder nur neu bebildert, coloriert und ausführt — etwas anderes als das beliebte Zeichenspiel “Malen nach Zahlen” für die Bühne? Ich habs mal grün ausgemalt. Oh, brav. Und ich ganz schwarz. Ohje, das geht aber nicht. Und ich habs schraffiert. Intéressànt! Übermalt, ich habs alles wild übermmal. Oh, du bist aber nicht brav. Ich hab ein Stück aus dem Malbuch gerissen. Du Teufel. Schau mal, Tante: Ich hab ihm einen Bart angemalt. Och, du Racker.
Hm. Vielleicht befindet sich Theater tatsächlich in einer Rohstoffkrise. Weil die Texte fehlen, die dringend benötigt würden, um die Produktion an demokratieverteidigender Flakmunition aufrecht zu erhalten. Das würde nach herrschenden Marktgesetzen heißen: Dass die Preise für hochwetige Rohstoffe (vulgo: Stücke) demnächst explodieren müssten. Toll.
Nachtrag: Ökologisch korrekt könnte man dieses Dauerrecycling natürlich begrüßen — aber ist eine solche Form des Rohstoffsparens im geistigen Bereich wirklich sinnvoll? Das Hirn ist kein Wiederkäuerorgan.
Mai 7th, 2010 § Kommentare deaktiviert für “Die Spekulanten sind unsere Gegner” § permalink
Ich habs gestern im Fernsehen gesehen und gehört. Es war keine Satiresendung, kein Merkel-Double, keine Montage. Es war die bleierne Kanzlerin, die so sprach (hier zu lesen). Und sie sprach weiter von einem “Kampf der Politik gegen die Märkte”. GEGEN die Märkte. Das sind im Übrigen doch dieselben Märkte, die alles regeln sollen. Selber. Ohne staatlichen Eingriff. Ja — die uns gar unsere Renten später in hohen Summen auszahlen werden. Und diese Märkte sind jetzt also die Gegner der Politik? Auch meine Gegner also? Finanziere ich mit der Riesterrente, den Kontoführungsgebühren und Überziehungszinsen — meine Gegner? Und die Politik hat die Macht verloren: “Wir müssen das Primat über die Märkte zurück gewinnen.” Na denn man zu, Pandora. Schau zu, wie der Salat wieder zurück in die Büchse kommt.
Momentan siehts doch so aus, als würden die priwatwirtschaftlichen Teilnehmer an den Märkten mit blütenweißer Weste und Gewinnen aus der Nummer heraus kommen — während die Staaten sich erst in unvorstellbare Garantiesummen verstricken, um diese Institute selbst zu retten und dann im nächsten Schritt » Read the rest of this entry «
März 20th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Ökonomische Aufklärung — Beben der Medialität II § permalink
Letztens hatte ich vielleicht zum Ende desPostings hin leider ein wenig das Ziel aus dem Focus verloren. Deswegen jetzt der Versuch eines klärenden Nachtrages, der zudem verschiedene in diesem Blog bereits angeschnittene Themen wieder aufnimmt. These ist, dass eine ökonomische Aufklärung notwendig ist, wie sie als religiöse Aufklärung nach dem Erdbeben von Lissabon einsetzte. Die Theodizee-Frage hat erneut auf der Tagesordnung Platz — nur dass die Götter andere sind als der damalige Gott. Nicht etwa die sogenannten “gierigen” Banker. Nicht einmal dieser oder jener oder auch ein ganz anderer ökonomische Lehrer. Sondern der pantheistisch sich in alles hinein fräsende oder bereits enthaltene Gott der Ökonomie: pantha plerê oikonomikôn? Er ist ungreifbarer, dieser Gott. Wobei nicht nur die Frage nach seiner Gerechtfertigtheit zu stellen ist, sondern eigentlich die mittelalterliche Existenzfrage Gottes. Gesetzt den Fall, es glaubte niemand mehr an Gesetze der Ökonomie — würde es sie dann noch geben?
Irgendwann will ich zum Thema der drei Gesetze oder Gesetzesarten (Naturgesetze, positive Gesetze, ökonomisch-moralische Gesetze) posten. An dieser Stelle nur soviel vorab: Ich glaube nicht, dass es ökonomische Naturgesetze gibt. Sprich: Die Gesetze der Ökonomie werden den Märkten, ihren Teilnehmern, dem Handel, der Produktion, den Betrieben, Staaten und was es sonst noch gibt, nicht “abgelauscht” oder abgerungen. Sie werden nicht erkannt. Gleichzeitig sind sie natürlich kein positives Recht — denn es gibt keinen Gesetzgeber. Es kann keinen Geber solcher Gesetze geben, weil niemand » Read the rest of this entry «
März 16th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Medialität, Möglichkeit, Wirklichkeit § permalink
Der Börse zuzusehen und Börsenberichten zuzuhören kann gelegentlich der Wahrheitsfindung dienen. Dann etwa, wenn Quartalszahlen und die Reaktion der Kurse (heißt: Der aktuellen oder zukünftigen Besitzer dieser Aktien) darauf berichtet werden. Für Laien (wie mich) zunächst völlig unverständlich. dass positive Berichtszahlen sinkende Kurse herbeiführen können. Berichterstatter kennen die Erklärung: Diese Zahlen sind erwartet worden und deswegen schon in den aktuellen (vorberichtlichen) Aktienkurs “eingepreist”. Heißt: Die Aktien hatte vor dem Ergebnisbericht bereits den Wert, den sie eigentlich nach dem oder durch den Ergebnisbericht bekommen hätten. Stimmt der Bericht mit den Erwartungen überein, so wird der Kurs stagnieren oder sinken. Die Ergebnisse mögen so positiv sein, wie sie wollen.
Cut.
Die Gemeinsamkeit zwischen Börsengeschehen und Medialität ist die Realität des Möglichen oder das Immer-schon-eingetreten-Sein des Erwarteten. Mediale Spekulation und Börsenspekulation richten sich auf das erwartbare Mögliche — und machen es damit bereits vorab zu einer eingetretenen Realität deren tatsächliches » Read the rest of this entry «
März 14th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Das Beben der Medialität § permalink
Erste Vorbemerkung: Im Winter 2004/5 bebte die Erde irgendwo auf dem Meer. Das Beben verursachte eine gigantische Welle, breitet sich aus und brachte hunderttausende Menschen um. Nicht das Ereignis hat getötet — die Welle, die dadurch ausgelöst wurde, tötete.
Zweite Vorbemerkung: Im Jahre 1755 zerstörte ein Erdbeben am Festtag Allerheiligen große Teile des streng katholischen und gläubigen Lissabon und tötete bis zu 100.000 Menschen. Besonders Kirchen stürzten ein, das Rotlichtviertel Alfama aber blieb vergleichsweise verschont. Die Frage, wie ein allmächtiger und gütiger Gott dieses tun oder zulassen konnte, setzte eine Debatte in Gang, die als Aufklärung die geistigen Grundlagen Europas fundamental veränderte.
Dritte Vorbemerkung: Am 11.9.2001 starben etwa 3.000 Menschen als Flugzeuge in die Türme des World Trade Center, das Pentagon und ein freies Feld stürzten. Durch Fernseh- und Radioübertragung wurde die gesamte Welt in Schockstarre versetzt.
Vierte Vorbemerkung: Im September 2008 musste die Bank Lehmann Brothers Insolvenz anmelden. Die Meldung breitete sich in Blitzesschnelle weltweit aus und stürzte die weltweite Finanzwirtschaft und in der Folge die Gesamtwirtschaft in eine tiefe Krise. Millionen Menschen wurden arbeitslos. Ende der Vorbemerkungen.
Das Erdbeben von Lissabon Lehman
Die Mediendebatte scheint ein bisschen aus dem Interesse der Öffentlichkeit (jedenfalls meinem) gerutscht zu sein. Baudrillard und Co. hatten ihre “Konjunktur” in den 80ern und 90ern. Simulacren, Simulationen, McLuhan — ein bisschen in die Jahre gekommen. Langweilig. Selbst James Bond konnte sich nur noch mit etwas bemühter Dramaturgie dem Medienzaren gegenüberstellen. Das ist fatal. Denn die letzten beiden großen Krisen (9/11 und Lehmann — wenn nicht auch noch die New Economy Blase und ihr Platzen) sind mediale Krisen gewesen. Nicht einzelne gravierende Ereignisse haben diese Krisen verursacht: Die einstürzenden World Trade Center waren in sich selbst keine weltkritischen Ziele. Ebenso wenig war die Pleite von Lehmann an sich selbst ein katastrophaler wirtschaftlicher Schaden. Die einsturzbedrohten Banken waren vor der Lehmann-Pleite in etwa genauso verschuldet wie nachher — jedenfalls sind es nicht die finanziellen Verluste der Lehmann-Pleite gewesen, die andere Banken wie HypoReal, HSH, LBBW an den Rand des Abgrunds brachten. Und die New Economy ist auch nicht an substanziellen Meldungen gescheitert. Vielmehr sind es die medialen Mörderwellen gewesen, die rund um die Welt zogen und die Menschen mit sich rissen. Die Informationswellen haben getötet. Soweit die zugespitzte These. Und es leitet sich daraus die Frage ab: Wie umgehen mit diesen Wellen. Und wie weitere Tote umgehen?
Nicht “die Medien” sind schuld
Natürlich geht es nicht um einzelne fehlgeleitete Medien. BILD-Zeitung und Berlusconi mal ganz beiseite. Sie sind ein Problem, aber nicht das wirkliche Problem. (Übrigens sind diese beiden auch eher Betroffene, weil sie selbst von der nächsten Welle weggespült werden könnten, der Social Media Welle — siehe unten). Es geht auch gar nicht so sehr um das Problem einer fehlgeleiteten oder kritikwürdigen Grundströmung der Medien (jedenfalls nicht zunächst). Es geht um die globalisierte Medialität selbst. Jene Netzschicht, die rund um den Erdball » Read the rest of this entry «
März 10th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Kraft mit Arbeit § permalink
Nur der Putzigkeit halber und weils so schön zu den Moraldebatten passt und den spätrömischen Leistungsanreiztheoremen, die da behaupten, Arbeit sei letztlich so überflüssig und unangenehm, dass man Menschen, die keine haben, den Unterhalt weit genug herunterkürzen müsse, das der knurrende Magen sie zurück an die Stechuhr treibt: Die Einlassungen der Frau Kraft aus NRW zum Thema zeigen, wie wundervoll würdeschaffend doch Arbeit ist:
Sie will Langzeitarbeitslose für gemeinnützige Arbeit etwa in Altenheimen oder Sportvereinen einsetzen, um ihnen ein Gefühl der Würde wiederzugeben. {…}
“Wir müssen endlich ehrlich sein: Rund ein Viertel unserer Langzeitarbeitslosen wird nie mehr einen regulären Job finden”, begründete Kraft ihre Initiative. Diese Menschen bräuchten ein neues Angebot, das ihnen eine “würdevolle Perspektive” gebe. (spOn)
Hm. Würde also. Perspektive. Du bekommst keine Arbei mehr, aber wir eröffnen eine Art Arbeits-Disneyland, das dir die Simulation von Arbeit verschafft. Und » Read the rest of this entry «
März 10th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Die Arbeitsmoral darf nicht sinken! § permalink
Spiegel Online erfreut uns mit einem Artikelchen, das die in letzter Zeit hier gelegentlich geäußerte Kritik an wirtschaftswissenschaftlichen Erwägungen wunderbar zusammenführt — in einem Negativbild. Die Autoren Andreia Tolciu und Michael Bräuninger, offensichtlich zutiefst geprägt vom wirtschaftswissenschaftlichen Dressurmeerschweinchendenken, zeigen sich verwundert, dass bei den lächerlichen Löhnen, die etwa in Ostdeutschland gezahlt werden, überhaupt noch jemand arbeiten geht:
Diese nichtmonetären Faktoren, die das Verhalten und die Mentalität vieler Arbeitnehmer prägen, könnten erklären, warum es im Osten immer noch Friseurinnen gibt — trotz Stundenlöhnen von gerade mal vier Euro. Oder warum sich Niedriglöhner mit Kindern für Arbeit entscheiden — obwohl sie am Monatsende kaum mehr in der Tasche haben als eine Hartz-IV-Familie.
“Könnten erklären” — “nichmonetäre Fakten”. Hm. Aha.Dieses Erklärungsmuster gibt sogar Anlass, extra für diese Berufsgruppe der Sich-dummarbeiter die ökonomische Theorie zu überarbeiten:
Die Einstellungen einer Gesellschaft zur Arbeit haben große Bedeutung für das Funktionieren einer Volkswirtschaft. Die ökonomische Theorie sozialer Interaktionen zeigt, dass die Sozialstaatsdebatte nicht mehr nur auf eine klassische monetäre Kosten-Nutzen Analyse reduziert werden » Read the rest of this entry «
Februar 22nd, 2010 § Kommentare deaktiviert für Das Grundproblem der Wirtschaft(swissenschaft) — Fortsetzung § permalink
Zugegebenermaßen ist das Posting zum Grundproblem von vorgestern etwas instringent und mäandert in der Nähe des argumentativen Ziels herum. Und es ist sicherlich im wissenschaftlichen Sinne weder wasserdicht noch solide argumentiert. Das ist mir zwar peinlich — ich nehme es aber in Kauf, weil hier kein fertifges Buch veröffentlicht wird, sondern die Dinge in Bewegung bleiben können und sollen. Posting um Posting. Trotzdem erfordert eine kurze aber heftige Debatte zu dem Thema, die leider offline geführt wurde und deswegen hier nicht dokumentierbar ist, einige Nachbetrachtungen und Klärungen. Hauptthema dieser Debatte war eine Variante des Sein/Bewusstsein-Problems. Sprich: Ist es zulässig zu behaupten, die verkürzte Sichtweise (ist sie wirklich verkürzt?) der Wirtschaftswissenschaft sei verantwortlich für die sich autonom dünkende und sich in der bekannten Weise ausdifferenzierende und als eigengesetzlich separierende Wirtschaft (also für die Bildung des Subsystems “Wirtschaft”). Oder folgt das wirtschaftswissenschaftlich reflektierende Bewusstsein dem längst separierten Sein des Sektors “Wirtschaft”?
Frage ist ja nicht schlecht — und hat meinerseits mehrere Antworten, die sich ggf. gegenseitig ausschließen (der freudschen kettle logic gleich). Deren erste:
Die Behauptungen sind weder streng wissenschaftlich noch streng historisch. Möglicherweise lassen sich historische Belege dafür finden, dass das ökonomische Denken, das sich vom allgemeinen gesellschaftlichen Denken abspaltet, zeitlich parallel zur Ausbildung eines Wirtschaftssektors beginnt. Vielleicht gar solche Belege, die zeigen, dass das reflektierende Denken die Ausbildung einer sich autonom dünkenden Wirtschaft gefördert haben. Vielleicht aber ist es auch die wachsende Macht der Industrie gewesen, die ein wirtschaftliches Denken befördert haben. Man mag Quesnays Tableau Économique (1758), Smith’s Inquiry(1776) oder Ricardos Principles (1817) als Geburtsstunde ansehen. Ich bin kein studierter Ökonom — nur aus der Ferne betrachtet scheinen mir diese Autoren die Wirtschaft als Funktion oder Kategorie » Read the rest of this entry «
Februar 21st, 2010 § Kommentare deaktiviert für Das Handeln im Postdrama § permalink
Angesichts des gestern geposteten Beitrags über das Grundproblem der Wirtschaft muss natürlich die Frage nach dem Handeln und der Handlung prominent in den Vordergrund rücken. Nicht aus der bloßen Mehrdeutigkeit des Begriss “Handlung” heraus, die zwar im Deutschen ganz eingängig aber in anderen Sprachen kaum in dieser Form zu reproduzieren ist (und damit eher auf sprachlicher denn auf gedanklicher Ebene liegt). Vielmehr kann ein oberflächliches, vulgärpsychologisches oder ‑soziologisches Handlungsmodell nicht länger als Grundlage dienen, das sich noch in vielen dramatischen Grundkonstruktionen findet. Einer der wichtigsten und für die Bühnen drängendste Grundkonflikte der Gegenwart ist genau derjenige zwischen soziologischen und ökonomischen Handlungsmodellen. Diie Theater selbst fallen in den Abgrund zwischen beiden Modellen, wie jeder feststellt, der sich mit den Stellungnahmen der Theater zu den drohenden Etatkürzungen und Hausschließungen beschäftigt. Konfrontiert mit einem ökonomischen Zusammenhang macht es überhaupt keinen Sinn, ein Drama um die gesellschaftlichen Dimensionen von Sinn und Unsinn von Theaterschließungen aufzuführen, wie es der Bühnenerein unternimmt:
Niemand unterschätzt die dramatische wirtschaftliche Lage der Stadt – wie auch der meisten anderen Städte in NRW – doch legt die vom Stadtkämmerer vorgeschlagene Schließung des Schauspielhauses einen Zustand offen, der das Gemeinwesen der Bundesrepublik gefährdet: Die Finanz- und Steuerpolitik insbesondere des Bundes nimmt billigend in » Read the rest of this entry «