Mai 20th, 2011 § § permalink
In den letzten Postings hatte ich zu zeigen versucht, in welch bedrohlicher Lage sich meines Erachtens die Stadttheater befinden – und zwar nicht aus dem unerklärlichen Sparwahn von Kämmerern, sondern durch eine selbstverschuldete Zeitkrankheit. Als Nachtrag möchte ich nun hinzufügen, wie meiner Meinung nach die Situation von Theater und Theaterkritik dazu führen, gemeinsam in einen nicht reißenden, sondern eher müden und ermüdenden Abwärtsstrudel geraten, der beide an ein absehbares Ende bringt. Vor einigen Wochen schrieb Jürgen Berger auf der Seite des Goethe-Instituts einen Artikel mit dem Titel „Eine Frage der Zeit – Print oder Online und wie das Internet die Theaterkritik verändert“, der folgendermaßen beginnt:
Dass sich Teile der Theaterkritik ins Internet verlagern, ist unaufhaltsam. Alleine der allmähliche Abbau der Theaterkritik vor allem in regionalen Printmedien hat zur Folge, dass eine Leerstelle entsteht. Das spüren vor allem die Theater jenseits der Metropolen, die immer weniger im Feuilleton auftauchen. Es hat aber auch zur Folge, dass immer weniger junge Nachwuchsjournalisten sich schreibend als Theaterkritiker erproben können. Die einzige Ausweichmöglichkeit: Das Internet. (Quelle)
In der Folge verbreitet er sich über Kultiversum und Nachtkritik und fleddert ein wenig an der journalistischen Qualität der Kritiker und ihrer Texte herum. Vieles von dem, was er schreibt, ist nicht falsch. Einiges richtig. Es bleibt allerdings an oberflächlichen Phänomenen und Geschmackskritiken an den geschmäcklerischen Kritiken hängen. Es ist einfach nicht zu erwarten, dass Schreiber, die mit einem Stundensatz von Gebäudereinigungspersonal (Honorar für eine Kritik 60 € laut Esther Slevogt hier) abgespeist werden (und darauf läuft es in etwa hinaus, betrachtet man den gesamten Zeitaufwand für eine Kritik), eine reflexive Qualität abliefern, die hauptberuflichen oder nach Zeitungssätzen bezahlten Freien eignet. Nachtkritiken zu schreiben kann nur Hobby sein oder die Möglichkeit, kostenlos ins Theater zu kommen. Aber das ist geschenkt und sei dahin gestellt.
Von Verschwinden der Zeitungskritik
Interessanter finde ich seine Assertion, dass das schwinden der Kritiken aus Zeitungen eine unumkehrbare Bewegung sei – und sie ist fatal. Aus zweierlei Gründen. Zum einen zeigt sich an dem fehlenden Aufschrei der Leserschaft, dass Theaterkritiken schon längst nicht mehr als wesentlicher Bestandteil der Zeitungslektüre bei Otto und Ottilie Normalleser gelten. Theaterkritik ist kein Kernbestand von Zeitungen – höchstens eine Art Kollateralinformation, die » Read the rest of this entry «
April 11th, 2011 § § permalink
Im Zeitalter des Netzes wird die Frage nach dem Subjekt neu gestellt. Sie muss neu gestellt werden, da die traditionellen Bestimmungen von Subjektivität nicht mehr hinreichend zu sein scheinen, um den polymorph perversen Surfer oder User zu fassen. Gemessen am Begriff des Subjekts ist der Surfer eine vielgestaltig gallertartige Masse an Kommunikation, die sich bald hierhin, bald dorthin verbreitet, kleben bleibt und selbst zu einem Netz im Gesamtnetz gerinnt, bestehend aus den hinterlassenen Spuren. Ob dahinter eine Identität, Konstanz, Autonomie liegt? Ob überhaupt ein einheitlicher Fluchtpunkt hinter diesen proteischen Vielgestalten liegt? Ob sich von einer Vielheit im Sinne einer multiplizierten und multiplen Einheit sprechen lässt – oder von einer Unbestimmtheit in sich, einem zeitlichen, räumlichen, kontextuellen Fluidum, das sich in Sekundenschnelle verändert. Das alles ist keine postmoderne Feier eines postsubjektiven Zeitalters – denn der historische Rückgang (mit durchaus bewusster Verknappung) kommt an einem Punkt an, der zeigt, wie wichtig ein Begriff des Subjekts ist (auch wenn es vielleicht zukünftig einen anderen Namen führen muss).
Das Subjekt – Natural Born Fiction
Das Subjekt war immer schon eine Fiktion. Was kein Einwand ist. Es macht lediglich Sinn, das nicht zu vergessen, wenn dagegen angerannt wird. Es ist schier unmöglich, gegen Fiktionen zu kämpfen. Gespenster lassen sich nicht dekonstruieren. Zunächst weil sie von Anfang an konstruiert sind und jede Dekonstruktion nur feststellen kann, dass hier eine Konstruktion vorliegt. Was von wenig Erkenntnisgewinn ist. Zudem weil jeder erneute Kampf gegen das Gespenst ihm nur neue Kraft verleiht. So ist der Entzug der Metaphysik, den die Dekonstruktion bewerkstelligen wollte, gründlich daran gescheitert, dass » Read the rest of this entry «
April 11th, 2011 § § permalink
Die Schauspielstudentin Nora Decker hat mir eine Frage gemailt, die nur auf den ersten Blick oft gehört und wie ein misotheatraler Stoßseufzer erscheint:
warum werden soviele bühnenklassiker inszeniert (shakespeare, goethe, ibsen, usw.)?
gab es nicht eine zeit, in der stücke geschrieben u auf die bühne gebracht wurden und gebrauchte stücke im schrank blieben?
und wenn ja, warum ist das nicht mehr so, warum sieht die hitliste der spielpläne so aus? :
1 Faust (Goethe)
2 Der Gott des Gemetzels (Reza)
3 Romeo und Julia (Shakespeare)
4 Ein Sommernachtstraum (Shakespeare)
5 Kabale und Liebe (Schiller)
6 Klamms Krieg (Hensel)
7 Werther (Goethe)
8 Szenen (Loriot)
9 Die Räuber (Schiller)
10 Maria Stuart (Schiller)
11 Nathan der Weise (Lessing)
12 Der zerbrochne Krug (Kleist)
13 An der Arche um acht (Hub)
14 Hamlet (Shakespeare)
15 Die Grönholm-Methode (Galceran)
16 Der Menschenfeind (Molière)
17 Ladies Night (Sinclair/McCarten)
18 Buddenbrooks (Mann/Düffel)
19 Wer hat Angst vor Virginia Woolf? (Albee)
20 Michael Kohlhaas (Kleist)
Ich finde die Frage relevant. Und möchte sie deswegen nicht per Mail sonder mit einem Posting beantworten.
Erster Ansatz: Der Markt
Man könnte es sich einfach machen und angebotsökonomisch argumentieren: „Nunja, es gibt halt nicht genug Nachschub, der inszeniert werden könnte.“ Das ist kein Argument: Ökonomischen Regeln folgend, müsste eine Nachfrage sich ein Angebot erschaffen. Übrigens: Das tut es sogar.
Zweiter Ansatz: Der Wahrnehmungsfehler
Tatsächlich gab es in den letzten Spielzeiten so viele Uraufführungen wie vermutlich nie in der Theatergeschichte zuvor (Werkstatistik Bühnenverein 2008/09: 609 Ur- und Erstaufführungen!). Also: „Wahrnehmung öffnen und sehen, dass die Behauptung falsch ist.“
Sie ist allerdings nicht falsch. Die von den Battlegroup-Autoren vorgetragene Behauptung, es gäbe zwar einen unstillbaren Hunger nach Uraufführungen, die zumeist von Jungregisseuren auf Werkstattbühnen verheizt würden, trifft zu. Und sie ändert nichts an der Situation, dass unter dem Deckmäntelchen des „Wir spielen ja Neues“ tatsächlich eine basaltene Grundstruktur der Klassikerinszenierungen zu finden ist (2008/9 wurden insgesamt 3.710 Werke laut Bühnenverein aufgeführt – ein Sechstel also nur neue Texte, 3.100 nichtneue Werke bei insgesamt 7.090 Inszenierungen, von denen dann die „neuen“ Stücke, die zumeist nur einmal inszeniert werden, gerade einmal 8,6% sind), in die nur gelegentlich einige „embedded authors“, die als Dramaturgen oder ähnliches im Betrieb durchgenudelt werden, integriert sind.
Der großartige, hier (leider offenbar nicht mehr) bloggende Frank Kroll vom Henschel-Schauspielverlag hat sich vor einigen Jahren die Mühe gemacht, die Bühnenvereins-Statistik jenseits des ersten positiven Eindrucks nachzurechnen und kommt zu dem Ergebnis:
Zwar ist, absolut betrachtet, die Zahl der ur- und erstaufgeführten Werke seit Beginn der 90er Jahre um etwa ein Drittel angestiegen, im selben Zeitraum reduzierte sich die durchschnittliche Vorstellungszahl pro Werk jedoch um ein höheres Maß. Immer mehr Werke werden von den Theatern «entdeckt», erleben dann aber immer weniger Aufführungen. Die Auseinandersetzung mit neuer deutsch- und fremdsprachiger Dramatik stagniert weiterhin auf einem niedrigen Level. Den vielbeschworenen «Hype» mit Neuer Dramatik hat es nie gegeben. Zwischen der Selbstdarstellung der Theater und dem tatsächlichen Bühnengeschehen besteht eine deutliche Diskrepanz. (Quelle)
Nur weil Buchhändler auch lustige Grußpostkarten an der Kasse verkaufen werden sie noch lange nicht zu Grußpostkartengeschäften. Das „Kerngeschäft“ der Theater ist und bleibt die bis zu Erbrechen wiederholte Klassik. Warum?
Dritter Ansatz: psycho-ethisch
Tatsächlich begründet sich dieses Verhalten aus fünf künstlerischen Todsünden: Faulheit, Feigheit, Dummheit, Eitelkeit und Geiz. Und zwar so: » Read the rest of this entry «
April 11th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Theatersterben: Zur Kritik des reinen Vergnügens § permalink
Ein kurzer Mailwechsel mit Olivier Garofalo bringt mich dazu, nicht nur zum Hauptthema dieses Blogs – dem Theater – zurück zu kehren. Sondern direkt zu fundamentalen Fragen des Gegenwartstheaters zu kommen. In der Mail von Garofalo findet sich diese provokante Frage:
die wichtigste Frage ist wohl, ob der Inhalt
verschwindet, weil das Publikum in den heutigen Zeiten in ihrer Freizeit
nicht mit Fremdgedanken belastet werden wollen, oder ob besonders die
Schauspiel- und Regieschulen nur Ästhetik lehren (weil das freie Denken eh
nicht beibringbar ist). Wahrscheinlich beides und mittendrin die Kritik,
die ihre Massstäbe an der Kunst messen und eben nicht am Inhalt.
Garofalo nimmt damit drei Beteiligte als potenzielle Akteure auf: Publikum, Theaterschulen und Kritik. Das ist insofern spannend, als die Diskussion nicht sofort Intendanten, Dramaturgen und Regisseure in den Blick und Angriff zu nehmen versucht. Sondern die Entstehungsbedingungen einer bestimmten Gesamtsituation auf scheinbare Randbedingungen zurückführt – was Sinn macht.
Das Publikum
Ist das Publikum bzw. sind die Zuschauer Akteure in einem Sinn, der sie mitverantwortlich für das Elend gegenwärtigen Theaters macht? Was will „das Publikum“? Ein großer, einflussreicher Teil des aktuellen Publikums fordert offenbar „werktreue“ Inszenierungen von Klassikern. Sie wollen Museum. Identische Reproduktion der eigenen Vorstellungen dessen, was „die alten Meister“ schrieben, wollten, vorstellten. Diese Debatte ist nicht tot zu bekommen. Und Theater tun diesem Publikum ja den Gefallen. Man spielt die Klassiker. Und wenns keine » Read the rest of this entry «
April 10th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Zum Begriff des Publikums — Gastbeitrag von Olivier Garofalo § permalink
Von Olivier Garofalo, dessen Master-Arbeit über Sich Gesellschaft leisten ich ja letztens verlinkt hatte, bekam ich den folgenden Gastbeitrag, den ich gerne veröffentliche.
Als Konsument des Theaters ist der Zuschauer in der ökonomisierten Gesellschaft das beste Indiz, Erfolg oder Misserfolg auszumachen. Gleichzeitig ist das Publikum auch jenseits des Verkaufsschalters notwendige Bedingung für die Existenz des Theaters. Anders als der Film kann das Theater nicht ohne Publikum existieren. Theater ohne Publikum ist kein Theater, höchstens eine Probe. Diese Erkenntnis, so offensichtlich sie auch ist, scheint vergessen zu sein. Das Theater basiert auf diesem Dualismus : einerseits die Künstler, welche ihr Geld damit verdienen, Theater zu realisieren und auf der anderen Seite der Zuschauer, der sein verdientes Geld im Theater wieder ausgibt. Damit sind die zwei Pole eindeutig erkennbar: einerseits der Arbeitende, andererseits der Freizeitler.
Genau diese Schwelle ist gegenwärtig ein wesentliches Problem des Theaters. In einer leitungsorientierten, ökonomisierten Gesellschaft wird die freie Zeit zum Moment des systemischen Ausbruchs. Kein Druck und keine Verantwortung soll die Freizeit stören, weshalb ihre Gestaltung wiederum kostengünstig sein soll, denn das Gegenteil würde eine finanzielle Legitimation bedeuten und also Druck und » Read the rest of this entry «
Februar 20th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Die Facebook Frage: Start einer Reihe § permalink
Immer wieder mal flammen hier und da Debatten rund um die Privatsphäre auf. Sei es bei Google Streetview. Sei es in Sachen Facebook. Im Wesentlichen zeigen sich diese Debatten als erschreckend niveaulos. Der (zumeist aus öffentlich-rechtlicher Ecke) gespeisten Warn-Mahn-Zeigefingerheberei treten auf der anderen Seite die Neo-Hippies und Verfechter der Freien Datenliebe unter der Sigle der Post Privacy entgegen. Allen gemeinsam ist dabei, dass jeder ein aus unterschiedlichsten Fakten und Fiktionen gemischtes eigenes Süppchen kocht und dem andern möglichst brühwarm über den Kopf schüttet – das niemals auf seine Ingredienzien befragt wird. Die Lage ist – unübersichtlich. Und sie ist zudem: komplex. Denn es treten in diesem Postdrama verschiedene „Big Player“ auf, die auf wundersame Weise wie Kippfiguren ihr eigenes Erscheinungsbild ändern ohne sich selbst zu verändern. Der Betrachter oder Beobachter beobachtet sie nur jeweils verschieden.
Die Player sind: Der User (verstanden nicht als Mensch+Internet, sondern als Netzmensch). Die User. Der Staat. Das Unternehmen – zum Beispiel Facebook. So simpel hintereinander aufgeschlüsselt entbehrt das Postdramatis Personae bereits nicht einer gewissen Skurrilität. Seis drum. Die Betrachtungsweise ist nun in vielen Texte eine, die im Wesentlichen aus unguten oder sauguten Gefühlen » Read the rest of this entry «
Januar 30th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Wenn Mammons Hammer kreist II: Theatersterben in Belanglosigkeit? § permalink
Och Mönsch – da waren sie doch politisch so brav. Haben sich nicht weiter eingemischt in Politik. Haben brav an der Platzausnutzung gearbeitet. Haben mit wenigen Ausnahmen die Stadtoberen nicht in Erklärungs- oder Rechtfertigungsnot gebracht. „Politische“ Dimensionen hatten allenfalls die Etatverhandlungen mit dem Kämmerer. Das Controlling übernahm – wie in anderen Wirtschaftsbetrieben auch – die Führung. More or less. „Politische“ Debatten im Theater waren lediglich die Forderungen, „die Politik“ möge doch bitte mehr Geld bereitstellen. Ganz freundlich. Oder „kulturpolitische“ Debatten über die allgemeine Wichtichkeit von Kunst im Allgemeinen. Theater nebenbei im Besonderen. Gehe direkt zum Kämmerer. Begib dich direkt dorthin.
Und dann das! Die gute Tat wird nicht belohnt. Nein. Den Theatern wird der Kittel gekürzt, bis es an die Haut geht. Man streicht hier eine Sparte, legt dort zusammen, schafft GmbH’s, kürzt da und dort (nachtkritik hat hier eine schöne Chronik). Und die Theater? Jammern. Schicken ihre Emissäre zu Wuppertaler Demonstrationen. Und – stehen recht alleine im Regen. So richtig mag niemand sich ihren Protesten anschließen. Warum auch?
Ihr schert uns nur, wenn ihr uns rasiert!
Jahrzehntelang haben sich Theater nicht darum gekümmert, dass den Bewohnern dieses Landes der Arsch finanziell rasiert wurde. Seit Kohl’s geizig-moralischer Wende, Lambsdorffs Verneoliberalisierung werden die erstrittenen und erarbeiteten Besitzstände anders (oder gar nicht) unter den Menschen verteilt. Seit Schröders Agenda wurden die Daumenschrauben erneut angezogen. Und Merkels grandiose Idee, pleitegehende Banken möglichst von Kleinsteuerzahlern retten zu lassen, war nur ein konsequenter weiterer Akt. Die Theater haben sich im Wesentlich darum nicht geschert. Man hatte ja doch noch so viel an Hebbel, Tschechow, Ibsen, Strindberg, Goethe, Schiller, Lessing, Shakespeare zu entdecken – um von den ganzen toffen Romanen ganz zu schweigen, die sich auf die Bühne bringen lassen. Da bleibt natürlich wenig Zeit, sich mit der eigenen Zeit zu beschäftigen. Warum HartzIV wenns doch auch HenryIV, warum Merkels Banker wenns doch noch Schillers Räuber gibt? Das jedenfalls zeigen uns die Charts des Deutschen Bühnenvereins: » Read the rest of this entry «
Januar 23rd, 2011 § Kommentare deaktiviert für Wenn Mammons Hammer kreist I: Gute Nacht, Nachtkritik? § permalink
Während das Netz allerorten darüber palavert, ob Zeitungs- und Medienhäuser durch ein Leistungsschutzrecht geschützt werden sollen vor dem Niedergang (aktuelle Zahlen kommentiert Knüwer), ob nicht Zeitungen dann den Leistern, über die sie berichten, vielleicht ebenfalls für deren Leistung ein Entgeld zahlen müssten (also etwa den Theatern, wie Niggemeier meint), scheint Gott Mammon Fakten zu schaffen. Gerade kreist sein tödlicher Hammer über den Köpfen der geschätzten und von etwa hier mir bejubelten Nachtkritikredaktion. Hier gibt es ein Video mit Esther Slevogt, die (nach ermüdenden Ausführungen über die Spiralblock-„Affäre“) ein wenig über die Unternehmung erzählt.
Die Reaktion von Nachtkritik auf die schlechte wirtschaftliche Situation der Redaktion: seit einigen Wochen wird ein Spendenaufrauf mal mehr mal weniger prominent auf der Startseite vorgehalten, um User zu Unterstützern zu machen. Das ist sympathisch aber gescheitert.
Quo Vadis, Journalismus?
Die Frage, die sich daraus ableitet, lautet: Wenn denn die traditionellen (Print-)Zeitungsverlage darnieder gehen – wie kann sich qualitativ wertiger bis hochwertiger Journalismus noch finanzieren. Und mit finanzieren ist an dieser Stelle gemeint: Das alltägliche Überleben derer sicherstellen, die einen so großen Teil ihres Tages in die Erstellung der Inhalte investieren, dass sie keiner traditionellen Geldarbeit nachgehen können. Und nachtkritk ist schon relativ weit gegangenl in Sachen Kostensenkungen: relativ lächerliche Honorare für die Autoren, keine Reiosekosten, wenig Gehalt für die Festangestellten. Man spart wo es geht. (Selbst)Ausbeutung? Na sicher!
Nun ist im Web inzwischen allerorten die Meinung durchgesetzt: Was im Netz ist, kost nichts. Wer ins Netz arbeitet, kriegt nichts. Deswegen erwarte ich für dieses postdramatische Blog hier keinerlei Entgelt. Auch wenn ich hoffe, irgendwann eine Lebensfinanzierung u finden, die aus dieser Tätigkeit (und dem Schreiben) mehr macht, als eine Urlaubs‑, Wochenend- und Nachtbeschäftigung. Die Problematik von Nachtkritik ist also gar so weit nicht von der anderer Autoren entfernt. User lieben hochwertige Inhalte – bezahlen wollen sie aber nicht dafür. Das ist so. Bezahlpflicht für Nachtkritik wäre das Todesstündlein der Seite.
Es scheint, dass Nachtkritik mit der für Idealismus typischen Naivität an den Start gegangen ist. Wir machen mal – um Geld kümmern wir uns später. Das Beschissene daran ist: Der Bäcker, der Vermieter, der Schuster, der Hoster der Nachtkritiker will jetzt schon Geld. Und jetzt. Und jetzt. Und jetzt wieder.
Mammons Hammer
Nach dem Niedergang der traditionellen, printbasierten Massenmedien (Zeitungen, Zeitschriften …), die selbstverständlich wirtschaftlich orientierte Unternehmen sind und schon immer waren, scheint die Vision von funktionierenden Onlinemedien eine Illusion. Das Geld, das Verlage in Zeitungen verlieren, werden sie zukünftig in digitalen Medien nicht einnehmen können – da mag Döpfner das iPad anbeten, solange er will (“Jeder Verleger sollte sich einmal am Tag hinsetzen, beten und Steve Jobs dafür danken, dass er mit diesem Gerät die Verlagsindustrie rettet.” Welt). Durch (Banner-)Werbung werden die Rückgänge an Printwerbung nicht kompensiert. Punktum.
Ich habe keine große Lust, mich in die Leistungsschutzdebatte einzumischen – weil sie eine Phantomdebatte ist. Wenn ein Kind im Brunnen liegt, muss man nicht über Brunnenabdeckungen reden. Sondern den Bestatter rufen – denn dieses Kind ist längst ertrunken. Nur postmortale Reflexe sind noch zu sehen. Das alte Geschäftsmodell ist perdu. Und wo ist das neue Geschäftsmodell? Heißt: Wie lassen sich fähige, erfahrene und unbestechliche Journalisten finanzieren? Werden die GEZ-finanzierten Öffentlich-Rechtlichen die Medien der Zukunft sein? Einem Modell der Kirchensteuer gleich also durch „Haushaltsabgaben“ finanziert und pseudo-kirchliche Autonomie genießen? Oder gibt es einen gesellschaftlichen Konsens, der diese gesellschaftliche Funktion als so wichtig einschätzt, dass aus gesellschaftlicher Kraft heraus die Finanzierung gesichert wird (keine Ahnung, wie das gehen soll – durch Nachtkritik-Spenden oder flattr oder ähnliches geht’s nicht).
Übrigens: Diesmal liegt Mammons Hammer nicht in den Händen der Banken, sondern in den Händen der Konsumenten und Leser. Es werden nicht die bösen Agenten des Finanzkapitalismus sein, die Nachtkritik platt machen (könnten) sondern es sind die Menschen, die keine Zeitungen mehr kaufen, die zugleich für zeitungsartige Inhalte im Netz nicht bezahlen wollen. Die Macht der Konsumenten richtet sich – gegen sie selbst?
Jedenfalls – und damit will ich den allgemeinen Teil beenden – wird nachtkritik auf dem falschen Bein erwischt, ebenso wie die Leser. Denn in den letzten Jahrzehnten schon hat ein Ökonomismus gesellschaftlich um sich gegriffen und auch die Kultur erfasst (ich hab schon in den späten 80ern studentische Artikel verfasst die sich gegen die „Subventionskürzungen“ gegenüber Theatern richteten …) – der weder von Kulturschaffenden, noch von institutionellen Vertretern, noch offenbar von nachtkritik ernst genommen wurde. Die Kultur hat sich nicht dafür interessiert, wie den Vielen langsam das Wasser abgedreht wurde – jetzt interessieren sich die vielen einen Scheißdreck dafür, dass Theatern und Theaterzeitungen das Wasser bis zum Halse steht. Hättet ihr euch mal um den Turbo-Ökonomismus gekümmert! Vielleicht ist es noch nicht zu spät.
Die hausgemachten Probleme
Nachtkritik hat (wie bereits angedeutet) auf ihrer Seite vieles falsch gemacht, kaum einen Fehler ausgelassen. Die relaunchte Webseite ist eine Katastrophe. Gegen das » Read the rest of this entry «
Januar 17th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Berlin 21.–23.1. Gorki-Theater und Der Freitag: “Der Teilhabekapitalismus und sein Ende” § permalink
Ich wollt, ich wär ein Berliner: dann wäre ich am 21. bis 23. Januar im Maxim Gorki Theater zu finden, das zusammen mit dem Freitag dann ein Special “massnahmen gesellschaftlicher teilhabe” veranstaltet. Unter anderem mit Oskar Negt (Thema: Zeiten des Zorns. Der neue Protest und die deutsche Demokratie”) und Vorträgen und Diskussionen zu dem Thema “Der Teilhabekapitalismus und sein Ende”. Zudem ein Konzert “The Johnny Cash Songbook” und die Inszenierung von Steinbecks “Früchten des Zorns”. Wär ich ein Berliner — ich wär da. Bin ich aber leider nicht. Schade.
Januar 16th, 2011 § § permalink
Ein recht knappes Posting von Kusanowsky auf Facebook erlaubt mir nun endlich, klar zu beobachten, welchen Kardinalfehler ich in der Systemtheorie Luhmanns beobachte. Das Posting sagte:
(Auch bei wavetank als Kommentar hier zu finden)
Und der Kardinalfehler ist darin zu beobachten, dass das Zitat nahelegt, es sei eine Gesellschaft, die die Gesellschaft beobachtet: „Die Gesellschaft hat sich selbst zur Umwelt. Darin besteht die Gesellschaft der Gesellschaft.“ Tatsächlich ist es keine Gesellschaft. Die Formulierung radiert (ich würde behaupten: systematisch motiviert) die Tatsache aus, dass die Ichs nie zum Wir werden (jenseits des grölenden Pöbels nach einem gewonnen Fußballspiel und ähnlicher religiöser Verzückungsgelegenheiten). Dass der Beobachter also niemals Teil einer Beobachtungsgesellschaft wird, sondern immer nur alleine beobachtet. Die grundlegende Einsamkeit des Beobachters wird systematisch ausgeblendet wenn es heißt, die Gesellschaft sei die Umwelt der Gesellschaft, die sie beobachte. Die Gesellschaft gibt es nicht außerhalb der Beobachtung des Beobachters, der sich dann lesend bei der (oder nach der) Beobachtung der Gesellschaft beobachten lassen muss. (Falls jemanden die Assertorik dieser Darlegung stört, möge er sich gerne die Freiheit herausnehmen, den Text statt konstativ gerne fakultativ oder konditional zu lesen; natürlich ist dem Verfasser der gegenwärtig verbreitete Glauben an die fundamentale Kontingenz bekannt, der selbst allerdings selbstverständlich nicht weniger kontingent ist als die Behauptung der Determiniertheit/Prädestination der Welt – die selbst wiederum behaupten könnte, das die gegenwärtig herrschende Kontingenzbeobachtung determiniert und prädestiniert ist).
Die Beobachtung des einsamen Beobachters wird nie Gesellschaft
Wollt man genauer formulieren, müsste das Buch „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ nicht nur heißen „Die Gesellschaft der Soziologie“ sondern „Die Gesellschaft des Soziologen“ oder gar „Die Gesellschaft des Luhmanns“. Ein solcher Luhmann (ein Beobachtungskonstrukt des Lesers zweiter Ordnung) kann nicht teil einer Gesellschaft werden, solange er sie beobachtet – während er zugleich natürlich dadurch, dass er das, was er beobachtet, als Gesellschaft beobachtet, untrennbar in der Gesellschaft (als theoros) enthalten ist. Er müsst sich in die Gesellschaft begeben, die er dann nicht mehr beobachten kann, weil es dann die Gesellschaft der Beobachtung PLUS seiner selbst ist – also nicht mehr die beobachtete Gesellschaft. Eine Art des Narzissmus. Damit löst er zwar für sich das Erkenntnisproblem, weil der Beobachter auf beiden Seiten der erkenntnistheoretischen Gleichung auftaucht (enth’ousiasmos nannte man das in alten Zeiten: Die Dinge sind im Betrachter, der Betrachter in den Dingen). Wer mit Hegel marschiert mag das ganz in Ordnung finden, da es einer schönen Dialektik gleicht. Von außen beobachtet nimmt es aber nur Lichtenbergs Aphorismus über das Buch wieder auf: „Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hineinsieht, so kann » Read the rest of this entry «