Das Thalia und die Spiel(plan)verderber 2: Durch Leiden wird man Demokrat

Dezember 5th, 2011 § 1 comment § permalink

Inter­es­san­tes tut sich rund um die soge­nann­ten Demo­kra­ti­sie­rungs­ver­su­che des Tha­lia Thea­ters – und es beginnt ein Thea­ter rund um das Thea­ter, das ver­mut­lich weit­aus inter­es­san­ter ist als die Fra­ge, was denn am Ende wirk­lich gewin­nen wird.  Natür­lich ist Klug­scheis­se­rei hin­ter­her ein­fa­cher als die soli­de Orga­ni­sa­ti­on eines Par­ti­zi­pa­ti­ons­pro­zes­ses – die­se Ein­fach­heit erlau­be ich mir eben­so wie das Recht, mei­ne anfäng­li­che Beein­druckt­heit jetzt der nüch­ter­nen Betrach­tung wei­chen zu las­sen. Denn zu beob­ach­ten ist hier zunächst ein zukünf­ti­ger Lehr­buch­fall miss­ver­stan­de­ner Demo­kra­ti­sie­rung, den zu betrach­ten sich lohnt jen­seits der blo­ßen und letzt­lich ziem­lich irrele­van­ten Fra­ge, was an eini­gen Aben­den in einem Ham­bur­ger Thea­ter dem­nächst läuft. Zudem ist hier das eigent­lich ers­te Erschei­nen eines zukunfts­träch­ti­gen Thea­ters fest­zu­stel­len, von dem am Ende die­ses Pos­tings zu han­deln sein wird.

Das Pro­jekt: Mehr Demo­kra­tie gewagt – oder nur Lux und Dollerei?

Das Tha­lia beschreibt die Akti­vi­tät als Demo­kra­ti­sie­rung eines Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­mens. Der Inten­dant äußert hier im Inter­view sein Inter­es­se dar­an, was denn das Publi­kum wirk­lich sehen will – und sei es Har­ry Pot­ter. Anders lie­ße sich beschrei­ben: Die von einem demo­kra­ti­schen Gemein­we­sen – der Stadt Ham­burg – als ver­ant­wort­li­che Lei­ter einer städ­ti­schen Ein­rich­tung Ein­ge­setz­ten ent­zie­hen sich ein Stück weit der ihnen vom Gemein­we­sen zuge­wie­se­nen Auf­ga­be der inhalt­lich-kon­zep­tio­nel­len Aus­rich­tung die­ser Insti­tu­ti­on und der damit ver­bun­de­nen Ver­ant­wor­tung der von den Bewoh­nern des Gemein­we­sens auf­ge­brach­ten Finanz­mit­tel. Man lässt eine nicht begrenz­te und unde­fi­nier­te Grup­pe von Men­schen dar­über ent­schei­den, was statt­fin­den soll. Wir spie­len, was irgend­wer will.  Was auch immer, wer auch immer. Es muss nur eine aus­rei­chend gro­ße Zahl von Stim­men zusam­men­kom­men. Man könn­te die Bewoh­ner Ham­burgs eben­so gut dazu ver­pflich­ten, Regen­schir­me auf­zu­span­nen, wenn es in Aus­tra­li­en reg­net. Die Fremd­be­stim­mung durch die – sich selbst als unde­mo­kra­tisch ver­ste­hen­de – Thea­ter­lei­tung wird poten­zi­ell abge­ge­ben in eine ande­re Fremd­be­stim­mung durch irgendwen.

Was heißt demo­kra­ti­sche Ent­schei­dung? Wer ent­schei­det was für wen in demo­kra­ti­schen » Read the rest of this entry «

Das Thalia Theater und die Spiel(plan)verderber

November 23rd, 2011 § 1 comment § permalink

Anfang Novem­ber rief das Ham­bur­ger Tha­lia Thea­ter hier die Öffent­lich­keit auf, vier Posi­tio­nen des nächs­ten Spiel­plans zu bestim­men. Ver­mut­lich stand im Hin­ter­grund der Wunsch, der sich in ver­schie­de­nen Regio­nen der Welt, in der Occu­py-Bewe­gung, in der Netz­öf­fent­lich­keit mani­fes­tie­ren­den Betei­li­gungs­lust der Öffent­lich­keit zu öff­nen und selbst durch offe­ne Par­ti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­kei­ten ein Stück offe­ner und „demo­kra­ti­scher“ zu wer­den. Unter Miss­ach­tung aller Erfah­run­gen, die mit ähn­li­chen Crowd­sour­cing- und Con­su­mer Empower­ment-Akti­vi­tä­ten vor­lie­gen. Man stol­pert ein­fach­mal rein in Par­ti­zi­pa­ti­ons­dy­na­mi­ken, in Netz­be­tei­li­gung und so eine Art Demo­kra­tie. Das mag man gut­mü­tig als naiv bezeich­nen – oder » Read the rest of this entry «

Bundestrojaner und polizeiliches Spekulantentum

Oktober 10th, 2011 § 1 comment § permalink

Bei Klaus Kus­an­wos­ky fin­det sich hier ein Bei­trag über den Bun­destro­ja­ner, der nicht nur lesens­wert ist, son­dern gleich­zei­tig inter­es­san­te Erwei­te­run­gen zulässt, führt man ihn eng mit Kus­anow­skys Aus­füh­run­gen zum Doku­ment in der Moder­ne. Wäh­rend Kus­anow­sky sich auf das Paar Freiheit/Sicherheit im Bezug auf das staat­li­che Gewalt­mo­no­pol wid­met, scheint mir die Fort­füh­rung mit dem Blick auf den „Kri­mi­nel­len“, von dem er spricht, den er aber nicht wei­ter defi­niert, vielversprechend.

Hät­te die Poli­zei es mit Kri­mi­nel­len zu tun, wären die Pro­ble­me erheb­lich gerin­ger. Der „Kri­mi­nel­le“ aber ist das Ergeb­nis eines Doku­men­ta­ti­ons­pro­zes­ses mit heut­zu­ta­ge höchst gere­gel­ten Ver­fah­rens­wei­sen zur Erzeu­gung des Doku­ments „Kri­mi­nell“: Gemeint ist der Gerichts­pro­zess, der durch Rich­ter durch­ge­führt das Ver­fah­ren umfasst, aus einem Beschul­dig­ten oder „Ange­klag­ten“ einen doku­men­tier­ten Kri­mi­nel­len also Tat­schul­di­gen zu machen. Bereits hier – und das ist viel­leicht für den Doku­ment­be­griff selbst nicht ganz unin­ter­es­sant – ist zu sehen, dass die Doku­men­te der Moder­ne nie­mals der Cha­rak­ter der end­gül­ti­gen Gül­tig­keit tra­gen kön­nen, son­dern nur hohe Pro­ba­bi­li­tät, die durch wei­te­re Gerichts­in­stan­zen über­prüf­bar sein muss. Die Beru­fungs­in­stanz führt das Doku­men­ta­ti­ons­ver­fah­ren erneut durch. Die Revi­si­ons­in­stanz wie­der­um über­prüft ledig­lich, ob die Ver­fah­rens­durch­füh­rung der Vor­in­stanz Doku­men­ter­zeu­gungs­ge­recht ope­rier­te oder nicht. Dar­in liegt ein wich­ti­ger Zug der Moder­ne. Sie erzeugt Doku­men­te – aber mit dem gleich­zei­ti­gen Bewusst­sein, dass das Doku­ment nicht gül­tig sein könn­te oder zu einem spä­te­ren Zeit­punkt (etwa durch das Auf­tau­chen neu­er Bewei­se durch neu zuge­las­se­ne Beweis­ver­fah­ren wie den DANN-Test) als ungül­tig erscheint, weil es noch immer von der Vor­aus­set­zun­gen, aus denen her­aus es erzeugt wur­de, abhän­gig bleibt.

Die gött­li­chen Gerichts­ur­tei­le des Vor­mit­tel­al­ters such­ten nach Letzt­gül­tig­keit – indem sie Gott zumu­te­ten, in einen erwart­ba­ren Ablauf (das Ver­bren­nen eines Kör­pers im Feu­er) ein­zu­grei­fen und gegen natur- und men­schen­wis­sen­schaft­li­che Erfah­rung wun­der­tä­tig die Nicht­schuld zu bewei­sen. Erst in den Pro­zes­sen der Inqui­si­ti­on wur­de die­ses Ver­fah­ren inso­weit abge­wan­delt, dass der Beschul­dig­te not­wen­dig ein Geständ­nis able­gen muss­te, um voll­gül­tig ver­ur­teil­bar zu sein. Dass das nicht in blut­rüns­ti­gen Fol­ter­or­gi­en wahn­sin­ni­ger Inqui­si­to­ren mün­de­te, » Read the rest of this entry «

Von der Internation zur Netion: Überlegungen zum Raum des Politischen und zur postdramatischen Opensourcokratie

August 18th, 2011 § 4 comments § permalink

In der neu­es­ten ARD/ZDF-Online­stu­die bin ich über einen Ver­tip­per gestol­pert, der mir sehr gefiel:

Nicht nur die gele­gent­li­che zeit­ver­setz­te Nut­zung von Fern­seh­sen­dun­gen oder Aus­schnit­ten dar­aus via Inter­nat hat sich seit 2008 von 14 Pro­zent auf 29 Pro­zent ver­zwei­facht, … (hier Sei­te 4f.)

Das „Inter­nat“ ist ein wun­der­ba­res Bild für die tra­di­tio­nel­le, doku­ment­ba­sier­te Nati­on: Räum­li­ches Zusam­men­woh­nen unter Auf­sicht von Auto­ri­tä­ten, Zugangs- und Aus­gangs­be­schrän­kun­gen und auto­ri­tä­re Fest­le­gun­gen sowohl der For­men und Regeln sowohl des Zusam­men­le­bens als auch des­sen, was zu leh­ren und zu ler­nen, zu wis­sen und zu kön­nen ist. Die Nati­on war (und ist noch) ein Inter­nat, Inter­na­tio­na­li­tät die Zusam­men­ar­beit von Inter­na­ten. (N.B.: Viel­leicht ist es gar kein Zufall, dass die erfolg­reichs­te Roman­se­rie der letz­ten Jah­re gera­de in einem Inter­nat spielt, einem letz­ten zau­ber­haf­ten Traum die­ser nur noch als his­to­ri­sche Wohl­fühl­re­mi­nis­zenz tau­gen­den Lebens­form). Die Leit­dif­fe­ren­zen, die die­ses Inter­nat aus­mach­ten, wer­den nun von der Inter­ne­tio­na­li­tät kas­siert: Raum­gren­zen, Auto­ri­täts­po­si­tio­nen, ver­bind­li­che Regeln und Wahr­hei­ten fin­den sich nicht vor-geschrie­ben in der Neti­on. Weni­ger Orga­ni­sa­ti­on, ist sie eher Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on oder Auto­poie­sis. Die herr­schen­de Lehr­mei­nung wird zur geteil­ten Mei­nung, die ver­bind­li­che Erzäh­lung wird, wie letz­tens geschrie­ben, in einem Geflecht von Erzäh­lun­gen auf­ge­löst, die zwar noch erzählt wer­den, für die es aber immer schwie­ri­ger wird, sich durch­zu­set­zen. Noch mag zeit­ver­setz­tes Anse­hen der Mas­sen­me­di­en einen Rest sol­cher Erzähl­macht im Inter­nat zei­gen. Aber – aller litan­ei­haft wie­der­hol­ten Beteue­run­gen in der ARD/ZDF-Stu­die zum Trotz – es wird mehr und meh­re eine Erzäh­lung unter vie­len ande­ren. In der Stu­die heisst es auch (hier auf Sei­te 15):

Wenn es dar­um geht, ein Mas­sen­pu­bli­kum zu mobi­li­sie­ren, reicht kein Medi­um an das Fern­se­hen heran.

Das ist natür­lich eine wun­der­ba­re Ver­dre­hung der Tat­sa­chen – denn Mas­sen­me­di­en mobi­li­sie­ren natür­lich nicht wirk­lich. Es reicht viel­mehr kein ande­res Medi­um an die Fähig­keit der Mas­sen­me­di­en her­an, die Mas­sen zu immo­bi­li­sie­ren. Man sitzt still im Inter­nat ein­ge­sperrt und glotzt fern.

End­li­che und unend­li­che Diskussion

Zu den Kern­fä­hig­kei­ten der immo­bi­li­sie­ren­den Inter­na­ti­on gehör­te es, Dis­kus­sio­nen dra­ma­tisch auf­zu­be­rei­ten, auf den binä­ren Ent­schei­dungs­punkt zuzu­spit­zen und dann durch Ent­schei­dung zu been­den. Die Viel­falt des Stim­men- und Erzäh­lungs­ge­wirrs ist nichts Neu­es. Die Inter­na­ti­on führ­te nur einen Pro­zess ein, der eben die Grau­tö­ne in Schwarz/Weiß über­führ­te und dann Schwarz oder Weiß, Schwarz oder Rot als Kern­al­ter­na­ti­ven her­aus­stell­te. Die­se Reduk­ti­on fand ins­be­son­de­re über die mög­lichst öffent­li­che Debat­te (in Par­la­men­ten oder Mas­sen­me­di­en) statt. Erst wird debat­tiert, dann kann abge­stimmt wer­den. Und damit ist fest-gesetzt was Gesetz wird. Die­se Fähig­keit eig­net der Neti­on nicht, in der die Debat­ten aus­ufern durch ten­den­zi­ell unend­li­che Ver­meh­rung der Debat­ten­teil­neh­mer, Debat­ten­platt­for­men und Debat­ten­bei­trä­ge. Das ist das Pro­blem, das sich mit der ent­ste­hen­den Neti­on auf­tut und das nicht ein­fach » Read the rest of this entry «

Von der dokumentarischen Erzählung zur Spekulation: Börsencrashs, Medienhypes, Ende des Dramas

August 14th, 2011 § 2 comments § permalink

Von dem weiss­gar­nix-Mit­blog­ger Frank Lüb­ber­ding ist in der FAZ hier  ein Arti­kel zu lesen, in dem er mit gewis­ser Wut Medi­en Mit­schuld gibt an den Ver­wer­fun­gen an der Bör­se. Dabei scheint er die­se Behaup­tung ansatz­wei­se für unge­heu­er­lich oder skan­da­lo­gen zu hal­ten. Mit einer For­mu­lie­rung, die hier aus dem Blog stam­men könn­te, schreibt er:

Die Finanz­märk­te wer­den aber als ein […] Dra­ma insze­niert. […]Die Medi­en lau­schen jedem State­ment und posau­nen es in die Welt. Um die inhalt­li­che Rele­vanz sol­cher Stel­lung­nah­men geht es nicht. Die größ­te Posau­ne in die­sem Orches­ter ist der Online-Ticker. […]  Jedes Kata­stro­phen-Sze­na­rio bekommt sei­ne Plau­si­bi­li­tät, weil es mit den Erwar­tun­gen des Publi­kums über­ein­stimmt. Es ist süch­tig gewor­den nach Neu­ig­kei­ten. So machen die Medi­en aus der Vola­ti­li­tät eines Han­dels­ta­ges ein Dra­ma, das sich bes­tens ver­mark­ten lässt

Und als eine Art Quint­essenz lässt sich lesen:

Medi­en und Märk­te leben in einer sym­bio­ti­schen Beziehung.

Das klingt nach einer klu­gen Ein­sicht – aber das Rab­bit Hole geht tie­fer, als Lüb­ber­ding zumin­dest an die­ser Stel­le andeu­tet. Es ist kein Zufall, dass der Begriff der Spe­ku­la­ti­on sowohl in der  Finanz­welt wie in der Medi­en­welt gera­de als Gesamt­zu­stands­be­schrei­bung die­nen kann. Sowohl die media­le als auch die finanz­markt­li­che Spe­ku­la­ti­on lässt sich von unsor­tier­ten Neu­ig­kei­ten (Lüb­ber­dings Live-Ticker) und Gerüch­ten zum Han­deln ver­lei­ten. Der Bör­sia­ner kauft oder ver­kauft, der Jour­na­list haut eine ver­kauf­ba­re oder nicht-ver­kauf­ba­re Mel­dung raus.

Märk­te und Medi­en – und Politik

Das selt­sa­me sin­gu­la­re tan­tum „die Märk­te“ lebt mit dem ande­ren sin­gu­la­re tan­tum „die Medi­en“ nicht nur in einer sym­bio­ti­schen Bezie­hung. Viel­mehr sind media­le und märkt­li­che Spe­ku­la­ti­on letz­ten Endes das­sel­be. „Die Märk­te“ reagie­ren auf Mel­dun­gen der Medi­en. Es gibt kei­nen Trad­ersaal ohne Ticker und Lauf­bän­der, die aus Medi­en­in­hal­ten gespeist wer­den. Ähn­lich den ein­ge­blen­de­ten Akti­en­kur­sen fun­gie­ren die durch­lau­fen­den Mel­dun­gen aus den unter­schied­li­chen Quel­len und Ecken der Welt als Hand­lungs­grund­la­ge für Trader. „Die Märk­te“ hän­gen ab von „den Medi­en“. Zugleich lie­fern sie wie­der­um Mel­dun­gen für „die Medi­en“. Gera­de in schein­bar kri­sen­haf­ten  Situa­tio­nen wie in den letz­ten Wochen kon­zen­trie­ren sich „die Medi­en“ auf die Han­dels­ver­läu­fe an der Bör­se. „Der DAX“ wird mit sei­nen Bewe­gun­gen zum Haupt­ge­gen­stand der Live-Ticke­rei. Dabei ist der DAX sel­ber nichts als ein kom­mu­ni­ka­ti­ons­er­mög­li­chen­des Kon­strukt. Wie ande­re Indi­ces auch, bil­det er eine mehr oder min­der zufäl­li­ge Aus­wahl von Unter­neh­mens-Akti­en­wer­ten ab und gene­riert damit einen zeit­lich dar­stell­ba­ren Ver­lauf. Er hat kei­ne Aus­sa­ge – es sei denn, er wird in eine Erzäh­lung inte­griert. Die Erzäh­lung der gesamt­wirt­schaft­li­chen Situa­ti­on und Ent­wick­lung etwa. Die­se Erzäh­lung erzäh­len „die Medi­en“. Und sie erzäh­len sie im poli­ti­schen Umfeld und lei­ten dar­aus Hand­lungs­auf­for­de­run­gen an „die Poli­tik“ ab. Etwa die­je­ni­ge, die Staats­ver­schul­dung zu korrigieren.

Die “Ent­kopp­lung von der Realwirtschaft”

Gele­gent­lich lässt sich in Kom­men­ta­ren die Dia­gno­se oder die Kri­tik lesen und hören, dass „die Märk­te“ sich von der Real­wirt­schaft abge­kop­pelt hät­ten. Dar­in schwingt die Erwar­tung mit, dass der Akti­en­wert eines Unter­neh­mens gefäl­ligst sei­ne wirt­schaft­li­che Situa­ti­on wie­der zu spie­geln habe. Als wäre der Akti­en­wert eine Art Wirt­schafts­ther­mo­me­ter, das in einer quan­ti­fi­zier­ten Anga­be unum­stöß­lich zeigt, wel­chen Wert ein Unter­neh­men hat. So naiv das schon immer gewe­sen sein mag – die­se Kop­pe­lung ist nur eine der mög­li­chen Kop­pe­lun­gen. Not­wen­dig war und ist sie nicht. Denn der Wert einer Aktie wird nicht von einer Rating­kom­mi­si­on bestimmt, son­dern von Han­deln­den Akteu­ren, die den Preis der Aktie unter sich aus­ma­chen. Die gele­gent­li­che auf­ge­reg­te Ver­blüf­fung, dass Kur­se „fun­da­men­tal gesun­der“ oder „grund­so­li­der Unter­neh­men“, die viel­leicht sogar kon­stan­ten Gewinn abwer­fen, sinkt, wäh­rend Phan­ta­sie­un­ter­neh­men wie die­je­ni­gen der High­tech-Bubble vor der Jahr­tau­send­wen­de, ins Uner­mess­li­che stei­gen, zeigt die noch vor­han­de­ne Nai­vi­tät bei eini­gen Beob­ach­tern. Sie sind den alten Erzähl­for­men noch ver­haf­tet. Sie glau­ben noch an das Drama.

Die Macht der Erzählung

In der Hoch­zei­ten der Doku­ment­ge­sell­schaft war es Auf­ga­be der Mas­sen­me­di­en, nicht nur die als Nach­rich­ten zu prä­sen­tie­ren­den Gescheh­nis­se aus­zu­wäh­len, son­dern ins­be­son­de­re auch, eine Geschich­te dar­aus zu gene­rie­ren, die sich von „Aus­ga­be zu Aus­ga­be“ (der Zei­tung, der Radio- oder Fern­seh­nach­rich­ten­sen­dung) wei­ter erzäh­len ließ. Die­se Geschich­te setz­te aus Gescheh­nis­sen an und lei­te­te dar­aus Vor­bli­cke auf mög­li­cher­wei­se Gesche­hen­des bzw. For­de­run­gen an die Akteu­re ab, wie denn zu han­deln sei. Im Cha­os des All­tags sorgt das Medi­um für Ori­en­tie­rung. Aus den Hand­lungs­for­de­run­gen wird Druck auf ver­ant­wort­li­che poli­ti­sche Akteu­re gene­riert, indem man sich der will­fäh­ri­gen Oppo­si­ti­on bedient. Irgend­ei­ner von denen wird schon etwas for­dern, das in die media­le Sto­ry passt.

Die­se Erzähl­kunst war auch im Bereich der Bör­se gefragt. Die Kurs­be­we­gun­gen soll­ten von Zei­chen­deu­tern – den Augu­ren der römi­schen Anti­ke durch­aus ver­gleich­bar – auf­ge­nom­men und in eine Erzäh­lung ein­ge­fügt wer­den. Es sind die Erzäh­lun­gen, die jeden Abend in den Bör­sen­be­richt­erstat­tun­gen der Fern­seh­ka­nä­le statt­fin­den, eben­so die Erzäh­lun­gen in den » Read the rest of this entry «

Feuer in London, Finanzkrise, Erzählmacht und ctrl-Gewinn

August 10th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Feuer in London, Finanzkrise, Erzählmacht und ctrl-Gewinn § permalink

Im Dis­kus­si­ons­th­read mei­nes Gast­bei­trags auf nacht­kri­tik (hier) frag­te ein Kom­men­ta­tor, ob jene im Arti­kel gefor­der­te Kon­zen­tra­ti­on des Thea­ters auf das umge­ben­de Gesell­schaft­li­che in der Netz­ge­sell­schaft eine Poli­ti­sie­rung beinhal­te. Ich hat­te mit einem Link auf mei­nen zwei Jah­re alten Text Das Poli­ti­sche zurück ins Thea­ter (hier down­load­bar) dar­auf geant­wor­tet. Dort hat­te ich am Bei­spiel der Geschich­ten­er­stel­lung rund um den Amok­lauf von Win­nen­den zu zei­gen ver­sucht, wie sehr sich das Poli­ti­sche gera­de in der Gene­se eines ver­bind­li­chen Dra­mas zeigt und zugleich ver­birgt – in der Dra­ma­tur­gie. Ange­sichts von Ereig­nis­sen, die das geüb­te Erzäh­len der Medi­en her­aus­for­dern und zu unter­bre­chen schei­nen, lau­fen die Print‑, Radio- und Mas­sen­me­di­en gera­de­zu hys­te­risch zu einer Hoch­form auf, die sich dar­in zeigt, dass unter­schied­li­che Erzäh­lungs­an­sät­ze aus­pro­biert wer­den. Und gera­de der genaue Blick auf die­se Erzäh­lun­gen und ihre Ent­ste­hung, ihre Dra­ma­tur­gie und ihre Impli­ka­tio­nen sind es, die ein Thea­ter zu fokus­sie­ren hat, das das Poli­ti­sche auf­neh­men will.

Wie wird „Lon­don“ beobachtet

Es ist bedau­er­lich, dass gera­de jetzt Klaus Kus­anow­sky in eine Blog­pau­se abge­taucht ist, wäre doch aus sei­nem schar­fen Blick auf das Beob­ach­ten ver­mut­lich eini­ges an pro­vo­kan­ten Ein­sich­ten über die Form der Beob­ach­tung des­sen, was in Lon­don sich gera­de voll­zieht, zu erwar­ten. Wie beob­ach­ten Medi­en die Ereig­nis­se in Lon­don, Man­ches­ter und Bir­ming­ham? Wie beschrei­ben sie ihre Beob­ach­tung, wel­ches Dra­ma bau­en sie dar­aus und ver­su­chen, es als gül­ti­ge Beob­ach­tung zu eta­blie­ren? Wird die Geschich­te von Unter­pri­vi­le­gier­ten erzählt, deren unge­rich­te­te Wut sich nun­mehr „blind“ in einem Auf­stand ent­lädt – den Auf­stän­den in Los Ange­les 1992 oder der Pari­ser Ban­lieue ver­gleich­bar? Han­delt es sich um eine eng­li­sche Form der Sozi­al­pro­tes­te, wie sie auch in Spa­ni­en zu beob­ach­ten sind? Arti­ku­liert sich hier also sozia­le Ungleich­heit in flam­men­den Fana­len? Oder han­delt es sich um „Ban­den“, die die gegen­wär­ti­ge Unüber­sicht­lich­keit, die Unfä­hig­keit der som­mer­lich schläf­ri­gen Ord­nungs­au­tori­tä­ten aus­nut­zen, um mai­fer­tags- und hoo­li­g­an­haf­te Ran­da­le und Kra­wal­le anzu­zet­teln? Die gött­li­che Ina Berg­mann, vor­ma­li­ge Würst­chen­bu­den­be­sit­ze­rin in Lon­don und ein­zig­ar­ti­ge Nacht­jour­nal-Mode­ra­to­rin des ZDF, die ver­län­ger­tes Wach­blei­ben durch unver­gleich­li­chen Mode­ra­ti­ons­stil und Kugel­schrei­ber­ar­tis­tik belohnt, brach­te Mon­tag­abend sowohl die Refe­renz auf L.A.  und Paris wie auch die Beschrei­bung des Gesche­hens als Ban­den­kra­wall. Noch ist die Erzäh­lung nicht ganz fer­tig. Noch herrscht Unsi­cher­heit über die Ein­ord­nung. Noch ist der Raum des Poli­ti­schen offen und nicht gänz­lich definiert.

Spie­gel Online etwa schwankt in der Bewer­tung der Ereig­nis­se ähn­lich wie die „Märk­te“, die sich gera­de am DAX austobten:

Am 07.08. schrieb man: „Auf­ge­brach­te Bewoh­ner setz­ten in der Nacht zum Sonn­tag min­des­tens zwei Poli­zei­wa­gen, einen Dop­pel­de­cker­bus sowie ein Gebäu­de in Brand.“ (hier)

Am 08.08.: Beob­ach­ter erklär­ten, die Poli­zei hät­te gro­ße Pro­ble­me gehabt, die Ran­da­lie­rer unter Kon­trol­le zu bekom­men. (hier)

Am 09.08.: Plün­dern­de und brand­schat­zen­de Ban­den, die in der Nacht zum Sonn­tag im Nord­lon­do­ner Stadt­teil Tot­ten­ham die Ran­da­le begon­nen hat­ten, waren schon in der Nacht zum Mon­tag in wei­te­re Stadt­tei­le wei­ter­ge­zo­gen. (hier)

Auch am 09.08.: War­um explo­diert die Gewalt in Eng­land? Das Gefäl­le zwi­schen Arm und Reich wird immer grö­ßer, eth­ni­sche Min­der­hei­ten füh­len sich gezielt schi­ka­niert. Eine gan­ze Gene­ra­ti­on sieht sich abge­hängt — und ist geeint im Hass auf Eli­ten und Poli­zei. (hier)

Beim Blog­ger chris­ti­ans­oeder fin­det der Zusam­men­prall der Erzäh­lun­gen ein einem ein­zi­gen Tweet Platz:

Es ist nicht ein­fach ein Wech­sel des Beschrei­bungs­vo­ka­bluars – son­dern jede die­ser Beschrei­bun­gen insti­tu­iert ten­den­zi­ell ein Dra­ma, des­sen nächs­te Schrit­te bereits mehr oder min­der unaus­ge­spro­chen mit­schwin­gen. Die dra­ma­ti­schen For­men sind zu sehr eta­bliert, um das zu über­se­hen. Mit „auf­ge­brach­ten Bewoh­nern“ ist anders zu ver­fah­ren, als mit „plün­dern­den Ban­den“. Dabei geht es gar nicht dar­um, wer oder was die Betei­lig­ten „wirk­lich“ oder „in Wahr­heit“ sind. Das lässt sich von hier aus sowie­so nicht beur­tei­len (das macht die Macht der Tele-Medi­en aus). Zudem lässt sich schein­bar auch kein „Anfüh­rer“ befra­gen, der erklä­ren könn­te, wel­chen Kol­lek­tiv­mo­ti­ven die Akti­vi­tä­ten fol­gen.  Es lässt sich aber sehr wohl erken­nen, wel­che poli­ti­schen Dimen­sio­nen dahin­ter ste­cken: Das Dra­ma der „auf­ge­brach­ten Bewoh­ner“ zöge nach sich eine Dia­gno­se des » Read the rest of this entry «

Bild(ende Kunst) in der Netzgesellschaft — Von der Documenta zur unDocumenta

August 4th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Bild(ende Kunst) in der Netzgesellschaft — Von der Documenta zur unDocumenta § permalink

Um den sich wan­deln­den Umgang der (ehe­ma­li­gen) Rezi­pi­en­ten mit Kunst­wer­ken, die Ver­schie­bung vom Kunst-Kon­su­men­ten hin zum Pro­suemen­ten lebens­welt­lich zu exem­pli­fi­zie­ren, hat­te ich mei­nem kur­zen Kom­men­tar­wech­sel mit Dirk Bae­cker noch Fol­gen­des hin­zu­ge­fügt:

Viel­leicht als anek­do­ti­sche Ergän­zung dazu eine Beob­ach­tung bei der letz­ten Docu­men­ta: Waren zuvor Besu­cher auf­ge­for­dert, sich kon­tem­pla­tiv oder mit ande­ren Besu­chern dis­kur­siv zu den Wer­ken zu ver­hal­ten, so ließ sich bei der letz­ten Docu­men­ta (sic!) beob­ach­ten, dass die Besu­cher kei­nes­falls mehr pas­siv vor den Wer­ken ver­harr­ten, son­dern mit­hil­fe von Han­dy und Digi­tal­ka­me­ras Bil­der von Bil­dern und Objek­ten mach­ten, die sie in der Fol­ge viel­leicht nicht zu indi­vi­dua­li­sier­ten Docu­men­tas im Netz mach­ten, aber doch zu ihren je eige­nen Aus­stel­lun­gen und Kunst­samm­lun­gen. Als han­de­le es sich um musi­ka­li­sche und fil­mi­sche „Raub­ko­pien“ wer­den die Besu­cher zu „Urhe­bern“ von Kunst-Mesh-Ups, die sich hin­ter­her auf flickr, bei der nächs­ten Docu­men­ta ver­mut­lich auf Face­book, G+ und wo auch immer fin­den, geshared, kom­men­tiert und gelik­ed wer­den. Das Publi­kum tritt damit (zum gro­ßen Unbe­ha­gen eines Anhän­gers der alten Kul­tur­tech­nik der Betrach­tung von Kunst­wer­ken) damit in einen Zwi­schen­raum ein zwi­schen Kunst­werk­pro­du­zen­ten und Kunst­werk­re­zi­pi­en­ten. Sind die­se Fotos Kunst? Doku­men­tie­ren sie Kunst? Doku­men­tie­ren sie die Anwe­sen­heit des Rezi­pi­en­ten auf der Docu­men­ta? Wird das Netz zu einer Docu­men­ta 2.0? Mir gelingt dar­auf noch kei­ne siche­re Antwort.

Kul­tur­in­dus­trie unter (Nach-)druck

Die­ses Foto­gra­fen-Sze­na­rio nun ging mir nicht mehr aus dem Kopf, weil sich hier m.E. Span­nen­des beob­ach­ten lässt. Musik‑, Film und Druck­in­dus­trie sind bereits seit  den letz­ten Jahr­zehn­ten des 20. Jahr­hun­derts an den Umgang mit Kopien gewohnt. Seit Ton­band, Musi­cas­set­te, iPod, seit VHS und Foto­ko­pie­rer ist das Pro­blem der tech­ni­schen Kopier­bar­keit des Kunst­werks viru­lent. Wirt­schaft­li­che Ein­bu­ßen und der Ver­such sie zumin­dest teil­wei­se durch GEMA, VG Wort usw. zu kom­pen­sie­ren inklusive.

Ton ohne knap­pe und ver­kauf­ba­re Tonträger

Mit der kon­se­quen­ten Digi­ta­li­sie­rung und Ver­net­zung sind die­se „Krea­tiv­in­dus­trien“ einer­seits in wei­te­re Schwie­rig­kei­ten gera­ten, weil die sich abzeich­nen­de Ablö­sung der Inhal­te von ihrer Bin­dung an phy­si­sche Trä­ger­me­di­en (Buch, DVD, Ton­trä­ger) und die damit ein­her­ge­hen­de undend­li­che Ver­viel­fäl­ti­gung, die gar kei­ne Ver­viel­fäl­ti­gung ist, weil jeder mit jedem die „Ori­gi­nal­da­tei“ tauscht und sie dabei zugleich behält. Wer einem ande­ren ein Buch lieh, hat­te das Buch nicht mehr. Wer einem ande­ren eine Film­da­tei gibt, behält sie selbst. Das hebelt das Gesetz der öko­no­mi­schen Knapp­heit aus.

Die Ver­göt­te­rung des Originals

Zum Leit­sym­bol öko­no­mi­scher Knapp­heit aller­dings wur­de durch den Kunst­markt des 20. Jahr­hun­derts das Werk der bil­den­den Kunst. Simp­les Kopie­ren oder Ver­viel­fäl­ti­gen war aus­ge­schlos­sen. Die weni­gen Ein­zel­fäl­le von „Fäl­schun­gen“ sind Legen­de. Nun tut sich aber in die­sem Sek­tor Ent­schei­den­des, das ver­mut­lich weit über die blo­ßen Ver­viel­fäl­ti­gungs­phä­no­me­ne der ande­ren Küns­te » Read the rest of this entry «

Einladung zur Diskussion auf Nachtkritik

August 2nd, 2011 § Kommentare deaktiviert für Einladung zur Diskussion auf Nachtkritik § permalink

nachtkritik.de hat heu­te mor­gen hier einen län­ge­ren Text von mir zur Debat­te um das Stadt­thea­ter ver­öf­fent­licht, den unter ande­rem Dirk Bae­cker hier kom­men­tiert hat. Dar­auf wie­der­um eini­ge Anmer­kun­gen von mir zurück. Ich ver­wei­se hier nur auf nacht­kri­tik und lade zur dor­ti­gen Dis­kus­si­on ein.

Zum Begriff der Inszenierung und ihrer Kritik — ein Extemporé zum Spiel

Juli 11th, 2011 § 3 comments § permalink

Die „Insze­nie­rung“ ver­sucht auch zu ver­spre­chen, dass ich mir den Abend oder Monat aus­su­chen kann , also in eine von meh­re­ren Vor­stel­lun­gen gehen kann – und den­noch die „sel­be“ Insze­nie­rung sehe. Wie­der ein­mal Ivan Nagel:

Inter­pre­ta­ti­on als sinn­vol­les Denk- und Arbeits­mo­dell hat zwei Bedin­gun­gen: Wie­der­hol­bar­keit und Ver­gleich­bar­keit des thea­tra­len Pro­dukts. (Schrif­ten zum Dra­ma, 24)

Zwar hat spä­tes­tens Kier­ke­gaard in „Die Wie­der­ho­lung“ fest­ge­stellt, dass es gera­de im Thea­ter die Wie­der­ho­lung nicht gibt. Das scheint aber den­je­ni­gen nicht zu betref­fen, der nicht wie­der­holt, son­dern ein­ma­lig in eine Insze­nie­rung geht. Immer­hin sehe ich noch das­sel­be Werk. Doku­men­ta­ti­ons­mit­tel wie das Regie­buch sol­len sicher stel­len, dass eine Insze­nie­rung wie­der­hol­bar ist, gar über Jah­re oder Jahr­zehn­te auch mit wech­seln­den Darstellern/Sängern/Tänzern auf­ge­führt wer­den kann – und dabei die­sel­be bleibt. Der Grund­glau­be der Indus­trie­ge­sell­schaft, die über­all wo „Nutel­la“ dar­auf steht erwar­tet, dass Nutel­la dar­in ist, die Pro­dukt­iden­ti­tät an jedem Ort und zu jeder Zeit garan­tiert, ist hier unver­kenn­bar am Wer­ke.  Es ist die Doku­ment­kul­tur, die aus dem Zeit­fluss aus­bre­chend ver­sucht, die Auf­füh­rung zu einem wie­der­hol­ba­ren Algo­rith­mus zu machen und doch nicht umhin kommt, anzu­er­ken­nen, dass selbst die­sel­be Insze­nie­rung von Abend zu Abend anders ist. Was sich aber nicht beob­ach­ten lässt, da der Beob­ach­ter nicht zwei­mal erst­mals in den Zeit­fluss stei­gen kann. Wäh­rend zugleich die Thea­ter­ma­cher kei­ne glaub­wür­di­gen Aus­kunft­ge­ber sind, weil für sie die Iden­ti­tät der Insze­nie­rung schon immer ein Kampf gegen Wind­müh­len­fü­gel war, den sie nicht gewin­nen konn­ten. Der thea­ter­ei­ge­ne Begriff der Indis­po­niert­heit, der also vor­aus­setzt, es gäbe eine Dis­po­si­ti­on zur iden­ti­schen Wie­der­ho­lung, zeugt von die­sem Kampf.

Nach der iden­ti­schen Inszenierung

Das Abrü­cken vom Insze­nie­rungs­be­griff wür­de Schluss machen kön­nen mit die­ser Ver­geu­dung. Anstatt die Ener­gie dar­ein zu set­zen, immer wie­der Sel­bes her­zu­stel­len, kann sie ihre Bah­nen in der Frei­heit der Anders­heit suchen.  Kei­ne Iden­ti­täts­ga­ran­tie. Nicht unbe­dingt als Auf­for­de­rung zum Extem­po­ré und zur Impro­vi­sa­ti­on. Son­dern zum Im-Pro­vi­so: Zum Un-Vor­her­ge­se­he­nen und Un-Vor­ge­se­he­nen, zum Un-Nach­seh­ba­ren zugleich. Jen­seits des Vor-Geschrie­be­nen Pro­gram­mes als auch das Un-Vor­ge­se­he­ne gesche­hen las­sen, nicht als Kadenz oder Frei­raum für Solis­ten. Son­dern als die Frei­heit des Voll­zu­ges, dem Fuß­ball­spiel gleich, das zwar sei­ne fest­ge­leg­ten Regeln und sei­ne trai­nier­ten Spiel­zü­ge hat, sich aber in situ den­noch mit einer gewis­sen Frei­heit ent­fal­ten kann. Die Ander­se­hit des nächs­ten Abends nicht betrach­tend als Miss­lin­gen der Sel­big­keit und Iden­ti­tät, son­dern als Frei­heit zum Anderen.

Ivan Nagels Hin­weis auf das Spiel fortführen

Das Spiel. Ivan Nagel hat es (eben­falls) ins Spiel gebracht. Das Spiel ist » Read the rest of this entry «

Mensch, Ivan Nagel …

Juli 10th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Mensch, Ivan Nagel … § permalink

… mit 80 Jah­ren bist du fri­scher in der Bir­ne, als die Frisch­lin­ge, die an deut­sche Groß­thea­ter schluffen:

Darf das Groß­thea­ter mit sei­nem drei­ßig- bis fünf­zig­köp­fi­gen Ensem­ble, mit eige­nen Werk­stät­ten und Ver­wal­tun­gen wei­ter als Vor­bild alles höhe­ren Stre­bens in der Schau­spiel­kunst gel­ten? Dra­ma und Thea­ter wirk­ten aus die­sem Sys­tem einst kraft­voll in das öffent­li­che Bewusst­sein. Von sol­cher Wir­kung scheint wenig übrig geblie­ben. […] Tech­ni­sche Beschleu­ni­gung und poli­ti­scher Abbau der letz­ten Jahr­zehn­te haben zwei Gene­ra­tio­nen in eine Medi­en­ga­la­xie gesto­ßen, deren immer rasche­re Umschwün­ge zugleich tota­le Gegen­wart und lee­re Zeit­lo­sig­keit erzeu­gen. Die Mil­li­se­kun­den der Ato­me, die Jahr­mil­li­ar­den der Bio­mo­le­kü­le wim­meln von Ereig­nis­sen, die mit dem Leben des Ein­zel­nen unver­gleich­bar sind. Geht das Reper­toire-Spiel nicht an all­dem vor­bei, wenn sei­ne Pro­gramm-Melan­ge die Gegen­wart wei­ter als das erleb­ba­re Tref­fen von Ver­gan­ge­nem und Zukünf­ti­gem behaup­tet? Die Muss-Klas­si­ker, die das deut­sche Stadt­te­ha­ter jähr­lich hun­dert­wei­se von Regis­seu­ren unter vier­zig pro­du­zie­ren lässt, sind oft von ver­drieß­li­cher Sinn­lo­sig­keit. […] Wie man­cher Regis­seur an man­ches Stück gera­ten ist, bleibt oft ein Rät­sel, das die Auf­füh­rung nicht löst.”  (Schrif­ten zum Dra­ma, 30ff)

Nur eines noch dazu: Die Insze­nie­rung von Ü40-Regis­seu­ren sind auch nicht besser.

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