Die Utopie: Netztheater für eine globale Öffentlichkeit

Juni 13th, 2011 § 3 comments § permalink

Es ist Pfings­ten – Zeit für Geist, der ins Thea­ter fährt. Nicht Hei­li­gen. Eher Spi­rit. A new spirit.

Schlecht­ge­laun­tes wie zuletzt hier über das gegen­wär­ti­ge Stadt­thea­ter abzu­son­dern ist eine Leich­tig­keit. Den Beob­ach­ter in der Loge zu geben, der sou­ve­rän sein Urteil über die Gla­dia­to­ren fällt, die sich täg­lich mit dem Thea­ter her­um­schla­gen, reicht nicht. Wie also wäre ein neu­es Thea­ter anzu­ge­hen? Dirk Bae­cker hat mit der sieb­ten sei­ner 15 The­sen gera­de eine ganz lau­ni­ge Dis­kus­si­on unter Sys­tem­theo­re­ti­kern (auto­poiet und Dif­fe­ren­tia) ange­sto­ßen, die sich dar­über unter­hal­ten, wie denn wohl eine sol­che Kunst beschaf­fen sein müss­te. Abge­se­hen davon, dass „Kunst“ ein ziem­lich hoh­ler und damit unhand­li­cher Begriff ist, den es über­haupt erst ein­mal über Bord zu wer­fen gilt, sind die Gedan­ken inspi­rie­rend. Aller­dings geht es hier um eine ande­re Dimen­si­on der Fra­ge nach einer neu­en Kunst (kann über­haupt von „Kunst“ die Rede sein – wenn, dann als For­mu­lie­rung eines Gedan­kens, nicht aber als Zuschrei­bung zu irgend­ei­nem real exis­tie­ren­den Ding. Das vor­ab). Es geht um Thea­ter. Und es geht mir dar­um, wie ein Thea­ter aus­se­hen könn­te, das sich dem schein­bar unaus­weich­li­chen Kre­pie­ren der gegen­wär­ti­gen Thea­ter ent­zie­hen, ent­ge­gen­stel­len könn­te. Eine Uto­pie von Thea­ter, die mit dem bestehen­den pyra­mi­da­len Grab­mä­lern der Ver­gan­gen­heit bricht. Das will ich hier und heu­te zei­gen. Und das geht so: » Read the rest of this entry «

Theater und Kritik: Zwei Siechen beim Sterben zusehen?

Mai 20th, 2011 § 2 comments § permalink

In den letz­ten Pos­tings hat­te ich zu zei­gen ver­sucht, in welch bedroh­li­cher Lage sich mei­nes Erach­tens die Stadt­thea­ter befin­den – und zwar nicht aus dem uner­klär­li­chen Spar­wahn von Käm­me­rern, son­dern durch eine selbst­ver­schul­de­te Zeit­krank­heit. Als Nach­trag möch­te ich nun hin­zu­fü­gen, wie mei­ner Mei­nung nach die Situa­ti­on von Thea­ter und Thea­ter­kri­tik dazu füh­ren, gemein­sam in einen nicht rei­ßen­den, son­dern eher müden und ermü­den­den Abwärts­stru­del gera­ten, der bei­de an ein abseh­ba­res Ende bringt. Vor eini­gen Wochen schrieb Jür­gen Ber­ger auf der Sei­te des Goe­the-Insti­tuts einen Arti­kel mit dem Titel „Eine Fra­ge der Zeit – Print oder Online und wie das Inter­net die Thea­ter­kri­tik ver­än­dert“, der fol­gen­der­ma­ßen beginnt:

Dass sich Tei­le der Thea­ter­kri­tik ins Inter­net ver­la­gern, ist unauf­halt­sam. Allei­ne der all­mäh­li­che Abbau der Thea­ter­kri­tik vor allem in regio­na­len Print­me­di­en hat zur Fol­ge, dass eine Leer­stel­le ent­steht. Das spü­ren vor allem die Thea­ter jen­seits der Metro­po­len, die immer weni­ger im Feuil­le­ton auf­tau­chen. Es hat aber auch zur Fol­ge, dass immer weni­ger jun­ge Nach­wuchs­jour­na­lis­ten sich schrei­bend als Thea­ter­kri­ti­ker erpro­ben kön­nen. Die ein­zi­ge Aus­weich­mög­lich­keit: Das Inter­net. (Quel­le)

In der Fol­ge ver­brei­tet er sich über Kul­ti­ver­sum und Nacht­kri­tik und fled­dert ein wenig an der jour­na­lis­ti­schen Qua­li­tät der Kri­ti­ker und ihrer Tex­te her­um. Vie­les von dem, was er schreibt, ist nicht falsch. Eini­ges rich­tig. Es bleibt aller­dings an ober­fläch­li­chen Phä­no­me­nen und Geschmacks­kri­ti­ken an den geschmäck­le­ri­schen Kri­ti­ken hän­gen. Es ist ein­fach nicht zu erwar­ten, dass Schrei­ber, die mit einem Stun­den­satz von Gebäu­de­rei­ni­gungs­per­so­nal (Hono­rar für eine Kri­tik 60 € laut Esther Sle­vogt hier) abge­speist wer­den (und dar­auf läuft es in etwa hin­aus, betrach­tet man den gesam­ten Zeit­auf­wand für eine Kri­tik), eine refle­xi­ve Qua­li­tät ablie­fern, die haupt­be­ruf­li­chen oder nach Zei­tungs­sät­zen bezahl­ten Frei­en eig­net. Nacht­kri­ti­ken zu schrei­ben kann nur Hob­by sein oder die Mög­lich­keit, kos­ten­los ins Thea­ter zu kom­men. Aber das ist geschenkt und sei dahin gestellt.

Von Ver­schwin­den der Zeitungskritik

Inter­es­san­ter fin­de ich sei­ne Asser­ti­on, dass das schwin­den der Kri­ti­ken aus Zei­tun­gen eine unum­kehr­ba­re Bewe­gung sei – und sie ist fatal. Aus zwei­er­lei Grün­den. Zum einen zeigt sich an dem feh­len­den Auf­schrei der Leser­schaft, dass Thea­ter­kri­ti­ken schon längst nicht mehr als wesent­li­cher Bestand­teil der Zei­tungs­lek­tü­re bei Otto und Otti­lie Nor­mal­le­ser gel­ten. Thea­ter­kri­tik ist kein Kern­be­stand von Zei­tun­gen – höchs­tens eine Art Kol­la­te­ral­in­for­ma­ti­on, die » Read the rest of this entry «

Warum es für die Theater um Leben und Tod geht — Teil 3

Mai 19th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Warum es für die Theater um Leben und Tod geht — Teil 3 § permalink

In den letz­ten bei­den Pos­tings ver­such­te ich zu zei­gen, wie Stadt­thea­ter einer­seits sei­ne Funk­ti­on in der Abend­un­ter­hal­tung ein­ge­büßt hat, ande­rer­seits sei­ne Funk­ti­on für die Kon­sti­tu­ti­on einer städ­ti­schen Bür­ger­lich­keit ver­lor. Im drit­ten Teil möch­te ich nun dar­auf ein­ge­hen, inwie­fern Thea­ter auch das Thea­ter­haf­te, das Spek­ta­ku­lä­re ein­ge­büßt hat.

Der Ver­lust des Spektakulären

Dem Thea­ter eig­ne­te in sei­nen Hoch­zei­ten das Spek­ta­ku­lä­re, das sich noch in Spu­ren in der Oper der Gegen­wart wie­der­fin­det. Zu sei­nen Hoch­zei­ten war Thea­ter eine mul­ti­me­dia­le tech­ni­sche Meis­ter­leis­tung. Nicht nur der Dar­bie­ten­den, son­dern auch der Büh­nen- und Beleuch­tungs­tech­nik. Rasche Ver­wand­lun­gen, Dreh­büh­nen, Schie­be­büh­nen, beweg­li­che Pla­fonds und Heer­scha­ren von Büh­nen­ar­bei­tern schu­fen in Minu­ten­schnel­le sze­ni­sche Zau­ber­kunst­stü­cke. Ein glei­ßend erhell­ter Zuschau­er­raum konn­te mit Gas- oder Elek­tro­be­leuch­tung ins Dun­kel gehüllt, die Büh­ne mit Licht‑, Feu­er- » Read the rest of this entry «

Warum es für die Theater um Leben und Tod geht — Fortsetzung

Mai 18th, 2011 § 2 comments § permalink

Im vor­he­ri­gen Pos­ting habe ich dar­zu­le­gen ver­sucht, in wel­cher Wei­se Thea­ter sei­nen Stel­len­wert als nahe­zu mono­plois­ti­scher Anbie­ter von Abend­un­ter­hal­tung ein­büß­te. Jetzt will ich ver­su­chen zu zei­gen, wie das Thea­ter auch sei­ne Funk­ti­on als Kon­sti­tu­ent einer städ­ti­schen Bür­ger­ge­sell­schaft einbüßte.

Das Ende des Bürgertheaters

Thea­ter war für das ent­ste­hen­de Besitz­bür­ger­tum des 19. Jahr­hun­derts zugleich der Ort, sich reprä­sen­ta­tiv aus­zu­stel­len und den eige­nen Wohl­stand unter Sei­nes­glei­chen zu zei­gen. Wie zuvor der Adel sich bei Fes­ti­vi­tä­ten in Gala warf und sich zeig­te (ohne dass dabei unbe­dingt der Besitz zum aus­schlag­ge­ben­den Reprä­sen­ta­ti­ons­fak­tor wur­de), so zeigt sich nun­mehr das Bür­ger­tum, der klei­ne und mitt­le­re Finanz­adel sei­nes­glei­chen und reprä­sen­tiert den eige­nen Wohl­stand in ver­gleich­ba­ren Krei­sen. Wäh­rend sich zuvor loka­le Gemein­schaf­ten in Kirch­ge­mein­den, auf Volks­fes­ten, auf Märk­ten und ande­ren öffent­li­chen Ver­samm­lungs­or­ten kon­sti­tu­ier­ten, kon­sti­tu­ier­te sich nun­mehr inner­halb der städ­ti­schen Gesell­schaft eine Groß- und spä­ter auch Klein­bür­ger- und Arbei­ter­ge­sell­schaft im Theater.

Wie­der­be­schwo­ren als ver­lo­re­nes Ide­al nach der 48er-Revo­lu­ti­on, wird das Volks­stück zum iden­ti­fi­ka­to­ri­schen Sym­bol einer ent­ste­hen­den urba­nen » Read the rest of this entry «

Warum so viele Klassikerinszenierungen: Die Todsünden des Theaters (Antwort auf Nora Decker)

April 11th, 2011 § 3 comments § permalink

Die Schau­spiel­stu­den­tin Nora Decker hat mir eine Fra­ge gemailt, die nur auf den ers­ten Blick oft gehört und wie ein miso­thea­tra­ler Stoß­seuf­zer erscheint:

war­um wer­den sovie­le büh­nen­klas­si­ker insze­niert (shake­speare, goe­the, ibsen, usw.)?

gab es nicht eine zeit, in der stü­cke geschrie­ben u auf die büh­ne gebracht wur­den und gebrauch­te stü­cke im schrank blieben?

und wenn ja, war­um ist das nicht mehr so, war­um sieht die hit­lis­te der spiel­plä­ne so aus? :

1 Faust (Goe­the)
2 Der Gott des Gemet­zels (Reza)
3 Romeo und Julia (Shake­speare)
4 Ein Som­mer­nachts­traum (Shake­speare)
5 Kaba­le und Lie­be (Schil­ler)
6 Klamms Krieg (Hen­sel)
7 Wert­her (Goe­the)
8 Sze­nen (Lori­ot)
9 Die Räuber (Schil­ler)
10 Maria Stuart (Schil­ler)
11 Nathan der Wei­se (Les­sing)
12 Der zer­broch­ne Krug (Kleist)
13 An der Arche um acht (Hub)
14 Ham­let (Shake­speare)
15 Die Grönholm-Methode (Gal­ceran)
16 Der Men­schen­feind (Molière)
17 Ladies Night (Sinclair/McCarten)
18 Bud­den­brooks (Mann/Düffel)
19 Wer hat Angst vor Vir­gi­nia Woolf? (Albee)
20 Micha­el Kohl­haas (Kleist)

Ich fin­de die Fra­ge rele­vant. Und möch­te sie des­we­gen nicht per Mail son­der mit einem Pos­ting beantworten.

Erster Ansatz: Der Markt

Man könn­te es sich ein­fach machen und ange­bots­öko­no­misch argu­men­tie­ren: „Nun­ja, es gibt halt nicht genug Nach­schub, der insze­niert wer­den könn­te.“ Das ist kein Argu­ment: Öko­no­mi­schen Regeln fol­gend, müss­te eine Nach­fra­ge sich ein Ange­bot erschaf­fen. Übri­gens: Das tut es sogar.

Zweiter Ansatz: Der Wahrnehmungsfehler

Tat­säch­lich gab es in den letz­ten Spiel­zei­ten so vie­le Urauf­füh­run­gen wie ver­mut­lich nie in der Thea­ter­ge­schich­te zuvor (Werk­sta­tis­tik Büh­nen­ver­ein 2008/09: 609 Ur- und Erst­auf­füh­run­gen!). Also: „Wahr­neh­mung öff­nen und sehen, dass die Behaup­tung falsch ist.“

Sie ist aller­dings nicht falsch. Die von den Batt­le­group-Autoren vor­ge­tra­ge­ne Behaup­tung, es gäbe zwar einen unstill­ba­ren Hun­ger nach Urauf­füh­run­gen, die zumeist von Jung­re­gis­seu­ren auf Werk­statt­büh­nen ver­heizt wür­den, trifft zu. Und sie ändert nichts an der Situa­ti­on, dass unter dem Deck­män­tel­chen des „Wir spie­len ja Neu­es“ tat­säch­lich eine basalt­e­ne Grund­struk­tur der Klas­si­ker­in­sze­nie­run­gen zu fin­den ist (2008/9 wur­den ins­ge­samt 3.710 Wer­ke laut Büh­nen­ver­ein auf­ge­führt – ein Sechs­tel also nur neue Tex­te, 3.100 nicht­neue Wer­ke bei ins­ge­samt 7.090 Insze­nie­run­gen, von denen dann die „neu­en“ Stü­cke, die zumeist nur ein­mal insze­niert wer­den, gera­de ein­mal  8,6% sind), in die nur gele­gent­lich eini­ge „embedded aut­hors“, die als Dra­ma­tur­gen oder ähn­li­ches im Betrieb durch­ge­nu­delt wer­den, inte­griert sind.

Der groß­ar­ti­ge, hier (lei­der offen­bar nicht mehr) blog­gen­de Frank Kroll vom Hen­schel-Schau­spiel­ver­lag hat sich vor eini­gen Jah­ren die Mühe gemacht, die Büh­nen­ver­eins-Sta­tis­tik jen­seits des ers­ten posi­ti­ven Ein­drucks nach­zu­rech­nen und kommt zu dem Ergebnis:

Zwar ist, abso­lut be­trach­tet, die Zahl der ur- und erst­auf­ge­führ­ten Wer­ke seit Beginn der 90er Jah­re um etwa ein Drit­tel ange­stie­gen, im sel­ben Zeit­raum redu­zier­te sich die durch­schnitt­li­che Vor­stel­lungs­zahl pro Werk jedoch um ein höhe­res Maß. Immer mehr Wer­ke wer­den von den Thea­tern «ent­deckt», erle­ben dann aber immer weni­ger Auf­füh­run­gen. Die Aus­ein­an­der­set­zung mit neu­er deutsch- und fremd­spra­chi­ger Dra­ma­tik sta­gniert wei­ter­hin auf einem nied­ri­gen Level. Den viel­be­schwo­re­nen «Hype» mit Neu­er Dra­ma­tik hat es nie gege­ben. Zwi­schen der Selbst­dar­stel­lung der Thea­ter und dem tat­säch­li­chen Büh­nen­ge­sche­hen besteht eine deut­li­che Dis­kre­panz. (Quel­le)

Nur weil Buch­händ­ler auch lus­ti­ge Gruß­post­kar­ten an der Kas­se ver­kau­fen wer­den sie noch lan­ge nicht zu Gruß­post­kar­ten­ge­schäf­ten. Das „Kern­ge­schäft“ der Thea­ter ist und bleibt die bis zu Erbre­chen wie­der­hol­te Klas­sik. Warum?

Dritter Ansatz: psycho-ethisch

Tat­säch­lich begrün­det sich die­ses Ver­hal­ten aus fünf künst­le­ri­schen Tod­sün­den: Faul­heit, Feig­heit, Dumm­heit, Eitel­keit und Geiz. Und zwar so: » Read the rest of this entry «

Theatersterben: Zur Kritik des reinen Vergnügens

April 11th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Theatersterben: Zur Kritik des reinen Vergnügens § permalink

Ein kur­zer Mail­wech­sel mit Oli­vi­er Garo­fa­lo bringt mich dazu, nicht nur zum Haupt­the­ma die­ses Blogs – dem Thea­ter – zurück zu keh­ren. Son­dern direkt zu fun­da­men­ta­len Fra­gen des Gegen­warts­thea­ters zu kom­men. In der Mail von Garo­fa­lo fin­det sich die­se pro­vo­kan­te Frage:

die wich­tigs­te Fra­ge ist wohl, ob der Inhalt
ver­schwin­det, weil das Publi­kum in den heu­ti­gen Zei­ten in ihrer Freizeit
nicht mit Fremd­ge­dan­ken belas­tet wer­den wol­len, oder ob beson­ders die
Schau­spiel- und Regie­schu­len nur Ästhe­tik leh­ren (weil das freie Den­ken eh
nicht bei­bring­bar ist). Wahr­schein­lich bei­des und mit­ten­drin die Kritik,
die ihre Mass­stä­be an der Kunst mes­sen und eben nicht am Inhalt.

Garo­fa­lo nimmt damit drei Betei­lig­te als poten­zi­el­le Akteu­re auf: Publi­kum, Thea­ter­schu­len und Kri­tik. Das ist inso­fern span­nend, als die Dis­kus­si­on nicht sofort Inten­dan­ten, Dra­ma­tur­gen und Regis­seu­re in den Blick und Angriff zu neh­men ver­sucht. Son­dern die Ent­ste­hungs­be­din­gun­gen einer bestimm­ten Gesamt­si­tua­ti­on auf schein­ba­re Rand­be­din­gun­gen zurück­führt – was Sinn macht.

Das Publi­kum

Ist das Publi­kum bzw. sind die Zuschau­er Akteu­re in einem Sinn, der sie mit­ver­ant­wort­lich für das Elend gegen­wär­ti­gen Thea­ters macht? Was will „das Publi­kum“? Ein gro­ßer, ein­fluss­rei­cher Teil des aktu­el­len Publi­kums for­dert offen­bar „werk­treue“ Insze­nie­run­gen von Klas­si­kern. Sie wol­len Muse­um. Iden­ti­sche Repro­duk­ti­on der eige­nen Vor­stel­lun­gen des­sen, was „die alten Meis­ter“ schrie­ben, woll­ten, vor­stell­ten. Die­se Debat­te ist nicht tot zu bekom­men. Und Thea­ter tun die­sem Publi­kum ja den Gefal­len. Man spielt die Klas­si­ker. Und wenns kei­ne » Read the rest of this entry «

Theoros und Beobachter: Nachtrag

Oktober 30th, 2010 § 5 comments § permalink

Mir fiel gera­de ein, dass sich der zuletzt hier beschrie­be­ne Riss in der Wahr­neh­mung, den das Bewußt­sein, es mit Thea­ter zu tun zu haben, mit sich bringt, viel­leicht zwei­er­lei Ver­wandt­schaf­ten aufweist:

Nimmt man Kus­anow­skis Unter­schei­dung von Per­for­mat und Doku­ment (hier und in zahl­rei­chen wei­te­ren Pos­tings) auf, müss­te man text­ge­bun­de­nes Thea­ter (also das Thea­ter der euro­päi­schen Tra­di­ti­on) als ein kom­ple­xes Spiel zwi­schen die­sen bei­den betrach­ten. Denn das geschrie­be­ne und doku­ment­för­mi­ge “Werk-Stück “wird in der Per­for­mance schein­bar zum Per­for­mat. Es liegt aber — für den um Thea­ter wis­sen­den Beob­ach­ter — ein Text zugrun­de. Die­se Text­grund­la­ge sorgt — neben ande­rem — dafür, dass der Beob­ach­ter die Auf­füh­rung als nicht mehr blo­ßes Per­for­mat, son­dern als text­re­la­tiv und damit zumin­dest doku­men­ta­risch betrach­tet. “Doku­men­ta­risch” heißt damit aller­dings eben nicht — wie es die mime­sis-Theo­rie annimmt — dass ein bestimm­ter Aus­schnitt der Wirk­lich­keit hier nach­ge­ahmt wird, also Thea­ter ein Doku­ment aus dem gesche­he­nen Per­for­mat erzeugt. Son­dern dass es durch Bezug auf den — von Werk­treue-Anwäl­ten ja ger­ne laut­stark pos­tu­lier­ten — Bezug auf das Text-Doku­ment einen doku­men­ta­ri­schen Touch erhält. Es ist aller­dings jeder­zeit weni­ger doku­men­ta­risch als das Text­do­ku­ment (oder die als Rück­zugs­po­si­ti­on gebuch­te “Inten­ti­on des Autors, die sich im Text doku­men­tiert), son­dern durch den Über­gang in die Per­for­mance wird es not­wen­di­ger­wei­se ein per­for­mier­tes Doku­ment. Zugleich ist es für den­je­ni­gen, der vom Text nichts weiß, dem aber gesagt wird, dass es sich um Thea­ter han­delt, mehr Doku­ment als das vor Beginn und nach Ende der Vor­stel­lu­ung Erleb­te, da es sich gewis­sen Kate­go­rien fügr, die die Dra­ma­tur­gie ein­führt. Oder der mythos.

Ers­te Verwandtschaft:

Dem baro­cken Glau­ben, hin­ter der wech­sel­haf­ten Natur lie­ge ein gött­lich geschrie­be­nes Buch (und sei es in mathe­ma­ti­scher Spra­che geschrie­ben), lässt die Begeis­te­rung für das Thea­ter viel­leicht ver­ständ­lich wer­den, weil Thea­ter hier als Modell fun­giert, das sich in der Welt-Theo­rie wie­der­fin­det, sofern man » Read the rest of this entry «

Das Dokument, die Werktreue, die klassische Dramaturgie

August 27th, 2010 § 3 comments § permalink

In dem Pos­ting “Gog­le Street­view — Zur Unter­schei­dung von Doku­men­ta­ti­on und Simu­la­ti­on des Rau­mes 8” (hier) lis­tet Klaus Kus­anow­sy vier Kri­te­ri­en der Doku­ment­form auf. Die­se sind:

  • Linea­ri­tät
  • Kau­sa­li­tät
  • Sequen­zia­li­tät
  • Iden­ti­tät

Spnan­nen dar­an ist für mich zwei­er­lei. Zum Einen sind die­se Kri­te­ri­en — ver­mut­lich in ande­rem Ver­ständ­nis als bei Kus­anow­sky — sehr pas­send auf die klas­si­sche Dra­ma­tur­gie anwend­bar, die sich durch Linea­ri­tät, Kau­sa­li­tät und Sequen­zia­li­tät sehr gut cha­rak­te­ri­sie­ren lässt. Die “Iden­ti­tät” ist ein eher schil­lern­des Ele­ment. Denn die klas­si­sche Dra­ma­tur­gie legt die figu­ra­le oder per­so­na­le Iden­ti­tät zugrun­de. Schon durch die Auf­lis­tung eines dra­ma­tis per­so­na, das durch Namens­zu­schrei­bung per­so­na­le Arte­fak­te erschafft, die durch die Namen wie­der­erkenn­bar sind und sich durch die Hand­lun­gen und Äuße­run­gen cha­rak­te­ri­sie­ren — wobei die Auf­füh­rung den Lese­pro­zess umkehrt, die zuneh­men­de Cha­rak­te­ri­sie­rung durch das Lesen (das den Cha­rak­ter erst am Ende ken­nen kann) durch den Dar­stel­ler schon von der ers­ten Minu­te vor­weg­neh­men lässt und durch Aus­stat­tung, Mas­ke, Kos­tüm bereits von Anfang an charakterisiert.

Schil­lern­der aber ist die “Iden­ti­tät” zudem im Zusam­men­hang mit der häu­fig von Beob­ach­tern gefor­der­ten “Werk­treue” der Auf­füh­rung, die das Ansin­nen hat, das doku­men­tier­te Werk bzw. das im Werk Doku­men­tier­te treu auf der Büh­ne wie­der­zu­ge­ben. Eine Iden­ti­tät der Schrift und der Auf­füh­run­gen, wobei unter­stellt » Read the rest of this entry «

Postdramatik und Transmedia storytelling

August 3rd, 2010 § 2 comments § permalink

In einem Pos­ting von Tho­mas Knü­wer (hier) bin ich über das enorm inter­es­san­te Kon­zept von “Trans­me­dia sto­rytel­ling” gestol­pert. Das ist und ist zugleich nichts Neu­es. Neu ist es inso­fern, als es bis­he­ri­gen Medi­en­ver­knüp­fun­gen (Roma­fi­gur im Kino­film, in Fern­sehs­eh­rie, in Comic, im Radio — den­ken wir an Super­man besi­pi­els­wei­se) eine sehr sehr span­nen­de Dre­hung gibt. Ich zitie­re Knüwer:

Eine TV-Serie wird künf­tig nicht mehr nur eine TV-Serie sein. Sie ist gleich­zei­tig ein Comic­heft, ein Video­spiel, eine Flut von Inter­net-Sei­ten. Was mög­lich ist, zeig­te “Heroes”: Die Serie um Men­schen, die unver­hofft zu Super­kräf­ten kom­men, fand wäh­rend ihrer US-Aus­strah­lung mul­ti­me­di­al statt. Da konn­ten Fans über mög­li­che neue Super­kräf­te bestim­men, die Comic-Hef­te auf dem Bild­schirm waren tat­säch­lich zu haben, wer eine bei­läu­fig in der Hand­lung auf­tau­chen­de Tele­fon­num­mer wähl­te, lan­de­te tat­säch­lich bei einem Anruf­be­ant­wor­ter jener Fir­ma, die in der Hand­lung auf­tauch­te. Und natür­lich hat­te die schon eine Home­page. Auch die BBC ver­sucht sich schon in die­sem Feld, ihr Sci­ence-Fic­tion-Dau­er­bren­ner “Dr. Who” bekommt ver­stärkt Videospiel-Ableger.

Nicht ganz neu ist ein sol­ches Kon­zept, weil es in gro­ßen “Alter­na­te Rea­li­ty Games” (Wiki­pe­dia) bereits mit gigan­ti­schem Erfolg prak­ti­ziert wur­de. Vor zwei oder drei Jah­ren hat mich selbst ein groß­ar­ti­ges, über Web­sei­ten und Han­dy gespiel­tes Game von Stel­la Artois gefes­selt. Das Span­nen­de dar­an ist die Phan­ta­sie­welt, die im Kopf ent­steht. Das Netz an Rea­li­tät, des sich über die Rea­li­tät legt. Der Film “The Game” mit Micha­el Dou­glas gibt eine gute Vor­stel­lung von einem sol­chen Spiel im Extrem. Und als “vira­le Mar­ke­ting­kam­pa­gne” bewarb War­ner den Film “The Dark Knight” mit einem genia­len trans­me­dia­len Alter­na­te Rea­li­ty “Game”:

Bevor ich jetzt ver­ges­se, was ich eigent­lich sagen woll­te: Trans­me­dia­les Thea­ter. » Read the rest of this entry «

“Autorenbefragung” — schön wärs ja

Juli 30th, 2010 § Kommentare deaktiviert für “Autorenbefragung” — schön wärs ja § permalink

Ein Tweet des Anhal­ti­ni­schen Thea­ters hat mich zunächst in die fal­sche Rich­tung geschickt — dann auf eine Idee gebracht. Das war der Tweet:

“Autoren­be­fra­gung” — span­nend. Dra­ma­ti­ker und Kom­po­nis­ten wer­den befragt, um das bes­te Thea­ter zu bestim­men? Toll. Wer mag da gewon­nen haben? Tat­säch­lich han­delt es sich aller­dings lei­der nur um eine Befra­gung der Autoren(!) des Thea­ter­ma­ga­zins “Deut­sche Büh­ne”(Link). Schön, das die ein Thea­ter wäh­len. Wie aber wärs denn, Autoren wirk­lich zu befra­ge? Also: Thea­ter­au­to­ren. Kom­po­nis­ten. Fänd ich super. Müss­te mal schau­en, über wen man das vor­an­trei­ben könn­te. Thea­ter der Zeit? Dra­ma­tur­gi­sche Gesell­schaft? Mal schau­en ob sich jemand fin­det. Platt­form dafür ist schnell gebastelt.

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