Juni 17th, 2013 § § permalink
In Istanbul und Stuttgart werden Park-Naturoasen tapfer verteidigt – während die Abholzung von theatralen Kulturoasen in Trier, Dessau und anderswo vergleichsweise still über die Bühne gehen. Während wir vor dem Fernseher hockend täglich Bilder sehen, wie in Istanbul Parkanlagen gegen den Zugriff des Staates verteidigt werden und die Zentralmacht in die Krise gerät, scheint in Deutschland die Fällung der deutschen Theaterlandschaft weitgehend unspektakulär abzulaufen. Wird eine, auch nur als innerstädtische Parkinszenierung vorhandene, Um- oder Lebenswelt angegriffen, sind Bevölkerungen – wie schon in Stuttgart vor einigen Jahren – bereit auf die Barrikaden zu gehen und die Macht dazu zu zwingen, sich zur Sichtbarkeit zu entstellen, Schlagstöcke, Tränengas, Wasserwerfer einzusetzen. Hingegen sind Angriffe auf die gesellschaftliche Mitwelt und ihre Institutionen weitgehend widerstands- und protestfrei. Das Leben oder die Lebensgrundlage von Menschen einzuschränken mag hingehen – aber wehe, es geht Parks und Bäumen an die Borke. Wäre geleakt worden, dass die USA ein weltweites Entlaubungsprojekt unter dem Namen Prism gestartet hätte: Millionen wären auf den Straßen. Die Ausspähung der weltweiten Kommunikation – zieht nur eine ironisch-larmoyante Melancholie nach sich. Oder findet gar Befürworter in bedeutendem Umfang (die sicherlich anders reagierten, wäre bekannt geworden, dass deutsche Finanzämter sämtliche Geldströme und Konten ausspionierten … aber das ist ein anderes Thema.
In Trier, Sachsen-Anhalt und anderswo sind die Theaterinstitutionen in ihrer Existenz bedroht. Dagegen steht man ein bisschen auf: Zeichnet Online-Petitionen (immerhin ein erklecklicher Teil der Trierer Bevölkerung „unterschreibt“ gegen die diskutierte Verstümmelung oder Hinrichtung des dortigen Dreispartenhauses) oder veranstaltet Protestaktionen (etwa in Dessau und Eisleben). Von bedeutenden Protesten, wie weiland noch zur Schließung des Schillertheaters, ist kaum zu reden. Umweltverteidigung ruft die Menschen auf die Straße – Mitweltverteidigung kaum.
Um es vorweg zu sagen: ich bin mit den konkreten Verhältnissen in Trier und Dessau ebenso wenig vertraut, wie mit denen in Istanbul. Es sind für mich lediglich medial vermittelte Vorgänge. Aber das, was in den Medien zu finden ist und wie sich Medien dazu positionieren, kann als Anhaltspunkt dienen, um die folgende, ins Allgemeine gehende Stellungnahme zu ermöglichen.
An der Situation, dem eher mauen Widerstand gegen Theaterschließungen im Vergleich zu Parkabholzungen, sind die Theaterleute selbst nicht unschuldig. Dass an Theatern Protestformen genau in dem Augenblick gefunden werden, da es ans eigene Leder geht, während alle anderen zerstörerischen Akte die schönen Spielpläne nicht wirklich aus der Bahn werfen, lässt den Verdacht eines jämmerlichen Egoismus aufkeimen. Warum sollten Hartz 4‑Empfänger sich dafür einsetzen, dass Theater am Leben gehalten werden – wo waren die Theater, als den Hartz 4 Empfängern das Leben beschnitten wurde? Wo waren damals die kreativen Widerstandsformen, mit denen jetzt der eigene Fortbestand gesichert werden soll? Wo ist der kreative Widerstand gegen Prism?
Dass die Bäume dagegen sind, abgeholzt zu werden, ist keine Überraschung. Die Kunst besteht darin, die Menschen gegen die Abholzung der Bäume und der Theater auf den Plan zu rufen. Und zwar indem Theater seine eigene Funktion in der Gesellschaft wiederentdeckt – bevor es ihm selbst an die Budgets geht. Ein Theater, das die „Ästhetik des Aufstands“ (Lehmann) erst entdeckt, wenn es darum geht, die Macher zu verteidigen, wird keine Allianzen und Verteidiger von außerhalb finden, die mehr als ein müdes „Och, nö. Wär schade.“ als Protest artikulieren.
Aber das ist eigentlich nicht das Thema dieses Postings – und dann am Ende wieder doch. Von den Bäumen zu Baumol. Damit zu dem Thema, warum die Auseinandersetzung mit Ökonomie und Ökonomismus nicht halt machen kann beim Kampf um die eigenen Theateretats. Und warum ein aktiver und kreativer Widerstand gegen die Ökonomisierung der Lebensverhältnisse zu spät kommt, wenn es erst um die Verteidigung der eigenen Budgets geht.
Das Kostendilemma der „performing arts“.
Als ich am Wochenende die leicht irrsinnige Präsentation der Unternehmensberatung ICG zur Zukunft des Trierer Theaters auf Twitter geshared habe (hier die Präse), bekam ich von @Fritz dankenswerterweise den Hinweis auf eine Publikation aus dem Jahr 1966: William J. Baumol & William G. Bowen: Performing Arts-The Economic Dilemma: A Study of Problems Common to Theater, Opera, Music and Dance. Das Buch kostet antiquarisch leider über 8000 Euro – deswegen bin ich auf andere Quellen angewiesen. Etwa den von @Fritz geschickten Link zu James Heilsbruns Artikel Baumol’s Cost Disease (hier als PDF) und den knappen Wikipedia-Eintrag zur „Baumol’schen Kostenkrankheit“ hier.
Baumols und Bowens Ausführungen sind von enormer Brisanz, da sie zeigen, dass kontinuierliche Kostensteigerungen an Theatern kein Problem ist, dem man wirklich begegnen könnte, sondern (und ich benutze diesen Begriff für ökonomische Zusammenhänge nur sehr ungern, halte ihn hier aber » Read the rest of this entry «
Mai 16th, 2013 § § permalink
Die Telekom versteht sich traditionell als Verbinder zwischen zwei Punkten: Erleben, was verbindet — lautet ihr Claim. Das hat sie seit ewigen Zeiten gemacht, da sie Kabel in der Erde vergrub. Sie scherte sich wenig darum, dass es zwei Endpunkte gab und was diese Endpunkte miteinander zu tun hatten. Die Kosten zu tragen hatte, wer den Hörer in die Hand nahm, um jemand anderen anzurufen. Gelegentlich auch die andere Seite. Mit den Inhalten hatte die Telekom nichts zu tun. Sie stellt einen Service bereit, der zwei Punkte zum zweck des Inhaltsaustauschs miteinander verbindet. So einfach, so blind. Telefonstrippenziehertradition mit Telefonstrippenzieherdenke und Telefonstrippenziehergebührenabrechnungsmodell.
Jenseits der Strippenzieherei
Die Telekom berechnet Gebühren für die Nutzer von Internetanschlüssen und behandelt sie wie Telefonanschlüsse: Wir verbinden, dafür bekommen wir Geld. Die Inhalte sind uns egal, dafür muss niemand bezahlen. Warum sollte die Telekom dem Enkel Geld bezahlen, weil er die Oma dazu bringt, ihn besorgt anzurufen, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen? Reicht ja, wenn der Enkel nichts zahlen muss dafür, dass er angerufen wird. Ein Webseite wie den Neffen zu behandeln ist — Telefonstrippenzieherdenke.
Um der Klarheit willen ein anderer Vergleich. Eine Zeitung. Sagen wir also, eine Zeitung sei eine gewisse Menge Papier, die jeden morgen verkauft wird. Der Zeitungsverleger ist ein Papierverkäufer. Der Käufer kauft das Papier. Dass da etwas darauf steht, das interessiert den Zeitungsverkäufer nicht. Obwohl der » Read the rest of this entry «
Mai 8th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Konferenz “Theater und Netz” startet jetzt — mit Livestream #theaterundnetz § permalink
Nach fast einem Dreivierteljahr der Vorarbeit mit Esther Slevogt und Christian Rakow von nachtkritik.de, Christian Roemer und seinem Team von der Boell-Stiftung und Milena Mushak von der Bundeszentrale für politische Bildung ist es jetzt so weit: Die Konferenz Theater und Netz startet. Und ist im Live-Stream auf nachtkritik.de zu sehen.
Heute Abend suchen Claus Peymann und Marina Weisband nach Gemeinsamkeiten und Berührungspunkten zwischen Theater- und Netzkultur. Und morgen werden in sechs Panels Gespräche über Netzgesellschaft, partizipative und interaktive Theaterformen, über Theater im Netz, Kritik im Netz und die Kritiker in der Crowd geführt. Ich freue mich darauf, die beiden letztgenannten Panels zu moderieren. Zusätzlich werden in Praxis-Workshops (komplett ausgebucht) Grundlagen-Techniken und ‑Wissen über Social Media Platformen und das Community-Management vermittelt. Das gesamte Programm, eine Übersicht über die Panelteilnehmer und Moderatoren gibts auf der Konferenz-Webseite.
Und man sollte es kaum glauben: Auch bei Konferenzen kann man Lampenfieber haben.
April 13th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Nachtrag zur Thalia-Spielplanwahl: Interview Joachim Lux § permalink
In einem gestern vom Deutschlandradio Kultur gesendeten Interview nimmt der Thalia-Intendant Joachim Lux noch einmal Stellung zu der Spielplanwahl, mit der vor anderthalb Jahren die Spielzeit 12/13 teilweise durch das Publikum gestaltet werden sollte. Die Beruhigung aller Gemüter durch die verstrichene Zeit tut der Sache offenbar gut. In dem Interview sind durchaus einige anregende Gedanken zu finden. (Interview hier als Text hier als Audio)
“Kunst und Demokratie passen einfach nicht zusammen.”
Das ist eine enorm steile These, die Lux mit der Autonomie des Künstlersubjekts begründet, das tue, was es selbst wolle, während Demokratie darin bestünde, das man tue, was andere wollten. Das klingt einleuchtend — und findet sich ja auch bestätigt in der Forschungsarbeit von Daniel Ris, der herausfand, dass sich die Theaterinstitutionen zwar in der Demokratie befinden und zur Demokratie verhalten, in ihrer internen Organisation aber dazu tendieren, nicht nur weitgehend auf demokratische Mitbestimmung zu verzichten, sondern auch ökonomische Handlungsmuster an den Tag legen, die in gleicher Weise in der freien Wirtschaft realisiert auf breite Ablehnung stoßen würden. Darüber hatte ich » Read the rest of this entry «
April 9th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Die Finanzmärkte sind die eigentliche Piratenpartei #MediaDivina § permalink
Im Posting zur Funktion des Wetterberichts für das Fernsehen hatte ich damit geschlossen, dass das Börsengeschehen inzwischen funktional die Position des Wetterberichts übernimmt. Denkt man das konsequent weiter, zeigt sich noch etwas anderes Interessantes.
Währen die Piraten noch darüber diskutieren, wie Partizipation am besten organisiert werden, wie Menschen eingebunden werden können und wie aus den heterogenen Meinungen der Vielen einfache Resultate, die als Handlungsgrundlage dienen, destilliert werden können, während also die Piraten noch reden und dabei darüber reden, wie man am besten miteinander redet – handeln die Finanzmärkte. Partizipativ. Mit unglaublich (zerstörerischer) politischer Macht, die sich aktuell gar konkretisiert in der Ablehnung der Demokratie auf einem » Read the rest of this entry «
Januar 11th, 2013 § § permalink
Was macht denn Theater aus? Was kann es denn anderes, mehr, besser als Film, Fernsehen, Internet, Videospiele? Wo liegt die Quelle einer einzigartigen Kraft des Theatrons? Natürlich in der livehaftigen Kopräsenz von Darstellern und Zuschauern. Aber was heißt das schon, wenn das Darstellungspersonal in seiner Darstellung die Livehaftigkeit auf die Simulation eines nicht vorhandenen Screens einschränkt, vor dem die Zuschauer sitzen? In dem Kopräsenz lediglich zur Störungsquelle des Darstellungspersonals durch unbotmäßiges Hüsteln, Flüstern, falsches Gnickern wird, um nicht zu reden von Chips- und Popkorntütenrascheln oder den Geräuschen eines Kaltgetränkegenusses und ganz zu schweigen von der Benutzung digitaler Kommunikationsmedien. Was bleibt von der Kopräsenz, wenn das Publikum nichts anderes ist als potenzieller Störenfried?
Chips? Handys im Zuschauerraum? Wer will das denn? Will ich das? Ich weiß es nicht. Es geht darum auch gar nicht, sondern darum, dass Theater aus seiner Hier- und Jetzigkeit nichts zu machen versteht. Und wenn die Gegenfrage „Ja wie denn“ nicht nur polemisch-rhetorisch im Raum stehen bleibt, sondern vielleicht zum Ansatz eines künstlerischen Forschungsprogrammes wird, wenn zudem das allfällige gelangweilte „machen wir doch alles schon“ weg bleibt und akzeptiert wird, dass das Publikum das, was in dieser Form stattfindet, eben noch (!) nicht » Read the rest of this entry «
Januar 10th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Theater als Ort der Reflexion über die Mitweltzerstörung — Antwort an Frank Kroll, Teil 4 § permalink
Theater ist ein Ort der Gesellschaft in der Gesellschaft, ein Ort, den sich Gesellschaft leistet und in dem sie sich Gesellschaft leistet. Ein Ort in der Gesellschaft außerhalb der Gesellschaft, vielleicht ein Heterotop, was ich vor einiger Zeit einmal hier im Blog vergleichsweise mit der Agrippa-Legende von Titus Livius verglichen hatte. Theater ist der Ort, in dem hinein man aus der Tagesgesellschaft abends hinaustritt, um in die Gesellschaft zurück zu schauen, Reflexion also nicht im einfach bewusstseinsphilosophischen, sondern im durchaus optischen Sinne, in dem sich etwas widerspiegelt, das es außerhalb der Spiegelung nicht gibt. Eine Mimesis, die nichts nach-ahmt, sondern einfach ahmt und durch den Effekt des scheinbaren „nach“ der Ahmung Erkenntnis und Vergnügen miteinander zu verbinden zu vermag. Es ist ein Spiegelbild ohne Vorbild. Aber machen wirs vielleicht auch nicht zu kompliziert. Also anders.
Seit 40 Jahren schaffen wir allmählich ein gesellschaftliches Bewusstsein über Umweltzerstörung und die ungewünschten Folgen der Manipualtion an der physischen Natur. Es ist an der Zeit, für das21. Jahrhundert neben der Umweltzerstörung auch die Mitweltzerstörung in den Blick zu bekommen, die in den letzten fünf Jahren in der sogenannten Finanzkrise ihr gesellschaftliches Fukushima » Read the rest of this entry «
Januar 8th, 2013 § § permalink
Es ist an der Zeit, dass die deutsche Gesellschaft (wenn auch nicht unbedingt wieder die Deutsche Gesellschaft) wieder einmal fragte: „Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?“.
Und bevor wir uns an die übergeordneten Fragen hinsichtlich des Menschseins begeben, ist also das „stehende“ zu befragen. Denn die zuletzt immer lauter werdende Debatte, die das sogenannte Freie gegen das sogenannte Stadttheater ausspielt, hat mehr oder minder deutlich die Frage nach diesem Stehenden gestellt, sofern das Stehende doch offenbar das alzu Beständige, das Starre, das Nicht-Bewegliche zu bezeichnen schien. Sollte eine Schaubühne also stehen oder nicht vielmehr gehen? Aber das nur als Exergue.
Wozu leisten sich Gesellschaften (ich verwende dieses Wort als leeren Begriff, der nichts meint als das, was er potenziell meinen könnte ohne doch bereits bestimmt zu sein) stehende Institutionen? Wozu dieser Bestand? Nicht wenige davon sollen widerstehen, sollen der Gang der Dinge verlangsamen und aufhalten, der ansonsten en passant zu Ergebnissen führt, die wären sie vorher bedacht worden, nicht eingetreten wären, da unerwünscht oder gefürchtet. Bauämter » Read the rest of this entry «
Januar 7th, 2013 § § permalink
Ich fürchte, die Zeit für „mal ausprobieren“, von der Frank Kroll schreibt, läuft ab. Es geht eher darum, neue Möglichkeiten entschlossen zu ergreifen, um Theater die Kraft (wieder) zu geben, die es hatte oder haben könnte. So menschlich verständlich es ist, dass das Führungspersonal nach jahrzehntelanger Belagerung durch Budgetsparer und Etatkürzer Ermüdungs- und Verschleißerscheinungen zeigt, so inakzeptabel ist es für die Institution und Kunst des Theaters. Es kann nur die Macht der Gewohnheit sein, die den Blick für den Dornröschenschlaf verschleiert, in dem Theater sich befinden. Und der, in dieser Form fortgesetzt, allmählich und unbemerkt in einen Big Sleep übergeht. Es ist eben nicht edler, die Pfeil und Schleudern des Geschicks zu dulden, sondern sich zu waffnen gegen diese See der Plagen und durch Widerstand sie zu beenden. Welchen Weg der Widerstand einschlagen soll – das mag jedes einzelne Theater für sich entscheiden. Nur Widerstand gegen Kameralisten zu leisten aber heißt, die Kräfte auf die falsche Flanke zu konzentrieren. Hier ist nichts zu gewinnen. Schon gar nicht durch späthoneckerhafte „Theater muss sein“ Aufkleber auf Autos.
Die Belagerungssituation entsteht ja nicht etwa aus übermächtigen Gegnern, sondern sie ist selbstgemachter Unbeweglichkeit geschuldet. Allerdings gemischt mit dem fehlenden Blick für mögliche Allianzen – und dazu zähle ich eben die Schreiber (formerly known as Autoren). Nicht in der Form einer Wiedereinsetzung » Read the rest of this entry «
Oktober 9th, 2012 § § permalink
Jawoll, recht so. Die Faulpelze aus den Südländern, die eigentlich nichts anderes tun, als am Strand rumzulungern, Wein zu verkonsumieren und den Staat auszuplündern haben es nicht anders verdient, als im Namen einer kosmisch-monetären Gerechtigkeit jetzt die Rechnung zu begleichen. Während die deutschen Ameisen Sommers wie Winters geschuftet haben, um ihren Bau gegen jedes Wetter abzusichern, haben diese Südländer da wie die fabelhafte Grille nur gezirpt und gesungen. Jetzt im Winter – sollen sie hungern.
Das ist der Duktus, der der Öffentlichkeit als herrschende Erzählung weißmachen soll, warums denen da jetzt so dreckig gehen muss, wie es ihnen geht. Und genau mit dieser Legende, die in ihrer historischen Wirkmacht der Dolchstoßlegende gleichkommen dürfte, wird verschleiert, was sich da tatsächlich abspielt. Nicht dass ich ich etwa als gelehrter ökonomischer Scholastiker in der Lage wäre, all das more oeconomico auseinanderzunehmen und anders zu erklären. Das tun zu wollen, hieße ja, sich diesem Diskurs so weit anzuverwandeln, dass der Blick sich notgedrungen verschleiern muss. Ignoranz ist vielmehr das Gebot der Stunde – und die Reduktion der Betrachtung des Ökonomischen auf ein – so weit möglich – Außerhalb des ökonomischen Diskurses. Und der geht so:
Die unverantwortlichen Schuldenmacher?
Massenblättchen erzählen gerne Geschichten darüber, wie pomfortionös die Misswirtschaft in dem Land ist, das vor noch nicht allzu langer Zeit als Wiege der europäischen Hochkultur gefeiert wurde (N.B. wärs andersrum, die griechischen Zeitungen könnten sicherlich genüsslich aus den Jahresberichten des Deutschen Bundesrechnungshofes zitieren,von Berliner Flughäfen und Ähnlichem wollen wir nicht weiter reden…). Schauen wir uns die Zahlen an:
Zweierlei fällt daran auf:
- So wahnsinnig groß ist der Ausschlag der PIIGS-Staaten nicht. Im Vergleich zu Japan sind diese vielmehr ausgesprochene Sparbrötchen.
- Die Knicks in den Kurven liegen in genau den Jahren nachdem festgestellt wurde, dass diese Länder gar so überschuldet sind und deswegen sparen müssen. Also: Die Verschuldungquote explodiert, seit festgestellt wurde, dass die Länder zu verschuldet sind und von den nicht demokratisch gewählten Institutionen wie der Troika dazu angehalten werden, weniger Schulden zu machen und die Staatshaushalte zu reduzieren. Das scheint ja ganz großartig zu funktionieren.
Um Schulden abzutragen – arbeitet man am besten weniger?
Ein anderes Diagramm, das ebenfalls auf Daten der Weltbank beruh, zeigt, dass die Folgen sich als Arbeitslosigkeit ausdrücken. Insbesondere Spanier zahlen den Preis für die angebliche Schluderei mit Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit? Wie soll durch steigende Arbeitslosigkeit eigentlich der ach so skandalöse Schuldenberg abgetragen werden?
Sind die Faulpelze so faulpelzig, dass sie sich jetzt gar nicht mehr von der Playa fortbewegen wollen? Und sorgt das dann dafür, dass die Wirtschaft besser läuft? Schauen wir mal:
Ach so, bis 2007 war in all den faulpelzigen Ländern noch ein ganz ordentliches BIP-Wachstum zu finden. Dann erst brach es ein. Und seit Griechenland unter dem Diktat der Troika steht, geht’s mal richtig abwärts. Da regiert mit Antonis Samaras immerhin ein Ökonom, ein Experte. Wie auch in Italien, wo der Goldman-Sachs-Berater Mario Monti dafür sorgt, dass die Wirtschaft … brummelt. SpOn schriebs vor drei Wochen: Im Jahr 2012 schrumpft die italienische Wirtschaft um 2,6%. Im Jahr 2013 (Prognose, Prognose) soll sie um 1,8% schrumpfen. Dabei hat doch die italienische Regierung alles getan:
Die Technokratenregierung von Ministerpräsident Mario Monti hatte gleich zu Beginn ihrer Amtszeit ein umfassendes Reformprogramm angekündigt und zum großen Teil auch durchgesetzt. Die Frühverrentung wurde eingeschränkt und die Rente mit 67 eingeführt. Gebühren und Steuern wurden erhöht, Ausgaben gekürzt. Doch die Reformen haben bisher vor allem die Wirtschaft abgewürgt. (SpOn)
Dass die griechische Technokratenregierung mit ähnlichen Reformen unter dem Diktat der Troika ähnliche Erfolge hat, können wir jeden Tag der Presse entnehmen. Zum Beispiel vorgestern im Manager Magazin: Die Wirtschaft schrumpfte 2010 um 4,9%, 2011 um 7,1%, 2012 um 6,5%. Dafür steigt die Schuldenquote auf 140% (Quelle). Hä? War nicht der Schuldenabbau das eigentliche Ziel für die „Reformen“?
Und Sparnien? Wird dieses und nächstes Jahr mehr Schulden machen. Sieben Prozent Defizit dieses Jahr, sagt der IWF. 5,7% nächstes Jahr. (SpOn) Und die Wirtschaft? Schrumpft. Dieses Jahr um 1,8%, nächstes Jahr um 1,5% (SpOn).
2007 – was war da gleich noch?
Seit 2007 geht’s abwärts. 2007? Was war da gleich noch? Ach ja, die Bankenkrise. Die mussten gerettet werden. Und dafür wurden 1,6 Billionen Euro von den europäischen Staaten aufgewendet (Quelle). 1,6 Billionen oder 13% des BIP. Was das mit dem Schuldenstand zu tun hat, erklärt die Deutsche Bundesbank:
Die deutschen Staatsschulden (Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen einschließlich der zuzurechnenden Extrahaushalte) betrugen nach vorläufigen Berechnungen zum Jahresende 2010 in der Abgrenzung des Maastricht-Vertrages rund 2,080 Billionen € beziehungsweise 83,2 % des BIP. Damit erhöhte sich der Schuldenstand gegenüber dem Vorjahr um 319 Mrd €, und die Schuldenquote nahm um fast 10 Prozentpunkte zu.
In dem starken Schuldenzuwachs spiegeln sich umfangreiche Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung in Höhe von 241 Mrd € wider, die vor allem im Zusammenhang mit den Abwicklungsanstalten FMS Wertmanagement (HRE) und Erste Abwicklungsanstalt (WestLB) standen. Die seit 2008 kumulierten Effekte von Finanzmarktstützungsmaßnahmen auf den Schuldenstand beliefen sich gemäß den derzeit berücksichtigten vorläufigen Werten auf 335Mrd € bzw. 13,4 % des BIP. Dem Zuwachs an Schulden steht dabei die Übernahme von umfangreichen Risikoaktiva gegenüber. Soweit sich die Aktiva im weiteren Verlauf verwerten lassen, wird sich dies zukünftig in einem sinkenden Schuldenstand niederschlagen. (Quelle; Hervorh. Von mir)
Toll. Die Staaten retten die Banken, nehmen dafür mehr Schulden auf, bekommen dann schlechtere Bewertungen hinsichtlich ihrer Kreditwürdigkeit – und gehen den Bach hinunter. Die Banken hingegen haben sich prächtig erholt, wie es das Quartals-Chart der Federal Deposit Insurance Corporation, der amerikanischen Einlagensicherung » Read the rest of this entry «