August 10th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Feuer in London, Finanzkrise, Erzählmacht und ctrl-Gewinn § permalink
Im Diskussionsthread meines Gastbeitrags auf nachtkritik (hier) fragte ein Kommentator, ob jene im Artikel geforderte Konzentration des Theaters auf das umgebende Gesellschaftliche in der Netzgesellschaft eine Politisierung beinhalte. Ich hatte mit einem Link auf meinen zwei Jahre alten Text Das Politische zurück ins Theater (hier downloadbar) darauf geantwortet. Dort hatte ich am Beispiel der Geschichtenerstellung rund um den Amoklauf von Winnenden zu zeigen versucht, wie sehr sich das Politische gerade in der Genese eines verbindlichen Dramas zeigt und zugleich verbirgt – in der Dramaturgie. Angesichts von Ereignissen, die das geübte Erzählen der Medien herausfordern und zu unterbrechen scheinen, laufen die Print‑, Radio- und Massenmedien geradezu hysterisch zu einer Hochform auf, die sich darin zeigt, dass unterschiedliche Erzählungsansätze ausprobiert werden. Und gerade der genaue Blick auf diese Erzählungen und ihre Entstehung, ihre Dramaturgie und ihre Implikationen sind es, die ein Theater zu fokussieren hat, das das Politische aufnehmen will.
Wie wird „London“ beobachtet
Es ist bedauerlich, dass gerade jetzt Klaus Kusanowsky in eine Blogpause abgetaucht ist, wäre doch aus seinem scharfen Blick auf das Beobachten vermutlich einiges an provokanten Einsichten über die Form der Beobachtung dessen, was in London sich gerade vollzieht, zu erwarten. Wie beobachten Medien die Ereignisse in London, Manchester und Birmingham? Wie beschreiben sie ihre Beobachtung, welches Drama bauen sie daraus und versuchen, es als gültige Beobachtung zu etablieren? Wird die Geschichte von Unterprivilegierten erzählt, deren ungerichtete Wut sich nunmehr „blind“ in einem Aufstand entlädt – den Aufständen in Los Angeles 1992 oder der Pariser Banlieue vergleichbar? Handelt es sich um eine englische Form der Sozialproteste, wie sie auch in Spanien zu beobachten sind? Artikuliert sich hier also soziale Ungleichheit in flammenden Fanalen? Oder handelt es sich um „Banden“, die die gegenwärtige Unübersichtlichkeit, die Unfähigkeit der sommerlich schläfrigen Ordnungsautoritäten ausnutzen, um maifertags- und hooliganhafte Randale und Krawalle anzuzetteln? Die göttliche Ina Bergmann, vormalige Würstchenbudenbesitzerin in London und einzigartige Nachtjournal-Moderatorin des ZDF, die verlängertes Wachbleiben durch unvergleichlichen Moderationsstil und Kugelschreiberartistik belohnt, brachte Montagabend sowohl die Referenz auf L.A. und Paris wie auch die Beschreibung des Geschehens als Bandenkrawall. Noch ist die Erzählung nicht ganz fertig. Noch herrscht Unsicherheit über die Einordnung. Noch ist der Raum des Politischen offen und nicht gänzlich definiert.
Spiegel Online etwa schwankt in der Bewertung der Ereignisse ähnlich wie die „Märkte“, die sich gerade am DAX austobten:
Am 07.08. schrieb man: „Aufgebrachte Bewohner setzten in der Nacht zum Sonntag mindestens zwei Polizeiwagen, einen Doppeldeckerbus sowie ein Gebäude in Brand.“ (hier)
Am 08.08.: Beobachter erklärten, die Polizei hätte große Probleme gehabt, die Randalierer unter Kontrolle zu bekommen. (hier)
Am 09.08.: Plündernde und brandschatzende Banden, die in der Nacht zum Sonntag im Nordlondoner Stadtteil Tottenham die Randale begonnen hatten, waren schon in der Nacht zum Montag in weitere Stadtteile weitergezogen. (hier)
Auch am 09.08.: Warum explodiert die Gewalt in England? Das Gefälle zwischen Arm und Reich wird immer größer, ethnische Minderheiten fühlen sich gezielt schikaniert. Eine ganze Generation sieht sich abgehängt — und ist geeint im Hass auf Eliten und Polizei. (hier)
Beim Blogger christiansoeder findet der Zusammenprall der Erzählungen ein einem einzigen Tweet Platz:
Es ist nicht einfach ein Wechsel des Beschreibungsvokabluars – sondern jede dieser Beschreibungen instituiert tendenziell ein Drama, dessen nächste Schritte bereits mehr oder minder unausgesprochen mitschwingen. Die dramatischen Formen sind zu sehr etabliert, um das zu übersehen. Mit „aufgebrachten Bewohnern“ ist anders zu verfahren, als mit „plündernden Banden“. Dabei geht es gar nicht darum, wer oder was die Beteiligten „wirklich“ oder „in Wahrheit“ sind. Das lässt sich von hier aus sowieso nicht beurteilen (das macht die Macht der Tele-Medien aus). Zudem lässt sich scheinbar auch kein „Anführer“ befragen, der erklären könnte, welchen Kollektivmotiven die Aktivitäten folgen. Es lässt sich aber sehr wohl erkennen, welche politischen Dimensionen dahinter stecken: Das Drama der „aufgebrachten Bewohner“ zöge nach sich eine Diagnose des » Read the rest of this entry «
August 2nd, 2011 § Kommentare deaktiviert für Einladung zur Diskussion auf Nachtkritik § permalink
nachtkritik.de hat heute morgen hier einen längeren Text von mir zur Debatte um das Stadttheater veröffentlicht, den unter anderem Dirk Baecker hier kommentiert hat. Darauf wiederum einige Anmerkungen von mir zurück. Ich verweise hier nur auf nachtkritik und lade zur dortigen Diskussion ein.
Juli 11th, 2011 § § permalink
Die „Inszenierung“ versucht auch zu versprechen, dass ich mir den Abend oder Monat aussuchen kann , also in eine von mehreren Vorstellungen gehen kann – und dennoch die „selbe“ Inszenierung sehe. Wieder einmal Ivan Nagel:
Interpretation als sinnvolles Denk- und Arbeitsmodell hat zwei Bedingungen: Wiederholbarkeit und Vergleichbarkeit des theatralen Produkts. (Schriften zum Drama, 24)
Zwar hat spätestens Kierkegaard in „Die Wiederholung“ festgestellt, dass es gerade im Theater die Wiederholung nicht gibt. Das scheint aber denjenigen nicht zu betreffen, der nicht wiederholt, sondern einmalig in eine Inszenierung geht. Immerhin sehe ich noch dasselbe Werk. Dokumentationsmittel wie das Regiebuch sollen sicher stellen, dass eine Inszenierung wiederholbar ist, gar über Jahre oder Jahrzehnte auch mit wechselnden Darstellern/Sängern/Tänzern aufgeführt werden kann – und dabei dieselbe bleibt. Der Grundglaube der Industriegesellschaft, die überall wo „Nutella“ darauf steht erwartet, dass Nutella darin ist, die Produktidentität an jedem Ort und zu jeder Zeit garantiert, ist hier unverkennbar am Werke. Es ist die Dokumentkultur, die aus dem Zeitfluss ausbrechend versucht, die Aufführung zu einem wiederholbaren Algorithmus zu machen und doch nicht umhin kommt, anzuerkennen, dass selbst dieselbe Inszenierung von Abend zu Abend anders ist. Was sich aber nicht beobachten lässt, da der Beobachter nicht zweimal erstmals in den Zeitfluss steigen kann. Während zugleich die Theatermacher keine glaubwürdigen Auskunftgeber sind, weil für sie die Identität der Inszenierung schon immer ein Kampf gegen Windmühlenfügel war, den sie nicht gewinnen konnten. Der theatereigene Begriff der Indisponiertheit, der also voraussetzt, es gäbe eine Disposition zur identischen Wiederholung, zeugt von diesem Kampf.
Nach der identischen Inszenierung
Das Abrücken vom Inszenierungsbegriff würde Schluss machen können mit dieser Vergeudung. Anstatt die Energie darein zu setzen, immer wieder Selbes herzustellen, kann sie ihre Bahnen in der Freiheit der Andersheit suchen. Keine Identitätsgarantie. Nicht unbedingt als Aufforderung zum Extemporé und zur Improvisation. Sondern zum Im-Proviso: Zum Un-Vorhergesehenen und Un-Vorgesehenen, zum Un-Nachsehbaren zugleich. Jenseits des Vor-Geschriebenen Programmes als auch das Un-Vorgesehene geschehen lassen, nicht als Kadenz oder Freiraum für Solisten. Sondern als die Freiheit des Vollzuges, dem Fußballspiel gleich, das zwar seine festgelegten Regeln und seine trainierten Spielzüge hat, sich aber in situ dennoch mit einer gewissen Freiheit entfalten kann. Die Andersehit des nächsten Abends nicht betrachtend als Misslingen der Selbigkeit und Identität, sondern als Freiheit zum Anderen.
Ivan Nagels Hinweis auf das Spiel fortführen
Das Spiel. Ivan Nagel hat es (ebenfalls) ins Spiel gebracht. Das Spiel ist » Read the rest of this entry «
Juli 10th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Mensch, Ivan Nagel … § permalink
… mit 80 Jahren bist du frischer in der Birne, als die Frischlinge, die an deutsche Großtheater schluffen:
Darf das Großtheater mit seinem dreißig- bis fünfzigköpfigen Ensemble, mit eigenen Werkstätten und Verwaltungen weiter als Vorbild alles höheren Strebens in der Schauspielkunst gelten? Drama und Theater wirkten aus diesem System einst kraftvoll in das öffentliche Bewusstsein. Von solcher Wirkung scheint wenig übrig geblieben. […] Technische Beschleunigung und politischer Abbau der letzten Jahrzehnte haben zwei Generationen in eine Mediengalaxie gestoßen, deren immer raschere Umschwünge zugleich totale Gegenwart und leere Zeitlosigkeit erzeugen. Die Millisekunden der Atome, die Jahrmilliarden der Biomoleküle wimmeln von Ereignissen, die mit dem Leben des Einzelnen unvergleichbar sind. Geht das Repertoire-Spiel nicht an alldem vorbei, wenn seine Programm-Melange die Gegenwart weiter als das erlebbare Treffen von Vergangenem und Zukünftigem behauptet? Die Muss-Klassiker, die das deutsche Stadttehater jährlich hundertweise von Regisseuren unter vierzig produzieren lässt, sind oft von verdrießlicher Sinnlosigkeit. […] Wie mancher Regisseur an manches Stück geraten ist, bleibt oft ein Rätsel, das die Aufführung nicht löst.” (Schriften zum Drama, 30ff)
Nur eines noch dazu: Die Inszenierung von Ü40-Regisseuren sind auch nicht besser.
Juli 5th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Ist dem Stadttheater noch zu helfen? § permalink
Auf nachtkritik erschien vor einigen Tagen ein Diskussionsbeitrag von Matthias von Hartz (auch abgedruckt im Theater der Zeit Arbeitsbuch „ Heart of the City – Recherchen zum Stadttheater der Zukunft“), der sich mit dem Verhältnis zwischen Stadttheatern und sogenannten freien Theatern auseinandersetzte und mehr oder minder erst gemeinte Lösungsansätze für die von ihm konstatierte Krise des deutschen Stadttheatersystems präsentierte.
Wer dieses Blog hier ein wenig mitverfolgt, wird erwarten, dass hier sowohl seine Zustandsbeschreibung als auch die präsentierten Lösungsansätze als bei weitem nicht grundlegend genug betrachtet werden. In den Postings zum Tod des Stadtthaters (Teil 1, Teil 2, Teil 3) dem Siechen von Theatern und Kritik (hier) und dem zuletzt hier geposteten Lösungsvorschlag war ich der Situation ebenfalls nachgegangen – mit allerdings einigen anderen Konsequenzen.
Was sagt von Hartz
Von Hartz zieht die Differenz zwischen Stadttheatern und Freien Gruppen, konstatiert, dass „Innovationen“ im Wesentlichen aus der freien Szene kämen und schließt daraus, dass die unterfinanzierten Freien Gruppen mehr Geld bekommen müssten. Dabei ist seine Problembeschreibung durchaus „dramatisch“. Es gehe, schreibt er, letztlich „ um Entwicklung und Überleben des gesamten Mediums“. Er konstatiert, dass zwar 90% der öffentlichen Mittel in die Stadttheatersysteme fließen, die „Innovationen“ hingegen zu 90% aus den gering finanzierten „armen“ freien Gruppen kämen.
Das Interesse des Stadttheaters sei dabei weniger die Zukunft des Theaters, sondern das eigene Überleben als Institution, das als Institution eben zunächst am Fortbestand und an der ökonomischen Nutzung der eigenen Ressourcen interessiert sei. Die Struktur der Instituition bestimme, welche Art von Theater produziert wird. In einer Formulierung, die auch hier aus dem Blog stammen könnte, stellt er fest: „Über die Jahrhunderte ist so eine Fabrik entstanden, die sehr professionell und spezialisiert ein sehr gutes Produkt herstellt.“. Ausführlicher und pointiert:
Interessant ist, dass die Probleme am Stadttheater nicht nur durch Menschen oder Dinge entstehen, die ein Künstler braucht und die es dort nicht gibt. Sondern auch durch die Produktionsmittel, die vorgehalten werden, die man aber nicht benutzt. Also: Wer nicht probt oder keine Schauspieler für seine Arbeit braucht, produziert Leerstand.
Von der Institution zum Inhalt
Im Verlauf seines Textes durchaus unvermittelt fällt von Hartz dann aus der institutionellen in die inhaltliche Kritik, die durch seine vorherigen Ausführungen nicht vorbereitet ist:
Als Theaterbesucher wünsche auch ich mir, dass die Institution sich mit » Read the rest of this entry «
Juni 25th, 2011 § § permalink
Hab mir gerade nach einem Zitat, das ich bei Kusanowsky gelesen hatte und das mir diesen Autor als interessant erscheinen ließ, den lange Zeit vergessenen Soziologen und Durkheim-Widersacher Gabriel Tarde, genauer seine Schrift zur Monadologie und Soziologie vorgenommen. Abgesehen davon, dass diese Schrift von außerordentlich inspirierender Schrägheit ist, bin ich auf einen Gedanken gestoßen, der mir enorm fruchtbar erscheint:
Am Grunde jedes Dings liegt jedes wirkliche oder mögliche andere Ding. Dies setzt aber zunächst voraus, dass jedes Ding eine Gesellschaft ist und dass alle Phänomene soziale Tatsachen sind. […] Alle Wissenschaften scheinen dazu bestimmt, Zweige der Soziologie zu werden.
Abgesehen von der Schrägheit der dekonstruktiven Umkehrung, die Gesellschaften nicht mehr aus Einzelnen, sondern einzelne aus Gesellschaft bestehen lassen, scheint mir eine hohe Anschlussfähigkeit an die hier und ebenfalls bei Kusanowsky beschriebene Überlegung zur polymorph-perversen Struktur des Post-Subjekts (das, um allzu voreilige Kommentatoren vorab zu besänftigen, keine Existenzaussage zum Subjekt impliziert, sondern nur eine Begriffsreferenz darstellt) vorzuliegen.
Reißt man die uralte Dualität von Materie und “Psyche” ein, wie Tarde es tut, indem er selbst auf atomarer und subatomarer Ebene das Vorliegen von Phänomenen konstatiert, die jenseits “bloßer Materie” liegen, und kommt zu Tardes an Leibniz geschärften Begriff der Monade, öffnet sich tatsächlich der Denkraum für ein “Subjekt”, das kein Subjekt mehr ist, sondern eben jenem polymorph-perversen oder proteischen Subjekt gleicht, von dem etwa Rifkin angesichts des “Menschen” der Netzgesellschaft redet. Dabei ist Tardes Dreh so simpel wie verblüffend einleuchtend: Wenn sich traditionell von Gesellschaften mit der Metapher, dem Bild oder der Analogie des Organismus reden lässt — warum sollte sich umgekehrt nicht angesichts von Organismen nicht von Gesellschaften reden lassen. Dann ist also ein Körper eine Zellgesellschaft, die Zelle selbst wieder Gesellschaft ihrer Konstituenten, die Konstituenten selbst wieder Atomgesellschaften , deren Zusammenhang in dieser Perspektive nichts weniger als eine Überraschung sein kann (warum verhalten sich die Atome zu einer Zelle?), die durch den Begriff des Natur-“Gesetzes” vielleicht anthropomorph verkleistert und verdeckt, nicht aber » Read the rest of this entry «
Juni 16th, 2011 § § permalink
Rolf Todesco hat einen interessanten Text zum Thema Massen und Massenmedien geschrieben (hier).Dabei definiert er Massenmedien folgendermaßen:
Als Massenmedien bezeichne ich Zeitungen, Radio, Fernsehen, usw., also journalistische Artefakte, die funktional zwischen einer Redaktion und einem Publikum vermitteln, indem sie Signale vermitteln, die als Schrift, Bild oder Ton usw. interpretiert werden.
Später formuliert er:
„Massenmedien“ sind Medien, die sich an Massen richten.
Ich finde den Ansatz spannend, würde ihn aber gedanklich ein Stück weit verschieben oder umkehren, wie ich in einem Kommentar dazu geschrieben habe:
„Massenmedien“ sind Medien, die sich an Massen richten. “ – könnte man nicht umgekehrt behaupten, Massenmedien seien Medien, die Massen erschaffen. Spezifizierter (wenn es um als nicht-fiktional gekennzeichnete, sogenannte Nachrichtensendungen geht): ein Publikum oder gar (wenn es sich um politische-gesellschaftliche) Nachrichten handelt: eine Öffentlichkeit? Sodaß der Fluch des Massenmediums darin bestünde, fortgesetzt weiter Inhalte zu produzieren, um die Masse, die sich zwar vereinzelt in den Wohnzimmern befindet, durch Schaffung eines potenziell allgemeinen Gesprächszusammenhangs (Über Politik reden – mit Freunden, an Stammtischen, auf Parties) weiter als Masse zu stabilisieren, die genau idann wieder in ihre Konstituenten zerfiele, wenn das Massenmedium ausfällt?
Nimmt man also als Ansatz: Massenmedien sind Medien, die eine Masse produzieren, wird der diffuse und schwer fassbare Begriff der “Masse” plötzlich » Read the rest of this entry «
Juni 13th, 2011 § § permalink
Es ist Pfingsten – Zeit für Geist, der ins Theater fährt. Nicht Heiligen. Eher Spirit. A new spirit.
Schlechtgelauntes wie zuletzt hier über das gegenwärtige Stadttheater abzusondern ist eine Leichtigkeit. Den Beobachter in der Loge zu geben, der souverän sein Urteil über die Gladiatoren fällt, die sich täglich mit dem Theater herumschlagen, reicht nicht. Wie also wäre ein neues Theater anzugehen? Dirk Baecker hat mit der siebten seiner 15 Thesen gerade eine ganz launige Diskussion unter Systemtheoretikern (autopoiet und Differentia) angestoßen, die sich darüber unterhalten, wie denn wohl eine solche Kunst beschaffen sein müsste. Abgesehen davon, dass „Kunst“ ein ziemlich hohler und damit unhandlicher Begriff ist, den es überhaupt erst einmal über Bord zu werfen gilt, sind die Gedanken inspirierend. Allerdings geht es hier um eine andere Dimension der Frage nach einer neuen Kunst (kann überhaupt von „Kunst“ die Rede sein – wenn, dann als Formulierung eines Gedankens, nicht aber als Zuschreibung zu irgendeinem real existierenden Ding. Das vorab). Es geht um Theater. Und es geht mir darum, wie ein Theater aussehen könnte, das sich dem scheinbar unausweichlichen Krepieren der gegenwärtigen Theater entziehen, entgegenstellen könnte. Eine Utopie von Theater, die mit dem bestehenden pyramidalen Grabmälern der Vergangenheit bricht. Das will ich hier und heute zeigen. Und das geht so: » Read the rest of this entry «
Mai 19th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Warum es für die Theater um Leben und Tod geht — Teil 3 § permalink
In den letzten beiden Postings versuchte ich zu zeigen, wie Stadttheater einerseits seine Funktion in der Abendunterhaltung eingebüßt hat, andererseits seine Funktion für die Konstitution einer städtischen Bürgerlichkeit verlor. Im dritten Teil möchte ich nun darauf eingehen, inwiefern Theater auch das Theaterhafte, das Spektakuläre eingebüßt hat.
Der Verlust des Spektakulären
Dem Theater eignete in seinen Hochzeiten das Spektakuläre, das sich noch in Spuren in der Oper der Gegenwart wiederfindet. Zu seinen Hochzeiten war Theater eine multimediale technische Meisterleistung. Nicht nur der Darbietenden, sondern auch der Bühnen- und Beleuchtungstechnik. Rasche Verwandlungen, Drehbühnen, Schiebebühnen, bewegliche Plafonds und Heerscharen von Bühnenarbeitern schufen in Minutenschnelle szenische Zauberkunststücke. Ein gleißend erhellter Zuschauerraum konnte mit Gas- oder Elektrobeleuchtung ins Dunkel gehüllt, die Bühne mit Licht‑, Feuer- » Read the rest of this entry «
Mai 18th, 2011 § § permalink
Im vorherigen Posting habe ich darzulegen versucht, in welcher Weise Theater seinen Stellenwert als nahezu monoploistischer Anbieter von Abendunterhaltung einbüßte. Jetzt will ich versuchen zu zeigen, wie das Theater auch seine Funktion als Konstituent einer städtischen Bürgergesellschaft einbüßte.
Das Ende des Bürgertheaters
Theater war für das entstehende Besitzbürgertum des 19. Jahrhunderts zugleich der Ort, sich repräsentativ auszustellen und den eigenen Wohlstand unter Seinesgleichen zu zeigen. Wie zuvor der Adel sich bei Festivitäten in Gala warf und sich zeigte (ohne dass dabei unbedingt der Besitz zum ausschlaggebenden Repräsentationsfaktor wurde), so zeigt sich nunmehr das Bürgertum, der kleine und mittlere Finanzadel seinesgleichen und repräsentiert den eigenen Wohlstand in vergleichbaren Kreisen. Während sich zuvor lokale Gemeinschaften in Kirchgemeinden, auf Volksfesten, auf Märkten und anderen öffentlichen Versammlungsorten konstituierten, konstituierte sich nunmehr innerhalb der städtischen Gesellschaft eine Groß- und später auch Kleinbürger- und Arbeitergesellschaft im Theater.
Wiederbeschworen als verlorenes Ideal nach der 48er-Revolution, wird das Volksstück zum identifikatorischen Symbol einer entstehenden urbanen » Read the rest of this entry «